„Stille ist zurückhaltend arrangiert, lässt den Noten und ihrem Klang genügend Platz“

Seit 2020 veröffentlicht Jan Sturm mit seinem Solo-Projekt STURM modern klassische und Ambient Musik, verwebt in seinen Kompositionen Geräusche, Klänge und Melodien in fragile Melancholie und Stille, die zum Verweilen und Nachdenken anregen. Topographie ist die aktuelle Veröffentlichung des Musikers aus Poing. Das Album enthält acht minimale und intensive Instrumentalstücke. Inspiriert ist die Musik von Dokumentarfilmer Dieter Wieland, der in seiner Serie „Topographie“ die Schönheit von Orten und Landschaften in Bayern dokumentiert und seine Kritik an Bausünden, Fehlplanungen und Umweltzerstörungen zeigt. In unserem Interview richten wir den Fokus auf das Thema Stille und sprechen mit Jan Sturm über die Bedeutung und den Klang von Stille.

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Was bedeutet Stille für dich? Womit verbindest du Stille? Wie wichtig ist Stille für dich?
Stille ist ein unheimlich wichtiger Ort für mich. Er bietet mir einen Rückzugsort aus dem Hier und Jetzt, was zumeist zu laut, zu aggressiv und generell von allem zu viel ist. So ein Ort der Stille ist etwas sehr Persönliches und diesen definiert sicherlich jeder für sich anders. Ich kann hier meinen Gedanken folgen, sie einfach fließen lassen, rumspinnen und mich treiben lassen. Ein solches Umfeld ist maßgeblich für meine Kreativität. Es geht dabei um allein sein, Zeit zu haben, ungestört und ohne Ablenkung zu sein. Hier muss ich nicht reden, genüge mir selbst und empfinde Ruhe und Gelassenheit. Ich bin sozusagen emotional satt.

Gibt es bestimmte Orte für dich, die du mit Stille assoziierst?
Es gibt so viele Orte, in denen diese Emotionalisierung und Gelassenheit durch Stille funktioniert. Auf dem Sofa mit einem Buch, mit Kopfhörern auf dem Boden liegend und Musik auf den Ohren, durch Wälder spazieren. Stille ist also gar nicht so sehr der schalltote Raum, eher der ganz persönliche Ort, in dem ich die Sinne schärfe und dadurch Details erkenne.

Wie wichtig ist dir Natur? Welche Rolle spielt Natur in deinem Leben und in deiner Kunst?
Natur ist ein spannender Inspirationsstifter für Klang und Musik. Sie bietet von sich aus einige Komponenten, die ich auch gern für meine Musik nutze. Sie verschafft mir einen fast schon beliebigen akustischen Raum, in dem ich meine Stücke betten kann. Zufällige Sound-Ereignisse, beliebig platziert, nehmen der Produktion das Sterile und Gleichförmige und schaffen räumliche Tiefe. Als Samplegrundlage liefert sie eine Unendlichkeit an organischen Möglichkeiten. Man trifft mich also durchaus mit dem Handyrecorder irgendwo im hiesigen Ebersberger Forst.

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Was ist Klang für dich? Wie klingt Stille?
Für mich ist der Klang der Stille ganz fragil. Er legt das Ohr dicht an die Soundquelle. Sehr intim, mit einer eigenen Klangästhetik. Die Hämmer auf dem Moderator-Filz, die klackernde und quietschende Mechanik des alten Klaviers, ganz nah mikrofonierte Streichertremolos oder sonstige Texturen, die sich über jeglichen Sound legen. Diese akustische Nähe ist eine tolle Grundlage für meinen ganz persönlichen Raum der Stille. Stille ist zurückhaltend arrangiert, lässt den Noten und ihrem Klang genügend Platz. Deutet vielleicht auch mal nur an, ohne Themen klar auszusprechen. Sie steht mitunter für Einsamkeit und auch Melancholie.

Welches ist dein bevorzugtes Medium, um Stille zu komponieren/darzustellen/sichtbar zu machen?
Ich schaffe mir meinen ganz eigenen Room of Silence unter Kopfhörern vor meinem Computer. Das ist eigentlich eher absurd, weil ich mir damit ein Überangebot an Möglichkeiten schaffe, die es zu bändigen gilt. Die Situation ist alles andere als still. Jedoch habe ich hier sofort Kontrolle über alle Einzelteile und die gesamte Palette an Soundquellen, die ich für meine Stücke benötige. Ich improvisiere fast ausschließlich auf einem der vielen virtuellen Klaviere und von dort geht es Ebene für Ebene weiter. Ich bin nicht sehr geduldig und drehe mich nur selten wieder nach einem abgeschlossenen Stück um. Es fehlt dann schnell der Bezug, und ich kann nicht mehr an Gefühl und Stimmung anknüpfen, die ich einmal mit dem Stück verbunden habe.

Welche Musikstücke sind für dich zu Klang gewordene Stille?
Das Zusammenspiel der genannten klanglichen Einzelteile finde ich bei vielen Künstlern wieder. Hier mal eine kleine Auswahl, aber es gibt doch so viele mehr.

Jon Hopkins – Dawn Chorus (hier reinhören)
Ein wunderbares Thom Yorke Rework für Solopiano. Der ganz besondere Reiz des Stücks liegt neben der Minimalistik sicherlich in dieser ruhigen, hypnotischen Chord-Sequenz.

Niklas Paschburg – Waldeinsamkeit
Ich ertappe mich dabei, wie ich Melodien in diesem Stück weiterdenke. Großartige Ambience, spartanische Instrumentierung. Eine spannende Zweiteilung der Komposition mit ganz viel Luft zum Atmen und Denken.

Nils Frahm – Enters (hier reinhören)
Es braucht eine Ewigkeit, bis das Thema sich entfaltet. Ich liebe diese Engelsgeduld in dem Stück.

Snorri Hallgrímsson – Andvaka
Wenn hier die Streicher auftauchen, geht die Sonne auf und gänzlich ohne Pathos. Immer zurückhaltend und wohlüberlegt. Snorri ist ein Meister der Filmmusik.

Wie beeinflusst dein Umfeld/deine Umgebung deine Arbeit als Künstler?
Meine Musik ist lediglich Hobby, und das wird sie immer bleiben. Das bedeutet, sie muss lernen, sich unterzuordnen, und ich habe das mittlerweile akzeptiert. Das Zusammenspiel aus Familie, Beruf und Alltag diktiert mir die Möglichkeiten für meine Kunst. Allerdings liegt es an mir selbst, mir wieder und wieder klarzumachen, wie wichtig dieses künstlerische Ventil dann doch für mich ist. Ich muss also fokussieren, ohne jedoch mein Tun als Arbeit im klassischen Sinne zu begreifen. Dann passiert monatelang vielleicht einmal gar nichts – und das ist ok.

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  1. […] bisherigen Interviews mit Morphosita (hier), Jan Sturm (hier) und Barkosina (hier) zum Thema Stille haben einige Facetten dieses „Zustandes“ beleuchtet. […]

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