Die goldene Stadt

Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres geht es für mich nach Prag. Aber ob man im Winter mit dem Schatz oder im Frühling mit den Schwestern fährt: Das macht einen großen Unterschied! Der Flixbus hält am Hauptbahnhof. Das ist mal ein Bahnhof! Er wurde im Jahr 1871 gebaut. Das bis heute genutzte Aufnahmegebäude ist im Jugendstil gebaut.

Tiefer drin wird es modern, und es herrscht ein Gewimmel, aber wir holen uns ein 72-Stunden-Ticket, das sich zeitlich genau ausgehen soll. Schnell mit der Metro C ein paar Haltestellen, schon sind wir beim Hotel.

Das könnte nachts laut werden! Etliche Tramhaltestellen an der Straße direkt vor den Fenstern. Na, mal schauen. Zuerst wird sich eingerichtet, dann wollen wir gleich los zur Moldau und Karlsbrücke. Tram 17 und auch 27 fahren direkt dorthin. Die Sonne scheint! Das Wasser glitzert! An der Smetana-Statue direkt am Wasser ist kein Platz, also gehen wir gleich über die Karlsbrücke. „Die Karlsbrücke (tschechisch Karlův most) ist eine im 14. Jahrhundert errichtete, historisch bedeutsame Brücke über die Moldau in Prag, die die Prager Altstadt am rechten Ufer mit der Kleinseite am linken verbindet. Sie ist die älteste erhaltene Brücke über den nordwärts fließenden Fluss Moldau und eine der ältesten Steinbrücken Europas.“ (Wikipedia) Wir schaffen es gleich beim ersten Mal nicht ganz rüber, denn kurz vor Erreichen der Kleinseite geht es links die Treppe runter in Richtung John-Lennon-Wall.

Die Mauer ist eine Streetart- und Graffiti-Wand in Prag, die seit den 1960er Jahren mit Liebesgedichten und politischen Botschaften beschrieben und seit den 1980er Jahren mit von John Lennon inspirierter Streetart und Teilen von John-Lennon- und Beatles-Liedtexten bemalt wird. Viele politische Irrungen und Wirrungen hat sie erlebt. Anwohner*innen beschwerten sich über den übertriebenen Tourismus. Die Wand gehört dem Malteserorden. Dieser hat 2019 die Sache in die Hand genommen. Die Lennon-Mauer sollte ihre „respektable Form“ zurückgewinnen. Über 30 tschechische und ausländische professionelle Künstler haben die Mauer bemalen dürfen. Das Sprühen ist nicht mehr erlaubt, die Menschen können ihre Botschaften, die mit Freiheit und Liebe verbunden sind, nur in den freien Zonen und mit Bleistift, Marker oder Kreide hinterlassen. Das wird auch intensiv genutzt. Auch wir schauen ausgiebig, fotografieren und machen Selfies. Danach einen kleinen Abstecher in das kleine Atelier mit witzigen Kunstgegenständen und mit Lennon-Wall-Gifts. Hunger, Pipi, Durst treiben uns voran, wir suchen uns ein schönes Lokal, direkt an einer alten Mühle, so malerisch! Wir können draußen sitzen. Selbst als ein Regenguss kommt, schützen uns die großen Sonnenschirme. Die Kellner sind zum Knuddeln, und es gibt mehr als eine Flasche Wein für uns. Der erste Tag war schon mal top!

Der Morgen danach ist erstmal ernüchternd. Keine hat toll geschlafen, wegen der Trams, und dann kommt auch noch beim Duschen kein Wasser, und wenn, dann braun! Die Rezeption erzählt uns allerhand, und tatsächlich, nach einem wirklich guten und reichhaltigen Frühstück gibt es wieder Wasser für alle. Nachdem es heißt, das schöne Wetter solle bis zum Nachmittag halten, machen wir erst einmal eine chillige Moldau-Schifffahrt, alles mal aus einer anderen Perspektive sehen!

Interessant an der Ticketverkaufsstelle: Einstündige Bootsfahrt: Dauer: 50 Minuten! Aber die sind schön! Danach in die Innenstadt, quer durchs Getümmel zum Rathausplatz mit seiner Astronomischen Uhr.

Die Prager Rathausuhr, auch Aposteluhr oder Altstädter Astronomische Uhr, ist eine weltweit bekannte astronomische Uhr aus dem Jahr 1410. Sie ist ein Meisterwerk gotischer Wissenschaft und Technik und eine der Hauptsehenswürdigkeiten Prags. Sie wurde im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte vielfach modifiziert. In den beiden Fensterchen oberhalb des astronomischen Zifferblattes waren einstmals astrologische Tabellen zu sehen, sie sind gegen die Figuren der 12 Apostel ausgetauscht worden, wann, das weiß man nicht so genau. Irgendwann kam noch ein Hahn dazu. „Täglich zu jeder vollen Stunde zwischen 9 und 22 Uhr erscheinen in den beiden Fenstern die Figuren der zwölf Apostel. Zugleich erwachen an den Seiten des astronomischen Zifferblattes vier Figuren: auf der linken Seite die Allegorie der Eitelkeit neben der Habsucht, auf der rechten Seite der Sensenmann (Allegorie des Todes), der die Sanduhr wendet und dazu mit der Glocke im kleinen Turm über dem Apostelgang klingelt. Neben dem Sensenmann ist der Türke, der die Allegorie der Wollust darstellen soll. Nachdem alle Apostel vorbeigezogen sind, kräht der Hahn oberhalb der Apostelfenster, und die Glocke oben am Turm beginnt die Stunde zu schlagen. Zum Abschluss dreht der Sensenmann das Stundenglas, welches er in seiner linken Hand hält. Neben dem Kalenderzifferblatt sind weitere vier Holzfiguren platziert, die jedoch nicht beweglich sind. Auch hier handelt es sich um allegorische Darstellungen. Links der Philosoph und der Engel mit dem Flammenschwert, rechts der Astronom und der Chronikschreiber.“ (Wikipedia) Ganz toll und ganz ehrlich: Ich würde sagen, hier stehen wesentlich mehr Leute davor, als in München vor dem Glockenspiel. Hungrig wollen wir uns fast am Platz in eines der zahllosen, meist italienischen Restaurants setzen, bis wir beim Durchblättern der Speisekarte sehen, eine Pizza Margarita kostet umgerechnet 27 Euro! Die billigste der Billigen! Schnell weg hier. Auf der Suche nach einem authentischeren Restaurant kommen wir schon an vielen netten Kneipchen für den Abend vorbei.

Vorfreude ist die größte Freude! Aber erst einmal in ein typisch tschechisches Wirtshaus mit Ente, Rotkraut und einer Knödelvielfalt. Köstlich! Eine von uns war noch nie in Prag und hat den Hradschin noch nicht gesehen. Weil ich fußtechnisch gehandicapt bin, fahren wir mit der Tram 22 zum Hradschin hoch und gehen, anders als sonst, von der anderen Seite auf die Burganlage zu.

Und weil es schon nach 17 Uhr ist, ist das Goldene Gässchen ohne Eintritt zu besichtigen. „Das Goldene Gässchen (tschechisch Zlatá ulička), auch Alchimistengasse oder Goldmachergasse genannt, ist ein Gässchen an der Innenmauer der Prager Burg und ein Touristenmagnet von Prag. Berühmtheit erlangte es vor allem, weil hier unter der Aufsicht Kaiser Rudolfs II. Alchimisten gewirkt haben sollen, um für ihn künstliches Gold und den Stein der Weisen zu erzeugen … Die Häuschen stammen aus dem 16. Jahrhundert und wurden als Unterkünfte für die Burgwachen Kaiser Rudolfs II., die sogenannten roten Schützen, gebaut. Später zogen vor allem Goldschmiede in die Hütten ein, wovon die Gasse wahrscheinlich ihren Namen erhielt. Im 19. Jahrhundert war das Goldene Gässchen sehr heruntergekommen; es siedelten sich vorwiegend ärmere Leute dort an. Zwischen 1916 und 1917 lebte hier der Schriftsteller Franz Kafka und arbeitete im Haus Nr. 22 an seinen Werken (er schrieb hier einige der kurzen Erzählungen, die 1920 in der Sammlung Ein Landarzt veröffentlicht wurden).“ (Wikipedia). Es ist natürlich viel los, aber einen Besuch ist es wert.

Nach den vielen Treppen nach unten in die Stadt gehen wir dann in die Absintherie Jilska. Über 100 verschiedene Absinthsorten gibt es hierzu probieren, über 250 verschiedene Flaschen gibt es zu sehen, dieses Kneipchen ist entzückend! Es spielt live ein Pianoplayer, es herrscht gute Stimmung, und jede*r Besucher*in zückt erst einmal den Fotoapparat!

Am nächsten Morgen wachen wir leider schon mit Regen auf. Aber egal. Wir fahren mit der Tram in die Stadt und zum Kafka-Museum. Hier kommt man an recht versteckten Ecken an der Moldau vorbei, die wir gestern schon vom Boot aus gesehen hatten. Wir sehen sogar Nutrias! Keine Angst, auch wir müssen erst mal googeln, was das für Tiere sind. Das Franz Kafka-Museum wurde im Sommer 2005 im Gebäude einer Ziegelei direkt am Kleinseitner Moldauufer eröffnet.

Draußen vor dem Kafka-Museum steht eine sehr interessante Figur des tschechischen Künstlers David Cerny. „Piss“ heißen die zwei männlichen Statuen, die seit 2004 in ein Wasserbecken mit der Form Tschechiens pinkeln. Das hat den Verlust etwas wettgemacht, dass der rotierende Kafka-Kopf, ebenfalls von David Cerny, momentan nicht anschaubar ist. Er wird gewartet, aber es hat uns schwer getroffen, denn er muss eine Schau sein. Das Kafka-Museum erscheint uns im ersten Moment für den recht stolzen Eintrittspreis nicht so erwähnenswert, was aber nicht stimmt. Die Briefe Kafkas an seinen Vater bauen bereits zu Beginn der Ausstellung Spannung auf. Man erfährt Details aus dem Leben des Schriftstellers, familiäre Hintergründe. Man bekommt einen Einblick in Kafkas Liebesleben. Das alles ist sehr interessant gestaltet, multimedial dargeboten. Ein kleines Filmchen gibt einen groben Eindruck von Prag zur Kaiserzeit, zeigt uns zum Beispiel den Schulweg Kafkas. Alles Ecken, die wir nach wenigen Tagen schon gesehen hatten. Am Ende „müssen“ wir uns alle eine kleine Erinnerung im Museumsladen mitnehmen. Direkt in der Nähe der Karlsbrücke flüchten wir danach im Nieselregen in eine x-beliebige Tram und landen auf der anderen Seite der Karlsbrücke. Hier gibt es unzählige Geschäfte und Restaurants.

Auf einem Platz unterhalb des Hradschin gönnen wir uns ein herrliches dunkles Bier und eine Gulaschsuppe im Brotlaib. Beim Bummeln kommen wir zumindest am „Tanzenden Haus“ vorbei. Es ist der Spitzname eines 1996 verwirklichten Bürogebäudes, eine Zusammenarbeit des tschechischen Architekten Vlado Milunić und des kanadischen Architekten Frank Gehry. Es steht direkt am Ufer der Moldau am Rašín-Kai und erinnert an eine Tänzerin, die sich an den Tänzer schmiegt. Aus diesem Grund wird es oft auch Ginger und Fred (nach Ginger Rogers und Fred Astaire) genannt.

Nun müssen wir aber sehen, dass wir in die Innenstadt zurückkommen. Wir haben uns Karten besorgt für ein Klassik-Konzert im Rudolfinum, einem im Stil der Neorenaissance errichteten Konzert- und Galeriegebäude am rechten Ufer der Moldau in der Altstadt (Staré Město). Die gerundete Fassadengestaltung lehnte sich an die der Dresdner Semperoper an. Musiker*innen der Tschechischen Philharmonie und des Prager Sinfonie Orchester bieten ein Potpourri der klassischen Musik. Danach landen wir wirklich durch Zufall im wohl nettesten kleinen Kneipchen Prags. The Velvet Underground, Blur, Oasis, Janis Joplin u.v.m., mitgebrachte brave Hunde, Schachspieler*innen und ein Barkeeper, der „fluent sarcasm“ beherrscht – zumindest laut T-Shirt-Aufdruck. Wir gönnen uns das eine oder andere Glas Wein, das – o Weh – ganze 3 Euro kostet. Wasser kostenlos.

Nach dem Frühstück am nächsten Tag haben wir noch etwas Zeit nach dem Auschecken, und wir fahren noch einmal an die schöne Stelle an der Moldau, um draußen vor dem Klub Lavka noch etwas zu trinken und uns einzudecken für die Busfahrt. Es geht pünktlich los am Busbahnhof Florenc, und wir kommen auch pünktlich an in München, aber die Fahrt ist höchst verwunderlich. Eine von uns sitzt neben einer jungen Frau mit Panikattacken. Wir werden mehrmals von der Polizei aufgehalten und durchgecheckt. Wir werden sogar von der Polizei verfolgt und aufgehalten und per „Follow us-Leuchtdioden“ auf dem Polizeiheckfenster in eine Parkbucht genötigt, wo einer jungen Dame, die ausgerufen wird, heftig die Leviten gelesen werden.

Was aber am meisten in Erinnerung bleiben wird: Prag ist toll! 

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