Alles außer Tulpen

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Samstag

Ganz gemächlich gegen Mittag sollte es von München aus losgehen. Dass es dann gleich so gemächlich werden würde, dass wir in München eine Stunde lang in der Maschine auf die Abflugerlaubnis warten würden, das hatten wir uns so nicht vorgestellt. Aber schließlich angekommen am Flughafen Shiphol waren wir die Checker. Wir holten uns die Tickets für den Bus der Linie 397 von Connexxion, und los ging es bis in die City zum Leidseplein. Von dort war das Hotel nämlich laut Google Maps nur ca. 700 Meter zu Fuß zu erreichen. Was das in plötzlich einsetzendem strömendem Regen und immerwährender Hilfsbereitschaft der Amsterdamer bedeutet: Wir fragten – weil das Navi im Regen mit Schirm und Trolly ziehen und verminderter Surf-Geschwindigkeit nutzlos war – die Passanten, und jeder wusste sofort, wo das Hotel war! Nach etwa fünfmal fragen und ca. sechsmal in verschiedene Richtungen geschickt werden wurden wir fündig: An einer niedlichen Gracht lag ein stolzer Bau mit einem wunderschönen Graffiti an der Front:

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Ich schwöre: Ich habe das Hotel nicht danach gebucht, dass es mit einem Graffiti versehen ist! Wir checkten ein, machten uns ein wenig frisch und sind dann – plötzlich und seitdem ohne Regen – einfach losgezogen. In die nächstbesten Trambahnen eingestiegen, ziellos rumgelaufen, haben uns an den so anders aussehenden Straßenbildern ergötzt, und nach einem kleinen Abendessen sind wir auf dem Nachhauseweg das erste Mal eine Straße entlang gegangen, die wir nun sechs Tage lang immer mal wieder entlang gehen sollten, sie beherbergt unter anderem ein wundervolles freakiges Kneipchen namens Cannibale Royale, daneben gleich einen unspektakulären, aber kompetenten und originellen Coffeeshop und dann die Straße entlang bis zu unserem Hotel eine Häuserfront voller Liebesdamen, die wir im Laufe der Zeit noch näher kennenlernen würden. Also: Das erste Mal rein ins Cannibale Royale Ruysdaelkade, zwei schöne blonde Leffe trinken (bitte keine Diskussionen, warum man in Amsterdam belgisches Bier trinkt! Weils gut schmeckt und in tollen Gläsern serviert wird!), rein in den Nachbarscoffeeshop, an den Damen entlang und noch etwas an die Gracht, wo wir gänzlich alleine waren. Ein schöner Auftakt!

Sonntag

Unser Hotel hat eine Kaffeemaschine vom Feinsten, man kann es auch Umweltschleuder namens „Nespresso“ nennen. Einen guten Kaffee macht sie morgens trotzdem. Danach sind wir geduscht und aufgehübscht über die Straße in ein süßes alternatives Café namens „Binnen“, direkt an der Gracht, zu einem wundervollen Frühstück mit Kaffee, getoastetem Brot, Schinken, holländischem Käse und tollem Rührei. So gestärkt konnten wir mit der Tram Richtung Centraal Station fahren, am Hauptbahnhof aussteigen, ihn überqueren – kleiner Tipp: super Klo auf der Rückseite des Bahnhofs, kostet 70 Cent, ist es aber wert – und mit der – übrigens kostenlosen! – Fähre zur NDSM Werft fahren.

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Eine hübsche Fahrt, entlang an vielen neumodischen Bauten, an Booten, Schiffen und Industriedenkmälern. Aufregend, von dem einen Ufer zum anderen zu fahren, mit vielen Rädern an Bord, mehr Räder als Fußgänger, sich den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen und schon von Weitem das zu sehen, worauf ich mich schon vorab am meisten gefreut habe: das schönste Amsterdamer Graffiti überhaupt:

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Anne Frank, lachend, bunt, gigantisch! Wir waren sehr lange dort, es ist ein riesiges Areal und beherbergt auch witzigerweise einen Ableger unseres Cannibalen in der City: das Cannibale du Nord. Also: zwei Leffe dort genießen. Nach Rückkehr auf die Amsterdam-City-Seite sind wir vom Hauptbahnhof aus nach links in Richtung Rotlichtviertel gelaufen. Wenn dort die Sonne untergeht und die Lichter an, dann ist das trotz der vielen Leute fast romantisch, zumindest aber aufregend. Es gibt ja Aufrufe, dass man die Prostituierten nicht fotografieren soll.

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Viele machen es dennoch. Ich für meinen Teil habe die Kamera, obwohl es dort das eine oder andere Graffiti gibt, nicht in die Hand genommen, wäre mir einfach zu blöd vorgekommen. Nach einem ausgiebigen Bummel sind wir in unsere Ecke gefahren, haben an einem unspektakulären, aber leckeren Thai an der Straße gegessen und sind danach – wisst ihr‘s noch? – ins Cannibale auf einen Absacker, in den Coffeeshop, an den Ladies mit ihren schönen Dessous vorbei und dann mit einem Rotweinchen an unsere Gracht, die Füße Richtung Wasser hängen lassen und Albernheiten und Zärtlichkeiten austauschen. Romantisch.

Montag

Eine Enttäuschung am frühen Morgen: Unser Frühstückskneipchen hatte noch nicht auf! Hilfe! Und das, wo wir es doch heute so eilig hatten! Unser Museumstag stand an!

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Also sind wir zum Museumsplein – total schönes großes Areal, Rasen, auch schattig, zum Rumlümmeln, Gastronomie, witzige Kunst im Raum und: Tipp: einen Supermarkt der Kette namens Albert Heijn, ähnlich unserem Aldi. In der Nähe haben wir gefrühstückt wie zwei Amerikaner auf den roten Lederbänken, mit getoastetem Brot, Spiegeleiern, Coffee to refill – Twinpeaks ließ grüßen.

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Der Schatz ging um 12:15 ins Van Gogh Museum, hier begann sein „Zeitfenster“. Ins Van Gogh Museum kommst du nur rein, wenn du online schon vorab Karten gebucht hast. Ansonsten stehst du endlos an und bekommst dann vielleicht kurz vor dem Eingang doch kein Ticket mehr. Ich ging stattdessen ins Moco Museum. Das ist eine alte Villa, die Villa Alsberg, die seit 2016 moderne und zeitgenössische Kunst beherbergt sowie Graffitis vom Feinsten: Banksy, Keith Haring, Warhol, Koons, KAWS.

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Es war viel los, doch ich hatte auch schon die Online-Karte und ging an der Schlange vorbei direkt in das Haus hinein. Man durfte Fotos machen, und ich war extrem glücklich. Nach einer kleinen Pause ging ich in mein zweites Museum. Das Stedelijk Museum für moderne Kunst und Design ist hochinteressant. Vieles darin versteht man als Laie nicht, doch das liebe ich ja, mich da reinzupfriemeln, wo es kompliziert wird. Man durfte auch Fotos machen, und ich ging von Raum zu Raum, aber irgendwann war ich dann müde und kaputt, meine Füße haben wehgetan, und ich ertappte mich bei dem Gedanken: „O Gott, noch ein Raum!“ Ich gönnte mir danach im Schatten im Museumscafé einen wundervollen kleinen Avocado-Sprossen-Salat und ein schönes – Tipp! – Klo die Treppe runter. Ich wurde vom Schatz abgeholt, wir sind noch ziemlich lange herumgebummelt, bevor wir uns etwas zu essen gesucht haben. Danach in unser Viertel, zum Cannibalen, in den Coffeeshop, an den Damen entlang, zu unserem Platz an der Gracht mit dem Rotwein und den verschiedenen Eindrücken im Kopf, die wir miteinander geteilt haben.

 

Dienstag
Es sollte ein glühend heißer Tag werden, ich wollte ans Meer. Nach Zandvoort am See fährt mindestens einmal die Stunde vom Hauptbahnhof aus ein Sprinter, die Fahrt dauert eine knappe halbe Stunde, das ist wie mit der S-Bahn nach Starnberg fahren. Easy, theoretisch. Praktisch war es ein brütend heißer Zug, eine sengende Hitze, viele Mütter mit Kindern und rosa Schwimm-Flamingos, und nach der halben Stunde Stehen im heißen Abteil auch kein Schatten am Strand.
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Bis zu den Knien im Wasser war es luftig und schön, aber die Vernunft hat mich in den Schatten eines Restaurants oberhalb des Strands geleitet. Hierher komme ich auf jeden Fall wieder, wenn es nicht gerade 38 Grad hat. Der Strand ist toll! Nachdem ich etwas Kaltes getrunken hatte, bin ich zum Hauptbahnhof zurück und von dort gleich mit der IJ Fähre – wieder kostenlos – rüber zum Filmmuseum, wegen seiner speziellen Form auch „Eye“ genannt. Schon von Weitem kann man die beeindruckende Architektur erkennen. Sie sticht heraus zwischen den Docks und erinnert auch irgendwie an ein Raumschiff mitten in Amsterdam. Museum, Mitmachaktionen, Kinos und ein wunderschönes Café mit Aussicht: Hier kann man sich die Zeit vertreiben. Eine Ausstellung über Isabelle Huppert, eine meiner Lieblingsschauspielerinnen, war das Tüpfelchen auf dem i. Nebenan, mit direktem Blick auf die kommenden und fahrenden Fähren, habe ich mir in einer Kneipe, die mich an die Nordsee erinnert hat, noch ein kleines Bier und ein paar Käsewürfelchen mit leckerem holländischem Senf genehmigt, bevor es wieder Richtung Hauptbahnhof ging. Mein Schatz, der sich an diesem Tag im Schatten treiben ließ, holte mich vom Bahnhof ab, wir fuhren mit der Tram nach Leidseplein, von wo aus wir eine schöne Bootstour machten.
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75 Minuten lang sind wir durch die Grachten gesteuert worden. Ganz schöner Verkehr hier! Wir bekamen auf interessante Art und Weise Einblicke in anliegende Häuser, Hausboote, Bau- und Lebensweisen, über Amsterdams Vergangenheit und wie man hier so lebt. Keinesfalls billiger als in München! Danach waren wir hübsch essen in einem der zahllosen Restaurants und internationalen Kneipchen am Leidseplein. Supervolle Gassen für den, der‘s mag, aber auch niedliche kleine Sträßchen abseits. Aber danach sind wir doch nochmal auf dem Weg zu unserem Hotel: zum Cannibalen, zum Coffeeshop, zu den Damen, zur Gracht mit Rotwein.

Mittwoch

Heute sind wir nach dem Frühstücken einfach planlos wild rumgefahren, von einer Tram in die nächste. Hierbei sind wir beispielsweise ungeplant bis zur Westergasfabriek gekommen. Das ist ein Genusstempel, Kulturzentrum, Veranstaltungsort, Kino, Fernsehstudio, Ausgehmeile und Marktplatz in einem, gut essen und trinken kann man dort natürlich auch. Man hätte es sicherlich länger aushalten können, hätte man mehr Sitzfleisch gehabt und wäre es kühler gewesen. Wir sind aber wieder reingefahren in die Stadt, denn mich hat es nach Westermarkt gelockt. Ich hatte nämlich den Eintritt ins Anne-Frank-Haus verbockt. Man muss tatsächlich mehr als zwei Monate, bevor man in Amsterdam ankommt, schon sein Online-Ticket mit Zeitfenster haben für dieses geschichtsträchtige kleine Haus. 80 % der Tickets sind also genau zwei Monate im Voraus weg und 20 % werden am Tag selbst um 9 Uhr morgens auf der Website vergeben. Ich bin dreimal hintereinander mit dem Tablet auf dem Schoß und der Visacard daneben um 9 Uhr online gegangen, war dann jeweils 30 Minuten in der Warteschlange, nur um dann beim Bezahlvorgang rausgeworfen zu werden. Das werde ich mit Sicherheit beim nächsten Besuch besser planen! Wir haben uns also die Gegend um das Anne-Frank-Haus angesehen, die Warteschlange um das Haus herum – viele stellen sich einfach an und hoffen, doch noch reinzukommen – , den Eingang und die Anne-Frank-Statue. Wir sind am Homomonument vorbei, dann zum Bummeln in die 9 Gässchen – die 9 Straatjes, schön. Wir haben dann ein kleines Kneipchen an einer stillen Gracht mit nur ein paar wenigen Tischen direkt am Wasser entdeckt, fanden diese Plätze total romantisch.

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Nicht bedenkend die Auswirkungen, wenn einem da etwas runter fällt. Memo an mich: Die Brille nicht mehr oben am Kopf zwischenparken! Die Brille fiel beim Runterbeugen zur Speisekarte in die – romantische – Gracht und war verloren. Als ich wehmütig nachsah, ob sie vielleicht nach oben schwimmt, sah ich zwar keine Brille, dafür aber eine tote Ente mit den orangen Füßchen nach oben. Nicht schön! Danach war leider schon die Zeit zum Packen und Auschecken gekommen. Morgen sollte es früh zurückgehen. Es war unser letzter Abend, und kindischerweise wollten wir unbedingt noch einmal schön bei unserem Cannibalen draußen essen, wo die Bedienungen mittlerweile natürlich schon längst wussten, was wir wollen. Sie hatten uns so liebgewonnen, dass sie sich wehmütig mit Handschlag von uns verabschiedeten. Danach waren wir reif für den Coffeeshop, die Liebesdamen, den Rotwein und unsere Gracht.

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Bedankt, Amsterdam, du warst gut zu uns!

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Meine Tipps:

Praktisch:
Vom/zum Flughafen: Tickets für den Bus der Linie 397 von Connexxion an dem kleinen roten Bus vor dem Flughafengebäude kaufen
Wenn man nahe einer Metro wohnt, kann man auch den Sprinter am Bahnhof zum Flughafen nehmen
Es lohnt sich ein 3-/4-/5-Tagesticket für die Öffentlichen zu kaufen. Vorab online bestellen oder an den Fahrkartenautomaten oder Touristikbuden
Toilette für die Damen on Tour am Hauptbahnhof, Museumscafé-Toilette am Museumsplein (Treppe runter, kostenlos)
Günstig einkaufen: Albert Heijn, sehr zentral am Leidseplein oder Museumsplein

Anschauen:
Mit NSDM Fähre, kostenlos, auf Rückseite des Hauptbahnhofs, zur Werft und dem Gelände, schöne, längere Fahrt
Mit IJ Fähre, kostenlos, auf Rückseite des Hauptbahnhofs, zum Eye (Filmmuseum)
Rotlichtviertel
Museumsplein
Van Gogh Museum (zwingend vorab die Karten online kaufen)
Moco Museum
Stedelijk Museum
Zandvoort am See (mit Sprinter vom Hauptbahnhof aus)
Bootstour, muss man nicht vorab buchen, einfach zu einer der vielen Anlegestellen hingehen, es sei denn, man will was Spezielles wie „Pfannkuchen-Tour“, „Pizza-dabei-essen-so viel-man-will“, „Candlelight-Dinner-Tour“ o.ä.
Westergasfabriek
Westermarkt mit Anne-Frank-Haus (für einen Eintritt ins Haus mehr als zwei Monate zuvor online die Karten kaufen), Anne-Frank-Skulptur, Homomonument
9 Straatjes

 

 

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