Finnische Romantik

1_fallende-blaetter_artwork_kinoplakat_normal_din-a4_kleinerEin Mann und eine Frau gehen in eine Karaoke-Bar, beide in Begleitung des ungleich unternehmungslustigeren Kumpels beziehungsweise der besten Freundin. Während diese beiden schnell miteinander ins Gespräch kommen, tauschen der Mann und die Frau ein paar vorsichtige Blicke, und sofort ist klar, dass es zwischen beiden funkt. Bis sie allerdings endlich zueinander finden, gilt es noch einige Hürden zu überwinden. Verlorene Telefonnummern, Jobkündigungen, zu viel Alkohol, ein lebensgefährlicher Unfall – das Schicksal meint es nicht gut mit den beiden Held*innen. Doch am Ende – und das darf verraten werden – bekommen Ansa und Holappa einander.

Fallende Blätter ist ein wunderschöner Liebesfilm, aber bestimmt nicht das, was man sich landläufig unter Romantik vorstellt. Schließlich bewegen wir uns im Finnland des Regisseurs Aki Kaurismäki, und das ist düster, karg und arm, die Menschen haben unterbezahlte Jobs in Supermärkten (Ansa) oder auf Baustellen (Holappa). Alles ist von Melancholie durchzogen, von Wehmut, Resignation – aber auch von Pragmatismus und Unerschütterlichkeit. Man fällt hin? Man steht wieder auf. Man verliert den Job? Man macht etwas anderes. Man trifft einen Mann, gibt ihm seine Telefonnummer, er meldet sich nicht? Man geht so lange zu dem Kino, in dem man das erste Date hatte – bei einem Zombiefilm, geht es romantischer? (Jim Jarmuschs The Dead don’t die übrigens) -, bis man den Mann wiedertrifft und er erklären kann, dass er ihre Nummer verloren hatte.
Dieser Film ist Aki Kaurismäki pur, jede Einstellung ein durchkomponiertes Gedicht (die Kameraarbeit hat wie immer Timo Salminen übernommen). Es passiert nicht viel in diesem Film, die Kamera verweilt oft lange auf einer Szene, gesprochen wird natürlich auch sehr wenig. Und doch atmet dieser Film so viel Schönheit, ist voller kleiner, aber bedeutungsvoller Gesten und Inseln des Glücks. Der vierte Teil seiner „Proletarischen Trilogie“ (bestehend aus Schatten im Paradies, Ariel und Das Mädchen aus der Streichholzfabrik) ist wie immer zeitlos, allerdings wie schon Kaurismäkis letzte Filme eindeutig in der Gegenwart verortet und auch mit eindeutigen Kommentaren zur Weltlage. Wenn die Protagonist*innen Radio hören (natürlich auf einem altenTransistorradio), verliest die Nachrichtensprecherin Horrormeldungen aus dem Ukraine-Krieg, und einmal bricht es aus Ansa heraus: „Verdammter Krieg!“
Auch andere kleine Details verraten, wie aktuell der Film ist. In einer von Holappa oft besuchten Kneipe hängt in einer Ecke ein Plakat mit der Ankündigung der gemeinsamen Tour von Amorphis und Eluveitie aus dem Jahr 2022, Ansa und Holappa haben Mobiltelefone (wenn auch keine Smartphones, zu modern darf es dann doch nicht werden).
Noch etwas ist neu: Nach dem früher oft lakonisch-unfreiwilligen Witz der Dialoge scheint Kaurismäki diesmal recht offensiv auf zitierwürdige Oneliner zu setzen, bei denen man laut ins Kino prusten möchte. So will Holappas Kumpel beim Karaoke zum Beispiel etwas „Finnisch-Romantisches“ singen, was er dann auch tut. Natürlich ohne eine Miene zu verziehen. Oder als Ansa und Holappa aus dem Kino kommen und er sie fragt, ob ihr der Film gefallen hat. Todernst erwidert sie: „Habe selten so viel gelacht.“
Wie immer spielt auch die Musik eine wichtige Rolle, Rock’n’Roll, finnischer Tango vom Großmeister Olavi Virta, ein Auftritt des real existierenden Indie-Pop-Duos Maustetytöt – wie immer ist das alles perfekt auf die ganze Atmosphäre des Films abgestimmt.
Getragen wird „Fallende Blätter“ von den beiden Hauptdarsteller*innen Alma Pöysti und Jussi Vatanen, die sich nahtlos in die Reihe legendärer Kaurismäki-Darsteller*innen wie Kati Outinen oder Matti Pellonpää einfügen, aber auch ein wenig Moderne, ein wenig vorsichtige Leichtigkeit hineinbringen. Nicht zu vergessen der dritte Hauptdarsteller: Straßenhund Chaplin, den Ansa kurzerhand adoptiert, bevor er eingeschläfert wird.

Für Kaurismäki-Verhältnisse ist „Fallende Blätter“ eine geradezu humorvolle, leichtfüßige Komödie geworden, und das steht dem verdienten Regisseur, der eigentlich schon längst den Beruf an den Nagel hatte hängen wollen, ganz ausgezeichnet. Der Film hat dieses Jahr völlig zu Recht den Preis der Jury in Cannes gewonnen. Man geht mit leichtem Herzen aus dem Kino.

:popcorn: :popcorn: :popcorn: :popcorn: :popcorn:

Fallende Blätter (Kuolleet lehdet)
Dauer: 81 Minuten
Produktionsland: Finnland, 2023
Regie: Aki Kaurismäki
Besetzung: Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu, Sakari Kuosmanen
Kinostart: 14.09.23

(1378)