Informierte Menschen statt informiertes Wasser

Ist die Erde flach? Haben Globuli eine Wirkung? Waren wir wirklich auf dem Mond oder sind die Fotos der NASA gefälscht? Missbrauchen satanistische Sekten massenhaft Kinder und werden von Polizei und Regierung gedeckt? Ist es sinnvoll, „belebtes“ Wasser zu trinken?
Und wie gehe ich damit um, wenn jemand über genau diese Dinge eine völlig andere Meinung hat als ich?

Dr. Holm Gero HümmlerMan sollte meinen, die Antworten auf die oben genannten Fragen wären sonnenklar. Aber wenn die Mitglieder im örtlichen Fitnessstudio kanisterweise „belebtes Granderwasser“ nach Hause schleppen, öffentlich-rechtliche Fernsehsender zweifelhafte Dokumentationen über (nach eigenen Aussagen) Opfer von rituellem Kindesmissbrauch in satanischen Sekten ausstrahlen, und sogar Menschen aus dem eigenen Bekanntenkreis auf einmal auf die wildesten Verschwörungstheorien hereinfallen und einen als Schlafschaf beschimpfen, nur weil man nicht glaubt, dass Angela Merkel Teil einer reptiloiden Weltverschwörung ist, dann hilft nur folgendes (und das leider auch nicht immer):
Geduld, ein klarer Kopf, Quellenkritik und wissenschaftliche Methoden.

Interessierten Mitmenschen genau diese Dinge näherzubringen, hat sich die GWUP auf die Fahnen geschrieben, die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e. V. – und neben vielen lokalen Stammtischen trifft sich einmal im Jahr die gesamte Szene der „Skeptiker“ auf der SkepKon. Dass diese Veranstaltung dieses Jahr in Augsburg stattfindet, ist für mich ein Glücksfall und ermöglicht es mir, euch davon zu berichten.

Lydia Baumann

Los geht es am Donnerstag, Christi Himmelfahrt, mit dem offiziellen Publikumstag. Das sogenannte „Skeptical“ (das ganze Programm findet ihr hier https://www.skepkon.org/skeptical, allerdings fanden krankheitsbedingt einige Änderungen statt) ist eine unterhaltsame Mischung aus relativ kurz gehaltenen Vorträgen aus mehreren Bereichen, zum Beispiel Weltuntergangsmythen und Verschwörungstheorien. Was hat es mit dem von Nostradamus vorhergesagten Polsprung auf sich, also der Umkehrung des Erdmagnetfeldes, und steht uns ein plötzlicher Polsprung bevor? Die kurze Antwort: Das kann zwar sein, braucht aber im Normalfall hunderte bis tausende Jahre, und die Technik hat genügend Zeit, um sich anzupassen. Ein plötzlicher Polsprung innerhalb weniger Tage, der uns laut Verschwörungstheoretikern dieses oder spätestens nächstes Jahr bevorstünde, sei „äußerst unwahrscheinlich“, sagt Geowissenschaftlerin Lydia Baumann, und erweitert damit mein Vokabular um ein wunderschönes Synonym zu „Bullshit“.

Urmel aus dem EisUnterrichtsmaterialien für die Grundschule zum Thema Evolutionslehre werden vorgestellt (mit Urmel aus dem Eis als Maskottchen). Holm Gero Hümmler (www.quantenquark.com) zeigt uns anhand von Playmobil-Männchen, wie man Verschwörungstheorien, die die Mondlandung anzweifeln, widerlegen kann. Auch Quellenkritik kommt nicht zu kurz: Wer steckt eigentlich hinter Klagemauer.tv, und welchen Zweck verfolgt er oder sie? Ein/e anonyme/r Anrufer/in mit verfälschter Stimme berichtet uns über die Sekte um Ivo Sasek, aus der er/sie ausgestiegen ist, und über die Weltherrschaftspläne des Sektenführers.

Lydia BeneckeDie bekannte Kriminalpsychologin Lydia Benecke, die als Mitglied der schwarzen Szene schon allein durch ihr Auftreten reichlich (sinnentleerte) Kritik einheimst, spricht über die „Satanic Panic“ im englischsprachigen Raum, und wie auch in Deutschland einige Therapeut*innen ihre Patient*innen dahingehend beeinflussen, dass diese anschließend der festen Überzeugung sind, als Kind Opfer einer satanischen Sekte geworden zu sein – obwohl es keine Evidenz dafür gibt, dass jemals ein ritueller Missbrauch stattgefunden hat. Aufgrund von sektenartigen Strukturen und Panikmache wenden sich die (vermeintlichen) Opfer auch nicht an die Polizei, da „die ja ein Teil der Verschwörung sind und die Täter decken“.

Harpo SpeaksZwischen den Vorträgen spielt die Band Harpo Speaks rund um Tommy Krappweis (bekannt aus RTL Samstag Nacht, Bernd das Brot, Mara und der Feuerbringer, Amazon-Hörspielreihe Ghostsitter), u.a. wird der „Dunning-Kruger-Blues“ und Tommys dringender Aufruf „Entdumm dich“ zum Besten gegeben. Als krönenden Abschluss dürfen wir uns über eine Live-Vorführung des Podcast-Duos von "Methodisch Inkorrekt"Methodisch Inkorrekt freuen. Reinhard Remfort und Nicolas Wöhrl unterhalten uns bestens mit Wasserverwirblern, die nicht nur das Wasser energetisch aufladen und „Wassercluster aufbrechen“ sollen, sondern scheinbar kann das Wasser sogar lesen und nimmt Informationen wie die außen aufgedruckten Wörter „Liebe“ und „Dankbarkeit“ in sich auf. „Damit kochen wir dann ganz tollen Liebesreis“, sagt Nicolas. Nach Vakuum-betriebenen VakuumkanoneKonfettikanonen und Feuer-Tornados live auf der Bühne, samt den dazugehörigen wissenschaftlichen Erklärungen, fühlen wir uns besser informiert als das verwirbelte Wasser und läuten einen gemütlichen Kneipenabend mit den Machern des Schlaulicht-Podcasts (den ich allen Eltern, Kindern und Neugierigen empfehlen möchte) ein.

Der Freitag beginnt mit einem äußerst unterhaltsamen Vortrag von Dr. Florian Aigner zum Thema „Perpetuum Mobile“ – er stellt diverse schlechte bis mittelgute Ideen aus verschiedenen Jahrhunderten vor, von denen leider in der Praxis keine einzige funktioniert. Sicherlich werden weiterhin Menschen nach Methoden suchen, wie man Energie aus dem Nichts heraus produzieren kann – auch wenn das aus wissenschaftlicher Sicht natürlich nicht gehen kann (Stichwort Energieerhaltungssatz). Das nächste Thema schließt gleich daran an: Dr. Norbert AustDr. Norbert Aust spricht über die Energiewende und damit verbundene Probleme. Allein auf Deutschland bezogen müsste man, wenn man den errechneten Energiebedarf in 30 Jahren allein durch Wind- oder Solarenergie decken möchte, Flächen mit Wind-/Solarparks füllen, die in dieser Größe überhaupt nicht zur Verfügung stehen. Außerdem könnten selbst die Marktführer nicht schnell genug ausreichend Turbinen-/Solarpanels herstellen. Das klingt nun erstmal sehr beängstigend, allerdings beachtet Dr. Aust nicht immer den neuesten Stand der Wissenschaft (zum Beispiel transparente Solarpanels, die als Fenster/Dachflächen benutzt werden können) und kann natürlich auch zukünftige technische Entwicklungen nicht berücksichtigen. Womit er allerdings recht hat ist, dass Deutschland nicht einfach Strom aus dem Ausland beziehen darf, nur um selbst keine Kohle- oder Atomkraftwerke zu brauchen. Das wäre wenig nachhaltig.

Es geht weiter mit einem bunten Spektrum an Themen, zum Beispiel „Welche Faktoren begünstigen den Glauben an das Paranormale?“ (ein Tip: Bildung ist es nicht gerade), hiermit auch thematisch lose verbunden der Vortrag „Impfakzeptanz bei Ärztinnen und Ärzten: Zwischen Bauchgefühl und Expertenwissen?“, in dem wir (wenig überraschend) aufgezeigt bekommen, dass sowohl die Bereitschaft, Impfungen zu empfehlen, als auch die eigene Impfquote unter genau jenen Ärzten deutlich geringer ist, die mit Homöopathie arbeiten – Globuliin Skeptikerkreisen werden Globuli auch als „Glaubuli“ bezeichnet und auf die „Globokalypse“ hingearbeitet, da es keinerlei Evidenz gibt, dass Homöopathie besser wirkt als Placebos. Wer sich für das Thema interessiert, dem sei die Website susannchen.info von Susanne Aust (im Vorstand der GWUP) oder der Blog der Ärztin, ehemaligen Homöopathin und jetzt Homöopathie-Gegnerin Natalie Grams natalie-grams.de/ empfohlen.

Dr. Jan Oude-AostAuch in diesen Themenkomplex passt der großartige Vortrag von Dr. Jan Oude-Aost zu Dr. Martin Hirtes Buch „Impfen – Pro & Kontra“. Dort wird mit vielen Zitaten und deren Quellenangaben wissenschaftliches Arbeiten vorgetäuscht – allerdings sind viele der Zitate unvollständig oder sogar falsch zitiert und/oder kommen aus fragwürdigen, voreingenommenen und zum Teil unethischen Quellen. Dr. Hirte wirft der STIKO (Ständigen Impfkommission) Interessenskonflikte vor, kann als privat praktizierender Arzt ohne Kassenzulassung jedoch deutlich mehr für „Impfberatung“ abrechnen als für Impfungen. Weitere Informationen findet ihr auf eingeimpft.de – falls ihr an dem Thema interessiert seid, schaut es euch an, es lohnt sich.

Samstag Vormittag geht es weiter mit Vorträgen, bevor nachmittags die geschlossene Jahresversammlung der GWUP stattfindet, bei der ich nicht dabei bin. Der erste Vortrag, „Freimaurerei – Aus dem Nähkästchen eines ‚Verschwörers'“, ist interessant und aufschlussreich. Die Freimaurer stammen aus Zeiten, in denen es noch kaum üblich oder möglich war, Umgang mit Menschen anderer Religion, Herkunft oder gesellschaftlichen Schicht zu haben. Dort einen Verbund zu haben, in dem religiöse Ansichten nebensächlich sind, und in dem man sich gegenseitig unterstützt, klingt nach einer guten Sache. In einer der Pausen erzählt ein ehemaliger Freimaurer allerdings, dass genau das auch zum Problem werden kann – nämlich wenn in einer Loge Esoterik und unwissenschaftliche Theorien vorherrschen, und man aufgrund oben genannter Grundsätze nicht widersprechen und aufklären darf.
Dr. Holm Gero HümmlerWie wichtig das aber ist, beleuchtet Dr. Holm Gero Hümmlers Vortrag „Verschwörungstheorien selbst testen“ – wir hatten am Donnerstag ja schon einen Vorgeschmack darauf bekommen, und jetzt werden wir unterhaltsam und diesmal etwas ausführlicher darin fortgebildet, wie man Verschwörungstheorien erkennt, überprüft, und wie man mit einem Anhänger derselben eine möglichst konstruktive Diskussion führt. Es werden anschauliche Experimente mit Playmobilmännchen und -Piratenschiffen präsentiert, um Theorien zur „flachen Erde“ zu erklären und widerlegen.

Ein für mich (und meine Flauschis) hochinteressantes Thema folgt, „Die ‚Futterverschwörung'“. Die Wiener Tierärztin Dr. Stefanie Handl berichtet eindrücklich von der großen Verunsicherung der Tierhalter angesichts von zweifelhaften Empfehlungen wie BARF (Risiko bakterieller Infektionen und Mangelernährung), getreide- bzw. glutenfreies Futter (dann wird eben andere Stärke zugesetzt … schadet den Tieren so oder so nicht), Detox für Tiere (…) und Panikmache, die uns weismachen will, Tierfutter enthalte oft kleingehäckselte Abfälle samt Verpackungen, überfahrene Tiere oder sogar bei Tierärzten eingeschläferte Hunde und Katzen. Dr. Handl beleuchtet die strengen gesetzlichen Richtlinien, die dringende Notwendigkeit, Calcium (oft in Form von Knochenmehl) und Vitamine zuzusetzen (das Röntgenbild eines Hundes und einer Katze mit Calciummangel sah NICHT schön aus!) und beruhigt mich auf meine Nachfrage hin auch hinsichtlich zugesetzten Zuckers: Meistens sei das nur Zuckerkulör, um der Sauce eine braune Farbe zu geben, und die Mengen seien vollständig vernachlässigbar.

Dr. Martin Moder und Dr. Nikil MukerjiDen Abschluss bilden der Biologe Dr. Martin Moder und der Philosoph Dr. Nikil Mukerji mit dem Thema „Jordan Peterson – Wichtiger Denker oder gefährlicher Pseudointellektueller?“ Sie beleuchten hier verschiedene Aspekte seines Lebens und seiner Veröffentlichungen und erläutern einige aus dem Kontext gerissene Zitate, die gerne auf polemisierende Art und Weise gebraucht werden. Wir bekommen hier kein fertiges Urteil vorgesetzt, die abschließende Bemerkung im Sinne von „Selbst Isaac Newton hat neben seinen bahnbrechenden Erkenntnissen in der Physik auf anderen Gebieten zweifelhafte Ergebnisse erlangt, zum Beispiel hat er Alchimie praktiziert“ zeigt einmal mehr, dass die Welt oft nicht schwarz oder weiß ist.

Die SkepKon endet mit Danksagungen, Preisverleihung für den Entwurf des „besten skeptischen T-Shirts“ (der Gewinner ist „Informierte Menschen statt informiertes Wasser“) und für den Herrn Fotografen und mich mit einem entspannten Mittagessen in der illustren Gesellschaft von Lydia Benecke, Holm Hümmler und einigen anderen – denn auch menschlich sind die meisten Skeptiker sympathische und interessante Zeitgenossen.

Das vollständige Programm der Skepkon findet ihr hier: skepkon.org
Die Website der GWUP e.V. hier: gwup.org
Weiterhin empfehlen möchte ich den YouTube Channel von Tommy Krappweis

Momentan sind die offiziellen Videos der SkepKon 2019 noch nicht auf YouTube online, sollten aber demnächst hier zu finden sein: youtube.com/user/gwup

Besten Dank für die Fotos an Andreas „Elwood“ Brauner, der auch offiziell für das Skeptiker Magazin fotografiert hat.

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