1992

Nach der Wiedervereinigung kam es in etlichen Orten Deutschlands, wie zum Beispiel Rostock und Hoyerswerda, zu Angriffen gegen Asylbewerber und Ausländer. Asylantenheime brannten, Menschen starben, die Polizei war ohnmächtig, der normale Bürger entsetzt und ratlos. In München haben daraufhin ein paar Leute den Entschluss gefasst, ein Zeichen zu setzen.
„Die Idee war eben die Lichterkette, also die Kerze gegen die Brandsätze, das Schweigen gegen das Grölen des Mobs wie in Rostock-Langenhagen“, so Giovanni di Lorenzo, Mitinitiator der „Lichterkette“, heute Chefredakteur der „Zeit“ und Fernsehmoderator.

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Und so kam es, dass am Nikolausabend, am 6.12.1992, fast eine halbe Million Menschen in München auf die Straße ging, mit Kerzen, Lampions und Taschenlampen, und nebeneinander stehend die erste Menschenkette dieser Art bildeten: Die Lichterkette war geboren. Ich werde nie vergessen, wie ich damals mit meinem Mann und meiner Schwester in der Schlange stand, inmitten völlig fremder Menschen, eine brennende Kerze in den Händen haltend.

2015

Leider brodelt es – mehr als 23 Jahre später – immer noch, oder wieder.

2014 hatten zwei Münchnerinnen, Beatrix Jakubicka-Frühwald und Gisela Jahn die Idee zu einer „Friedenskette“. Auslöser waren die Gräueltaten in Syrien und im Irak. Und dann kamen auch noch Pegida und deren Ableger und die Demonstrationen dafür und dagegen, und der Plan stand fest: Am Montag, 2.2.2015, werden in der Münchner Innenstadt fünf Gotteshäuser verschiedener Religionen miteinander verbunden: die katholischen Stätten Salvatorkirche und St. Michael, das Münchner Forum für Islam, die Synagoge Ohel Jakob und die evangelische Kirche St. Matthäus. Die Kette sollte von der Salvatorstraße bis zum Sendlinger Tor reichen. Jeder sollte ein Licht mitbringen, sei es eine Kerze, eine Taschenlampe oder ein Handy – der einzige Unterschied zu 1992. Es sollte keine Kundgebung werden, ohne Diskussionen, sondern nur ein friedliches, stilles Nebeneinanderstehen.

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Ich entschied mich für die Synagoge am St. Jakobs Platz. Dort hatte ich mich mit Freunden verabredet, und es war gar nicht leicht sich zu finden in der großen Menge Menschen, die kurz vor 19 Uhr schon auf dem Platz war. Aber es war schön zu sehen, dass sich an diesem wirklich kalten Abend, an dem es auch kontinuierlich geschneit hat, so viele Leute eingefunden haben. Sehr viele hatten auch Kerzen dabei, und die Flammen wurden sorgsam vor Wind und Schneeflocken geschützt. Entspannte, freudige Stimmung, ein paar Kinder stimmten „Laterne, Laterne, Sonne Mond und Sterne“ an. Sie kennen noch keine andere Lichterkette. Um 19.10 Uhr sprach der Rabbi vor der Synagoge einen Friedensgruß, wie alle Vertreter der Gotteshäuser es vor den jeweiligen Häusern taten. Er stimmte Shalom Chaverim an, viele sangen mit. Etwa um 19.30 Uhr wurden wir angehalten, eine Kette zu bilden mit unseren Kerzen, und uns zu verbinden mit den Menschen, die vor den anderen Gotteshäusern stehen. Wir waren so viele am St. Jakobs Platz, dass unsere kleine Gruppe Mühe hatte, sich in einer Reihe zu integrieren. Man stand zum Teil auch doppelreihig, aber immer gut gelaunt, man kam mit fremden Leuten ins Gespräch, während man deren erloschene Kerzen wieder neu entflammte. Gegen 19.45 löste sich die Friedenskette allmählich auf. Wir gingen – immer noch mit den brennenden Kerzen, weil’s so schön aussah – die Sendlinger Straße entlang Richtung Sendlinger Tor.

Lichterkette 2 neu

Es war seltsam anzusehen, dass die Geschäfte noch aufhatten, kaum Kunden darin. Aber überall draußen, in der Kälte, die Menschen mit Lichtern. Am Torbogen vom Sendlinger Tor steckten viele – wir auch – ihre Kerzen in den Schnee. Das sah schön aus. Wir waren 15.000.

http://www.lichterkette.de/
http://www.friedenskette.de
Youtube Clip, der einen kurzen Überblick über die gesamte Friedenskette gibt
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/lich…ieden-1.2333298

Bild 1 und 2: Copyright: Süddeutsche Zeitung
Bild 3: Copyright: Sabine Thiele

 

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