HAFDW_01Her Absence Fill The World sind Sascha und Kubi. Das in Berlin lebende Elektro-Duo hat nach seiner Debüt-EP Part​-​time Punk und der im Frühjahr erschienenen EP Neon Arabesque kürzlich zwei weitere  fesselnde Tracks veröffentlicht. „The Crow“ und „Give me my ground“ sind hypnotische, launische Songs, die in eine dunkle Atmosphäre gehüllt sind.
Sie selber beschreiben ihren Sound als cinematografisch, dramatisch, direkt, ehrlich und  traurig. Neues Material ist bereits in Planung – im Januar erscheint der erste Longplayer bei Oráculo Records. Die Veröffentlichungen machen Lust auf mehr und uns neugierig auf Her Absence Fill The World!

Wer verbirgt sich hinter „Her Absence Fill The World“?
Hi, das sind wir: Sascha und Kubi.

Wie seid ihr auf euren Bandnamen gekommen?
Kubi: Ich habe das Gefühl, da hatten wir nicht wirklich eine Wahl. Ich würde eher sagen, der Name hat sich für mich entschieden und dann hat Sascha sich glücklicherweise entschieden, mit mir Musik zu machen.

Was verbindet euch?
Kubi: Magie. Ernsthaft, ich glaube, das können wir nicht ganz erklären.

Was sind eure ersten musikalischen Erinnerungen?
Sascha: Für mich auf jeden Fall die Musik, die meine Mutter gehört und mir vorgesungen hat. Vor allem russischen Rock, wie zum Beispiel Аквариум, aber auch viel Pink Floyd und Beatles. Meine ersten selbst gewählten Einflüsse sind meine Wir entdecken Komponisten – Sammlung schwarz gebrannter CDs und die Ärzte Rock’n’Roll Realschule CD, die ich wohl von unserem Nachbarn geklaut habe.
Kubi: Mein Vater hat eine ziemlich gute Sammlung linker, türkischer Musik auf Kassette. Er hatte außerdem einen Sony Walkman. Mit beidem bin ich aufgewachsen. Mein Kindheitsheld war der 70er Jahre, anatolische Rockstar Barış Manço. Ich war und bin wirklich ein großer Fan! Es gibt ein Foto von mir, als ich so fünf Jahre alt war und als er verkleidet bin.

Beschreibt euren Sound mal außerhalb aller Genre-Schubladen. Wie klingt eure Musik?
Sascha: Für mich irgendwie immer sehr cinematografisch. Dann irgendwie in unterschiedliche Richtungen, aber das ist für mich der rote Faden. Und ein bisschen traurig.
Kubi: Für mich: dramatisch, direkt und ehrlich.

Woher kommen euer Interesse und die Faszination für (elektronische) Musik?
Kubi: Ich finde elektronische Musik irgendwie sehr demokratisch. Vor allem mit der Digitalisierung ist sie für fast jeden zugänglich und stellt sehr viel Raum zur Verfügung, um sich kreativ auszudrücken. Wobei ich aber auch denke, dass Kreativität immer einen Weg rausfindet.
Sascha: Ich kann das nur für Musik (ohne elektronisch) sagen. Da war die Faszination einfach immer da. Musik war immer ein existentieller Teil meines Lebens – auf unterschiedlichste Art.

Welchen Einfluss hat eure Umgebung auf eure Musik? Aus welcher Stimmung heraus ergeben sich für euch die besten Musikstücke?
Sascha: Ich glaube, die nächsten drei Fragen überschneiden sich für mich sehr, deshalb versuche ich sie mal so zu beantworten, wie sie für mich überlappen. Unsere Umgebung ist immer Inspiration für unsere Musik. Meist sind wir von politischen Begebenheiten und strukturellen Komponenten der Gesellschaft ordentlich getriggert! Ziemlich oft überlagert sich das auch noch mit unseren persönlichen Erfahrungen, und ab und zu kommt die Inspiration für unsere Musik wirklich komplett aus einer individuellen Emotion heraus, die irgendwie aus uns raus muss. Ich bin ehrlich, für mich sind das meist eher schmerzhafte Emotionen, Verzweiflungen, die dann greifbar sind. Ab und an aber auch undefinierbare Gefühle, die sich eher durch das Erzählen einer Geschichte ausdrücken lassen. Die Stimmung kann beim Schreiben also durchaus auch mal düster sein. Mir macht es aber mit guter Laune mehr Spaß. Es ist spannend zu sehen, wie eine Emotion oder ein Gedanke am Ende wie zu einer kleinen Reise wird.

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Was sind für euch thematische Inspirationen, die sich auch in den Texten niederschlagen?
Sascha: Ich versuche die Frage mal exemplarisch an den Songs von „Neon Arabesque“ zu beschreiben (s.u.).

Erzählt uns ein wenig über eure zweite EP „Neon Arabesque“, die ihr im Frühjahr veröffentlicht habt. Wie sind die Songs entstanden? Wie sieht eurer Songwriting aus? Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Detriti Records?
Sascha: Wir haben zuerst die Trilogie geschrieben. Unser Songwriting sieht immer etwas anders aus. Manchmal starten wir mit einer konzeptionellen Idee und probieren dann so lange (und auch über mehrere mehr oder weniger fertige (und zufrieden-) stellende Songs hinweg) aus, bis der Song, den wir uns vorgestellt haben, kommt. Das ist manchmal sehr mühsam und auch schmerzhaft, vor allem wenn unsere Einschätzungen bezüglich der Songs auseinandergehen. Aber dafür haben wir uns, und ich denke, der Schmerz darin ist ein bisschen auch Wachstumsschmerz. Manchmal sind Songs nicht „überzeugend“ genug, und dann muss man sie (zumindest für eine gewisse Zeit) auch loslassen. Manchmal kommen die Songs aber auch einfach aus sich heraus und spontan – dann geht alles ganz schnell und glatt. Die Impulse für dieses Album waren in jedem Fall Inspirationen, die sich vor allem aus Kubis Lebensrealität zu dieser Zeit ergaben. Politische Kämpfe, die geführt werden müssen, Hindernisse und Hürden, die man erlebt und strukturelle (Ohn-)Macht.

Den Text für „Neue Türkische Welle“ hat Kubi geschrieben, und dann haben wir ihn vertont. „Gazino Maksim“ wurde durch Bruce Thomas inspiriert, der als erster Schwarzer Russe in der Türkei das größte und prunkvollste Gazino besaß, das absurderweise heute ein Parkplatz ist. „Neon Arabesque“ war inspiriert von den sich häufenden Fällen von Spiking in der Berliner Clubszene und der quälenden Erfahrung, die (vor allem) Frauen dabei machen. „Another day“ und „Once in a year“ spiegeln dann eher individuelle Emotionen wider, die wir fühlen und die dann natürlich mit etwas Theatralik herauskommen. „Once in a year“ zum Beispiel habe ich geschrieben, als Kubi von einer wiederkehrenden Angst heimgesucht wurde.

Kubi: Es passiert wirklich fast nie, dass ich in Frieden Musik schreibe. Da ist immer ein Konflikt, innen oder außen. Ich fühle mich vom Kontrast des urbanen Lebens inspiriert, aber meistens packe ich meine Wut, meine Enttäuschung und meine Kritik in unsere Songs. Es ist nicht immer eine einfache Erfahrung, in einem Land zu leben, in das man erst mit 25 gezogen ist. Ich liebe Berlin, aber als Migrant ist das Leben in Deutschland nicht nur angenehm. Wenn wir Songs schreiben, versuche ich Sascha mit Beats oder Ideen zu provozieren. Wenn das klappt, muss ich mir eigentlich keine Sorgen mehr machen. Ich möchte hier gerne einfach nur sagen, dass Sascha eine großartige Songwriterin ist. Sie hat ein Talent, aus einem guten Beat einen berührenden Song zu machen.

Manchmal finde ich das schon etwas magisch. Man muss sie nur in die richtige Stimmung bekommen, indem man sie musikalisch inspiriert. Das ist allerdings nicht immer einfach für mich, der sich eher als Producer sieht. Ich habe zwei Seiten, zwei Äste quasi: einer wurzelt in der Türkei, in der alles (also Dinge und Menschen) irgendwie dramatischer ist (manchmal auch zu dramatisch) und eine in Berlin – meiner Wahlheimat –, dessen dynamische, progressive Umgebung ich liebe. Ich glaube, dieser Kontrast spiegelt auch etwas in unserer Musik.
Beide: Detriti Records ist damals auf uns zugekommen, als wir unseren ersten Song „Inside, outside“ veröffentlicht haben. Natürlich kannten wir Detriti bereits, deshalb waren wir ziemlich überrascht, super glücklich und ein bisschen stolz. Detriti hat wirklich tolle Musiker*innen veröffentlicht und einen beeindruckenden Katalog. Für unsere zweite EP sind wir dann noch einmal auf sie zugekommen.

Die Einflüsse, die ihr in eurer Musik verarbeitet, würden wir die auch in eurer Plattensammlung oder auf eurer Playlist wiederfinden? Welche Musik hört ihr gerade besonders gerne?
Sascha: Ich denke, vor allem die Einflüsse von Kubis Lieblingen. Ich höre sehr unterschiedliche Musik, und viel davon findet sich dann auch nicht wieder. Wir haben aber angefangen auch Musik zu machen, die nicht direkt mit HAFTW assoziiert werden würde. Dort verarbeiten wir dann auch Einflüsse, die eher von woanders kommen. Bislang sind wir noch nicht sicher, was dann am Ende damit passiert. Ich höre momentan gerne: Nina Simone, Clarence Carter, David Bowie, Donna Summer, Alphaville, Victor Jara. Aber auch vereinzelte Lieder von Künstlern aus noch unterschiedlicheren Ecken wie Arcade Fire oder Charlotte Day Wilson.
Kubi: Ich würde für mich mindestens zwei verschiedene Richtungen beschreiben. Zum einen höre ich die Klassiker, also die Masterpieces der Musik – ich finde es faszinierend, sie zu analysieren. Angefangen beim Songwriting, aber auch in Bezug auf Mix, Mastering und der Art, wie sie aufgenommen wurden. Ich höre sie ganz bewusst und versuche sie zu verstehen. Das geht zur Zeit vor allem von Daft Punk über David Bowie und die Foo Fighters zu Radiohead.

Ich habe letztens dieses Zitat gelesen: „Es gibt keine Frage zu Musik, die nicht auch eine Antwort in ihr bereit hält.“ Die zweite „Stimmung“ ist etwas progressiver. Ich gehe gerne in Berliner Clubs und höre Underground Electro – oder besser gesagt Techno – von Produzenten und DJs, die ich nicht kenne.

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Was ist die überraschendste CD/LP in eurem Regal?
Sascha: Gute Frage. Ich liebe alle meine Platten und keine davon überrascht mich. Jede einzelne beschreibt irgendwie einen Teil meines Lebens. Am glücklichsten bin ich immer noch über den überraschenden Fund meiner originalen Ton Steine Scherben – Wenn die Nacht am tiefsten ist.
Kubi: Für mich ist es meine She Past Away – Collectors Piece. Da bin ich sehr stolz drauf. Aber ja, wahrscheinlich ist das auch nicht überraschend. Ich kann aber sagen, welche Platte mich in Saschas Sammlung am meisten überrascht hat. Das ist ihre Eminem – Stan Single.

Wenn ihr einen Film auswählen und eure Musik als Soundtrack einfügen könntet – welcher Film wäre das?
Kubi: Das ist für mich irgendwie total klar. Ich finde, unsere Musik passt perfekt zu einem Xavier Dolan Film.

In welcher Beziehung steht und/oder repräsentiert der visuelle Aspekt eure Musik?
Kubi: Das ist eine tolle Frage, die ich mir in letzter Zeit auch oft stelle. Ich habe das Gefühl, HAFTW ist nicht wirklich ein Musikprojekt, sondern eher ein Kunstprojekt. Der visuelle Aspekt darin ist tatsächlich noch sehr jungfräulich, aber auf jeden Fall ein Bereich, den wir gerne erkunden wollen. Momentan ist es ein großes Thema für uns herauszufinden, wie wir uns dem am besten annähern. Bisher produzieren wir, glaube ich, in einer Art Nostalgie der 80er, die sehr von unserer aktuellen Perspektive geprägt ist.

Was sind eure Pläne? Was steht als Nächstes an? Was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Sascha: Da wir gerade schon so viel darüber gesprochen haben. Ich würde sehr gerne viel mehr mit Visualität in Kombination mit unserer Musik arbeiten. Ich würde zum Beispiel wahnsinnig gerne Musik für einen Film schreiben! Was ich mir auch vorstellen kann, ist mit anderen Kunstschaffenden zu kooperieren und sich gegenseitig von Musik und Bild inspirieren zu lassen. Das dann zusammen auszustellen, in einer Ausstellung mit Konzert, fände ich super spannend! Ganz konkret kommt aber im Januar unsere erste Schallplatte bei Oráculo Records raus! Da sind wir super stolz drauf. Und sonst würden wir gerne einfach wieder neue Musik machen.

Kubi: Um ehrlich zu sein, ist alles was wir gerade erleben außerhalb dessen, von dem ich jemals dachte, dass es passieren würde. Ich hatte von Anfang an viel Vertrauen in unsere Musik, aber wir haben in kurzer Zeit wirklich viel erreicht! Wir sind nun exakt an dem Moment, an dem alle meine alten Pläne quasi aufgebraucht sind. Aber das heißt nicht, dass ich aufhöre zu träumen. Wenn ich eins bin, dann ein Vollzeit-Träumer (lacht). Und ich würde mir wünschen, in Line-Ups zusammen mit meinen Lieblingskünstler*innen zu spielen.

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