Zum Fressen gern

c) Warner Bros.

Maren (Taylor Russell) ist ein außergewöhnliches Mädchen. Sie wohnt mit ihrem Vater ziemlich ärmlich am Rande eines Städtchens. Sie freundet sich mit einer Schulkameradin an und ist bei ihr auf einer Pyjamaparty. Doch plötzlich knabbert sie an deren Finger und nagt ihn ab bis auf die Knochen!

Das große allseitige Entsetzen nutzt sie aus, um blutig zu ihrem Vater zurückzukehren. Dieser flieht mit ihr woanders hin, doch über Nacht lässt er sie einfach alleine zurück. Etwas Bargeld, einen Brief und eine Cassette lässt er ihr da. Was ist mit Maren? Sie weiß es selbst nicht, doch Brief und Cassette erklären einiges. Sie ist ein Eater. Sie hat wohl schon öfters Menschenfleisch gegessen, erstmals mit drei Jahren, als sie ihrer Babysitterin in den Hals biss. Der Vater weiß nicht mehr, was er mit ihr machen soll. Er gibt ihr einen Hinweis auf ihre Mutter, die sie nicht mehr bewusst kennengelernt hat. Sie macht sich mit ihrer Geburtsurkunde, auf der der Name der Mutter vermerkt ist, und einer alten Landkarte auf die Suche nach ihr, quer durch die ganze USA. Überraschend trifft sie auf Gleichgesinnte, nicht alle sind wohlwollend, obwohl sie anfangs so erscheinen. Einer davon ist Lee (Timothée Chalamet), dem sie sich zunächst anschließt, dann wieder davonläuft, letztlich aber doch liebt und wieder zu ihm zurück kommt. Sie finden ihre Mutter (schockierende Rolle für die kaum erkennbare Chloë Sevigny), doch die Begegnung ist schrecklich. Maren und Lee erkennen, dass sie beide die Chance haben, zumindest zu versuchen, ein nach außen hin normales Leben zu führen. Sie leben zusammen, bis eine vergangene Begegnung die beiden leider brutal einholt. Das Ende ist überraschend anders, als erwartet.

Der Film, basierend auf dem gleichnamigen Jugendbuch von Camille DeAngelis, ist in den 1980er Jahren angesiedelt, wo man noch in dicken Telefonbüchern geblättert hat und während des Autofahrens ins globigen Landkarten nach Straßen gesucht hat. Es ist kein reiner Horror- oder gar Splatter-Film, nein, das ist eine schaurig-schöne Coming of Age Geschichte, ein Road Movie, zeitgemäß langsam erzählt, untermalt von einem tollen Score von Trent Reznor (Nine Inch Nails) und einem Soundtrack mit Songs wie Joy Division‘s Atmosphere, Duran Duran, New Order, A-ha. Man kann förmlich versinken in den endlosen Landschaften, die das Paar auf ihrer Suche durchquert, und man kann nicht anders, als diese Eater zu verstehen und zu mögen. Sie interessieren sich füreinander, erzählen sich Dinge, fragen einander „Wie war dein erstes Mal?“. Nur dass hier die Bedeutung eine andere ist. Hier geht es darum, wann der/die andere das erste Mal jemanden angeknabbert hat. Und wenn sie herausfinden, dass ihre erste Gemeinsamkeit die ist, dass sie beide im Kleinkindalter ihre Babysitter angefressen haben, dann ist das schon fast lustig. Es geht hier nicht um Schuld und Sühne, um Gut und Böse, sondern um eigentlich ganz normale, gute Menschen, die ironischerweise Menschenfleisch zugetan sind. Sie wollen das nicht tun, schon gar nicht wollen sie das guten Menschen antun, aber sie können nicht anders. Ich war diesen beiden Eatern hier genauso zugetan, wie damals dem Zombie mit seiner Menschenfreundin in Warm Bodies, dem Mädchen in The Girl with all the Gifts oder dem armen Wesen in When Animals dream, das sich in einen Werwolf verwandelte.

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Bones and all
131 Min. / Drama, Horror, Romanze
Regie: Luca Guadagnino
Cast: Timothée Chalamet, Taylor Russell, Mark Rylance, Chloë Sevigny u.v.m.
Produktionsland: Italien, USA
Kinostart: Ende November 2022, seit kurzem auf Amazon Prime

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