Graffitis – Von Null auf Hundert

 

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Ein langgehegter Traum wurde wahr: Ich besuchte dieses Jahr Stockholm. Ich habe alles gesehen, Gamla Stan, die pittoreske Altstadt, das Königsschloss, Kirchen, das Freilichtmuseum Skansen und das Vasa-Museum, wundervolle alte Häuser und Gassen, vieles per Schiff in malerischer Umgebung im Wasser, und die kleinste Skulptur Stockholms habe ich auch gefunden.

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Doch auch in Stockholm hat mich die Street Art interessiert. Beim Bummeln in der Stadt hatte ich nahezu keine Graffitis gesehen – bis auf ein rundes Gebäude bei Slussen, dem zentralen Verkehrsknotenpunkt zwischen Gamla Stan und Södermalm, ein relativ unübersichtlicher Spot, an dem sich Tunnelbahnen, Autos, Busse und Züge kreuzen und unter dem Schiffe durchfahren. Ich habe mich dann im Internet ein bisschen informiert – und nicht sehr viel gefunden. Aber das, was ich an Infos bekam, war sehr interessant.

Völlig überrascht hat mich, dass in Stockholm bis zum Herbst 2014 eine „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Street Art herrschte. Es durften nicht einmal Poster aufgehängt werden, die für Street Art in anderen Städten warben. Jedes Graffiti könnte zu illegalem Sprayen animieren, hieß es.

Doch dann kam Snösätra, ein Industriegebiet im Vorort Rågsved, das früher nicht nur ein sogenannter sozialer Brennpunkt, nein, sogar bekannt für Schießereien rivalisierender Drogenbanden war. Aber seit letztem Sommer ist es ein legaler Ort für Sprayer. Das kam so: Der Graffiti-Künstler Daniel Rohlin suchte offiziell eine Wand zum Sprayen. Die wurde ihm in Snösätra gewährt. Als die Nachbarn das sahen, fanden es alle toll, und es kamen immer mehr Sprayer. Mittlerweile sucht Rohlin aus vielen Bewerbern die Sprayer aus, die die Wände in dem Industriegebiet und Schrottplatz besprühen dürfen.

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Wir fuhren mit der Tunnelbana nach Rågsved und hatten einen guten Fußmarsch vor uns, bis wir mitten im Wald durch ein paar Bäume etwas Buntes aufblitzen sahen.

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Beim Nähertreten sah es noch gar nicht so aufregend aus, aber beim Schlendern und Fotografieren inmitten von Baggern und Müllsäcken, Autowracks und teils grimmig dreinschauenden Gestalten konnte man schon die „Juwelen“ an den Wänden erahnen. Wir wurden von Wasser fast geflutet,s41

stinkende Müllberge wurden nämlich mit dem Schlauch abgelöscht, Männer in Ganzkörperanzügen machten uns hinsichtlich des wohl dort befindlichen Mülls fast ein bisschen Angst,

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und sogar die Polizei kam während des ca. dreistündigen Besuchs mehr als einmal dort vorbei. Aufregend also. Aber der Besuch war es wert: Es befinden sich dort enorm vielfältige Arbeiten von Schwedens wirklich besten Graffiti-Künstlern. Mittlerweile kommen wöchentlich Hunderte von Besuchern in die Snösätragränd. Obwohl es in keinem Reiseführer steht, finden die Fans dorthin – wie auch ich. Kunstinteressierten wird sogar eine Tour durch die etwa 600 Meter lange Straße namens Snösätragränd angeboten, eine aufregende Galerie der ganz besonderen Art.
Alle paar Monate werden die Wände übermalt, um anderen Künstlern Platz zu machen, was schön ist, denn so gibt es bei jedem Stockholm-Besuch wieder etwas Neues zu sehen an den Wänden.

 

 

 

Ein paar bekannte Namen:

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Soe und Bayne, alias Daniel Rohlin und Sasha Tomasevichaka, suchten eine legale Wand für ihre Arbeit. Die nackte Engelskriegerin war das erste Graffiti-Kunstwerk, das in Snösätra entstand.

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Röjgård

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Yash

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 Vegan Flava

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Hop Louie gilt als „schwedischer Banksy“

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Snösätras älteste Künstlerin heißt Sibylla Norhborg und ist über 70.

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Puppet, der als „Godfather“ der schwedischen Graffiti-Szene gilt, ist seit 1983 aktiv und inzwischen über 50.

 

 

Quelle Inhalt: Berliner Zeitung Kultur, Juni 2015

 

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