Ein Gruß aus der Vergangenheit

Einen Vorgeschmack zum neuen Longplayer Schicksalsmelodien von Eisbrecher gab es bereits über die Videos zu „Skandal im Sperrbezirk“ und „Anna Lassmichrein Lassmichraus“. Die Titel kommen euch evtl. bekannt vor? Ich kenne die Gassenhauer noch im Original von Spider Murphy Gang und Trio. Was schließen wir daraus? Richtig, Noel Pix und Alex Wesselsky haben sich an ihre Lieblingssongs aus der weiteren und näheren Vergangenheit erinnert und diese mit einem Eisbrecher-Kleid überzogen. Klingt das gut?

Den Opener „Skandal im Sperrbezirk“ (Vö. September 1981) hat Alex zum 11. Geburtstag geschenkt bekommen, die zwei Masterminds der Band haben diesem Song eine harte Gitarrenuntermalung und eine aggressivere Stimmlage hinzugefügt, was sich dann wieder mit dem Video als gutes Gesamtpaket verkauft. Wenn man die Band kennt, dann hätte einen eine andere Stilrichtung auch gewundert, diese wird auch konsequent durch das Album fortgesetzt. „Anna Lassmichrein Lassmichraus“ aus dem Jahr 1983 bekommt mehr Keyboard-Sprengsel verpasst. Noel Pix hat Falco und sein „Out of the dark“ (veröffentlicht 1998) noch live erlebt, allerdings ist der Song hier in den ersten Sekunden nicht sofort erkennbar. Auf jeden Fall fällt einer meiner Lieblingssong des großen österreichischen Künstlers in dieser Fassung bei mir vollkommen durch. Ein zurückhaltenderes Programming hätte vielleicht eine größere Wirkung bei mir gehabt, weniger ist oft mehr, sag ich da bloß. Die Debütsingle von Joachim Witt, „Goldener Reiter“, hat wieder einen positiveren Klang, da verkauft sich die Keyboard-Einbindung besser. Mit einem Augenzwinkern muss man „Freiflug“ von Megaherz sehen, denn Pix und Wesselsky covern sich quasi selbst, da sie bis 2003 Teil der Band waren, die gleiche Stilrichtung mit verstärktem Gitarreneinsatz. Wesselskys unüberhörbare Stimme verpasst „Bitte, bitte“ von Die Ärzte und „Eins zwei Polizei“ (Mo-Do – 1994) seinen persönlichen Stempel, in der angebotenen Art könnte man die Songs auch als Eisbrecher-Werk verkaufen. Erst der Refrain zu „Flieger, grüß mir die Sonne“ (Original Hans Albers bzw. 1980 Extrabreit) erinnert ans Original, viele Gitarrensalven und härtere Spiel- und Gesangsart machen es fremdartiger und mir weniger gefällig. Bei „Menschenfresser“ (Rio Reiser – 1986) ist die Wirkung wieder positiver, ja, klar, Eisbrecher, aber von mir gibt es dazu einen Daumen hoch. Eine positive Energieentladung durch die Gitarren findet bei „Das steht dir gut“ (Rheingold – 1982) statt. Das eingesetzte Programming zu ASPs „Schwarzes Blut“ (2005) tut dem Song gut, das passt.
Wenig bis gar keine Erinnerungen habe ich zu „Disco in Moskau (Die Toten Hosen – 1986) – „Stoßgebet“ (Powerwolf – 2018) – „All we are“ (Warlock – 1987, erwartungsgemäß metallastig) – diese Songs könnte man in den vorliegenden Fassungen definitiv unter der Trademark Eisbrecher verkaufen. Nach diesem ganzen Gitarrenfeuer überrascht mich dann der Abschluss der CD, quasi eine Schicksalsmelodie mit Klavier und Keyboardblitzen, die sich geisterhaft durch den Raum bewegt, zurückhaltend, unerwartet, schön.

„Der Startschuss für Schicksalsmelodien war die Anfrage von Powerwolf, den Song ‘Stossgebet’ neu aufzulegen“ sagt Gitarrist, Keyboarder/Programmer Noel Pix. „Wir hatten auf unseren vorherigen Alben immer wieder mal einen Coversong, insofern ist uns diese Kunstform nicht fremd.“ Sänger Alex Wesselsky fügt hinzu: „Anschließend haben wir einfach weitergemacht, weil wir es spannend und herausfordernd fanden, Lieder, die anderen Köpfen und Seelen entsprungen sind, in den Eisbrecher-Sound zu übersetzen. Und plötzlich schraubten wir an zwei Veröffentlichungen parallel, an Schicksalsmelodien und an Studioalbum Nummer acht. Zum Glück sind wir verrückt!“
Die abgewandelten Schicksalsmelodien klingen grundsätzlich härter, die Gitarren leisten volle Arbeit – aber ehrlich, haben wir was anderes von der deutschen Gothic-/Industrial-/Rock-/Metal-Formation erwartet? Positiv ist auf jeden Fall, dass Eisbrecher alte Songs entstauben und abwandeln. Im heutigen Fall bin ich zwiegespalten, zum Teil gefällt mir, was ich zu hören bekommen habe, ein anderer Teil erntet Kopfschütteln. Ich hätte mir ein oder zwei wirkliche Überraschungen gewünscht, mal weg vom Eisbrecher-Stil und sich mehr auf das Original besinnen. Das für das Frühjahr 2021 angekündigte neue Album gibt doch genug Platz für den gut bekannten Stil der Band.

Anspieltipp: Skandal im Sperrbezirk, Menschenfresser, Das steht dir gut

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch2: :mosch2: 

Eisbrecher: Schicksalsmelodien
Rca Deutschland (Sony Music), Vö. 23.10.2020
16,99 € z.B. bei Nuclear Blast

Social Media:
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www.facebook.com/eisbrecher
www.instagram.com/eisbrecher_official/

Tracklist:
1 Skandal im Sperrbezirk
2 Anna Lassmichrein Lassmichraus
3 Disco in Moskau
4 Out of the dark
5 Stoßgebet
6 All we are
7 Goldener Reiter
8 Freiflug
9 Bitte bitte
10 Eins, zwei, Polizei
11 Flieger, grüß mir die Sonne
12 Menschenfresser
13 Das steht dir gut
14 Schwarzes Blut
15 Schicksal

 

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