Sichtbare Sprache

Im Münchener Haus der Kunst können Kunstinteressierte sich derzeit über das Leben und Werk der in Novi Sad geborenen Künstlerin Katalin Ladik informieren. Sie ist eine Ikone der jugoslawischen Avantgarde-Kunst. Ich hatte bislang noch rein gar nichts von ihr gehört, doch ich habe das kleine Video im Internet gesehen, das vom Tag der Ausstellungseröffnung stammt.

Hier tänzelt die immerhin 80-jährige Dame schwarzgekleidet die Treppe nach oben und interpretiert ihr Werk „Opus“. Ein „O“ in allen Tonlagen und Varianten, langgezogen, lustig, traurig, fragend kommt dabei aus ihrem Mund. Am Ausstellungsanfang gibt es gleich den Experimentalfilm „Opus“ von 1972 zu sehen. Ein „O“ in allen Formen, Ladiks „O“ aus ihrem Mund in allen Tönen dazu. Die Besucher*innen werden dazu angehalten, den Titel der Ausstellung laut auszusprechen, die Lippen zu spitzen, den Buchstaben „O“ neunmal zu wiederholen, die Stimmbänder vibrieren zu lassen, eine kurze Pause vor dem Bindestrich zu machen und dann die Endsilbe „pus“ sanft auszustoßen.

Die jugoslawisch-ungarische Poetin und Performance-Künstlerin Katalin Ladik bekam 1980 nach dem Tod des jugoslawischen Staatsführer Tito das Angebot, in New York zu bleiben und zu leben, doch sie wollte zurück in ihre Geburtsstadt Novi Sad im heutigen Serbien. Sie lebt immer noch dort, abwechselnd mit Budapest und der kroatischen Insel Hvar. Sprache ist für sie auch Heimat. Sie war schon in den 70er Jahren etwas Besonderes. Mit ihren Performances tat gerade die männliche Kunstwelt sie als „nackte Dichterin“ ab, weil sie eben auch ihren Körper einsetzte.

In allen Ausstellungsräumen hört man Ladiks Stimme. Im ersten Raum hängen Collagen, die sie vorranging in den Siebzigern geschaffen hat, und die für Performances als „Partituren“ dienten. In gläsernen Vitrinen kann man sich Ladiks Leben mittels ihrer Werke vorstellen, Bücher, Schallplatten, Fotos, Briefe und vieles mehr.

Der zweite Raum lebt von den Performances. Große Fotos wie „Poemim“ und „Androgin 1 – 3″ von 1978 sieht man oder in kleinen Bildern die ganze Wand entlang, wie sie nackt zwischen Männern agiert. „Pseudo Presence“ war eine improvisierte Foto-Performance. Die Männer sollten Ladik gar nicht beachten. Doch sie war da, und wie! Es ist eine Anspielung auf Eduard Manets „Das Frühstück im Freien“ und ein Spiel mit den Themen Sexualität und Moral.

Im letzten Saal geht es um Folklore und Mythologie. Ladik hat extra für diese Ausstellung die Installation „Alice“ geschaffen. Sie spielt dabei auf eine Multimedia-Performance namens „Alice in Codeland“ an, in der sie den Prozess des Alterns thematisiert und dabei QR-Codes als Sprache nutzt.

Wer will kann dann noch einen Zusammenschnitt aus Filmen sehen, in denen Ladik mitgewirkt hat. Sie hat nämlich auch lange als Schauspielerin gearbeitet. Man lobte ihre Arbeit sehr, weil sie so natürlich mit ihrem Körper umging und ihr Ausdruck extrem stark war. In Jugoslawien wurde sie mit einigen Filmen zum Star. Deutschland muss sie noch entdecken.

Am 14. und 15. Juli ist sie für weitere zwei Performances wieder im Haus der Kunst zu sehen.

Katalin Ladik. Ooooooooo-pus
bis 10. September 2023
Haus der Kunst
Prinzregentenstr. 1
www.hausderkunst.de

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