Echt jetzt? Ein Wurstfinger-Universum?

C) Leonine Distribution

Ich war gespannt auf diesen höchstdekorierten Film bei den Oscars 2023! Sogar in der Königsklasse „Bester Film“ sahnte er eine Trophäe ab, insgesamt sieben an der Zahl: für Regie, Original-Drehbuch, Schnitt, weibliche Nebenrolle (Jamie Lee Curtis), männliche Nebenrolle (Ke Huy Quan) und die beste Hauptdarstellerin, Michelle Yeoh. Die 60-Jährige hielt eine entzückende kleine Rede: „Für all die kleinen Jungen und Mädchen, die so aussehen wie ich und heute Abend zuschauen. Dies ist das Leuchtfeuer der Hoffnung und der Möglichkeiten. Der Beweis, dass Träume groß sind und Träume wahr werden. Und meine Damen, lassen Sie sich von niemandem sagen, dass Sie Ihre besten Jahre schon hinter sich haben. Gebt niemals auf.“

Was passiert nun in diesem Film alles, überall und gleichzeitig?
Es ist auf jeden Fall alles zu viel auf einmal für Evelyn Wang an diesem Tag.

Die Nudeln drohen zu verkochen, das mag ihr Vater gar nicht. Ihr Waschsalon feiert Jubiläum, und es muss gekocht und dekoriert werden. Ihre Tochter Joy bringt natürlich wieder unangemeldet ihre Freundin mit (wohlgemerkt: Freundin! Und sie ist nicht mal Chinesin!), wie soll man das dem Vater beibringen! Und zusätzlich macht die Bundessteuerbehörde Probleme, denn viel zu viele Belege wurden eingereicht, die alle nicht zum Waschsalon passen. Ihr Mann Waymand bekommt in all seiner Gutmütigkeit auch wieder nichts auf die Reihe, und alles bleibt an ihr hängen! Das Leben dieses chinesischen Ehepaares, das sich in den USA ein Leben aufgebaut hat, mehr schlecht als recht nach Evelyns Meinung, ist nicht einfach. Am Schreibtisch der strengen Steuerprüferin Deirdre (völlig anders und gänzlich unkokett: Jamie Lee Curtis) könnte sie explodieren oder implodieren, eins von beiden auf jeden Fall. Bis ihr Mann, der bravste von allen, der sich eigentlich nur nach Liebe sehnt, ihr seltsame Anweisungen gibt. Es ist nämlich so, dass im Universum alles durcheinandergeraten ist. Um alles wieder zu richten, braucht man ausgerechnet Evelyn! Weltenspringen ist das Gebot der Stunde! Sie muss eigentlich nur einen Kaugummi essen und auf den grünen Punkt am Headset drücken, schon kann sie in Zehntelsekundenschnelle von einer Welt in die andere switchen. In den anderen Welten gibt es auch alle Personen, die um Evelyn als Waschsalonbesitzerin herum existieren. Nur sind sie hier höchstwahrscheinlich völlig anders drauf! Jamie Lee Curtis, die spießige Korinthenkackerin verwandelt sich in Robocop, Evelyn ist mal eine Sängerin, eine berühmte Schauspielerin, eine Kung-Fu-Kämpferin, eine Kampf-Ausbilderin und vieles mehr. Das eigenartigste ist aber, ihre unscheinbare Tochter Joy, an der es wirklich immer irgendetwas auszusetzen gibt, ist in allen anderen Welten das Wichtigste überhaupt: Jobu Tupaki, eine Kämpferin, die alles zerstören wird, wenn man sie nicht aufhält. Evelyn sieht, was die anderen Welten und Leben für sie bereitgehalten hätten. Vieles wäre verführerisch. Waymand hätte auch ganz anders sein können. Oder sie hätte ihren Eltern folgen können und nicht China verlassen. Andererseits hätte sie aber wirklich nicht mit Händen leben wollen, deren Finger wie weiche Hotdogs sind. Auch als großer Stein neben Tochter-Stein in alle Ewigkeit zu stehen, das wäre auf Dauer auch langweilig geworden.

Ihr seht: Viel passiert in diesem Film, und zwar tatsächlich überall und gleichzeitig. Man kann es schwer in Worte fassen, man muss es gesehen haben. Die Zuschauer*innen werden bombardiert mit lustigen, schrägen, derben und blutigen Ideen und auch mit Referenzen auf andere Filme. Ich konnte kaum meinen Augen trauen bei der Szene mit den Affen mit den Hotdog-Klauen, fast original wie in 2001, Odyssee im Weltraum! In einem Moment ist es Science-Fiction, im nächsten Moment Fantasy, Martial Arts, Slapstick oder ein Familien-Drama. Und als solches hat sie tatsächlich auch einen emotionalen Kern. Hier hat mich die Geschichte, die mich auf weite Strecken kalt gelassen hat, emotional noch einmal eingefangen. Es hat zu tun mit der Beziehung zwischen Evelyn und ihrer Tochter Joy. Vielleicht ist es doch so: Liebe ist alles!

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Everything Everywhere All At Once
Science-Fiction, Fantasy, Martial Arts, Slapstick-Komödie, Familien-Drama
Regie: Daniel Scheinert und Daniel Kwan
Dauer: 139 Minuten
Produktionsland: USA, 2022
Cast: Michelle Yeoh, Stephanie Hsu, Ke Huy Quan, Jamie Lee Curtis u.v.m.
Der Film kam im Sommer 2022 in die Kinos. Dort ist er derzeit wieder zu sehen sowie auf Amazon Prime zu leihen.

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