Immer den Auer Mühlbach entlang

au25Ein trüber, kalter Tag im November.
Zum dritten Mal treffen sich die München-Liebhaber und Fotografier-Freunde, um gemeinsam originelle Ecken Münchens zu erkunden. Diesmal wagen wir uns weit hinaus in die fremde Welt: Wir verlassen Sendling!
Treffpunkt ist die U-Bahn-Haltestelle Candidplatz in Untergiesing. Schon diese Ecke, eine der meistbefahrenen Münchens am Mittleren Ring, hat, man glaubt es kaum, eine Attraktion: Die Brückenpfeiler sind mit wunderschönen Graffitis besprüht. Durch Zufall und auch mit Hilfe von Freunden habe ich herausgefunden, dass der Künstler nicht nur in München sprayt, sondern auch in Frankfurt und anderen Städten; er heißt Herakut, und ich finde seine Bilder einfach eindrucksvoll.

Weiter geht es über die Pilgersheimer Straße in Richtung Jugendtreff AKKU. Es muss eine Freude sein, sich hier austoben zu können. Die verwunschene und verwachsene Gegend, die man von der Straße aus gar nicht sehen kann, unter der Candidbrücke sozusagen, ist wieder witzig besprüht, aber nicht einfach lieblos mit der Dose auf die Fläche gehalten, sondern zum Teil mit lustigen und tollen Motiven. Wir sehen auch anscheinend Giesings offizielle Vogeltoilette: Ein kleiner schwarzer Fiat Panda ist über und über mit Vogelkot bedeckt, während alle anderen Autos gänzlich unberührt sind. Unwillkürlich muss man schmunzeln. Wie sagt einer von uns: Was für ein beschi***nes Auto.
Wir gehen rechts rauf ein Stück an der Bäckermühle vorbei, der ältesten Mühle Giesings, die man wie so vieles von weitem dort nicht vermuten würde. 1971 wurde ihr eigentlicher Betrieb eingestellt. Ende der 80er-Jahre wurde in privater Initiative von einem Kfz-Meister namens Tremmel dort ein kleines Wasserkraftwerk erbaut. Daran vorbei schlendernd kommen wir in einen kleinen Park hinein und an einem Kinderspielplatz vorbei, auf dem wir ein paar originelle mit Gesichtern bemalte Bäume sehen.
au7Dann geht es wieder ein kleines Stück zurück und in Richtung Birkenleiten. Die Straße beginnt mit einem Beton-Wohnklotz aus den 70er-Jahren, ein bisschen sind wir verwundert, wo der Modermichl uns hinführt. Doch sogleich ändert sich das Straßenbild, wir sehen hübsche Häuser, witzige Balkone, originell bemalte Autos. Nur den Altglascontainer hat keiner geleert. Wir kommen zu einem wunderschönen Bau, es ist der Archiconvent der Templer, kurz, das Kloster des Templerordens, auch Trinitarion genannt.
Dieser Begriff bezeichnet aber nur den sozialen Bereich der religiösen Ordensgemeinschaft: die „Speisung der Armen“. Das erklärt das Häufchen grimmig dreinschauender Männer, die vor dem Gebäude warten. Es stellt sich heraus, dass es in Kürze eine kostenlose Speisung geben wird, und die Leute wollen sich nicht zuschauen lassen. Wir lesen nach, dass was mit goldenen Kuppeln und Steinlöwen im Innenhof so alt und ehrwürdig aussieht, in den 80er-Jahren einfach aus Platzmangel in Form eines schönen, hohen Turms angebaut worden ist. Reingehen kann man nicht, das Ganze ist von einem Zaun umgeben, sieht aber alleine schon von außen wunderhübsch und wirklich russisch-orthodox aus. Wir gehen weiter, bis wir zur Kraemer’schen Kunstmühle kommen, die seit 1863 besteht und ursprünglich eine Papiermühle war. Nun bietet sie moderne Gewerbeflächen an, und eine Kaffeerösterei betreibt ein Café. Die Ausblicke hier sind auch sehr interessant, jetzt, ohne Blätter an den Bäumen, kann man bis nach Harlaching hinaufschauen. Wir schlendern das Stück wieder zurück bis zum Candidplatz, schlagen dort die Richtung nach rechts ein und spazieren durch die Lothstraße, eigentlich immer am Auer Mühlbach entlang. Wir überqueren ein kleines überdachtes Brückchen, wo eine von uns gleich ein Geocache-Versteck entdeckt und bemerkt, dass die Regenrinnen am Dach der Brücke am Ende mit Drachenköpfen verziert sind.
au12Erstaunlich, wie unterschiedlich man einen Weg wahrnehmen kann. Sechs Personen nehmen wahrscheinlich auf dem gleichen Weg teilweise völlig unterschiedliche Eindrücke auf. Wir gehen direkt auf die Mondstraße zu, ein winziges Sträßchen, in dem es einfach nur putzige Häuser gibt aber keinen Kommerz, keine Läden, keine Supermärkte oder ähnliches. Hier sind ein paar Stellen, an denen man direkt über dem Auer Mühlbach steht. Die Häuser sind klein, bunt zusammengewürfelt, liebevoll gepflegt, individuell, ein bisschen Venedig-Stimmung.
 Selbst bei diesem Nebel sieht es hübsch und verwunschen aus, im Sommer ist diese Stelle geradezu pittoresk. Mitten in unserem Schwärmen werden wir von Hubschrauberlärm irritiert: Keine Ahnung wozu und warum, aber ziemlich lang kreist ein Hubschrauber des BND über uns. Wir nehmen es aber trotzdem nicht persönlich.
Nun geht es weiter in Richtung Kolumbusplatz. Ungefähr an der Stelle, an der es rechts den Giesinger Berg hinaufgeht, überqueren wir die Humboldtstraße unterirdisch, indem wir durch die Unterführung der U-Bahn gehen, denn unser Guide lässt uns nicht einfach über die ampellose Straße. Im Zwischengeschoss der U-Bahn machen einige Halt an den Toiletten, nicht mal die schlechtesten, wie sich herausstellt.
au16Weiter geht es hinein in die Nockherstraße. Dies ist auch so eine entzückende kleine Gasse mit Liebe zum Detail: kleine, hübsch gestaltete Gärten, die in den Hang gebaut sind, liebevoll dekorierte Balkone, Fensterladen-Schnapper in Form von Köpfchen, Hähne – unechte – auf Hausdächern. Ab hier sehen wir schon den Paulaner Turm. Die Mönche des Paulanerordens brauten seit 1634 in München, und am Schluss hatte Paulaner ein großes Areal hier in der Au, am Nockherberg. Aber die Kapazitätsgrenze war erreicht, hieß es, und die Brauerei zog nach Langwied. Fast alle Gebäude des großen Areals sind abgerissen, es stehen nur noch der Turm und einige Produktionsanlagenteile. Es werden Wohnungen auf dem Gelände gebaut werden. Wir gehen eine Treppe runter zum Wasser. Der tosende Wasserfall an der kleinen Staustufe, das Gelände mit dem Bauschutt, ein paar Restmäuerchen … alles sieht ein bisschen wie in einem dystropischen Film aus: „Vorsicht, Videoüberwachung.“ Hier gibt aber nichts mehr zu überwachen. Ein eingelassenes Schild am betonierten Bachbett erinnert, dass hier einst – so wie es geschrieben steht – Millionen braune (Paulaner-) Flaschen befüllt wurden.
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Das Schild gehört zum Kunstprojekt „Das Drachenzähler Einmaleins: Obession, Verplanung und neue KunstORTe“ anlässlich der Bundesgartenschau 2005. Wir gehen die Treppe wieder hoch, überqueren die Ohlmüllerstraße und steigen auf der anderen Straßenseite wieder eine Treppe hinab zum Auer Mühlbach. Diesen zu unserer linken Seite entlang spazierend kommen wir nach Neudeck, das von 1904 bis 2009 ein Frauengefängnis war. Heute sind die Damen in der JVA Stadelheim untergebracht, Neudeck steht leer. Der Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags wollte das Grundstück verkaufen. BISS (Bürger in sozialen Schwierigkeiten) hat sich sehr dafür interessiert und wollte ein soziales Projekt dort realisieren: Es sollte in ein Hotel umgewandelt werden, das jungen Menschen aus sozial schwierigen Verhältnissen eine Ausbildung ermöglicht.
Den Zuschlag für das Grundstück hat dann aber ein privater Immobilieninvestor bekommen, der plant, das denkmalgeschützte Gebäude in Apartments – unter anderem auch für studentisches Wohnen – umzuwandeln. Wir gehen an dem Gelände vorbei und wenden uns nach rechts in die Mariahilfstraße, die unmittelbar auf den Mariahilfplatz führt, vorbei an der Mariahilfkirche, deren Kirchturm man fast nicht sieht vor lauter Nebel. Der Platz ist heute leer, doch dreimal im Jahr tummeln sich hier Abertausende von Menschen, die die Auer Dult besuchen. Wie heißt’s so schön: „Auer Dult ist Kult.“ Wir überqueren die Gebsattelstraße, und hier links wäre schon unser Lokal, in das wir nachher einkehren werden. Zuerst aber wollen wir die Tour zu Ende gehen. Wir schlendern zuerst am ochsenblutfarbenen Kunstbunker vorbei, dem einstigen „Hochbunker Quellenstraße“, einem Luftschutzbunker von 1942 und gehen noch ein Stück die Quellenstraße im Grünen entlang, den Auer Mühlbach wieder sichtbar links von uns, und dann rechts den Berg – naja – den Anstieg hoch in die Hochstraße.
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Hier sehen wir auch Kurioses: einen Balkon, festungsartig mit Flaggen und Gartenzwergen aller Art verbarrikadiert, Brunnenfiguren ohne Nase und Nippel, einen Aufruf der FC-Bayern-Hooligans, es den Sechziger-Hooligans zu zeigen, oder umgekehrt. „Schickeria“ gegen „Cosa Nostra“ jedenfalls. Nun sind wir gleich auf der Brücke am Gebsattelberg.
au20Auf dieser Gebsattelbrücke steht jeweils mittig auf beiden Geländern ein Obelisk mit einem Reiher aus Bronze, der einen Lilienzweig im Schnabel hält. Der Lilienzweig findet sich auch im Wappen der Au wieder. Unterhalb der Figuren, außen an der Brücke, befindet sich jeweils die Skulptur des Münchner Kindls. Wir genießen hier einen wunderschönen Ausblick auf München, auf den Mariahilfplatz mit seiner Kirche vor und unter uns, und der Blick schweift in Richtung Isar und Stadtmitte. Nach diesem Ausblick gehen wir wieder die paar Meter zurück und hinunter Richtung Mariahilfplatz.
Es wird ohnehin schon bald dunkel, und es tut gut, im Wirtshaus „Mühlbacher in der Au“ Platz nehmen zu können. Gemütlich und schön ist es hier, schon ein bisschen adventlich geschmückt, und wir genießen Glühwein und heiße Schokolade mit Rum.
Jetzt wird noch schee gratscht, gscheit Brotzeit gmacht und Pläne geschmiedet für den nächsten Walk.
Prost, samma wieda guat!
Weiterführende, Lust auf mehr machende Literatur:
www.auer-muehlbach.de/spaziergang/

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