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Märchenhafte Motive umgesetzt von 12 musikalischen Liverollenspielerinnen

Für den „Märchenhaft Kalender 2024“ haben sich 12 Frauen mit zwei großen Gemeinsamkeiten zusammengeschlossen: Alle 12 sind sowohl Musikerinnen als auch Liverollenspielerinnen und vereinen in diesen beiden Leidenschaften ein Feuerwerk aus Kreativität, Fantasie und Talent.

In diesem Projekt geht es darum, Frauen in der Musik- und Larpszene eine Bühne zu geben und auf die vielfältigen musikalischen Werke der Bardinnen und Bands aufmerksam zu machen.

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Odyssee und Heimkehr

Das Leben des Musikers Danny Darcy scheint ein Trümmerhaufen. Nachdem sein Bruder Colin ihm in Schottland geholfen hat, aus einem ziemlich blöden Deal herauszukommen, und das Problem mit seiner Mutter anscheinend gelöst ist, kehrt er in seine neue Heimat Minnesota zurück – nur um sich in den Scherben seiner Beziehung wiederzufinden. Kurz nachdem seine Frau Sunny ihm gestanden hat, dass sie ein Kind von ihm erwartet, trennt sie sich, weil sie ihn mit einer anderen Frau gesehen hatte, in einem Café, in dem Danny nie war. Schnell wird klar, dass dies die Lügengespinste seiner Mutter sind, die wieder einmal Gestalt annehmen und so seine Ehe ruinieren. Dannys Hoffnung, mit dem Verschwinden seiner verhassten Mutter würde auch die Lüge sterben, verrinnt schnell, nachdem Sunny sich bei ihm meldet und besorgt mitteilt, dass es „der Kleinen“ nicht gut gehe. Albträume quälen sie und ihr ungeborenes Kind. Durch einen Tipp erfährt Danny, dass er sich an die Sirenen wenden soll, denn nur ihre Macht reicht aus, um eine so starke Lüge aus Sunny zu entfernen. Doch vor diesen Frauen wird nicht grundlos gewarnt, und so wird der Ausflug in die Sümpfe Louisianas bald zur Gefahr nicht nur für Danny, sondern auch für Frau und Kind…

Lyra knüpft dort an, wo Fabula aufhörte: Die böse Mutter ist besiegt und weggesperrt, die Familiengeheimnisse gelüftet und Danny ist gerade nochmal so davongekommen. Nun beginnt der Leser zu verstehen, wieso er überhaupt versucht hat, seine Mutter loszuwerden. Es werden in Rückblicken noch einige offene Fragen geklärt, bevor die Geschichte nach den Geschehnissen in Schottland weitergeführt wird. Danny ist allein in Minnesota, seine Frau ist ausgezogen und spricht nicht mehr mit ihm, aber er hat immerhin einen Plan. Von Musiklegende Tyler Blake bekommt er den Tipp, nach New Orleans zu gehen und dort mit der Suche nach den Sirenen zu beginnen. Leider – und das ist eine der Schwächen des Buches – besteht diese Suche nicht etwa aus mysteriösen Rätseln, die es zu lösen gilt, vielmehr wird Danny noch zig Mal weiter geschickt, ganz nach dem Motto: „Ich kann dir nicht helfen, aber ich kenne jemanden, der‘s kann!“ Dadurch bekommt Lyra unnötige und auf die Dauer eher nervige Längen, da Danny und Sunny im Grunde über die Hälfte des Buches nur mehr oder weniger erfolgreich durch die Weltgeschichte irren. Als jedoch schließlich endlich die richtige Person gefunden ist, geht es Schlag auf Schlag, und einmal mehr überrascht Marzi den Leser mit seiner Fähigkeit, aus scheinbar aussichtslosen Situationen plötzlich eine schlüssige Wendung hervorzuzaubern, die alles zum Guten führt.
Danny sitzt inmitten eines Netzes aus Intrigen und perfiden Plänen seiner Mutter, deren Ausmaß erst ganz am Ende offensichtlich wird, als er erkennt, dass er ihr direkt in die Falle getappt ist. Hier wird schnell der charakterliche Unterschied zu seinem Bruder Colin (um den sich Fabula drehte) klar: Er ist hitzköpfiger, planloser, impulsiver und scheint dadurch eher dazu zu neigen, die Kontrolle über die Geschehnisse zu verlieren und ein hilfloser Spielball in den Plänen seiner Mutter zu werden. Marzi zeigt hier wieder sein Talent zum Schreiben: Fabula und Lyra sind sprachlich und stilistisch an ihre Hauptfiguren angepasst. Der ruhige, bodenständige Colin fällt stilistisch kaum auf, alles ist eher romantisch, während der aufbrausende junge Danny mit reichlich Schimpfwörtern garniert daherkommt und aus der Romantik des Öfteren auch Erotik wird.
Für Danny als Musiker darf natürlich der Bezug zu seiner großen Leidenschaft nicht fehlen, also flechtet Marzi geschickt wie immer diverse Lieder ein – hier auch erstmals selbst geschriebene (bzw. von Danny geschriebene), und zeigt dabei ein echtes Talent zum Verfassen von Songtexten. Eine Sammlung der Texte von Dannys Band „Dylan’s Dogs“ findet sich im Anschluss an die Geschichte.
Die drückend schwüle Atmosphäre der Sümpfe Lousianas mit ihren zahlreichen Gefahren – sichtbar wie auch unsichtbar – wird von Marzi magisch eingefangen und von Seite zu Seite greifbarer, als Danny und Sunny aus der Zivilisation in die gruselige Einsamkeit des riesigen Geflechts aus Brackwasser und Inseln eintauchen. Sie geraten in eine Welt, die geprägt ist von alten Voodoo-Bräuchen und Aberglaube, doch beide sind sich bewusst, dass in jeder Legende auch ein wahrer Kern steckt. Diese bedrohliche Stimmung reißt den Leser spätestens jetzt mit.

Lyra füllt alle Lücken, die Fabula gelassen hat, und bringt die Geschichte zu einem schlüssigen und glücklichen Ende, diesmal für alle beteiligten Charaktere. Marzi spielt dabei geschickt mit dem Bild, das man vom Sumpfland Lousianas hat und garniert es mit seinen zauberhaften Ideen über Geschichten, die niemand mehr erzählt, und altgriechischen Mythen. Durch die Längen am Anfang kommt dieser Teil für mein Empfinden leider etwas zu kurz. Auch ist Dannys charakterliche Entwicklung im Vergleich zu der seines Bruders aus dem ersten Teil eher übersichtlich gehalten, andererseits erwartet man von ihm auch keine besonderen Fortschritte. Alles in allem ist Lyra ein gelungener Fantasyroman und insbesondere, wenn man Fabula gelesen hat, ein Muss. Da Marzi sich selbst allerdings durch Werke wie die „Uralte Metropole“-Reihe, oder auch sein letzter Roman Grimm sehr hohe Maßstäbe setzt, wirkt Lyra im Vergleich eher durchschnittlich.

:buch:  :buch:  :buch:  :buch:  :buch2:

Christoph Marzi – Lyra
Heyne, Paperback, 2009
430 Seiten
14,00€

Ebook: 10,99€

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Christoph Marzi

Über die Macht der Geschichten

Colin Darcy führt in London ein langweiliges, aber im Grunde zufriedenes Leben. Zumindest bildet er sich das ein, und besser als seine Vergangenheit in Ravenscraig, dem unheimlichen Schloss seiner Kindheit und Jugend, ist es allemal. Das Verhältnis zu seiner Mutter ist zerrüttet, das zu seinem Bruder Danny erkaltet, und das letzte Mal war er in seiner schottischen Heimat, als sein Vater beerdigt wurde. So dümpelt Colins Leben vor sich hin, bis sich eines Abends die Ereignisse überschlagen: Die Trennung von seiner Freundin war mehr als überfällig. Doch als ihn danach auch noch die Nachrichten erreichen, dass sein bester Freund und Kollege gerade bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben gekommen ist, und dass sowohl seine Mutter als auch sein Bruder spurlos verschwunden sind, bröckelt das perfekte „London Leben“. Ihm bleibt keine Wahl – Colin reist zurück in das verhasste Schloss seiner Vergangenheit, und auf dieser Reise kommen nicht nur die Erinnerungen an all das zurück, was geschehen ist. Warum er seine Mutter hasst, warum er seinen Bruder kaum mehr spricht, all dies und dutzende alte Geschichten werden wieder lebendig…

Fabula braucht etwas, um in Gang zu kommen, da man anfangs nicht wirklich etwas mit dem Lauf der Dinge anfangen kann. Es beginnt eher unspektakulär, nimmt dann aber zügig Fahrt auf und reißt den Leser mit. Wenn man die Geschichte zu fassen beginnt, erinnert sie zunächst ein wenig an „Big Fish“, in dem ein Mann durch seine Geschichten lebt, doch nach und nach wird klar, dass es sich bei den Geschichten von Colins Mutter nicht um charmante Märchen handelt … So kommt Fabula erwachsener daher, als die „Uralte Metropole“-Reihe; düsterer, gruseliger. Colin ist über weite Teile der Geschichte vollkommen hilflos und versteht kaum, in was er da hinein geraten ist. Einzig seine Jugendliebe Livia gibt ihm Kraft und schlussendlich auch den entscheidenden Hinweis auf des Rätsels Lösung.
Die Marzi-typischen Anspielungen fehlen natürlich auch hier nicht, maßgeblich sind in Fabula die Anlehnungen an alte Westernfilme und Schwarzweiß-Schinken der 50er Jahre, und natürlich wie immer allgegenwärtig Bob Dylan. Persönlich kann ich damit weniger anfangen, allerdings ist dies alles so flüssig in die Geschichte eingebaut, dass es auch nicht stört. Für Fans dieser Art von Film und Musik sollte es ein echtes Sahnehäubchen darstellen.
Das Setting in der abgeschiedenen schottischen Kleinstadt, wo sich die Schlinge um Colins Hals enger zieht, weil gleich zwei windige Ermittler ihn für tatverdächtig halten, gibt dem Leser das wohlig-gruselige Gefühl alter Krimis, dekoriert mit einem Hauch von Fantasy. Die mystische Komponente in Fabula bleibt die ganze Zeit über eher dezent. Selbst als man erfährt, dass es Fabelwesen gibt, bleiben sie eher im Hintergrund. Colins Welt ist weniger fantastisch als Emilys „Uralte Metropole“, vielleicht aber auch nur, weil er die Magie aus den Geschichten seiner Mutter über Jahre hinweg erfolgreich verdrängt hat. In seinem „London-Leben“ könnte Colin durchaus der Typ Mensch sein, der den Kampf von Engeln und Trickstern um sich herum überhaupt nicht wahrnimmt. Erst durch die Rückkehr nach Schottland, insbesondere durch das Wiederaufleben seiner alten Liebe zum Friedhofsmädchen Livia, lernt Colin, die Magie der Welt um sich herum wieder wahrzunehmen. Der Leser folgt der Entwicklung seines Charakters unmittelbar, man fühlt sich selbst sogar etwas verloren in dem Strudel der Ereignisse.

Fabula ist ein Märchen über die Macht der Worte und Geschichten, die wohl fast jeden Menschen in seiner Kindheit fasziniert hat. Wer hat sich nicht vorm bösen Wolf oder dem Monster unter dem Bett gefürchtet? Christoph Marzi bringt diese Geschichten zurück und konfrontiert einen Mann damit, der die Ängste seiner Kindheit verdrängt hat und sich fest in der Realität verankert fühlt. Dass hier ein Erwachsener gewählt wird, unterstreicht die Situation – plötzlich kehrt alles zurück und der reife Verstand findet sich in einer Welt wieder, die er so bemüht als Einbildung abgetan hat, dass er sie komplett verdrängt hat. Dieses geschickte Spiel macht Fabula reizvoll und zieht den Leser mit, sodass es nach kurzen Startschwierigkeiten ein absolut lesenswerter Roman ganz in gewohnter Marzi-Manier ist. So ganz kommt es allerdings nicht an die Magie heran, die die „Uralte Metropole“-Reihe inne hatte.
Am Ende dieser Ausgabe gibt es noch eine kleine Kostprobe der Kurzgeschichtensammlung „Nimmermehr“, die Lust auf mehr macht.

:buch:  :buch:  :buch:  :buch:  :buch2:

Christoph Marzi – Fabula
Heyne, Paperback, 2007
496 Seiten
14,00€

Ebook: 10,99€

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