Die Vampirbetörerin
Yasmine Hamdan

In Jim Jarmuschs Film Only lovers left alive hat sie Tilda Swinton und Tom Hiddleston in ihren Bann gezogen, mit fast fatalen Konsequenzen. Auch um mich war es geschehen. Ich brauchte den Soundtrack nur wegen Yasmine Hamdan, obwohl nur ein Song von ihr darauf zu hören war. Mittlerweile ist ihr zweites eigenes Album erschienen: Al Jamilat. Yasmine Hamdan ist 1976 in Beirut geboren, in Dubai, Kuwait und Griechenland aufgewachsen, dann ist die Familie wieder nach Beirut zurück, sie selbst lebt seit zwölf Jahren in Paris. Sie kann also in gefühlt 1000 Sprachen singen, singt aber nicht eingängig für ein Publikum auf Englisch oder Französisch. Es ist ihr nicht so wichtig, ob man die Feinheiten der Texte versteht. Es geht ihr um das Gefühl in einem Song, um eine Vorstellung, um Fantasie. Musik soll auch etwas Geheimnisvolles haben. Nun, das hat das neue Album von Hamdan. Es sind nur 40 Minuten Spielzeit, aber unglaublich viel Verschiedenes spielt sich hier ab. Für mich gibt es keine Chance einen Text zu verstehen, aber man kann träumen, schwelgen, chillen und sich ein bisschen wiegen dabei, barfuß in der Wohnung. Die Singstimme ist arabisch, aber die Stücke bedienen sich an moderner westlicher Elektronik, an Pop- und Folkmusik.

„Douss“ ist ein leichtes, fluffiges, an der Gitarre gezupftes Pop-Stück, das in seiner Schlichtheit und Lieblichkeit fast an „Sunday Morning“ von Velvet Underground erinnert, aber dass der Gesang arabisch ist, macht es zu etwas Besonderem. Dass es im Text um Krieg, Verrat und Schande geht, weiß man ja nicht. Das zweite Lied beginnt zuerst Bon Iver-esque, dann setzt aber Hamdans Gesang ein, es mutet an wie ein kleines Bossa Nova-Lied oder zumindest wie etwas von Nouvelle Vague. Danach, schmachtende Geige, aber eindeutig orientalisch, ein bisschen wie Filmmusik. Drum ’n‘ Bass und dann wird’s zur Barmusik. „Iza“ beginnt wie als wäre es von Fugazi oder den Pixies oder Jack Black, aaah, man meint etwas zu erkennen, aber dann macht Frau Hamdan wieder was mit ihrer Stimme, und die Erinnerung verschwindet. Oder auch „Al Jamilat“, der titelgebende Track. Der Anfang! Die Gitarrenriffs! „Lola“? Von den Kinks? Nein, nein, es ist wieder ein ganz eigener Song. Und so ist jedes Stück ganz anders als das vorherige, was das Album absolut kurzweilig macht. Nach jedem Hören kann man nicht glauben, dass 40 Minuten um sind.

Hamdan sagt selbst, ihr neues Album entstand unterwegs, sie hat es in Zügen, in Flugzeugen oder in Hotelzimmern geschrieben. Und so nomadisch ist auch die Musik: Die Songs sind alle irgendwie unterschiedlich, mal erklingen westliche Elektrobeats, mal meint man Scheichs in der Wüste an sich vorbeiziehen zu sehen (wie in „Cafe“), dann hört man griechische Einflüsse oder an Bollywood-Filme erinnernde Arrangements. Sie singt – das habe ich natürlich nachgelesen – von Beziehungen, Liebe, Täuschung und Rebellion. Und die Texte haben oft einen politischen Hintergrund, wen wundert’s, bei der Vergangenheit der Sängerin.

„Al Jamilat“ basiert auf einem Gedicht des palästinensischen Schriftstellers Mahmoud Darwisch. Es bedeutet „Die Schönen“, wir alle sind damit gemeint. Wir alle sind komplex, wir sind alle nicht perfekt, aber wir sind alle schön.
Yasmine Hamdan, schöne Frau, schöne Songs, schönes, kleines Album.

Wer Yasmine Hamdan live sehen will, hat am 11. Mai 2017 in München im Freiheiz dazu die Gelegenheit.

Yasmine Hamdan: Al Jamilat
Crammed (Indigo), 17. März 2017
Laufzeit: 40 Minuten
CD 14,95, MP3 9,49 €

Tracklist:
1. Douss
2. La Ba’den
3. Assi
4. Choubi
5. Iza
6. Cafe
7. K2
8. Al Jamilat
9.Balad
10. La Chay
11. Ta3ala

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