Phoebe:

sb1Heute heißt es früh aufstehen, früh losziehen! Ohne Auto ist es eine kleine Odyssee von Leutzsch zur Kirchenruine Wachau. Aber von unserer Wohnung aus haben wir eine Busverbindung, die uns einen schönen Sitzplatz in der 11er nach Markkleeberg-Ost beschert. Von dort geht es mit einem Bus – der jede Stunde fährt – bis nach Wachau, Am Bach. Es gibt noch etwas hinter der agra? Ja! Da wird es plötzlich ländlich, idyllisch und schwupps, ist man an der Endhaltestelle. Etliche schwarz gekleidete, mit Bändchen versehene Menschen steigen mit aus. Ich war da noch nie, ich will mich umsehen, wo der Bus steht und so weiter. Aber das schwarze Rudel macht sich sofort auf in eine Richtung. Der Schatz ruft mir zu: „Komm! Immer dem Pulk hinterher!“ Na gut, also hinterher. Es macht mich aber etwas stutzig, dass manche arg bunt und mit Badematten und Schwimm-Nudeln unterwegs sind … und so spreche ich einen Goth an. „Weißt du konkret, wo es lang geht? Bist du sicher, dass das der richtige Weg ist? Da hinten an der Biegung habe ich nämlich einen Bus stehen sehen!“ Das schwarze Rudel hält abrupt an. Kuckt irritiert. Die Badegäste zum nahegelegenen See gehen weiter, wir gehen, ohne zu sprechen, zurück zum Bus, der schon wartet. Schwamm drüber, nochmal gutgegangen. Ein rappelvoller Bus bringt uns zur Kirchenruine.
Meine Sorge war gänzlich unbegründet: Im Falle von akutem Pipi- und Durst-Mimimi ist vorgesorgt! Es gibt wunderschöne Toiletten, und man hat einen Getränkestand aufgebaut, es gibt sogar kalten Weißwein aus dem Kühlschrank. Das Leben ist schön! Wir sind noch sehr früh dran, wir schauen uns um, machen Fotos, sehen beim Soundcheck zu.

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Schnell wird klar: Er geht rein zu The Moon and the Nightspirit, mir reicht es, draußen mit vielen anderen im Schatten im Gras zwischen den Gräbern zu sitzen. Perfekte Aufteilung! Wir genießen also getrennt, aber doch gemeinsam das wirklich schöne Konzert. Und danach wird es leider etwas weird. Der Bus, der sowieso nur jede Stunde fährt, kommt und kommt nicht. Die Menschenmenge an der Bushaltestelle fühlt sich an wie nach einem ausverkauften Olympiastadion. Ein bestelltes Taxi nach dem anderen (Memo an mich: beim nächsten Mal Taxi zur Abholung vorbestellen) fährt an uns vorbei. Ein paar, darunter wir, haben die Idee, bis zur Endhaltestelle der 11er Tram zu laufen. Man hat ja doch sein Navi dabei. Gute Idee! Man stelle sich das so vor, dass wir am helllichten Nachmittag bei recht großer Hitze und Sonneneinstrahlung ohne Sonnencreme und Wasser durch Weizenfelder und blühende Mohnblumenansammlungen mäandern, zum Teil recht müde, womöglich das falsche Schuhwerk dabei, unsicher, ob die Strecke stimmt … Ich komme mir wirklich wie in einer kleinen Herde Zombies bei The Walking Dead vor. Aber wir schaffen es! Wir sind bis zum agra-Gelände gelaufen! So sehen Sieger aus! Weil wir schon hier sind, wollen wir ins Heidnische Dorf auf ein Kirschbier und was Kleines zu essen und Faun. Pustekuchen! Es ist so voll, dass wir schleunigst den Rückzug antreten. Auf der KarLi zu essen und danach romantisch den Abend im Garten ausklingen zu lassen, ist nicht die schlechteste Idee dieses WGTs.

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torshammare:

Trotz der wehen Füße vom Vorabend bin ich am Sonntagmittag schon unterwegs und höre mir in der Alten Börse (sehr schön!) eines der Klassikkonzerte an, vor allem, weil die wunderbare Shir-Ran Yinon (bekannt von New Model Army, Eden House u. a.) mitspielen wird. Der Raum ist fast voll besetzt mit Schwarzvolk, und als Erstes hören wir ein Stück von Gabriel Fauré für Klavier und Cello, das die Ansage, der Komponist sei ein wenig „schwierig“, voll und ganz bestätigt. Schön anzuhören, aber es ist schwer, eine richtige Struktur herauszufiltern. Das nachfolgende Stück von Shir-Ran Yinon, das die verschiedenen Facetten von Einsamkeit und Alleinsein vertont, gefällt mir da schon besser, hier bilden außerdem Viola, Violine und Cello eine harmonische Einheit. Wirklich witzig wird es mit Moritz Eggerts „Hämmerklavier XI“, einem einminütigen Opus, das aus sechzig einsekündigen Einzelliedern besteht, die alle einen eigenen Titel haben und natürlich zwischendrin angesagt werden. Das ist zum Brüllen komisch (so herrscht als Hommage an John Cage auch mal eine Sekunde Stille) und ganz große Klangkunst. Das nachfolgende unvollendete Klavierquartett von Gustav Mahler kann da nicht mithalten, aber bildet für mich einen stimmungsvollen Ausklang, da ich mich danach in die heiße Mittagssonne stürze, um etwas zu essen (das Konzert selbst dauert noch länger). Der vorzeitige Aufbruch ist auch insofern gut, als dass ich zufällig einen Bekannten treffe, kurzerhand mit ihm und seiner Begleitung Pizza essen gehe, sich daran noch eine Neuseeländerin anschließt, wir uns alle eigentlich nur oberflächlich kennen und plötzlich extrem tiefsinnig über viele Themen reden. Das ist WGT.

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Shir-Ran Yinon

Gemeinsam fahren wir dann in die Kuppelhalle zu Bragolin, die allerdings überhaupt noch nicht spielen, sondern Creux Lies aus den USA toben noch wild über die Bühne (vor allem der Sänger in Glitzerhotpants). Die sehr junge Band präsentiert ihren Post Punk sehr rockig, was mir gut gefällt, Sänger Ean Clevenger weiß gar nicht mehr, wohin mit seiner Begeisterung, hier sein zu dürfen, und verteilt ganz viel Liebe unter den ersten Reihen. Das ist sehr putzig, verzögert den Zeitplan allerdings noch ein bisschen mehr (wobei das schöne Cure-Cover „Fascination street“ etwas entschädigt), sodass ich von Bragolin (noch dazu in der überfüllten Kantine) dann kaum mehr was sehen kann, bevor ich zu meinem absoluten Pflichttermin des WGT zurück ins Stadtbad muss. Denn bei dem Schweden Henric de la Cour muss ich dabei sein – am besten ganz weit vorne. Das sehen einige Freunde genauso, sodass wir uns dann gemeinsam in der dritten Reihe durch das wie immer beeindruckende (und diesmal sogar längere) Set jubeln und schluchzen. Mir stehen schon bei „Kowalski was here“ die Tränen in den Augen, bei „Dracula“ singe ich laut mit, und bei „Grenade“ ist es ganz aus. So viel Gefühl. Wir rocken aber auch bei „Two against one“, feiern den neuen Song „A Texas dream“, der extra zum WGT veröffentlicht wird, und schwelgen in noch vielen anderen Liedern vom aktuellen Album Gimme daggers. Sogar eine Zugabe gibt es – Henric scheint heute wirklich fit zu sein. Er singt ja immer wie ein junger Gott, doch oft macht die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung, und das Set ist recht kurz. Heute passt jedoch alles, und es ist sogar noch Zeit und Kraft für eine ausführliche Autogramm- und Fotosession am Merch-Stand. (Hier sich bitte eine überglücklich strahlende torshammare vorstellen.)

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Henric de la Cour

Oul-1-1-von-1Eigentlich müsste ich dieses traumhafte Konzert jetzt erst mal sacken lassen, stünde nicht die zweite Muss-Band des Festivals auf dem Plan: OUL in der Moritzbastei. Das Oldschool-Goth-Projekt von Allen B. Konstanz hat mich nachhaltig beeindruckt (Link zur Rezension), seine Metal-Bands mag ich auch sehr, also ist das Konzert eh Pflicht. Die MB selbst ist überraschend leer, die Konzerttonne auch nur lose gefüllt (aber natürlich mit den bereits erwähnten 1,90-Riesen in den vorderen Reihen) – hier hatte ich schon schlimmes Gedränge befürchtet. Es sind aber genau richtig viele Leute da, dass von Anfang an Stimmung herrscht, und wir schwelgen in den Songs vom Album antipode. Die Atmosphäre ist familiär, man kennt sich, Allen B. Konstanz wirkt nicht ganz so entspannt wie sonst, ist aber natürlich sehr souverän. Neben dem Gesang kümmert er sich um das Keyboard und das Drum-E-Pad, dabei wird er von einem Schlagzeuger begleitet. Die Gitarre zu „With a fire“ kommt leider aus der Konserve, wie er sagt, der Rest sei aber handgemacht. Der Song ist der absolute Höhepunkt des mit vierzig Minuten viel zu kurzen Auftritts und leider dann auch das Ende.
Winterkälte-1-1-von-1Und weil dieser Tag noch nicht genug Kontrast und Pflicht-Bands hatte, fahre ich danach noch ins Täubchenthal, weil Winterkälte zum finalen Abriss bitten. Dort treffe ich meine Mitbewohner, die sich Rhys Fulber angesehen haben, bei Winterkälte dann aber doch nach draußen gehen. Ich verziehe mich auf die Tanzfläche und lasse mich wieder von einem perfekten Set mitreißen, in dem heute sehr viele ältere, aber auch ganz neue Stücke zu einem furiosen Lärmglück zusammengeführt werden. Und jedes Mal wieder bin ich fasziniert, wie diese ultraharte Musik, die aus purem Rhythmus und Noise besteht, so viele Lächeln auf die Gesichter der Anwesenden zaubern kann – allen voran bei Eric de Vries und Udo Wiessmann auf der Bühne, die am meisten Spaß von allen haben und alles aus ihren Instrumenten herausholen. Irgendwann brauche ich Luft bzw. Wasser und verziehe mich nach weiter hinten, von dort ist die Kulisse noch beeindruckender. Ein einziges wogendes Meer aus Menschen. Großartig! Danach bin ich wirklich übervoll mit Eindrücken und muss nach Hause. Was für ein sensationeller Tag.

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littlenightbird

©MDR

©MDR

Der Tag verspricht heiß zu werden, und so wird zur Freude meiner männlichen Freunde auch mein knappes silbernes Cyber-Outfit ausgepackt. Wir verbummeln in der Clique diesen Tag nach frühzeitigem Einlass im Heidnischen Dorf im Berber-Mokkazelt, einem unserer Lieblingstreffs. Mein einziger Programmpunkt heute sind London after Midnight, für mich auch eine typische WGT-Band, die ich auf einem der letzten WGTs kennengelernt habe. Ich muss leider an diesem entspannten Tag noch eine traumatische Erfahrung mit der sanitären Unterversorgung im HeiDo machen: Das Dorf, leider in den letzten Jahren gnadenlos überfüllt mit hauptsächlich stimmungstötenden Tagesbesuchern, die wegen der bekannten Mittelalter-Bands kommen, platzt aus allen Nähten und wird zusehendes ungemütlicher. Toiletten sind nicht im angemessenen Maß vorhanden, was mir neu ist. Zwar rühmt sich das HeiDo mit einer hygienischen Sanitärinsel und Bezahl-Containerklos, aber diese nützen wenig, wenn sie einfach mal für gut 20 Minuten komplett wegen Säuberung gesperrt werden und 50-Meter-Schlangen selbst vor drei kümmerlichen Dixie-Toiletten an der Tagesordnung sind. Ich gerate schnell an meine körperlichen Grenzen beim langen Anstehen, ausnahmsweise werde ich als Notfall vorgelassen – in etwa zehn menschenleere, saubere Kabinen. Da frage ich mich wirklich, wozu die Leute so unnötig warten, wenn man doch eine Kabine nach der anderen säubern könnte statt alle einfach leer stehen zu lassen. Ich wünschte, man könnte die Besucherzahl und Toilettensituation an die Organisatoren des Heidnischen Dorfes weitergeben. Die Situation hat mich wirklich fertig gemacht, ich muss mich noch eine Weile erholen. Mein Plan, Faun anzusehen, lasse ich gleich wieder fallen, da es mir viel zu voll ist und man auch nicht annähernd in Bühnennähe kommt, das ist die Mühe nicht wert. Ich wünsche mir wieder ein nur für WGT-Besucher zugängliches und von kleinen, aber stilvollen Bands bespieltes, angenehmes Heidendorf, wo man abends wie früher am Feuer saß, aber das wird wohl leider ein Wunschtraum bleiben.
Ich ziehe es vor, nochmal zum Shoppingbummel in aller Ruhe zur agra zu gehen, bevor London After Midnight spielen. Ein schönes Konzert mit gruftiger Atmosphäre, da das Publikum vorwiegend aus true anmutenden Gothics besteht. Mich erinnern die düsteren Klänge auch an vergangene Zeiten meiner nun schon über 20-jährigen Szenezugehörigkeit. Nach dem Konzert bleibe ich gerne mit der Freundesclique im Treffen-Café der agra 4.2 und tanze ein wenig zu den Elektroklängen des DJs, da sich anscheinend die Cyber/Techno-Elektrotanzfläche von der Halle 4.2 ins Café verlagert hat. Wenn ich schon mal da bin, sehe ich mir auch die Bilderausstellung im Obergeschoss an. Auf dem Heimweg schießen wir vor einer noch hell beleuchteten Verkaufsstand-Zeltwand auf der agra-Meile unsere eigene Fotoserie mit Freunden in ägyptisch und tempeltänzerisch anmutenden Schattenspiel-Posen und amüsieren uns hervorragend. Eigentlich sollten wir die Ergebnisse im nächsten Jahr auch in der agra-Fotoausstellung präsentieren.

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Mrs.Hyde:

Schon etwas mitgenommen von schon wieder zu wenig Schlaf machen wir uns auf für die zweite Runde durch die Teile vom Schwarzmarkt, die wir gestern nicht mehr geschafft haben. Anschließend treffen wir uns mit Freunden vor dem Cocktailstand und beobachten das Treiben und Schaulaufen. Ich muss noch fahren, aber die Freunde nehmen bei jedem vorbeilaufendem schrägen/merkwürdigen Outfit oder entsprechender Kopfbedeckung einen Schluck, und sind dementsprechend sehr schnell sehr lustig. Zufällig sitzen wir auch direkt vor dem Lager von Noctulus, der irgendwann aus seinem Zelt kriecht und anfängt, kaputte Stories zu erzählen. Ein WGT ist nicht komplett, wenn man nicht einmal Noctulus gesehen hat. Check. Zum Teil ist es urkomisch ihm zuzuhören. Unter anderem sollen wir unsere chinesischen Huawei-Handys für einen Euro bei ihm abgeben, weil die nicht abhörsicher sind. Dafür bekommen wir von ihm alte NVA-Geräte, die 22 kg wiegen und mit Handkurbel betrieben werden, und auf die die NSA nicht zugreifen kann. Außerdem werden im Umkreis von 666 Metern alle feindlichen Agenten pulverisiert, wenn man das Ding einschaltet. Irgendwann sagt er: „So, das war jetzt der Sound-Check!“
Bevor er auch noch sein Konzert beginnt, flüchten wir lieber, haben wir doch schon Bragolin deswegen verpasst, und fahren zu Henric de la Cour im Stadtbad. Von der Konserve finde ich ihn bislang nicht schlecht, aber er hat mich noch nie richtig abgeholt mit seiner Musik. Das soll sich heute ändern, vielleicht braucht es tatsächlich einfach die Live-Erfahrung dazu. Der erste Song beginnt zwar schon, als wir noch draußen stehen, aber zum zweiten Song sind wir dann auch schon drin, da zum Glück keine Warteschlange ist. Doch wo ist Henric? Kommt etwa alles vom Band? Die Bühne ist stockfinster und voller Nebel, niemand auszumachen. Erst als wir uns näher heranschleichen, ist auch die Band ansatzweise zu erkennen. Doch so wenig man Henric sieht, so umgekehrt proportional gut ist seine Musik. Sehr düster, irgendwo zwischen Dark Wave, Gothic und Synthie-Pop angesiedelt. Ausdruck und Charisma von Henric kommen trotz der Dunkelheit intensiv rüber. Ich bin echt begeistert, und nicht nur ich, wie man dem lauten Beifall der Menge entnehmen kann, die dem besten Konzert vom WGT beiwohnt.
Priest im Westbad wären jetzt zwar verlockend, aber das würde in Stress ausarten, und da sie ohnehin im September in München zu Gast sind, fahren wir direkt ins Haus Leipzig. Überraschenderweise ist hier im Gegensatz zum letzten Jahr keine kilometerlange Einlassschlange, da wurden wohl die damaligen „Ordner“ (hier zum Nachlesen) fachgerecht entsorgt. Hier spielen noch Parade Ground, die uns aber gar nicht inspirieren können, also suchen wir uns eine Couch zum Abflacken. The Cassandra Complex treiben uns natürlich wieder nach oben, denn Sänger Rodney Orpheus ist einfach eine Macht, was er auch heute wieder eindrucksvoll unter Beweis stellt. Sein Anzug irritiert mich zunächst, weil der mich an eine Beerdigung erinnert, aber so unpassend ist das auf dem WGT ja nun wirklich nicht. Nur fünf Minuten Soundcheck, mehr braucht die Band nicht, dann verschwinden sie noch einmal kurz, bevor die eigentliche Show beginnt. Dann erscheinen Andy Booth, Volker Zacharias (Girls Under Glass, Trauma), Axel Ermes (Cancer Barrack, Girls Under Glass) sowie Rodney Orpheus und legen einen traumhaften Auftritt hin, der mich sofort gefangen nimmt. Diese ruhigen atmosphärischen Gothic-Wave-Songs wie „Nightfall“ und „Second shot“ sind einfach unsterbliche, göttliche Klassiker, die bei jedem Hören intensive Gänsehäut auslösen und mich frösteln lassen, egal wie hoch die Temperatur im Saal sein mag. Aber auch die etwas elektronischeren Songs werden im Publikum gefeiert, „The war against sleep“ ist ohnehin das inoffizielle WGT-Motto. Klar, dass das der beste Auftritt vom WGT ist.
The Cassandra Complex

The Cassandra Complex ©Black-Cat-Net

 
Sollen wir nun nebenan im Schauspielhaus die Freunde der Italienischen Oper besuchen oder in die agra zu London After Midnight? Ein Freund überredet uns mitzukommen und hin und zurück zu fahren, was sich leider als Fehler erweist. Gleich zu Beginn haben London After Midnight Probleme mit der Technik, noch dazu ist der Gesang von Sean Brennan grausam schief. Nach drei Songs habe ich den Eindruck, dass eine Schülerband versucht, London After Midnight zu covern, so gemein das jetzt auch klingen mag. Der Gesang ist stimmlich so vollständig neben der Spur, dass wir laut lachen müssen. Der allgemeinen Begeisterung hingegen tut das keinen Abbruch, die Menge kreischt begeistert wie auf einem Pop-Konzert. Als auch noch der Klassiker „The spider and the fly“ völlig verkackt wird, legen wir uns hin für ein Nickerchen, die Nacht wird ja noch lang. Bonuspunkt für die Band sind die politischen Statements gegen die konservative US-Regierung, die groß auf der Leinwand eingeblendet werden. Lediglich die Zugabe „Sacrifice“ wird einigermaßen okay gesungen. Schade, was für ein Griff ins Klo.
Zum Ausgleich fahren wir ins Werk II zur Gothic Pogo Party, immer am Sonntag „the place to be“, mit schönen Menschen und toller Musik, und wo der alte Spirit der Achtziger noch nicht tot ist. Hier gibt es mit einer Ausnahme, die sich scheinbar verlaufen hat und sichtlich unwohl fühlt, keine Hörnerhelme, sondern Irokesen- und Tellerfrisuren und auftoupierte RobertSmith-Vogelnester. Jeder Zweite trägt spitze Pikes, und ich sichte viele Kleidungsstücke original aus den 80ern. Immer wieder schön zu sehen, dass ich mit diesem Spleen nicht allein bin. Außerdem gibt es hier eine eigene Verkaufsmeile mit vielen handgefertigten Stücken und unter anderem einen Plattenstand von den Augsburgern von Young And Cold Records.
Erst um 5:30 Uhr verlassen wir die Party, die noch bis mittags laufen wird, es ist längst hell. Schatzi legt sich hin, ich treffe mich aber noch mit Freunden auf einen Munich Mule nebenan im Hof. Bis ich im Bett bin, ist es 7:30 Uhr, und das auch nur, weil die Vernunft siegt.

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Ankalaetha:

War es die letzten Tage schon nicht gerade kalt, ist es heute wirklich heiß, und ich habe das Gefühl, direkt in einen Backofen zu laufen, als ich mittags das Haus verlasse, um mich mit einer Freundin zu treffen. Unser Ziel ist ein netter kleiner Gothic-Second-Hand am Connewitzer Kreuz, schließlich kann es ja nicht schaden, erstmal zu sehen, ob man die Garderobe mit gebrauchten Teilen vervollständigen kann, bevor man sich ins agra-Shopping stürzt.
Anschließend fahre ich wieder in die Wohnung, wo ich mich mit Mitbewohner 1 treffen will, bevor es zum Tanzen ins Täubchenthal gehen soll. Allerdings hat die S-Bahn eine Betriebsstörung, und so verpassen wir leider Phasenmensch fast komplett. Die nachfolgenden S.K.E.T. entschädigen dafür jedoch mit einem durchgängig beeindruckenden Rhythm’n‘Noise-Teppich, der einen förmlich dazu zwingt, die komplette Stunde durchzuzappeln.

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S.K.E.T. © Ankalætha

Zum Glück kann ich danach erstmal an die frische Luft, Soman ist mir ohnehin etwas zu technoid. Das Täubchenthal erweist sich mal wieder als perfekte Location, um darin einen ganzen Tag zu verbringen – gutes Essen und Getränke im Freibereich, einen Sitzplatz findet man eigentlich auch immer irgendwo, und man bekommt mit, was drinnen passiert, ohne dass es zu laut wäre, um sich zu unterhalten.
Da ich befürchte, dass es zum Auftritt von Rhys Fulber ordentlich voll werden wird, gehen wir gegen Ende von Somans Set aber wieder nach drinnen und hoch auf die Galerie. Hier kann man gleichzeitig was sehen und atmen, besonders wenn man es schafft, den Platz genau vor der Lüftung zu erwischen. Noch in der Pause stoßen Freunde aus Schweden zu uns, die heute erst in Leipzig angekommen sind, und gemeinsam genießen wir den gepflegten Teppich aus Rhythmus und Klang, mit dem der Kanadier die gut gefüllte Halle eindeckt. Von unserem Standpunkt aus haben wir nicht nur einen perfekten Blick auf die Bühne, sondern auch Übersicht über die Lightshow – und das tanzende, feiernde Publikum, das, wie ja eigentlich meistens auf dem WGT, mindestens genauso interessant ist wie das, was auf der Bühne passiert.

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Rhys Fulber © Ankalætha

Als das Set zu Ende ist, überlegen wir erstmal, ob wir noch bleiben oder woanders hinfahren, treffen torshammare, hören kurz in Winterkälte rein, mit denen aber mindestens einer der Schweden leider so gar nix anfangen kann, holen uns nochmal Verpflegung und fahren dann zur Feier eines Geburtstags in die Absintherie Sixtina. Dort endet der Abend nach etwas Stolpern über sehr stilecht halbzerfallene Steintreppen (ein Glück habe ich die die bequemen Zehn-Zentimeter-Sohlen an und nicht die Monster-Treter …) bei nachlassendem Regen und leckeren, wenn auch etwas zu süßen Absinth-Cocktails in der Durchfahrt zwischen Hinterhof und Straße. Zumindest für mich – die anderen ziehen noch auf ein Bier in die Moritzbastei weiter, aber mir reicht es für heute, ich gehe zurück in die Ferienwohnung – der Weg ist nicht weit, es regnet nicht mehr, hat aber angenehm abgekühlt, und ein nächtlicher Spaziergang durch Leipzig ist für mich inzwischen auch schon eine Art WGT-Tradition.

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Yggdrasil:
 
Voller Vorfreude reiße ich in der Früh die Vorhänge des Schlafzimmers auf und hoffe insgeheim, dass es doch bitte ein wenig abgekühlt ist. Dem ist leider nicht so! Egal, denn was ein richtiger WGTler ist, kennt weder Schmerz noch Erschöpfung. Die einzige Veranstaltung des gesamten Festivals steht an, die ich unbedingt sehen will, komme was wolle. Die ungarische Dark Balkan Tribal Folk Neoklassik Band The Moon and the Nightspirit spielen in der epochalen und vor allem stilechten Kirchenruine Wachau. Diese Location hat mich schon seit Jahren interessiert, denn immerhin wurden Bands des Schlages Arcana von den Veranstaltern dorthin gebucht. Garant für bombastischen Sound und nebenbei so ziemlich das got(h)ischste, das ich je gesehen habe, inklusive Friedhof vor dem Tor. Aber dazu später mehr! Gestärkt für den Tag beginnen wir unsere Reise zur Kirchenruine. Bereits vorher habe ich gelesen, dass es wohl eine Art Reise wird, hin und wieder frage ich mich, ob wir schon in Dresden sind. Dem Ziel so nahe steigen wir aus der Tram aus, und ich bemerke fragende Gesichter, welcher ist nun der richtige Weg? In solchen Fällen reihe ich mich ganz gerne in den schwarzen Pulk ein, folge der Masse und hoffe, sie wissen den Weg. So auch jetzt! Kurz darauf flüstert man mir, dass die Gestalten vor uns eigentlich nur an den Badesee wollen. Nur gut, dass wir so früh dran sind. Mit einem kleinen Umweg sehe ich von Weitem die Kirchenruine vor mir, ich beginne mich innerlich richtig zu freuen. Schnurstracks an dem oben erwähnten Friedhof vorbei (der im Übrigen wirklich schön ist) und hinein in die Spielstätte. Ein mächtiges Mauerwerk, in dem man förmlich die sakrale Atmosphäre in sich einsaugen kann. Das Publikum ist noch recht überschaubar zu diesem Zeitpunkt, und so beschließe ich, mich in eine schattige Ecke zu setzen und der Band bei ihrer Probe zuzuschauen. Mein Schatz will sich das Konzert von draußen anhören. Nach und nach wird das Publikum mehr und der Schatten, in dem ich sitze, weniger. Zu einer absolut unchristlichen Uhrzeit (14 Uhr, sonntags) betreten The Moon and the Nightspirit die Bühne, und gleich beim ersten Stück bin ich in Trance. Diese gewaltige Musik an diesem gewaltigen monumentalen Ort ist annähernd wie vier Richtige im Lotto, martialisch, orchestral, mit Fugen hier und Pianos da, der pure Wahnsinn. Der Balkan Folk bezieht seine Kraft aus der ungarischen Kultur. Sie spielen eine Art Best of ihrer doch immerhin bereits sieben veröffentlichten Alben. Wer The Moon and the Nightspirit noch nicht kennt, dem empfehle ich mein Lieblingsalbum dieser Formation Of dreams forgotten and fables untold als Einstieg. Es wird voller und voller und wärmer und wärmer, da beschließe ich, die letzten zwei Tracks von außen zu hören und meinen Schatz zu suchen. Aufgrund des ausgefallenen Busses (es stehen so viele an der Haltestellen, da ist ein Bus pro Stunde ein Witz) beschließen wir, uns zu Fuß zur agra zu begeben. Ein Gewaltmarsch, dass selbst die Bundeswehr applaudiert hätte, und eine Hitze wie in alten staubigen Italo-Western. Endlose Weiten (nicht nur bei Raumschiff Enterprise) umgeben von Grün und weit und breit kein Haus. Ein älterer Herr fragt, ob wir zur agra-Halle unterwegs sind und deutet uns den Weg. Gelobt sei er! Als wir ankommen, ist für mich die agra erstmal aggro. Ein kaltes Getränk später kommt uns die Idee, noch ins Heidnische Dorf zu gehen und uns dort noch Faun anzuschauen. Die Idee an sich ist ja nicht schlecht, nur haben diese eben viele andere auch, und so kommt es, dass wir aus dem Dorf flüchten. Resultat des ganzen Wahnsinns: Den Abend verbringen wir sehr nett im Garten.
 
©The Moon and the Nightspirit FB

©The Moon and the Nightspirit FB

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prager.student:

Sonntags geht’s nochmals mit Freunden ins Heidnische Dorf ins Mokkazelt.
Vor Faun brechen dann alle auf, und ich hoffe, mir das Konzert ansehen zu können. Aber Pustekuchen: Es ist so überfüllt, dass es keine Chance gibt, einen Platz mit Sicht zur Bühne zu ergattern. Dafür ist aber der hintere Teil des Dorfes angenehm leer, und ich nutze die Zeit, mit einem befreundeten Pärchen und deren Kindern über die Stände zu schlendern.
Nach Faun leert sich der Platz vor der Bühne, und man kann zum nächsten Konzert in die vorderen Reihen gehen. Mila Mar spielen wie immer ein wunderschönes Konzert, diesmal mit Luftballons und ein paar Regentropfen.

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Mila Mar © prager.student

Danach treffe ich den Rest der Truppe wieder, zunächst zur letzten halben Stunde des LondonAfter-Midnight-Konzertes, dann an einem Tisch im Treffen-Cafe. Als die Musik dort unerträglich wird, ziehen wir um an den Absinthstand, später fahren die Unentwegten nochmals in die Heilandskirche und nach dem Ende dort noch in die Moba.

Hier geht’s zum Montag!

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