Von Liebe und Tod

 

Richard Wagner: Die Walküre

Bayerische Staatsoper München

 

Endlich! Endlich haben Teile des gediegenen Münchner Opernpublikums die Möglichkeit, sich rebellisch zu geben und während der Aufführung durch „Buh“- und „Aufhören“-Rufe auf sich aufmerksam zu machen. Wie Regisseur Andreas Kriegenburg, der sich doch eigentlich mit provokanten inszenatorischen Einfällen zurückhalten wollte, das geschafft hat? Dazu gleich mehr …

Wir befinden uns nach dem gestrigen Rheingold-Vorabend am ersten Tag des Ring des Nibelungen, in Die Walküre. Mehr als bei allen anderen Teilen steht hier das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren im Fokus, insbesondere die Liebe: die erkaltete zwischen Wotan und seiner Gattin Fricka, die enthusiastische des von Wotan gezeugten Zwillingspaars Siegmund und Sieglinde und nicht zuletzt auch die väterlich-töchterliche Liebe zwischen Wotan und der Walküre Brünnhilde. Doch ist Liebe überhaupt noch möglich vor dem Hintergrund von Intrigen, Gewalt und Machtspielen? Vielmehr ist auch der Tod allgegenwärtig.

Wie schon im Rheingold ist das Bühnenbild geprägt von Harald B. Thors universellem Riesenkasten, der sich im ersten Akt zu Hundings Haus wandelt, das freilich alles andere als heimelig wirkt: In den Ästen der Esche hängen Tote, im Hintergrund sind Frauen damit beschäftigt, Leichen zu waschen oder zu präparieren. Die Bedrohlichkeit der Situation, in die Siegmund hier geraten ist, ist unterschwellig permanent fühlbar, nicht zuletzt auch durch das herrische Auftreten Hundings (Ain Anger), der seine Ehefrau Sieglinde eher als stets verfügbares Objekt zu betrachten scheint denn als Mensch. Immer wieder zieht er sie gewaltsam zu sich heran, und ihr Kleid muss auch schon mal zum Abwischen der Hände herhalten.

Was für ein kaum fassbares Glück, dass ihr verschollener, innigst geliebter Bruder sie aus dieser Ehehölle befreit! Die im Inzest endende Annäherung der beiden wirkt jedoch irgendwie statisch, auch wenn die Darsteller stimmlich mehr als zu überzeugen wissen.

Klaus Florian Vogt ist der vom Publikum frenetisch gefeierte Siegmund, und es ist ein Genuss, seinem samtweichen, hellen Tenor zuzuhören, auch wenn es ihm an den hochdramatischen Stellen vielleicht ein wenig an Durchschlagskraft mangelt. Nicht weniger umjubelt Anja Kampe als Sieglinde, die mit ihrem klaren Sopran mühelos sowohl die ruhigen als auch die leidenschaftlichen Momente dieser Partie bewältigt.

Für den zweiten Akt haben Kriegenburg und Thor die Bühne zunächst weitgehend leergeräumt. Nichts als ein Schreibtisch signalisiert, dass wir uns jetzt in Walhall, der Macht- und Schaltzentrale Wotans, befinden. Wirklich viel hat er allerdings nicht mehr zu melden, insbesondere wenn es um die von ihm eingefädelte, in der Zeugung des späteren Helden Siegfrieds mündende Begegnung Sieglindes und Siegmunds geht. Seine Frau Fricka (Sophie Koch, stimmlich weitaus prägnanter und präsenter als im gestrigen Rheingold) ist jedoch kein zänkisches Eheweib, sondern eine präzise Analytikerin und Realistin, die Wotan seine Grenzen aufzeigt und gleichzeitig ihr Anliegen als Hüterin der Ehe durchzusetzen vermag, indem sie erfolgreich den Tod des Ehebrechers Siegmund einfordert.

Wotan hingegen ist ein Verzweifelter und Getriebener, sowohl stimmlich als auch schauspielerisch glaubhaft verkörpert durch Thomas J. Mayer, insbesondere in seinem langen Monolog, wenn er Brünnhilde seine Hoffnungslosigkeit über den unaufhaltsamen Gang der Dinge darlegt, sich lediglich das Ende herbeiwünscht und sich sogar deren Schwert an den Hals setzt. Die kurzfristig für die erkrankte Katharina Dalayman als Brünnhilde eingesprungene Iréne Theorin ist ein weiterer vokaler Glücksfall des Abends und beherrscht alle Facetten zwischen lyrischer Intensität und dramatischer Schärfe.

Für die anschließenden Szenen der Flucht Siegmunds und Sieglindes, die Todverkündung Brünnhildes (ein ergreifend intensiver Moment zwischen ihr und Siegmund) und den Kampf zwischen Siegmund und Hunding verengt sich der Bühnenkasten zu einem schmalen Spalt, einem bläulich beleuchteten und von Nebelschwaden durchzogenen, von Toten übersäten Schlachtfeld – eines der an diesem Abend leider insgesamt eher raren eindrucksvollen Bilder.

Und dann der dritte Akt … Der beginnt mit dem selbst den meisten Wagner-Unkundigen hinlänglich bekannten Ritt der Walküren, ein „Hit“ sozusagen, auf den jeder wartet. Doch Kriegenburg bricht mit dieser Erwartungshaltung und provoziert auf diese Weise die eingangs erwähnten Unmutsbezeugungen.

Denn statt des wohl berühmtesten aller Ring-Motive erklingt zunächst – nichts. Was wir hingegen sehen, ist etwa ein Dutzend junger Frauen in knielangen, silbernen Kleidchen und Springerstiefeln, die eine stumme Tanzperformance hinlegen, eine symbolische Darstellung der ungestüm auf ihren Einsatz wartenden Pferde der im Hintergrund bereits präsenten Walküren. Fünf Minuten Trampeln, Stampfen und Haareschwingen ohne jede Musik, zu dem gleichzeitig auf Pfählen aufgespießte Leichen vom Bühnenboden emporgefahren werden. Das hat durchaus Spannung und Dynamik, ist aber vielleicht ein wenig zu lang geraten und ein derart ungewöhnlicher Angriff auf die tradierten Hör- und Sehgewohnheiten, dass es dem einen oder anderen zuviel wird. Die Zwischenrufe halten sich allerdings die Waage mit demonstrativem Applaus, bevor schließlich die Töne des Walkürenritts aufbranden.

Wenn Wotan am Ende Brünnhilde als Strafe für ihren Ungehorsam in Schlaf versetzt und den Flammenring um sie legt, geschieht das auf komplett leerer Bühne. Einerseits ist die Abkehr von effekthascherischem Bühnenzauber erfreulich, und in der Tat geschieht ja auch nicht viel in dieser Schlusspassage, doch wirkt die Reduktion in diesem Fall eher wie eine Kapitulation des Regisseurs vor dem Stoff.

Szenisch ist diese Walküre sicher dennoch nicht schlecht, aber auch nicht der wirklich große Wurf; einzelne gute Einfälle bleiben voneinander isoliert, ohne sich zu einem abgerundeten Ganzen zu fügen. So tauchen die im Rheingold als originelle lebende Bühnenbilder fungierenden Statisten nur noch als etwas beliebig wirkende Staffage auf, beispielsweise als Butlerschar in der Götterburg Walhall, die Getränke servieren oder auch als Sitzmöbel für Wotan und Fricka herhalten muss. Im ungleich aktionsreicheren Siegfried gilt es hier einiges nachzuholen.

 

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(1996)