Schuster, bleib bei deinen Leisten

coppelius_extrablattEs ist das vierte Album, das die Berliner veröffentlichen, aber ob sie damit an das Vergangene anknüpfen können, soll später beantwortet werden.
Wer die etwas seltsam anmutende Gruppe Coppelius verfolgt hat, der weiß, dass die Herren eher zurückhaltend sind und sich auch im Umgang mit den Fans außerhalb der Tour schwer tun. Zwar gibt es hin und wieder beliebte Plauderstunden, also Chats mit einem oder mehreren der Musiker, aber es bleiben Ausnahmen. Seit einiger Zeit kann man jedoch eine Wendung beobachten. Bereits 2011 begann die Formation durch Wettbewerbe das Publikum bei Laune zu halten und anzuziehen. Mittlerweile werden vor dem Release mehrere Songs veröffentlicht, ein Videowettbewerb zum neuen Stück „Reichtum“ war ausgerufen und es werden auf Facebook plötzlich Artikel und Fotos geteilt. Eine positive Wendung, sagen die einen; sehr verwunderlich finden es jedoch andere, die eher irritiert sind, woher die plötzliche Fanatikernähe rührt.
Der neue Silberling markiert nur weiter den Wandel der Band. Haben Coppelius einen neuen Weg beschritten, um … ja, um was zu erreichen? Mehr Weltruhm? Möglich wäre es, ob es gut ist, ist eine andere Frage.

Extrablatt reißt den Hörer gleich in längst vergangene Zeiten, beginnt mit den Geräuschen eines Uhrwerks, das aufgezogen wird. Sicherlich sind hervorgerufene Assoziationen gewünscht und das kriegen Coppelius auch gut hin. Der Gesang jedoch enttäuscht. Es wirkt gezwungen, geschrien und passt nicht unbedingt zur besungenen „Spieldose“, die eine Art Suchtfaktor für den Benutzer darstellt. Die Melodie ist nichts Herausragendes, hat ihre Momente, ist aber sehr ausdruckslos und trivial.
Das folgende Stück ist Gesellschaftskritik; die Schnelllebigkeit vor allem des Internets wird auf’s Korn genommen und angeprangert. Inhaltlich ist „Welt im Wahn“ gut und könnte zum Nachdenken anregen. Musikalisch aber fehlen auch hier die Highlights. Der Song läuft dahin – vielleicht auch ein bisschen im Wahn, nun alles anders machen zu wollen.
„Reichtum“ kannte man vorher schon, schließlich stand das Lied jedem zur Verfügung, um sich beim videographischen Wettbewerb zu beteiligen. Gesanglich ist es schön, das Lauernde ist anziehend, man sieht einen wahnwitzigen Le Comte Caspar vor sich, die stechenden Augen, die Grimassen – das Bild passt und es ist stimmig. Cello und Bass haben einen recht einfachen Grundrhythmus, dem man gut folgen kann. Der Song lädt zum Mitsingen ein und macht auch Spaß. Die Klarinetten fehlen schließlich auch nicht, aber sie reißen das Stück nicht.
Auch das folgende „Bitten Danken Petitieren“ ist bereits bekannt. Davon gab es eine Hörprobe und hier hört man tatsächlichCoppelius raus. Das sind sie, das ist Bastille, der singt, da kommen mehrstimmige Takte, das ist es, was man kennt und auch erwartet. Stärker als bei manch anderem Song kommen die Bassinstrumente raus, hört man etwa endlich mal Herrn Voss und wurde seine Forderung nach mehr Bass erfüllt? Anscheinend ja.
„Locked out“ von Max Coppella hat einen schreitenden Rhythmus, der irgendwann schneller wird. Die Klarinette gibt das Tempo vor. Es scheint ein erneuter Traum-Wahnwitz zu sein, wie man ihn etwa von „Morgenstimmung“ oder „Dreaming“ kennt. Hier nehmen sie schließlich Fahrt auf und bieten das, was man hören will.
Mein persönlicher Favorit ist eindeutig „Butterblume“. Beginnend mit Piano und Cello, ertönt bald die Singstimme, in der man versinken kann! Es ist die Ballade, die einfach dazu gehört und in Endlosschleife aus dem Player tönen kann. Wunderschön beschriebene Wiesen, eine lebendige Flora, in der man sich sofort wähnt. Das Liedlein ist kurz, verhalten, aber berührt einfach durch das große Ganze. Und manchmal ist eine Butterblume so viel mehr, als nur eine Pflanze …
Kann man sich heute noch vorstellen, etwas nicht auf einem Bild festzuhalten? Überall Kameras, selbst Handys sind damit ausgestattet, um den richtigen Moment festzuhalten. Die Berliner besingen allerdings das große Unglück, wenn eben doch „Keine Kamera“ da ist – und man bitter bereut, was man nun nicht für immer festhalten kann. Ein kleines Schmunzeln verbirgt sich schon hinter dem Song. Der Sound passt, irgendwie schunkelig, gefällt.
Die englischen Songs von Coppelius haben oftmals einen sehr ähnlichen Klang. So scheint auch „I’d change everything“ nicht ganz fremd und neu zu sein. Die verzerrte Stimme irritiert etwas, verschiedene Genre-Elemente lassen sich finden, sogar ein bisschen Electro scheint sich eingeschlichen zu haben. Braucht man das? Eigentlich nicht, aber es ist da und man kann es hören – muss aber nicht. Wobei der kleine Klarinettenstreit sehr fein ist.
„Glanz und Eleganz“ zeigt einmal mehr Caspars Stimme in ungewohnter Tiefe. Sie hört sich verdammt gut an, aber der Unterschied zu früher ist krass. Sie wirkt klarer, tiefer, geradliniger. Ein Novum, das die Platte eindeutig aufwertet! Der Song selbst erinnert an E-Gitarren und ganz andere Bands, aber es bleiben die üblichen Instrumente. Was Graf Lindorf und Co. aus Cello und Bass rausholen, kann sich hören lassen.
Ein bisschen Herzschmerz gibt es dann auch endlich in „Glaubtet ihr?“. Hier sind Coppelius ganz auf der alten Schiene. Es rockt, der Text fliegt, das Cello lässt die Sau raus und irgendwie passt einfach alles. Warum nicht gleich so?
Das folgende „Mitten ins Herz“ ist auch wieder das, was man kennt. „Operation“ beispielsweise schlägt in die gleiche Kerbe, es geht um Blut, Duelle und ein bisschen Krimi. Es ist gelungen, auch wenn man hier beim Refrain eine Seite entdeckt, die dann eben doch die neuen Herren markiert.
„Running free“ ist der bekannte Song von Iron Maiden, den das Berliner Quintett schon lange live performt. Bastille spielt dann auf der Bühne Schlagzeug, was sehr gut ankommt. Es ist gut, vor allem gefällt einmal mehr ein Cover, das komplett auf E-Gitarren verzichtet und trotzdem super klingt. Sie machen das gut, ihre Liebe zu Iron Maiden ist deutlich.
Gar nicht klar komme ich mit „Geschwind“. Absinth-trinkende Kinder sind mir dann doch zu suspekt, da kann ich auch nicht mehr jubeln, dass der Song richtig fetzt und schnell ist.
Der Bonustrack „Maria“ von Subway To Sally anlässlich des Bandjubiläums ist ja auch schon bekannt gewesen. Bearbeitet durch Max Coppella, wird der Song von Bastille ins Mikro geschmachtet. Nicht schlecht, aber irgendwie auch nicht so komplett gut. Entweder schmachtet er zu wenig oder er legt zu wenig Kraft in den Song.

Coppelius. Altehrwürdige Herren aus dem 18. Jahrhundert, die sich neuerfinden wollen. Der Umschwung ist deutlich zu erkennen. Extrablatt ist alles, was man nicht erwartet hat, bietet Überraschungen, die teilweise sehr gelungen sind, teilweise aber auch ein klarer Griff daneben. Waren die Berliner bisher immer etwas Außergewöhnliches und Spannendes, driften sie allem Anschein nach langsam in die Trivialität ab – das reißen die „sonderbaren“ Instrumente wie Cello, Kontrabass und Klarinette auch nicht mehr raus.
Das Album ist hörbar und gut geworden, in meinen Augen jedoch nicht das, was ich von dieser Formation hören will. Zu wenig Authentizität, zu viel Nachgeäffe eines hässlichen Mainstreams, den ich nicht einmal mehr mit dem Wunsch nach mehr Ruhm verteidigen kann. Das Gesamtkunstwerk Coppelius verblasst.
Erwähnenswert ist aber die Artwork, die einmal mehr gelungen ist und ein Miniposter enthält, wenn man das Booklet ganz aufklappt.

Anspieltipp: „Butterblume“
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Coppelius – Extrablatt
F.A.M.E. Artist Recordings, 15.02.2013
€ 14,99
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Tracklist
Spieldose
Welt im Wahn
Reichtum
Bitten Danken Repitieren
Locked out
Butterblume
Keine Kamera
I’d change everything
Glanz und Eleganz
Glaubtet ihr?
Mitten ins Herz
Running Free
Geschwind
Bonus: Maria

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