Das Mädchen in Rot

Gleich in den ersten Zeilen stellt sich uns die Hauptdarstellerin vor. Eine junge Frau mit wilden Locken, ganz in Rot. Unwillkürlich stelle ich mir Ronja, die Räubertochter, vor. Doch dieses Mädchen hier trägt ein blutverkrustetes Beil bei sich, mehr als einmal benutzt, und gleich auf den ersten Seiten benutzt sie es wieder. Es ist ein regelrechtes Gemetzel, das sie anstellen muss, um einen aufdringlichen Kerl loszuwerden. Leider ist es immer so: Es versucht sich jemand an sie heranzumachen, ganz freundlich, und am Ende geht es so aus, dass sie ausgeraubt werden soll, wenn nicht schlimmeres. Dies ist leider so, seit sie allein im Wald unterwegs ist. Wie kam das, warum ist das so?

Vor einigen Monaten trat ein Virus auf, der zuerst harmlos erscheinenden Husten hervorgerufen hat, doch leider hat der Husten in fast allen Fällen zum Tod geführt. Die restlichen Überlebenden wurden in Camps zusammengesammelt, um sie in Sicherheit zu bringen. Red, die eigentlich Cordelia heißt, diesen Namen aber hasst, glaubt nicht an die Sicherheit von zusammengepferchten Menschen auf engstem Raum bei einer Krankheit, die über einen Virus in der Luft ausbricht. Deshalb will sie sich mit ihrem Bruder und ihren Eltern wegschleichen, bevor sie eingesammelt werden. Ihr Sehnsuchtsort ist das Häuschen ihrer Großmutter im Wald. Leider wird sie gleich am Anfang gezwungen nur mit ihrem Bruder loszulaufen, und es dauert nicht lange, bis sie ganz allein unterwegs ist. Red, die schon immer gerne Horrorfilme und Dystopien gesehen hat, weiß, wie man sich alleine behauptet, wenn man gegen den Rest der gefährlichen Welt unterwegs ist. Die Vorbereitungen dafür sowie der Weg zu ihrer Großmutter, auf der sie den unterschiedlichsten Personen und Situationen ausgesetzt ist, wechseln sich in der Geschichte regelmäßig ab. Sie ist also perfekt vorbereitet, und man wünscht sich wirklich, dass diese toughe junge Frau in Rot am Ende in dem versteckten Haus im Wald ankommt.

Die Chroniken von Rotkäppchen ist mein erstes Buch von Christina Henry. Das dick aufgedruckte Wort „Rotkäppchen“, die thrillermäßige Aufmachung und vor allem die angedeuteten Blutspuren am Buchschnitt wirken sehr ansprechend. Leider muss ich sagen, dass die Geschichte zwar interessant ist, sich gut lesen lässt, aber ansonsten so gut wie nichts mit der Rotkäppchen-Geschichte gemein hat. Sicher, da ist das rote Hoodie, der Weg durch den Wald zur Großmutter, und Gestalten, die es nicht gut mit ihr meinen, nennt sie Wölfe. Doch das alleine macht nicht Rotkäppchen aus. Die genaue Übersetzung des englischen Originaltitels „The Girl in Red“ wäre passender gewesen. Die Geschichte ist eine Dystopie, die leider mittlerweile von der Gegenwart eingeholt wurde. Wer sich dafür und für starke, junge Charaktere interessiert: zugreifen und loslesen!

Die 1974 geborene Amerikanerin Christina Henry wurde durch ihre düsteren Neuerzählungen von Buchklassikern wie Alice im Wunderland, Peter Pan oder Die kleine Meerjungfrau bekannt. Im deutschsprachigen Raum nennt man diese Titel „Die Dunklen Chroniken“. Christina Henry liebt Langstreckenläufe, Bücher und Samurai- und Zombiefilme. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Chicago.

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Christina Henry: Die Chroniken von Rotkäppchen
Originaltitel: The Girl in Red
Aus dem Amerikanischen von Sigrun Zühlke
Penhaligon Verlag, Vö. 8. März 2022
Gebundene Ausgabe: 400 Seiten, 18 Euro
eBook: 12,99 Euro

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