Ich gucke in den Spiegel und erkenn mich nicht

Foto: ZDF

Es geht um eine junge Frau, die allmählich merkt, dass sie das genau nicht ist: eine junge Frau. Sie hat kurze Haare, und das Weibliche an ihr hat sie unter Schlabberpullis und viel zu großen Hoodies versteckt. Es geht um die Suche nach der eigenen Identität. Das ist ja für viele junge Menschen ein Thema, für Charlie aber ist es ganz besonders elementar, sie sieht sich weder als Frau noch als Mann. Sie wohnt in einem Plattenbau in bescheidenen Verhältnissen bei ihrer Mutter, die mit Geld nicht umgehen kann. Sie hegt Gefühle für Alina, die eine Zeitlang auch mit ihr rumgeknutscht hat, nun aber hochschwanger ihrem Freund treu bleiben will. Musik auf den Ohren ist Charlies Flucht aus dem Alltag.

Sie ist fleißig, sie fährt für einen Lieferdienst mit dem Fahrrad Bestellessen aus und hilft ihrer Tante bei Hausmeistertätigkeiten. Das muss sie auch. Ihrer Mutter ist wegen unbezahlter Rechnungen der Strom abgedreht worden, Charlie will aber anständig leben können! Sie hängt mit Jungs rum, fühlt sich wie ein Junge, probiert Gewichte stemmen, das ist für sie völlig normal. Bis sie durch ihre Hausmeistertätigkeit auf eine bezaubernde junge Frau stößt, die sie fragt, mit welchem Pronomen sie angesprochen werden will, mit weiblichem oder männlichem, mit sie oder mit er. Charlie fängt an darüber nachzudenken. Sie befasst sich damit und sieht, es geht nicht nur ihr so, dass sie nicht weiß, wer sie ist. Sie ist non-binär. Das ist ja nun gut zu wissen, doch wie lebt es sich in dieser Gesellschaft damit, wenn das eigene Geschlecht nicht passt?

Ich bin durch Zufall in diese kleine Serie hineingeraten, weil mir die 2001 geborene Lea Drinda schon in der Serie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo sehr gut gefallen hat. Mit jeder weiteren kleinen Folge gerät man immer tiefer in einen gewissen Sog, so gut sind die kleinen Teile gemacht. Das liegt unter anderem an den tollen Darsteller*innen und an der angenehmen Erzählweise trotz der schweren Themen. Es funkelt vor Ideen, gezeichneten Chats, bunten Farben, Rapmusik. Arm sein und nicht wissen, wohin man gehört, ist harter Tobak, aber hier wird das so leicht erzählt, dass man mit jeder Folge mehr Hoffnung und Zukunft verspürt. Charlie ist einfach ein liebenswertes Lebens-Talent, und damit wird spielerisch allen Zuschauer*innen ein Thema erklärt, mit dem sie sich noch nie auseinandersetzen wollten oder mussten. Becoming Charlie ist nicht belehrend, ist kein Problemkino, diskutiert nichts tot. Es feiert die Vielfalt! Das Ende ist kitschig! Aber wunderschön!

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Becoming Charlie
Instant-Drama-Serie
6 Teile à 15 Minuten
Regie: Kerstin Polte und Greta Benkelmann
Mit Lea Drinda u.v.m.
Noch bis 23. Mai 2023 in der ZDF-Mediathek zu sehen

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