The music’s for the sad man

Alphaville sind eine ganz besondere deutsche Band, die 1983 von Marian Gold, Bernhard Lloyd und Frank Mertens in Münster gegründet worden ist. Mit „Big in Japan“, „Sounds like a melody“ und insbesondere „Forever young“ haben sie weltweite Hits erschaffen, die nicht nur die Stimmung der damaligen Zeit einfangen, sondern auch die Erinnerung an die achtziger Jahre bis heute nachhaltig prägen. Ihr Synthesizer-Sound ist ebenso eigen wie die Stimme von Marian Gold, der nun nach 40 Jahren Bandgeschichte zusammen mit Max Knoth und Christian Lohr die größten Hits neu arrangiert hat, und die vom Deutschen Filmorchester Babelsberg eingespielt worden sind. Klassik statt Synthies, da bin ich wirklich gespannt, wie sich die Songs auf Eternally yours im neuen Gewand präsentieren.

„Dream machine“ eröffnet das Album ganz behutsam, denn das Orchester hält sich noch sehr im Hintergrund. Der Song wird somit ganz bewusst als Intro inszeniert. Erst im späteren Verlauf schiebt sich das Orchester mehr ins Bild und bereitet auf das Kommende vor. „Summer in Berlin“ ist dann auch deutlich Klassik-orientiert, während gleichzeitig die charakteristische Stimme von Marian über allem liegt. Der Mix ist wirklich gut ausgewogen. Nun folgt mit „Big in Japan“ der erste richtig große Megahit, und das Orchester versteht es meisterlich, durch einen verzögerten Aufbau die Spannung zu erhöhen, bis schließlich die ikonische Keyboard-Melodie erklingt, nur jetzt vermutlich von einem Klavier eingespielt. So unterschiedlich ist die neue Version aber gar nicht mal, und ich hätte ehrlich gesagt gerade hier deutlich mehr Bombast erwartet. Das ist wohl aber nicht der Fokus gewesen, denn „Dance with me“ empfinde ich sogar als deutlich weniger tanzbar als im Original. Da fehlt mir in der neuen Version einfach etwas Energie, und dem eigentlich hymnenhafte Refrain geht die Intensität verloren. Auch „Summer rain“ nimmt sich insgesamt etwas zurück, aber dafür kommt im Zusammenspiel mit dem Orchester so etwas wie Sinatra-Feeling auf, was dem Stück eine neue Dimension verleiht. „Apollo“ ist dann deutlich dramatischer inszeniert und zeigt sich hier vor allem von David Bowie inspiriert. Die Sprechgesang-Passage fügt sich bestens ein, und alles steuert auf ein großes Finale hin. Im Anschluss beginnt „Elegy“ ganz zart am Klavier, bevor sich die Streicher dazugesellen. Der Klassik wird hier sehr viel Raum eingeräumt, was die Stimmung potenziert und eine*n auf einer sentimentalen Woge davontreiben lässt. Diese überspielt auch den Übergang zu „Lassie come home“, der fast unmerklich geschieht. Der Gesang ist jedoch viel tiefer angesetzt und wirkt sehr geheimnisvoll, bis das Ende dramatisch inszeniert wird.
Die Umsetzung zu „Moon girl“ ist sehr sanft und gefühlvoll. Der Gesang wird von der Musik umspielt und umschmeichelt. Beide zusammen gehen eine gelungene Symbiose ein. Auch zu „Welcome to the sun“ lässt sich herrlich in Melancholie schwelgen, während die Musik Marians Stimme perfekt untermalt. Toll ist auch, wie der später einsetzende Chor inszeniert wird. Der Beginn von „A victory of love“ ist sehr düster und könnte so glatt auch von Deine Lakaien stammen. Doch der Song steigert sich kontinuierlich und nimmt an Intensität zu. Das ist großartig aufgebaut und die perfekte Vorbereitung auf „Sounds like a melody“, zu dem das Orchester nun voran prescht. Gerade rechtzeitig nimmt es sich für die Gesangspassagen zurück, setzt aber weiterhin wohlplatzierte Akzente. Das Zusammenspiel ist hier wirklich äußerst gelungen, und der Bombast zieht ein, den ich vermisst hatte. Im Anschluss setzt „Around the universe“ wieder ganz klar auf große Gefühle, die dank der Orchesterbegleitung spielend erreicht werden. Die Textzeilen vom neuen Stück „Eternally yours“ mögen wie ein Abschiedsbrief wirken, entstammen aber aus verschiedenen Sonetten von Shakespeare. Das Stück ist dramatisch inszeniert und besitzt einen treibenden Charakter, der mich an „Total eclipse of the heart“ von Bonnie Tyler erinnert. Dabei fügt es sich nahtlos in das Album ein. Ich kann mir nicht helfen, bei „Diamonds are forever“ habe ich immer die Vision, Marilyn Monroe würde den Song singen. Natürlich ist die Stimmfarbe eine ganz andere, aber die ganze Nummer an sich hätte auch der Diva gut gestanden. Das folgende „Flame“ ist ein sensibler Song, und die darin liegende Melancholie wird vom Orchester nicht nur getragen, sondern verstärkt. Der ewige Überhit „Forever young“ bildet das offizielle Schlusslicht, den wirklich Millionen Menschen weltweit bis ins Mark in- und auswendig kennen. Und das ist vielleicht das Problem gewesen, dieser zwangsweise immensen Erwartungshaltung gerecht werden zu wollen. Bitte nicht falsch verstehen, die Umsetzung ist alles andere als schlecht. Ich hätte mir nur mehr Mut gewünscht, vom Original mehr abzuweichen und mit mehr Energie vorzugehen, wenn man schon ein Orchester zur Verfügung hat. Textlich könnte das Stück leider nicht aktueller als damals sein: „Are you gonna drop the bomb or not“.
Die nun folgenden zusätzlichen Bonusversionen sind alle ein wenig unterschiedlich, aber ich erspare es mir hier diese weiter zu kommentieren. Und so bleibt euch auch noch etwas zu entdecken.

Fazit: Ich bin hin- und hergerissen, was Eternally yours angeht. Technisch betrachtet ist das ein unheimlich tolles Album von Alphaville, bei dem die Stücke den Nostalgie-Faktor bedienen und durch das Orchester gleichzeitig neu und zukunftsweisend klingen. Eternally yours bietet somit die Möglichkeit, die Musik von Alphaville von einer ganz neuen Seite kennenzulernen, denn mit Orchesterbegleitung klingt der Sound wärmer und organischer, und die Kompositionen treten mehr zu Tage.
Nur meine eigene Erwartungshaltung finde ich nicht so recht erfüllt, da hätte ich mir persönlich noch mehr erhofft, mehr Bombast, was aber eben ganz bewusst vermieden wurde. Was soll ich sagen? „The music’s for the sad man“. Und irgendwie erscheint es mir unfair, das Marian Gold anzulasten. Daher gibt es vier von fünf möglichen Moschern.

Anspieltipps: A victory of love und Sounds like a melody im Doppelpack, Apollo

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Alphaville: Eternally yours
Neue Meister / Edel Classics, Vö. 23.09.22
2CD 22,99 €, 3LP 39,99 €, Limited Collector’s Box (handsigniert) 149,99€ erhältlich über https://www.jpc.de/jpcng/poprock/detail/-/art/alphaville-eternally-yours/hnum/10929665

Links:
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https://www.instagram.com/alphaville.music/
https://twitter.com/alphaville_band
https://neue-meister-music.com/de/neuemeister/

Tracklist:
01 Dream machine
02 Summer in Berlin
03 Big in Japan
04 Dance with me
05 Summer rain
06 Apollo
07 Elegy
08 Lassie come home
09 Moon girl
10 Welcome to the sun
11 A victory of love
12 Sounds like a melody
13 Around the universe
14 Eternally yours
15 Diamonds are forever
16 Flame
17 Forever young
18 Big in Japan (BassRoque Version)
19 Sounds like a melody (Chamber Version)
20 Forever young (Petite Version)
21 Big in Japan (Single Edit)
22 Sounds like a melody (Single Edit)
23 Forever young (Single Edit)
24 Pandora’s lullaby (Lunapark Version MCMXCI)
25 Elegy (Springtime Version MCMXC)
26 Machine (Dreamscape Version MCMXCIX)

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