Mrs.Hyde
Museum oder Eis essen? Bei den Temperaturen fällt die Entscheidung nicht schwer. Wir ergattern sogar einen Tisch im Schatten in einem Café in der Innenstadt, aber was direkt auffällt: Wir sitzen ziemlich allein zwischen lauter Touristen, und auch sonst lassen sich kaum Grufties blicken. Das gewohnte schwarze Straßenbild fehlt. Dafür färbt sich der Himmel plötzlich schwarz, und wir flüchten vor dem aufziehenden Unwetter ins Westbad, wo New Days Delay das erste Konzert des Tages spielen. Und auch wenn Sängerin Insa Knapp nach vier Tagen Festival konditionell etwas schlapp ist, macht die Musik das mehr als wett und der Auftritt mächtig Spaß. Danach geht es ins Täubchenthal, wo The Fright der Menge ordentlich einheizen.
Nach ein paar Songs zieht es mich aber nach draußen zu einer Tüte Pommes, um mich für den heimlichen Headliner Rezurex zu stärken. Das war eine gute Idee, denn sie spielen eine grandiose Psychobilly-Show und werden gnadenlos abgefeiert. So sehr, dass sie einfach weiterspielen, nachdem das Saallicht bereits angegangen ist. Insgesamt überziehen sie zwanzig Minuten und werden schlussendlich von Frankenstein von der Bühne gejagt, die hektisch mit ihrem Equipment den Aufbau beginnen. Doch weder Frankenstein noch Nim Vind können uns danach heute noch richtig begeistern, ganz im Gegensatz zu vorherigen Konzerten der Bands. Das ist schade, schließlich hätte es parallel mit Kite, Linea Aspera und Whispers in the Shadow auch hochkarätige Alternativen gegeben. Aber die Aftershow-Party Renegade Waltz mit u. a. Martin Oldgoth vom Whitby Gothic Weekend ist anschließend im Täubchenthal, weswegen wir hier bleiben. Und wir werden nicht enttäuscht, müssen uns aber gegen 3:00 losreißen, da wir leider schon um zehn auschecken müssen.
Dienstag: Die Abreise zögern wir noch etwas hinaus, indem wir die unautorisierte Banksy-Ausstellung im Kunstkraftwerk besuchen. In München (Link zum Bericht) hatte ich diese verpasst, doch das war gut so. Denn das ehemalige Heizkraftwerk liefert eine großartige Kulisse für Banksys Kunst, und es macht Spaß, nebenbei das verwinkelte Gebäude treppauf treppab zu erkunden. Danach geht es noch einmal zu unserem Vietnamesen, wo wir uns das Abendessen für daheim einpacken lassen und die Rückfahrt antreten.
-///-
Phoebe
Pfingstmontagmittag heißt es traditionell für mich „Anstehen“. Die Treppe an der Oper ist Goth sei Dank noch nicht so voll, 150 Karten stehen dem WGT-Publikum zur Verfügung für „Rituale“, das Ballett von Mario Schröder. Witzigerweise stehe ich mit einem netten Pärchen an, das ich am Vortag schon bei der Isländerin gesehen habe. Zu dritt kuscheln wir uns unter meinen Regen-Sonnen-Schirm, um ein wenig Schatten zu haben. Das Ballett ist sehr modern inszeniert, es schadet nicht, wenn man bei der Einführung mit dabei war. Ein Ritual ist etwas, das man immer wieder macht, an Feiertagen, im Alltag. Und Rituale sind in jeder Kultur anders. Hier geht es um Rituale in Europa und in Japan, dazu passt die Musik von Franz Schubert („Der Tod und das Mädchen“) und Toru Takemitsu („RAN-Suiten“). Absolut fesselnd! Danach regnet es erst einmal. Also nichts mit irgendwo draußen sitzen. Da geh ich doch gleich quer über das Gelände und stelle mich vor dem Gewandhaus an. Hier lerne ich zwei liebe Damen kennen, die sich vor einigen Jahren auch auf dem WGT kennengelernt haben. Weil sie immer alleine zu den klassischen Sachen gehen müssen. Jetzt sind wir schon drei!
Das Gewandhaus ist innen sehr imposant, ich war schon mehrmals drin, aber noch nie im Rahmen des WGT, ich freue mich! Das Oratorium „Welt-Ende – Gericht – Neue Welt“, inspiriert von der biblischen Apokalypse, ist kein leichter Stoff. Die Camerata Lipsiensis unter der Leitung von Gregor Meyer und der Gewandhaus-Chor zusammen mit einer Alt-Stimme und einem Bariton machen es zu einem richtigen Spektakel, und das Publikum dankt es mit Ausharren zwei Stunden lang ohne Pause. Ewig langer Applaus danach! Der Schatz holt mich ab. Wir sind jetzt schon ein wenig wehmütig, wir wollen gar nicht nochmal durch die Stadt streunen.
Auf unserem Weg mit der Tram zur Wohnung ist uns schon öfters eine Pizzeria-Osteria aufgefallen. Die ist heute als Abschluss unser Ziel. Ich habe selten so lecker und günstig gegessen und werde einen Teufel tun, euch meinen Geheimtipp zu verraten! Ich will auch nächstes Jahr dort noch einen Platz bekommen. Ich freue mich jetzt schon wie verrückt auf das nächste WGT.
-///-
torshammare
Schon ist der letzte Tag angebrochen, warum vergeht das WGT immer so rasend schnell? Traditionell schlumpfe ich mit Freunden an der agra herum, und leichte Melancholie macht sich breit. Aber noch ist das WGT, und wir geben schnell noch ordentlich Geld in der Markthalle aus, bevor es auf einen letzten Abstecher ins Heidnische Dorf zu anderen Freund*innen geht. Bis sehr, sehr dunkle Wolken aufziehen und die eine Hälfte der Gruppe zur Tram geht, während die andere noch ausharrt. Den Regenschauer überbrücke ich strategisch geschickt in der Wohnung mit den Mitbewohner*innen und gruftigem Kuchen (in Sargform!), danach ziehen wir gemeinsam ins Haus Leipzig.
Qual will ich schon lange mal live sehen, und das lohnt sich auch. Mit seinem Soloprojekt geht William Maybelline deutlich härter und wilder zu Werk als mit seiner Hauptband Lebanon Hanover, und die monotonen, treibenden Beats sorgen für ordentlich Bewegung und steigende Temperaturen im Publikum.
Danach schiebe ich mich in die zweite Reihe, denn jetzt stehen Kite auf dem Plan! Es ist heiß, es ist schwül, es ist eigentlich unerträglich – und dennoch wird das Konzert zu einem der besten, das ich je von ihnen gesehen habe (besser noch als in Stockholm vor ein paar Wochen). Wahnsinn! Die Band ist locker und gelöst, der Sound hervorragend, die Show ohne große Visuals oder Lichter. Man hat den Eindruck, als würden Nicklas und Christian das Konzert eher für sich spielen, und genau diese Freude strahlen die beiden auch aus. Nicklas kommt oft an den Bühnenrand, oft schwelgt er auch einfach nur einen Moment in der großartigen Stimmung im Raum, bevor er wieder an die Synths springt. Das Songmaterial ist anfangs eher getragen und aktuell, man verzichtet sogar auf den großen Hit „Johnny boy“, doch ein paar ältere Stücke gibt es auch („I can’t stand it“ ist so brutal wie nie und einfach nur großartig, und wer bei „True colours“ kein Wasser in den Augen hat … dem ist nicht zu helfen.)
Die übliche Stunde mit Kite vergeht wie im Flug, und danach könnte man eigentlich beglückt nach Hause gehen … stünden da nicht Linea Aspera auf dem Plan. Seit Jahren will ich sie sehen, jetzt klappt es endlich. Die wirklich allerletzten Kräfte werden mobilisiert und das ganze Set über durchgetanzt, so sehr bin ich (wie immer) von Alisons Stimme und Bühnenpräsenz verzaubert, und Lineas Asperas Songs ziehen einen sowieso in ihren Bann. Dem restlichen überfüllten Haus Leipzig geht es genauso, und als der Auftritt mit u. a. „Malarone“ und „Solar flare“ zu Ende geht, sind hier sehr viele Menschen sehr glücklich.
Mein WGT ist zu Ende, und es war wunderschön. Mit meiner WG, mit vielen Freund*innen aus München und anderen Ecken der Welt, mit wunderbaren Bands, der einzigartigen Atmosphäre in Leipzig und diesem ganz besonderen WGT-Feeling. Dem Gefühl, am richtigen Ort zu sein.
-///-
Yggdrasil
Am Montag habe ich mir tatsächlich nichts vorgenommen, was Konzerte anging. Ich dachte, wenn ich schon einmal in Leipzig bin, laufe ich mal durch die Innenstadt und schaue mir Sachen an, an denen ich sonst immer nur vorbeigehe. So landete ich dann irgendwann auf dem Stadtfest, das zur gleichen Zeit stattfand, und als der dortige Künstler auf der Bühne Johnny Cashs „Hurt“ anstimmte, holte ich mir schnell ein Handbrot und nahm auf einer der Bänke vor der Bühne Platz. Da es langsam Abend wurde und meine bessere Hälfte in Sachen Kultur unterwegs war, bin ich Richtung Augustusplatz, um sie am Gewandhaus Leipzig abzuholen. Den Abend ließen wir bei einer Riesenpizza (das war monströs) ausklingen und sahen uns fast schon wehmütig Leipzig bei Nacht an. Schön war es!
-///-
Ankalaetha
Der WGT-Montag ist ja immer so eine Sache – alles irgendwie schon wieder vorbei! Zudem klappt auch erstmal nichts so wirklich, erst kommen wir nicht aus dem Haus, dann finden wir den Gothic Second Hand nicht, obwohl wir direkt daran vorbeigelaufen sind. Wir fahren zum HeiDo, nur um zu erfahren, dass die Leute, die wir zu treffen gehofft hatten, grade wieder weg sind, laufen zur Agra, um nochmal „WGT-Feeling zu tanken“, aber kaum sind wir da, fängt es an zu regnen, und trotz Regenschirm macht das dann ja keinen richtigen Spaß. Also geben wir auf und fahren erstmal zurück in die Wohnung. Dank Mitbewohnerin und Kuchen steigt die Stimmung wieder, und schließlich sind wir auf dem Weg ins Haus Leipzig.
Dort ist von „WGT-Ende“ definitiv noch nichts zu merken, es ist knallvoll, warm und dampfig.
Ich verbringe nicht unerheblich viel Zeit damit, im Foyer rumzusitzen, die ein- und ausgehenden (und irgendwann Schlange stehenden) Mit-Gruftis zu beobachten, schaffe es zwischenzeitlich, sowohl meinen Begleiter zu verlieren und wiederzufinden wie auch in der Getränke-Schlange zufällig eine Internet-Bekannte zu treffen, bevor wir uns dann irgendwann mitten im Set von Kite doch auch mal in die Halle wagen. Hinten links im Schatten der Säule unter der Zuluft gehts eigentlich ganz gut, und man kann sogar einiges von der Bühne sehen, darum bleibe ich da für den Rest des Abends. Kite sind eigentlich nicht mein Favorit, überzeugen aber – wieder einmal – live vollkommen, und natürlich rührt spätestens „True colours“ auch mich.
Und dann, endlich, Linea Aspera. Die Band hätte ich eigentlich schon 2020 auf dem schwedischen Mini-Festival Kalabalik sehen können sollen – dann kam Covid19. Linea Aspera wurden quasi zu meinem persönlichen Pandemie-Soundtrack, begleiteten mich auf langen Fahrten, als wegen Corona die Grenze de facto nur noch per Auto überquert werden konnte, und ließen mich die Hoffnung nicht aufgeben, dass alles irgendwann wieder weitergeht. Das Kalabalik fand dann 2021 tatsächlich statt – ohne L. A., die wegen der noch bestehenden Restriktionen nicht anreisen konnten. Aber jetzt endlich! Ich werde nicht enttäuscht, vom ersten („Preservation bias“) bis zum letzten („Solar flare“) Ton entführen Alison Lewis und Ryan Ambridge mich in diese ganz eigene Welt, ich tanze und singe und bin glücklich.
Bis es vorbei ist. Das Set, das WGT und – wer weiß – vielleicht sogar die Pandemie.
(6863)
Trackbacks & Pingbacks
[…] Hier geht’s zum WGT-Montag! […]
Kommentare sind deaktiviert.