Yggdrasil

Mein erster Blick nach meinem Erwachen am Sonntag in der Früh richtete sich gen Himmel, um die Wetterlage zu checken. Mit Grauen stellte ich fest, dass es bereits geregnet hatte. Dieses Jahr war das Wetter am WGT in Leipzig besonders wechselhaft. Geplant war ein ganztägiger Aufenthalt im Heidnischen Dorf, weil dort traditionell am Sonntag der Metal-Tag stattfindet. Erst einmal gestärkt mit Toast und Kaffee, wie üblich, und voller Tatendrang, richtete ich mich her und dachte schon voller Freude an das, was mich erwarten sollte. Was soll ich sagen, bereits gegen 13 Uhr war ich im Heidnischen Dorf, und im Vorfeld war ich fest überzeugt, dass mein Konzerttag mit der Band Alvader aus unserem Nachbarland, den Niederlanden, erst um 15.50 Uhr beginnen sollte. Einen Met später in der Wiese hinten am Marktplatz hörte ich Gitarren und dachte, wer das wohl ist. Siehe da, ich hatte Ingrimm aus Deutschland um 14 Uhr komplett links liegen gelassen. Das Konzert nahm ich dann natürlich mit, und ja, vor der Bühne hatte sich leider eine Schlammschicht durch den Regen gebildet. War jetzt nicht allzu wild, da man nicht versunken ist, aber es war genug Schlamm, dass sich zögerlich vor der Bühne Leute versammelten. Der Mittelalter-Metal von Ingrimm vermochte es durchaus, die Menge in Stimmung zu bringen, sodass um 14 Uhr schon getanzt und gebangt wurde. Der absolute Nackenzwirbler „Teufelsweib“ sorgte für eine wilde Party vor der Bühne. Keinen einzigen hielt es mehr ruhig. AlvaderGutes Konzert, und dafür, dass ich sie nicht auf meinen Schirm hatte, fand ich sie sehr unterhaltsam. Nach einer Pause, in der die Besucher*innen sich frische Getränke holten, sah man schon die ersten Methornträger sich vor der Bühne versammeln für das Pagan Metal Event, auf das ich mich sehr gefreut hatte. Alvader betraten dann pünktlich um 15:50 Uhr die Bühne. Ihr Pagan Metal mit deutlichen Punk Einflüssen war gefällig, und es war unmöglich, still zu stehen. Haare auf und bangen, was das Zeug hielt, war die Devise. Der Klargesang des Sängers strotzte nur so vor Erhabenheit, und so reckten sich die Metflaschen gen Himmel, und es wurde gefeiert, als ob es keinen Morgen gäbe. Eine durchweg gelungene Show, und ich persönlich habe mir den Namen auf meine Liste gesetzt. Mittlerweile tröpfelte es nur noch gelegentlich, sodass vor der Bühne der Schlamm langsam fest wurde. Ein Kirschbier später stand ich dann ziemlich weit vorne für den Hauptact in meinen Augen. Gernotshagen aus Deutschland standen an! Gernotshagen sind aus der deutschen Pagan Black Metal Szene nicht mehr wegzudenken. Rauh und ruppig, stimmungsvoll und zum Feiern animierend wurde ein Gassenhauer nach dem anderen rausgehauen. GernotshagenLeider zeichnete sich ein Bild ab, das mir so gar nicht gefallen wollte vor der Bühne. Die ersten drei bis vier Reihen waren mit Mittelalter- und WGT-Touristen belegt (leider in diesem Fall schlecht) und hinderten die Metaller an ihren Bang-Aktivitäten. Nichtsdestotrotz bewegte ich mich im Uhrzeigersinn immer auf der Suche nach einem freien Stück Wiese, an dem ich nicht eingeengt war wie in einer Sardinenbüchse. Unglaublich wuchtiger Heavy Folk Black Metal, der auch den letzten versteckten Thorshammer zum Vorschein brachte. Immerhin waren mittlerweile einige wenige Pagan Black Metaller anwesend. Nach Gernotshagen hatte ich erstmal einen Rücken, der jedes Bügelbrett in den Schatten gestellt hätte. Langsam wurde es dunkler und von der Stimmung her bedächtiger, und man hörte immer wieder den Namen Finntroll. Der letzte Act des Tages auf dem Programm. Mächtig wie eh und je betraten die Künstler die Bühne. IFinntroll_12Mittlerweile waren so viele Leute vor der Bühne, die nichts mit Metal oder WGT oder auch nur im Ansatz Gothic zu tun hatten, und blockierten alle Leute, die eine gute Zeit haben wollten. Entnervt bin ich nach dem zweiten Song weggefahren. Das hat mich dieses Jahr extrem gestört, muss ich sagen. Wie dem auch sei, es erwartete mich mein Highlight in der Agra-Halle um 23 Uhr, namentlich Silke Bischoff. Meine erste CD aus dem Gothic-Bereich, die mir im zarten Alter von 14 Jahren in die Hände fiel, war eben das Debütalbum This is the new Religion von 1991, und es war um mich geschehen. Seit Jahren jage ich der Vinyl-Veröffentlichung des Albums hinterher, aber zu bezahlbaren Preisen bekommt man nichts mehr. Leider waren meine Beine und mein Rücken lädiert vom Kampftag in Heidnischen Dorf, sodass mich meine bessere Hälfte überreden musste, dem Konzert beizuwohnen. Da wir zeitig gut dran waren, dachten wir, warum nicht auch noch Joachim Witt mitnehmen. Ich finde die Entwicklung dieses Mannes von seiner NDW Zeit in den 80er Jahren hin zum düsteren Sound, den er heute spielt, sehr interessant. Was für ein Konzert! Der Mann ist bei weitem nicht mehr der Jüngste, aber mit welchem Elan er die Songs rausgefeuert hat und wie er mit dem Publikum interagiert hat, das macht ihm so schnell keiner mehr nach. Alle Hits wurden nacheinander gespielt, sodass keiner auch nur eine Sekunde Zeit hatte, sich mal eben auszuruhen. Natürlich wurde auch der Überhit „Die Flut“ gespielt, und der war so arrangiert, dass ich ihn lange nicht erkannte. Die Halle hat gebebt! Nach einer recht kurzen Pause war die Halle gefüllt wie gefühlt seit einigen WGT-Veranstaltungen nicht mehr. Silke Bischoff benötigen keine Erklärung mehr. Der Tod von Felix Flaucher ist nun auch schon einige Jahre her, und das Konzert war als eine Art Tribut angesetzt und angedacht. Den Gesang teilten sich Alexander Veljanov und Sven Friedrich an diesem Abend. Die Songs mussten natürlich anders arrangiert werden, damit der voluminöse Gesang von Veljanov zur Geltung kam. Beeindruckend ein Stück meiner Jugend endlich live erleben zu dürfen. Songs wie „I don´t love you anymore“ und „Hold me“ von ihrem Debüt, aber auch „The Letter“ und „Under your skin“ vom Album To protect and to serve erzeugten eine Gänsehaut, die das ganze Konzert über anhielt. Wundervoll melancholisch wie eh‘ und je! Silke Bischoff sind und bleiben Gothic to the bones! Ich war beseelt und glücklich über dieses Event, und meiner besseren Hälfte bin ich immer noch dankbar, dass sie mich doch überredete, trotz meinem Bügelbrettkreuz zu bleiben. Das beste Konzert meiner bisherigen WGTs!

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Mrs. Hyde

Das erste Event des Tages sind für uns Plastique Noir aus Brasilien, die in der Kuppelhalle vom Volkspalast auftreten. Doch damit sind wir nicht allein, denn die Einlassschlange zieht sich über ca. 200 Meter, als wir eine halbe Stunde vor Beginn dort ankommen. Damit sind die guten Plätze drinnen natürlich schon weg, aber auf der seitlichen Treppe ergattern wir noch ein Plätzchen mit Blick auf die Bühne. Die Band macht einen tollen Sound zwischen Dark Wave und Gothic Rock, die das Publikum begeistert. Das I-Tüpfelchen ist der portugiesische Gesang, und es ist völlig verständlich, dass der Volkspalast schließlich ausverkauft ist. Anschließend spielen nebenan in der Kantine Bleib Modern, wobei die Kantine leider viel zu klein ist für die große Anzahl Besucher. Doch leider zeigt sich für mich auch zum wiederholten Mal, dass ich die Alben der Band wirklich gerne mag, sie mich live aber seltsamerweise irgendwie nicht zu fesseln vermögen. Daher verlassen wir vorzeitig die Show. Da uns die Wartezeit auf die ebenfalls sehr interessanten Spanier Darkways insgesamt zu lang wird, fahren wir zum Parkschlösschen. Westlich vom Park gibt es einen kleinen Parkplatz und auch eine Bushaltestelle, und von da aus sind es nur acht Minuten durch den wunderschönen Park. Wir sehen aber auch Besucher scheinbar den langen Fußweg von der Agra zurücklegen. Das Parkschlösschen liegt idyllisch eingebettet, es gibt ein angeschlossenes Restaurant für Ausflügler, und auf der Terrasse wird extra fürs Festival Fleisch und Halloumi vorbildlich mit getrennten Grills gegrillt. Phil_ShoenfeltBierbänke laden zum Verweilen ein, was sich bei der Szenerie auch wirklich anbietet. Die neue Location an sich ist schon von außen ein Highlight. Im Barocksaal im Erdgeschoss spielen die Schweizer Lone Assembly und überraschen mich etwas mit mitreißendem Gothic Rock, der trotz der Sonne draußen richtig Spaß macht. Zum Glück sind die Terrassentüren offen, und so weht immer wieder eine frische Brise rein, sodass das Raumklima wirklich angenehm ist. Sturm Café und Container 90 im Haus Leipzig wären zwar echt verlockend gewesen, könnten aber auch brechend voll und heiß sein, und eigentlich sind wir für Phil Schoenfeldt & Southern Cross gekommen, die danach im Ballsaal im Obergeschoss spielen. Doch auf dem Weg dahin muss ich erst noch die schöne Cocktail-Bar im Mittelteil bewundern. Testen kann ich sie leider nicht, weil ich schließlich noch fahren muss. Doch auch oben gibt es eine kleine Bar, sodass niemand die Treppe runterlaufen muss. Der zugängliche langgezogene Außenbalkon ist ein zusätzlicher Bonus, von dem sich ein großartiger Blick in den Park bietet. Das Konzert selbst ist leider recht wenig besucht, aber das Dark Country-Flair mit leichtem Johnny-Cash-Einfluss ist eben nicht das Kerngebiet der schwarzen Szene. Um so schöner ist es für die wissenden Anwesenden, zumindest nachdem der Tontechniker nach dem dritten Song mit Tablet im Saal steht und den zu laut übersteuerten Sound am Anfang vernünftig auspendelt. Danach können wir alle die Show richtig genießen.
Soror Dolorosa spielen als Nächstes wieder im Erdgeschoss und machen ihre Sache auf jeden Fall gut und werden von den Fans auch verdient bejubelt. Soror_DolorosaAuf mich persönlich wirken sie eine Spur zu sehr von sich selbst überzeugt, sodass der gegrillte Halloumi mich dann doch mehr lockt, der richtig lecker und sehr zu empfehlen ist. Dabei ist das Konzert aber prima zu hören, da mensch auf der Terrasse direkt daneben sitzt. Für Saigon Blue Rain geht es anschließend wieder ins Obergeschoss, wo wir noch ein wenig dem Soundcheck im leeren Saal beiwohnen, eine ungewohnte, aber auch irgendwie spannende Situation. Doch leider packt uns das eigentliche Konzert nicht richtig, dabei mag ich die Band auf Platte echt gern, wenn ich in der entsprechenden Stimmung dafür bin. Heute ist dafür nicht der richtige Zeitpunkt, was ich der Band aber nicht anlasten kann. Der SilkeBischoff-Kadaver ist keine Option für mich, und auch auf das Mitternachtskonzert von P.I.L. verzichten wir heute, denn zum einen hatten wir vor ein paar Jahren bereits das Vergnügen, zum anderen hat uns der neue Song auf YouTube so gar nicht überzeugt. Da gehen wir lieber direkt zur Gothic Pogo Party, wo heute außerdem der traditionelle ShockWave-Marathon läuft. Dummerweise kommen wir kurz nach dem Door Opening an, und die Schlange ist lang. Außerdem ist es eiskalt, sodass ich extra noch eine Plüschdecke aus dem Auto hole, damit wir während des Anstehens warm bleiben, was ca. dreißig Minuten in Anspruch nimmt. Von Laura Krieg bekomme ich leider nichts mehr mit, aber Die Tödin hat einen sehr coolen Auftritt, der die gruftigen frühen Neunziger wieder erweckt. Anschließend fabrizieren Black Sun Dreamer aus Polen einen tollen Sound zwischen Synthwave, Achtziger und EBM. Parallel dazu ist die zweite Tanzfläche natürlich auch schon eröffnet, wo die Minicave DJs auflegen. Das Werk 2 ist wie immer The-Place-To-Be, doch mir fällt auf, dass Wenige in originalen Outfits aus den 80ern unterwegs sind im Vergleich zu den letzten Jahren. Vielleicht ist das ein Trend, der abebbt. Mir egal – I love Eighties! Es wird ein langer Tanzabend, und erst morgens um fünf können wir uns loseisen, und das auch mehr aus Vernunftsgründen. Denn dummerweise müssen wir bereits um zehn offiziell aus unserem Zimmer auschecken. Das kann ja was werden.

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Ankalætha

Der obligatorische WGT-Tag, an dem alles, was man sehen will, gleichzeitig spielt, ist dieses Jahr der Sonntag. Aber zumindest haben wir davor mal Zeit zum Ausschlafen und in aller Ruhe in der Wohnung frühstücken, bevor es nach etwas hin und her (Regenjacke? Oder lieber keine? Wie kalt ist es eigentlich, wie kalt wird es noch, und wie viel Tasche erlaubt das Täubchenthal?) am vergleichsweise frühen Nachmittag losgeht. WGT25-Sonntag-Noisex-1Den Weg vom Adler finde ich, indem ich entsprechend gekleideten Leuten hinterherlaufe, aber dann ist da noch gar nicht offen und erstmal Schlangestehen angesagt. Dafür stehe ich dann nach dem Einlass um 16 Uhr ziemlich weit vorne in der Schlange vor den Toiletten und anschließend auch am Kaffeefahrrad … Nachdem das alles erledigt ist, ist die halbe Stunde auch rum, und Noisex steht auf der Bühne. Ich laufe erstmal noch ein bisschen hin und her, hoch auf die Galerie, wieder runter – Noisex ist ganz nett, aber holt mich jetzt nicht so wirklich ab. Die Mitbewohnerin, die sich in der Zwischenzeit irgendwie unbemerkt vorbeigeschlichen hat, finde ich gegen Ende des Sets ganz vorne links an der Bühne, und in der Umbaupause geht es dann ab in die Mitte. Weil xotox ist halt schon wichtig und jegliches Gedränge wert. Schon der Linecheck wird recht unterhaltsam und geht dann auch ohne nennenswertes Tamtam direkt in den Auftritt über, der passend zu den “Bühnenoutfits” (Hose und Bandshirt) mit “Schrei mich an!” eröffnet wird. “Schwanengesang”, “Slå tillbaka”, “WGT25-Sonntag-Xotox-T-1Leben und Sterben für Musik aus Strom” und viele, viele weitere folgen, und tanzen, tanzen, tanzen. Der Mann verabschiedet sich in der Mitte des Sets, er will unbedingt zu Patriarchy und vor allem Light Asylum und dementsprechend rechtzeitig am Stadtbad sein. Ich will da eigentlich auch hin, mag aber andererseits auch hier nicht weg und bleibe deshalb noch. Wird schon irgendwie noch klappen dann.
Tja. Irgendwie ja immer, fragt sich halt nur, was. Als ich schließlich in der Tram zurück ins Zentrum sitze, merke ich, dass ich so richtig Hunger habe, also gehe ich am Hauptbahnhof noch schnell zum Frittenwerk. Danach will ich zum Stadtbad, schließlich sagen diverse Meldungen, dass es drinnen noch ganz okay und nicht total überfüllt ist und man durchaus noch Luft bekommt. Als ich aus dem Bahnhof komme, regnet es allerdings in Strömen. Natürlich habe ich keine Jacke dabei, auch keinen Schirm, und es ist Sonntagabend. Da haben nicht mal am Hauptbahnhof noch Läden offen, die so was verkaufen würden. Ich erinnere mich also mit etwas Nachdruck daran, dass ich schließlich inzwischen schon beinahe fast Norwegerin bin und es sich hier somit immer noch um Hochsommertemperaturen handelt, und gehe, als der Regen mal ein wenig nachlässt, trotzdem los. Zwei, drei kräftige, meist unter Vordächern abgewartete Regenschauer später sehe ich dann … noch lange nicht das Stadtbad, aber schon die dazugehörige Schlange vor dem Einlass. Also ziemlich sicher Einlassstop, und wie es aussieht absolut hoffnungslos. Ich drehe also um und muss zum Glück gar nicht weit gehen, bevor ich in eine Tram steigen kann, die direkt zur Agra runterfährt. Agra geht halt irgendwie immer. Der erste Weg führt durch die Markthalle – mir ist jetzt doch ganz schön kalt, und der Heimweg wird ja vermutlich auch nicht wärmer. Glücklicherweise hat das HANDS-Label Regenjacken als Merch – sehr schön, und ja eh immer sehr nett da. Danach ab in die Halle, ganz egal, wer da jetzt … Ach so, ja, Witt. Es ist ordentlich voll, aber man kommt noch rein, und so ist es zumindest mollig warm. Und, wie ja eigentlich meistens, in Richtung Ausgang auch genug Platz, um sich mehr oder weniger gemütlich in eine Ecke zu setzen und einfach mal zuzuhören. Zu Witt habe ich persönlich keinen wirklichen Bezug, und so plätschert der Gig mehr so angenehm über mich drüber, bis dann irgendwann … Moment, das Intro kenne ich? “Ohne Dich” hatte ich wohl mal irgendwo auf einer Playlist – oder war das etwa noch zu Mixtape-Zeiten? Egal, die letzten beiden Nummern, „Die Flut“ und den „Goldenen Reiter“, erkenne ich natürlich auch. Bis dahin bin ich dann auch mal wieder auf den Beinen und schaffe es in der angenehm kurzen Umbaupause auch, WGT25-Sonntag-Silke-B.-Veljanov-1etwas weiter nach vorne zu gehen und mir einen Platz “fast hinter der Säule” zu sichern, wo halt immer etwas mehr Luft ist und man trotzdem zumindest so ungefähr die halbe Bühne sehen kann. Silke Bischoff haben zusätzlich auch noch drei große Videoprojektionsflächen, sodass es eigentlich immer etwas zu sehen gibt, auch wenn man ungünstig steht. Und wie die Leute auf der Bühne aussehen, weiß man ja eigentlich auch … Silke Bischoff eröffnen mit einem langen Video-Intro, einem Ausschnitt aus einem Interview, in dem der Name der Band erklärt wird, und dann einer Art Einführung durch einen WGT-Moderator. Musikalisch geht es erstmal etwas ruhiger los, erster Sänger ist Alexander Veljanov (Deine Lakaien). Nach ein paar Songs mit ihm gibt es – für mein Empfinden etwas merkwürdig – nochmal eine Unterbrechung, in der der Moderator weiter von seinen persönlichen Kontakten mit Felix Flaucher schwärmen darf, während die Bühne für ein akustisches Set vorbereitet wird. Bei diesem wird Axel Kretschmann von Sonja Kraushofer (L‘ âme Immortelle/Persephone) begleitet. Denke ich – sehen kann ich es nicht, dafür stehen sie leider konstant zu weit links. WGT25-Sonntag-Silke-B.-SF-1[Die Sängerin ist Ines Gorka, wie ich im Nachhinein erfahre.] Das mit der fehlenden Sicht ändert sich erst, als Sven Friedrich (Solar Fake/Zeraphine) als letzter Gastsänger auf die Bühne kommt, denn der steht auch bei dieser Gelegenheit nicht still und nutzt mit sichtlich Spaß an der Sache lieber die gesamte Bühne angemessen aus. Es gibt irgendwann noch ein Duett mit Sven und Ines und zum Abschluss natürlich “On the other side” als eine Art “Triett” mit allen Sänger*innen zusammen – und nach einer sehr kurzen Pause noch einen Song Zugabe mit Sven. Insgesamt war das jetzt doch sehr schön, und wenigstens ein solcher Nostalgietrip gehört zum WGT eigentlich auch einfach dazu, wenn man ja schließlich auch keine 49 mehr ist … Das Ein-Uhr-“Mitternachtsspecial” mit Public Image Limited brauche ich jetzt aber wirklich nicht mehr und bin quasi schon auf dem Weg zur Tram, als eine gute Freundin per Text anfragt, ob ich denn noch da wäre? Ich drehe also noch mal schnell um und finde sie, wie nicht anders erwartet, in der Nähe des Absinth-Standes. Einen “Death in the Afternoon” (oder vielleicht “Death at Midnight”?) nehmen wir noch, auf die guten alten Zeiten, aber dann bin ich wirklich auf dem Weg zurück in die Wohnung.

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Phoebe

Heute Nachmittag steht die Alte Börse auf meinem Programm. Um 14 Uhr komme ich erst an, zur gleichen Zeit soll es aber auch beginnen. Kann ich da noch rein? Klassische Veranstaltungen störe ich nur ungern. Alte-BörseZwei Damen rufen mir zu: „Schnell, herein mit dir, links oder rechts die Treppe rauf!“ Ich bin drin, toller Platz, die zwei Damen erweisen sich als die Sängerinnen. Nina Schumertl, Mezzo-Sopran, Itto Bakir, Sopran, und Samuel Waffler, der Herr am Klavier. Die Damen im Gothic Look, dargeboten werden wundervolle Sachen wie ein Bach-Präludium, ein wunderschönes Lied von Alma Mahler, „Traumgekrönt“ von Alban Berg und noch so einiges, das ich mir leider nicht gemerkt habe. Wie auch das putzigste und zugleich schönste klassische Stück, das ich je gehört habe – es ist ein Lied. Die beiden Damen sagen: „Weder Ringelstern noch Morgennatz haben es verfasst … es ist einfach für die Katz“. Und dann singen sie erstmals ein Duett, komplett in kätzisch! Nur Miau-Laute. Leute, was hier vielleicht kindisch klingt, es war echt große Kunst! Alle waren absolut begeistert! Und das Trio hat sich gefreut, auch dass es zum WGT eingeladen wurde. Sie hoffen, nächstes Jahr wieder kommen zu dürfen. Würde mich freuen! Mein ursprünglicher Plan war danach Vkgoeswild in der Peterskirche. Aber weil ich letztes Jahr schon dort war und in Erinnerung hatte, dass es bei Türöffnung recht wild zuging und zusätzlich in der Kirche kalt war, disponiere ich um. Das Kabarett-Theater Sanftwut in der Mädlerpassage ist mein Plan B. Attila-Theater-SanftwutAttila Karoly, ein langjähriger WGT-Besucher, wie er uns versichert, hat sich in der Corona-Zeit aufs Zaubern draufgeschafft. Um 17 Uhr gibt es also hier eine Zaubervorstellung namens „The Black Freak Show“. Das ist jetzt nichts Außergewöhnliches, er zeigt Kunststücke, inspiriert von alten Jahrmärkten, spielt mit Schmerzunempfindlichkeit und optischer Täuschung. Er bezieht auf sympathische und lustige Art und Weise das Publikum mit ein. Die Location ist toll! Mitten in der City, schöne Sitzplätze, gepflegte Getränke, die man mit an den Platz nehmen kann, und ein schönes Klo. Was will Frau mehr. Danach ist wieder einmal eine Fahrt zur Agra fällig. Ich schaue mir erstmal die Ausstellung oben im Foyer an. Armand Tamboly hat sich hier mit einer Reihe von Bildern mit dem Thema Albinismus und seinen vielfältigen Realitäten beschäftigt. Sein Projekt versteht sich nicht nur als künstlerischer Beitrag, sondern auch als Plädoyer für Empathie, Aufklärung und künstlerischen Wandel. Und danach gebe ich mir die Verkaufshalle! Und ich kaufe sogar etwas! Der Schatz kommt hinzu, wir lustwandeln noch etwas, bevor wir uns hinten in Richtung Konzert begeben. Unser Ziel ist später Silke Bischoff, aber weil wir beide eigentlich müde sind und sitzen wollen, gehen wir zu Joachim Witt rein und fläzen uns in eine Ecke. Aber nicht lange, der alte Witt hat’s drauf! In einer Art Gehrock mit langen offenen weißen Haaren ist er wahrlich ein Rübezahl! Der Mann ist übrigens 76! Das macht einem Hoffnung auf die eigenen späten Jahre. Witt ist unheimlich charismatisch, zwischendrin macht er launige Ansprachen in der Art von: Wir alle trinken da unten was, und er steht da oben mit seinem Wasser, oder gegen Ende: „Ach, das ist ja blöd, jetzt ist es fast zu Ende!“ Ich kann es kaum glauben, aber dann kommt noch „Die Flut“! Das habe ich von ihm noch nie gehört oder gesehen, immer nur von Peter Heppner. WittWundervoll, eindrücklich, die Hardcore-Fans singen mit, schwingen mit, einfach toll! Danach meint er, eigentlich soll jetzt Schluss sein, vor allem eben wegen des Umbaus für das nächste Konzert. Er würde aber auch nur mit einer einzigen Gitarre spielen, wenn die anderen schon abbauen. Und dann gibt es noch einen Kracher! „Der goldene Reiter“, sein NDW-Song aus dem Anfang der 80er, er ist ein Party-Hit, er zelebriert ihn, er hat die Menge im Griff, wir singen Lö lö lö la la la, es macht Spaß und ist einfach fantastisch! Danach kommt Silke Bischoff. Ich muss sagen, ich liebte diese Band damals. Die ganze Aura um die Band. Die Entstehungsgeschichte des Bandnamens, Songs wie „On the other side“. Ich habe dann nicht mehr beobachtet, wie sich die Band zerstritten hat, wer warum nicht mehr wie heißen durfte, und wann der Sänger woran gestorben ist. Ich freute mich zu lesen, dass Silke Bischoff auftreten werden, trotz dieser Diskussionen und des Geschreibsels der Medien und Fans. Ich freue mich nun einfach, dass sie auftreten, vor allem mit so großartigen Gastsängern wie Alexander Veljanov und Sven Friedrich, Ines Gorka unterstützt ebenfalls. „I don‘t love you anymore“, „Under your skin“, „The letter“, „Hold me“, „Engel“, alles wird gespielt. Für mich erscheint am passendsten zu den akustischen Sachen die Stimme von Alexander Veljanov, wobei auch Sven Friedrich seine Sache großartig macht. Eingespielt auf große Leinwände werden CD-Covers, emotionsgeladene Bilder, Fotos von Felix Flaucher. Dieser singt am Ende ganz groß im Hintergrund eingespielt selbst sein „On the other side, I see you again“. Es ist fantastisch! Danach ist es spät, wir bekommen am Augustusplatz unsere Bahn nicht mehr und laufen zum Markt zur S1. Die bringt uns sogar schneller heim, aber schöner ist Tramfahren!

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Torshammare

Eigentlich würde ich den Sonntag gern langsam angehen lassen, doch mittags um halb eins läuft in den Passage-Kinos ein Film, den ich unbedingt sehen möchte: Soul in Flames, eine Dokumentation über das schwedische Label Cold Meat Industry aus Linköping, 1987 von Peter Andersson (Deutsch Nepal) und Roger Karmanik (Brighter Death Now) gegründet, von Letzterem bis 2014 betrieben und bis dahin Heimat vieler namhafter Ritual-, Dark-Ambient-, Noise- und Death-Industrialbands (z. B. Deutsch Nepal, Raison d’être, MZ.412, Ordo Rosarius Equilibrio, Sophia, Lille Roger …). Doch leider bekomme ich kein Ticket mehr, obwohl ich ziemlich zeitig vor Ort bin. Sehr schade. Dafür trifft sich gerade eine Freundesgruppe in der Nähe zum Essen, bei der ich mich anschließe, und das ist auch sehr schön (das „Lerchennest“ hinterm Barfußgässchen ist sehr zu empfehlen!). Nachdem es mit Krach im Kino schon nicht geklappt hat, entscheide ich mich heute für den – etwas abgespeckten, da leider ohne die traditionellen HANDS-Bands – Krachtag im Täubchenthal, obwohl der Sonntag in quasi jeder Location ein extrem verlockendes Programm hat (well done, Programmplaner*innen des WGT, well done!). Freunde versuchen derweil, zu Janus-akustisch in die Peterskirche zu kommen, wo wieder mal gefühlt das halbe WGT ansteht – und schaffen es leider auch tatsächlich nicht (immerhin nicht ganz so frustrierend wie letztes Jahr, als die Tür zu Peter Heppner genau vor mir und einem Freund geschlossen wurde). So_NoisexReinkommen ins Täubchenthal ist für mich dann zum Glück kein Problem, vor dem nächsten großen Regenschauer witsche ich hinein und komme trotz bereits ansehnlicher Tanzmeute bei Noisex noch ganz vor an die Bühnenseite (wo auch bald die Mitbewohner*innen zu mir stoßen). Raoul – ein Münchner Gewächs – habe ich 2011 schon mal auf dem WGT gesehen (da noch im Werk II), heute steht er nach langer Pause endlich mal wieder auf der Bühne und hat sich dieses Mal auch gleich weibliche Verstärkung mitgebracht. 35 Jahre Noisex wollen gefeiert werden, und es kracht, wummert, fiept und dröhnt vorzüglich von der Bühne, untermalt von Raouls vom Mikro verzerrten Vocals. Viele langjährige Fans (und auch viele Münchner*innen) sind anwesend und feiern den Auftritt gebührend ab. Danach wechseln einige die Location, und ich kann mich für xotox in die erste Reihe schieben. Andreas Davids ist seit 1998 mit xotox aktiv, hat aber auch diverse andere Projekte (Spaciger Ambient/Pop mit Hörspieleinflüssen mit Sven Phalanx, Ambient unter seinem Namen usw.), in denen er seine musikalische Vielseitigkeit auslebt. So_xotoxDoch auch xotox – meistens eher für Lärmklassiker wie „Eisenkiller“ bekannt – hat ruhigere und sehr tiefgründige Seiten, wie das brandneue Album Partikel wieder einmal beweist. Heute lassen es Andreas und Claudia aber ordentlich krachen, dass die Wände wackeln, die Frage „Hörst du mich?“ können alle eindeutig mit „ja“ beantworten, auch der „Schwanengesang“ kommt laut und klar bei allen an. Vor dem wunderbaren „Slå tillbaka“ meint Andreas knapp, dass man (sinngemäß) genau das machen müsse angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen, nämlich „schlag zurück!“. Völlig d’accord. Neben ordentlich Geballer („Leben und sterben für Musik und Strom“) und euphorischem Tanzen gibt es aber auch sehr eindringliche, berührende Momente wie das Handytaschenlampenmeer bei „Existenz“ – und die glücklichen Gesichter von Andreas und Claudia dazu – oder Andreas’ oberkörperfreies Statement zum allgegenwärtigen Körperkult und Bodyshaming. Alle Körper sind perfekt! Ein ganz, ganz wunderbarer Auftritt voller Lärm- und sonstigem Glück, vielen Dank dafür!
So_LiebknechtFür Liebknecht/Daniel Myer bleibe ich noch in der ersten Reihe, denn aller guten Dinge sind drei (Liebknecht im Januar in Brüssel und in München vor ein paar Wochen). Dieses Mal stehen die beiden Schädel auch wieder prominent auf dem Tisch und wachen über Daniels wie immer hervorragendes, heute sogar noch etwas härteres und hochgradig tanzbares Set. Das Täubchenthal schwingt geschlossen das Tanzbein, und als Daniel einen guten Freund als Stargast ankündigt und Isaac Howlett von Empathy Test auf die Bühne kommt, ist der Jubel sehr, sehr laut. „Killer“, auch sonst ein Teil von Liebknecht-Sets, heute mit Live-Vocals von Isaac, ein echtes Erlebnis! Übrigens steht während des Sets wieder der kleine Junge mit Papa neben mir in der ersten Reihe, schick in HANDS-Jacke, der vor zwei Jahren schon bei Mono no Aware neben mir stand. Chapeau!
So_Rhys-FulberDanach bin ich müdegetanzt und muss auch dringend etwas essen. Als ich danach wieder reinkomme, will ich eigentlich weiter hintenbleiben, doch dann ballert Rhys Fulber eine geniale Dark-Techno-Salve nach der anderen heraus, schon wieder wackeln die Wände, und ich muss doch wieder nach vorn. Ich stelle mich seitlich zur Bühne, von wo aus man dem Meister auch ein wenig auf die Finger schauen kann – nicht so gut wie bei seinem Auftritt im Backstage vor einigen Jahren, wo sein Tisch mit allen Gerätschaften mitten im verblüfften Publikum stand und man um ihn herum tanzte (LINK), aber immerhin ein bisschen -, und das ist ein sehr guter Platz. Es gibt auch schon Songs vom im Herbst erscheinenden neuen Album Memory impulse autonomy zu hören, die sehr vielversprechend klingen. Danach bin ich dann aber endgültig durch und brauche frische Luft und einen Sitzplatz, was dank der Sturmböen im Hof kein Problem ist. Ich genieße nach den schwülen ersten WGT-Tagen die kühlen Temperaturen, überlege, ob ich die Location noch wechseln soll (weil Silke Bischoff, Linea Aspera, Icon of Coil, Calva y Nada und Sad Madona ALLE auch interessant gewesen wären), bin dann aber zu müde, und reingekommen wäre ich vermutlich auch nirgends mehr. Klangstabil habe ich zwar erst im Herbst auf dem NCN gesehen, aber dann kommt auch noch eine Freundin vorbei, und zusammen hören wir uns Boris und Maurizio oben von der Galerie aus an, mit gelegentlicher kurzer Sicht nach unten.So_Klangstabil Die Stimmung ist bei den geliebten Hits wie „Math and emotion“, „Pay with friendship“ und ganz besonders „Schattentanz“ so andächtig wie euphorisch und wirklich, wirklich schön. Als Zugabe – nachdem sich Boris schon wieder die Schuhe anziehen wollte – gibt es noch das ergreifende „Verlust“. Danach ist das Herz voll, die Energie aber aus, und wir gehen zur nahegelegenen Haltestelle, von der aus mich ein Bus direkt zur Ferienwohnung und die Freundin noch auf eine Party bringt. Kein ganz originaler Krachtag im Täubchenthal, die HANDS-Bands haben schon gefehlt, aber trotzdem ganz wunderbar. Nach dem obligatorischen Ratsch in der Ferienwohnung nach dem Nachhausekommen geht es dann aber auch bald ins Bett.

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