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Landleben mal anders

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Georgina Fernande Zuhlau – genannt Gina – wird von ihrer Chefin Christiane, der Leiterin einer Künstlerbetreuungsagentur, von Köln aus ins tiefste Oberbayern geschickt, um im Haus ihrer verstorbenen Tante nach dem offiziellen Testament zu suchen, das Christiane zur Alleinerbin macht und damit befugt, Haus und Grundstück zu verkaufen. Mehr oder weniger fehlerfrei geleitet von Navigationssystem Bruce, das gerne auch mal beleidigt reagiert, wenn Gina seinen Anweisungen nicht folgt, gelangt sie schließlich ins beschauliche Neuenthal und sieht sich gleich mit dem ersten einer langen Reihe fundamentaler Probleme konfrontiert: Die Einheimischen sprechen eine ihr vollkommen unverständliche Sprache, so dass sie sich mit einem beherzten „Do you speak English?“ behelfen muss, um schließlich zu ihrem Ziel zu kommen, dem alten und riesigen Bauernhaus der verstorbenen Mirl. Geschafft, und so ein Testament finden kann doch auch nicht so schwer sein.
Was Gina nicht weiß: Die gute Mirl war ein Messie, und das alte Bauernhaus ist bis unter den Dachstuhl mit den absurdesten Dingen vollgestopft, so dass Gina hier systematisch vorgehen muss. Leider wird diese Arbeit durch den zweiten Teil des Erbes erschwert: Graupapagei Picco, der Besucher äußerst liebevoll mit „Picco hat oan fahrn lassn, hehehe! Brunza! Schau, dass d’ Land gwinnst! Brunza!“ begrüßt und das Haus als sein ureigenes Revier betrachtet.
Ganz klar – Gina braucht Hilfe. Diese findet sie in der patenten Nachbarin Therese, die neben ihrem Café, dem Lodenmodenladen und einer Tauchschule auch sanften Tourismus in Form von Kuhkuscheln anbietet, dem äußerst knackigen Tauchlehrer und Tierarzt Quirin und sämtlichen anderen Dorfbewohnern, die sich dieser seltsamen, aber irgendwie auch amüsanten Großstädterin annehmen. Da fallen der missglückte Haarschnitt, den Gina im kombinierten Metzgerladen/Friseursalon/Nagelstudio bekommt, oder der quasi nie geöffnete Edeka (die Leiterin Franzi hat einfach immer vui zvui zdoa) kaum mehr ins Gewicht, vor allem als schließlich auch noch Ginas Kollegin und beste Freundin Julia anrückt, ihren aktuellen Lebensabschnittsgefährten Lutz, genannt „das Karöttchen“ im Gepäck, einen veganen Koch, was im hochgradig unveganen Bayern auf blankes Unverständnis stößt. Schließlich ist hier die Devise: „Wie, koa Fleisch ned? Aba a Wurscht dann scho, oda?“
Und natürlich dürfen auch die Liebeswirren nicht fehlen – Gina ist unsterblich in ihren Klienten Mirko verliebt, aber da ist ja dann auch noch der fesche Quirin …

Was auf den ersten Blick wie eine schon hundertmal gelesene, äußerst oberflächliche Chicklit-Story klingt, entpuppt sich schon nach wenigen Seiten als ein hochamüsantes und richtig gut geschriebenes Buch, das ich innerhalb kürzester Zeit las und wobei ich mich kringelig lachte. Neben den toll angelegten Hauptpersonen Gina, Quirin, Therese und vor allem Papagei Picco überzeugt das Buch vor allem mit einer Fülle an skurrilen und liebevollen Details. Angefangen beim bereits erwähnten Kuhkuscheln, das gestresste Großstädter entspannen soll, und wo auch Gina bei Kuh Regula zwei offene Ohren, ein geduldig kauendes Maul und einen verständnisvoll schwingenden Schwanz für ihre Liebeswirren findet. Eine große Rolle spielt auch der bayrische Dialekt, der sehr, sehr gut wiedergegeben wird (ohne jetzt für einen Nicht-Bayern komplett unverständlich zu sein) und die humoristische, aber respektvolle (Über-)Zeichnung der Dorfbewohner, z.B. der Edeka-Leiterin Franzi, die nebenberuflich als Model für die farbenfrohen Kleiderkreationen ihres Liebsten Özcan arbeitet, seines Zeichens Döner24-Inhaber, oder dem Barbetreiber Nat Wildmoser mit seinem Männer-Chor, der a cappella Rocksongs zum Besten gibt. Nicht zu vergessen die Touristengruppe aus Sachsen, allen voran Judda und Üwe, die nach und nach auch in das Dorfleben integriert werden (auch hier ist der Dialekt sehr gut getroffen).

Dieses Buch lebt natürlich vor allem vom Kulturclash stöckelschuhbewehrte Großstädterin versus skurril-beschauliches Landleben, das ist nichts Neues, aber hier soll das Rad auch nicht neu erfunden werden. Wichtig sind sympathische Hauptpersonen (Gina und Quirin), amüsante Nebenfiguren (Julia und das Karöttchen, Judda und Üwe, Therese und Kuh Regula und und und), eine nicht unbedingt realistische, aber noch nachvollziehbare Handlung und eine Fülle von Gags (Piccos Auftritte, Karöttchens Versuche, eine vegane Schweinshaxe zu kreieren, die spätere Hausbesetzung, bei der sich Therese „wia damois in Wackersdorf, wegtrogn miaßt’s mi!“ ankettet, und die unerwartete Aussprache zwischen Gina und Chefin Christiane, bei der sie einträchtig an den starken Rücken von Kuh Regula gelehnt eine Flasche Wein teilen), die so ein Buch zu einer äußerst kurzweiligen, aber in keinster Weise oberflächlichen Lektüre machen. Ich habe mich jedenfalls köstlich amüsiert.

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Claudia Brendler ist Musikerin, Autorin und Teil des Comedy-Duos Queens of Spleens und lebt in Frankfurt. Eiertanz ist ihr erster Roman, weitere sollen folgen (natürlich mit Picco).

Verlag: Knaur HC
Format: Klappenbroschur, 332 Seiten (inklusive Glossar mit den wichtigsten bayrischen und sächsischen Ausdrücken)
Preis: € 14,99 (eBook: € 12,99)

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„Marianne, bitte, Sie sind eine Dame.“ – „Ich bin keine Dame.“

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„Putzi hatte beschlossen, mich zu mögen. Uneingeschränkt. Bedingungslos. Mit Wucht. So wurde die Putzfrau Marianne Schneider – mit ihren dicken Armen für die Arbeit und ihrem prallen Herzen fürs Übrige – Teil meines Lebens.“

Max Urlacher ist Schauspieler, Single, Mann und von daher schon mal wenig prädestiniert für die makellose Erledigung des Haushaltes, weshalb er sich nach einer Putzfrau umsieht. Empfohlen wird ihm Marianne Schneider. Doch wenn er gedacht hat, ihm müsse die Frau gefallen, die in seiner Wohnung die Herrschaft übernehmen wird, hat er sich getäuscht. Marianne hat Ansprüche und putzt nicht bei jedem, so dass sich Max schwuppdiwupp bei ihr in der Küche zum Antrittsbesuch und zur genauen Überprüfung seiner Persönlichkeit wiederfindet. Zwar redet Marianne die meiste Zeit über sich selbst – und sie hat viel zu erzählen! –, aber irgendwie besteht der eingeschüchterte Max den Test und wird ihr neuer Kunde. Ehe er sichs versieht ist Putzi, wie er sie schon bald liebevoll nennt, Ratgeberin in allen Lebenslagen, Köchin meistens schmackhafter Eigenkreationen und Karriereberaterin, zieht ihn hinein in ihr turbulentes Leben und ihre immer frei Schnauze geäußerten Ansichten, Gefühle und Gedankengänge. Doch so resolut Putzi auf der einen Seite ist, so empfindsam und verletzlich ist sie auf der anderen: Eines Tages bittet sie Max, sie als moralische Unterstützung auf ihr 40jähriges Klassentreffen am Bodensee zu begleiten, weil sie dort ihre verflossene Liebe von damals, Gerhard, wiedertreffen wird, den sie nie vergessen konnte und mit dem sie so gern einen Neuanfang wagen würde. Max kann diese Reise von Berlin an den Bodensee mit einem Reportageauftrag über die Romantische Straße verbinden, und schon geht es los: Das Putzi-Mobil (Max’ Auto) wird bis unters Dach mit lebensnotwendigen Dingen vollgeladen, Putzi quetscht ihre quadratische Figur hinters Lenkrad – Max fährt zu langsam –, und eine turbulente Reise quer durch Deutschland kann beginnen, bei der die beiden zu echten Freunden werden, Haschzigaretten mit einem fast italienischen Eisverkäufer rauchen, zwischendurch einen Freund von Max als Reisebegleitung haben, der gern als Inge-Meysel-Imitator auftritt, in einem Hotel auf eine echte Berühmtheit treffen und schließlich tatsächlich auf dem gefürchteten Klassentreffen landen. Ob Putzi Gerhard wiedertrifft und was aus den beiden wird, soll dann jeder selbst nachlesen, das große Finale sei hier nicht verraten.

Zuerst einmal: Putzi gibt es wirklich! Sie heißt tatsächlich Marianne, allerdings nicht Schneider, putzt bei Max Urlacher, der Theater- und Filmschauspieler ist, und die beiden haben all das, wovon in diesem Buch erzählt wird, erlebt. Vielleicht nicht immer ganz exakt so wie beschrieben, schließlich ist Max auch Schriftsteller, manchmal sollten auch Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben, und manchmal musste Max beim Schreiben die Wahrheit noch entschärfen, weil die Leser ihm sonst gar nichts mehr geglaubt hätten. Was nun letztendlich Tatsache und was schriftstellerische Freiheit ist, bleibt der eigenen Interpretation überlassen, aber das Wichtigste ist sowieso der Mensch Marianne, und der ist eine Wucht. Klein, Anfang sechzig, so breit wie hoch, mit einem (fast) unerschütterlichen Selbstbewusstsein, viel Lebensweisheit, viel Humor, einem durchaus vorhandenen Liebesleben (was für Max immer viel zu viel Information ist) und herrlichen Schrullen.
Max Urlacher schreibt liebevoll und voller Respekt über seine Putzi, sehr selbstironisch über sich selbst und höchst anschaulich über ihre gemeinsame Reise die Romantische Straße entlang. Lesen und sich über den grandiosen Fototeil in der Buchmitte amüsieren!

Zum Weiterlesen gibt es den Putzi-Blog: http://maxurlacher.com/putzi-blog/

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Max Urlacher ist Jahrgang 1971, aus Berlin, hat in München die Otto-Falckenberg-Schule besucht und arbeitet als Schauspieler für Theater und Fernsehen. Er hat bereits zwei Bücher veröffentlicht, 2005 Los Angeles-Berlin, ein Jahr, ein Briefwechsel zwischen ihm und seiner guten Freundin Franka Potente, sowie 2010 Rückenwind, sein erster Roman.

Verlag: Droemer
Ausgabe: Paperback (Klappenbroschur), 207 Seiten mit Fototeil
Preis: € 14,99 (eBook: € 12,99)

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