Die Könige der Spielleute zu Gast in Franken

Noch werden die letzten Handgriffe auf der Bühne gemacht und das Publikum wartet immer ungeduldiger. Teilweise zumindest. Manche stört es auch gar nicht, dass Corvus Corax nicht um Punkt 20 Uhr beginnen. Sie reden, lachen, knipsen Erinnerungsfotos oder sitzen auf dem Boden und lesen.
Doch dann wird es dunkel, Jubel bricht los und Castus Rabensang betritt alleine die Bühne. Mit gewohnt dunkler Stimme begrüßt er das Publikum und erzählt von der langen Reise in den Norden. Tatsächlich haben die Spielmänner mehrere Länder bereist, um sich Inspiration für ihr aktuelles Album „Sverker“ zu holen. Dieser Abend steht nun ganz im Zeichen des dänischen Königs und der nordischen Mythologie.
Mit Umhängen und Masken bekleidet betreten nach und nach alle sieben Musiker die Bühne. Vier von ihnen haben Hörner dabei, in die kräftig geblasen wird, unterstützt vom Getrommel der Kollegen.
Es macht großen Spaß, der Band zuzuhören, die einen tollen Auftakt gibt. Nach dem ersten Lied werden fix Masken und Mäntel abgelegt, die Instrumente gewechselt und weiter geht’s.
Dies ist überhaupt ein sehr auffälliger Punkt: Eben noch ein Horn in der Hand, im nächsten Moment einen Dudelsack und dann wird das Organistrum (die größte Drehleier der Welt) in den Vordergrund geschoben. Das Team hinter und neben der Bühne ist flink und fleißig, weiß genau, wann Sackpfeife, Schalmei, Trumscheit oder die Cister angereicht werden müssen. Der Ablauf ist reibungslos – zumindest erscheint es so.

Corvus Corax bieten eine Vielzahl an Instrumenten und es ist stets faszinierend, welche Apparaturen beherrscht werden. Sie machen viel Show, drehen sich mit ihren Dudelsäcken um die eigene Achse, schwingen die Hüften, springen in die Luft. Castus spricht immer wieder das Publikum an. Wim, Vit und PanPeter fordern zum Klatschen, „Hey“-Rufen oder Tanzen auf.
Anfangs ist letzteres noch ein Problem und scheinbar niemand bewegt sich zur Musik. Doch nach etwa zwanzig Minuten hält kaum einer mehr die Füße still, sondern lässt sich von den schnellen Rhythmen mitziehen.
Nicht nur die Stücke der „Sverker“-CD werden geboten, auch die schönen alten Lieder, wie „Venus Vina Musica“ oder später „In Taverna“ werden gespielt. Die Zuschauer sind bei diesen Songs sehr textsicher. Schwierig wird es erst, als Castus den Refrain von „Havfru“ vorsagt und wir ihn nachsingen sollen. Es bedarf erheblich mehr Training unsererseits.
„Trinkt vom Met, vom Bier und vom Wein“ lässt man sich nicht zweimal sagen. Wer ein Bier in der Hand hat, prostet den Spielleuten zu – und die erste Reihe wird mit Met aus einem Schlauch verköstigt. Nur wer will, natürlich, und anfangs ist man sehr zurückhaltend.
Die Band scheint bester Laune zu sein und ist auch zu kleinen Späßen aufgelegt, kündigt Castus doch an, dass als nächstes die „Großmaultrommel“ dargeboten wird. Als wir schließlich die Hände erheben sollen und der Band im Takt zuwinken, fehlt selbiger erst mal– aber wen stört das? Wir winken trotzdem, wenngleich auch ziemlich taktlos.
Mittlerweile ist die Stimmung großartig und der Jubel vor, während und nach den Liedern wird immer lauter. Es ist gigantisch, was uns geboten wird. Hatz, Norri und Steve trommeln, was die Arme hergeben: schnell, langsam, noch schneller. Was Corvus Corax auf der Bühne präsentieren, ist nicht nur eine perfekte Show, die nie langweilig wird, sondern auch körperliche Anstrengung, vor der ich großen Respekt habe.
Schließlich wird es ernst. „Die Welt geht unter! Nächstes Jahr“, sagt Castus und lächelt. „Aber wie Martin Luther schon sagte: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch eine Weinrebe pflanzen!“ Wie der Musiker feststellt, wollte der Reformator zwar ein Apfelbäumchen in die Erde setzen, aber Weinreben sind doch passender. Es folgt ein schnelles Stück mit viel Rhythmus und Percussion, das wie das Grande Finale des Abends klingt. Doch was könnte das Konzert besser abschließen, als „Ragnarök“, der Weltuntergang in der nordischen Mythologie?
„Die Welt geht unter, lasst uns feiern“, so die Aufforderung und der kommen wir sehr gerne nach. Live klingt dieser Song wesentlich besser. Das Licht ist in dunklem Grün und einem Lilaton gehalten, Busine und Trommeln gehen durch Mark und Bein und der Gesang ist viel ehrfurchtsgebietender. Unbeschreiblich beeindruckend!
Dann verlassen Corvus Corax die Bühne unter lautem Applaus, der gar nicht enden will. Wir zeigen Durchhaltevermögen und die Band erscheint noch einmal und spielt die erste Zugabe – 25 Minuten lang! Die Stimmung ist auf dem absoluten Höhepunkt und der Jubel derart stark, dass man meinen könnte, der Hirsch sei ausverkauft.

Es gibt noch einmal Met für diejenigen aus der ersten Reihe, die möchten. Dieses Mal traut sich sogar eine Dame, die den „Schluck!“-Rufen nachkommt und „etwas von ihrem Handwerk versteht“, wie Castus zwinkernd mitteilt. Ein scheinbar letztes Lied, frenetischer Applaus und Corvus Corax verschwinden hinter der Bühne. Nach einer solchen Zugabe wagen viele gar nicht, um eine weitere zu bitten und einige wenden sich bereits dem Ausgang zu.
Ein fleißiger Helfer der Band schleicht nach vorne, nimmt zwei Dudelsäcke und geht wieder. Da muss doch noch etwas kommen, denkt man sich und applaudiert und jubelt einfach weiter.
Wir werden nicht enttäuscht. Gemächlichen Schrittes und die Dudelsäcke spielend, kommen die sieben Musiker erneut auf die Bühne. Mit zwei Liedern, die noch einmal alles von ihnen abverlangen, verabschiedet sich die Band endgültig. Zuvor wird noch mit den kleinen Becken gespielt. Castus zumindest lässt das Kind im Manne raus, winkt mit den roten Puscheln, die daran befestigt sind und missbraucht das Instrument als Hütchen.
Dann ist es aber wirklich vorbei. Die Musiker verbeugen sich artig und unter großem Applaus.
Sogar nach dem Konzert nehmen sich Corvus Corax noch viel Zeit für ihre Fans. Sie signieren geduldig CDs, Plakate und nackte Haut; lächeln in unzählige Kameras und sind zu einem Plausch bei Bier oder Met bereit.
Es war ein grandioser Abend! Die Könige der Spielleute haben zwei Stunden eine tolle Show geliefert und das Publikum sehr gut unterhalten. Die Freude an der Musik wurde auf die Zuschauer übertragen und Nürnberg freut sich auf ein (hoffentlich baldiges) Wiedersehen.

(2475)