Die zweite Headliner-Tour zeigt, ob sich die Arbeit gelohnt hat. Nach bisher drei ausverkauften Venues (Stuttgart, Köln, Frankfurt) können Lord Of The Lost sicherlich schon zufrieden sein. Die Fangemeinde ist definitiv gewachsen und auch Unzucht freuen sich über ein dankbares und begeistertes Publikum. Die zweite Headliner-Tour ist aber auch dazu geeignet, einmal Klartext zu sprechen. Bo Six, Chris „The Lord“ Harms und Class Grenayde haben sich die Zeit genommen, vor dem Auftritt in München am 26.01.2013 ein paar Fragen zu beantworten und aus dem Nähkästchen zu plaudern. Dabei werden auch unschöne und brisante Themen angesprochen, zu denen die drei klar Stellung beziehen und auch manches ins rechte Licht rücken. Während viele Musiker sich zu Gerüchten, Drogen und Familie kaum bis gar nicht äußern, haben Lord Of The Lost in diesem Interview das Schweigen gebrochen. Ein großer und wichtiger Schritt, um auch zu zeigen, wo es Grenzen gibt, wo diese leider von anderen überschritten werden und vor allem: Welche Meinung die Hamburger wirklich dazu haben. Ein offenes Interview, dass Klartext spricht.
Vielen Dank!

[embedplusvideo height=“309″ width=“500″ standard=“http://www.youtube.com/v/Lo5JlaDNNOs?fs=1″ vars=“ytid=Lo5JlaDNNOs&width=500&height=309&start=&stop=&rs=w&hd=0&autoplay=0&react=1&chapters=&notes=“ id=“ep6310″ /]

Es ist nicht alles schlecht, was Schlager ist

cover-heino-mit-freundlichen-gruessenVolksmusik, Schlager, Punk, Metal? Was treibt einen bekannten und ehemals erfolgreichen Musiker dazu, ein anderes Pferd zu satteln und durch die deutsche Musiklandschaft zu galoppieren? Es mag ein bisschen Rache sein, süße Rache, die denjenigen ans Bein pinkelt, die ihn gerne mal auf’s Korn genommen haben. Vielleicht hat Heino aber auch einen ganz anderen Beweggrund, sein neues Album Mit freundlichen Grüßen auf den Markt zu schmeißen, über das sich die Mäuler zerrissen werden. Es ist ein gewagtes Projekt, aber eines, das Mut beweist und Aufmerksamkeit verdient. Man kann zu dem Musiker stehen, wie man möchte – und sicherlich gibt es eine Generation, die bei Heino genauso ausgerastet ist, wie eine jüngere, die es bei Rammstein oder Peter Fox tut.
Was hat Heino denn gemacht? Nun, er hat bekannte deutsche Bands gecovert und aus harten Reindreschversionen zärtliche Kuschelschlagermusik gemacht. Das ist an sich nichts Schlimmes, denn nicht nur Die Ärzte haben den einstigen Star oft genug auf’s Korn genommen, da musste irgendwann die Quittung kommen. Ob sich die Formationen allerdings wirklich derart alteriert haben, ist umstritten und bleibt wohl auf ewig eine pure Einbildung der BILD-Zeitung. Dass die Kunde dieses Projekts erst eine Woche vor Release in die Lande getragen wurde, war eine perfekt durchdachte Marketingstrategie, die voll aufgegangen ist. Natürlich möchte man hören, was Heino aus den bekannten Songs gemacht hat, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Vorverkaufszahlen in die Höhe geschossen sind und die Platte schnell auf Platz 1 in den Amazon-Verkaufscharts stieg. Aber wie klingt er denn nun, was hat sich der Musiker ausgedacht und wie berechtigt ist denn eigentlich die ganze Aufregung?

„Junge“ von der deutschen Punkrock-Legende Die Ärzte war das einzige Lied, das man im Vorfeld als komplette Coverversion anhören konnte und daher bietet es keine Überraschungen mehr. Es klingt gut. Ja, es ist eine andere Stimmlage, aber wenn man sich darüber aufregt, dann sucht man wirklich in Krümeln. Der Sound ist gleichgeblieben, nur geringfügig abgeschwächt. Die Version geht ins Ohr und Heino hat gut umgesetzt, was vor einigen Jahren vorgegeben worden war.
Es folgt eine ganz andere Musikrichtung und leicht hüpfend präsentiert sich „Haus am See“. Peter Fox hat unter anderem damit Erfolg und auch hier muss gesagt werden, dass die Umsetzung nicht schlecht ist.
Vielleicht sollte man das mal übergreifend erwähnen: Im Gegensatz zu manch anderer Coverversion, die das Original so verfremdet, dass man es nicht mehr erkennt, hat sich Heino nicht an den Songs vergriffen. Die Melodien sind geblieben, nur andere Instrumente wurden verwendet und es ist langsamer geworden. Die Härten, der Bass, die Drums, das fehlt alles. Stattdessen hört man ruhige – und immer sehr ähnliche – Töne, viele Blechbläser, die natürlich an Volksmusik und Schlager erinnern, die an die Abende vor dem Fernseher entführen, als man mit den Großeltern Musikantenstadl geschaut hat. Ist das schlimm? Nein, ist es nicht! Es ist eine andere Interpretation, es ist eine interessante Herangehensweise, aber es ist nicht vernichtend schlecht, so dass man Heino den Mund zukleben möchte.
Womit wir beim Gesang wären. Natürlich kennt man Heino und weiß, wie er die Haselnuss und den Enzian besungen hat. Waren das langweilige, triste, langsame Kuschelsongs? Nein, eben nicht. Da steckte Schwung drin, auch wenn die Musikrichtung nicht jedermanns Geschmack war.
Zurück zum Album. Sportfreunde Stiller müssen auch dran glauben, denn „Ein Kompliment“ wird gesungen. Während der Band immer wieder vorgeworfen wurde, gesanglich hätte sie es mal so gar nicht drauf, konnte sie dennoch Erfolge verbuchen – nicht zuletzt wegen des WM-Songs „’54, ‘74, ’90, 2006 (2010)“. Das Cover ist gut, das muss man Heino nun wirklich zugestehen. Gesanglich hat er einen Tick mehr drauf – auch wenn Sportfreunde Stiller gerade durch die kleinen Unstimmigkeiten so sympathisch rübergekommen sind.
Ein wirklicher Griff in den Misthaufen ist das Oomph!-Cover. „Augen auf“ hat doch erheblich mehr Power und gerade dieser lauernde Aspekt, der das Original während der Strophen beherrscht, bis der Refrain reinbrüllt, fehlt leider komplett. Es ist eine Interpretationsweise, die ihre Berechtigung hat, aber nicht unbedingt gefallen muss.
An dieser Stelle sollte man sich einmal nach der Zielgruppe fragen. Möchte Heino am Ende die ältere Generation ansprechen und sie auf das Liedgut der Jungen aufmerksam machen? Möchte er den Freunden von Karl Moik und Florian Silbereisen beweisen, dass die Texte der Charts und die Hits der Jugend hörbar sind und die Texte eine Überlegung wert? Dass da vieles drinsteckt, was uns die Alten auch gerne raten?
Dem folgenden Lied fehlt Power. Zwar ist das Original kein reinrammender Knallersong, aber er ist düster und tief und … es ist Rammstein! Hier kann Heino leider gar nicht punkten, auch wenn „Sonne“ schon immer etwas getragener war. Das Cover plätschert dahin und man möchte einfach losbrüllen, mitzählen und … man kann es nicht. Schnell vorspulen!
Clueso hat es ebenfalls getroffen und ihr „Gewinner“ könnte ohnehin aus der HEINO-Ecke stammen. Möglicherweise ist das auch der Grund, weshalb diese Interpretation so absolut stimmig ist – und mir besser gefällt als das Original. Für mich kommt hier mehr Gefühl rüber.
Dadurch, dass der Sound zwar abgespeckt ist, aber nicht verändert, erkennt man die Songs sofort. Stellenweise kann man von einem liebevollen Umgang sprechen und auch beim Hit „Liebeslied“ von Absolute Beginner kommt die Seele des Stücks raus. Ich würde es nicht gerade den besten Rap der Welt nennen, aber Heino macht es gut! Welch versteckte Talente kramt dieser Mann denn noch aus?
Gut, Nena ist jetzt nicht das nächste Talent des Musikers. Es fehlt einfach die weibliche Stimme, die lasziv und sehnsüchtig den Text ins Mikro seufzt. Nena ist einfach sie selbst und sie zu covern ist schwierig und nein, dieser Mann schafft es nicht. Vielleicht ist hier auch zum ersten Mal störend, dass alles gleich geblieben ist und keine neuen Töne zu hören sind. Ohne Kenntnis des Originals ist es gut und „Leuchtturm“ zieht mit – dazu lässt sich beim nächsten Seniorentanztee das Tanzbein schwingen!
Stefan Remmler – wie bitte, wer? Nein, der passt so gar nicht in diese Liste. Zu RammsteinDie Ärzte und Co. passen Schlager so gar nicht – und beweisen gleichzeitig, dass Heino genau das drauf hat. Schlager, ein bisschen tragisch, langsam, schunkelig. Es wird denen weniger gefallen, die sowieso nichts mit Schlagern anfangen können, alle anderen müssen dem Altmeister zugestehen, dass diese Interpretation verdammt gut ist und eine kleine Hommage an Remmler und seinen „Vogel der Nacht“.
Der Titelsong „MFG“ hat der Welt vor vielen Jahren gezeigt, dass Abkürzungen so verdammt nervig sein können. Lalala lalala, ein bisschen einschläfernd ist es ja schon, das Original wie auch der Abklatsch. Und nein, Fanta4 hat mich damit nicht vom Hocker gerissen und Heino schafft das auch nicht, wobei ihm auch noch der Pepp fehlt, der das Original wenigstens hörbar gemacht hatte.
Leider ist Keimzeit auch nicht gerade der Brüller und „Kling Klang“ fasziniert mich in keiner Version. Aber das ist Musik, die unsere Eltern hörten und die auch heute noch auf Bayern1 zieht. Es ist okay, tanzbar und vielleicht der Versuch, der jungen Generation nun die ältere etwas näherzubringen. Misslungen, leider.
Zuletzt schallt „Willenlos“ von Marius Müller-Westernhagen aus den Boxen. Nein, man covert den Meister nicht so unschuldig. Entweder lässt man sich was richtig Geiles einfallen oder man lässt die Finger davon. Westernhagen ist einfach Westernhagen und da hat Heino auch danebengegriffen.

Heino. Ein Mann, eine Musik, eine Idee – und ganz viel Mut! Das Album Mit freundlichen Grüßen ist definitiv hörbar. Für alle. Die Jungen, die Alten, die Schlagerfans, die Hardrocker. Er kann was, und das hat er bewiesen. Dieser Silberling hat seine Berechtigung und man muss ihn nicht mal gut finden, aber die Idee und das Werk doch anerkennen. Wie nahezu jede Scheibe ist auch diese hier gemischt mit guten und schlechten Sachen, was immer eine persönliche Meinung ist und nur ganz selten wirklich objektiv gesagt werden kann. Heino hat sich in die Schlagzeilen gebracht – und die ein oder andere Band auch wieder. Hört rein, amüsiert Euch, aber seid ehrlich: Es ist nicht alles schlecht, was Schlager ist!

Anspieltipp: Ein Kompliment, Junge

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch2: :mosch2:


Heino – Mit freundlichen Grüßen
Starwatch Entertainment, 2013
14,99 € Amazon

Tracklist:
Junge
Haus Am See
Ein Kompliment
Augen Auf
Sonne
Gewinner
Liebeslied
Leuchtturm
Vogel Der Nacht
MFG
Kling Klang
Willenlos

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

rockoholicJody ist ein Teenie und steht total auf die Regulators, eine angesagte Rockband. Auf das Konzert hatte sie sich wochenlang gefreut, doch dann starb ihr Opa, der einzige Mensch, der cool war und sie verstanden hat. Sie sprengt die Beerdigung, woraufhin ihre Mutter die Eintrittskarte zerreißt. Das war’s dann wohl. Doch Mac, Jodys bester Freund, fährt sie nicht nur zum Gig, sondern schenkt ihr auch seine Karte. Stundenlang steht sie an, wird vollgekotzt und steht endlich, endlich in der zweiten Reihe vor Jackson Gatlin, dem Sänger, den sie über alles liebt. Nach drei Songs verliert sie ihren Mondstein, das letzte Erinnerungsstück an den geliebten Großvater, wird aus der Menge gezogen, Jackson reicht ihr den Stein und es wird schwarz. Als sie aufwacht, hat sie eine Platzwunde am Kopf und das Konzert ist für sie vorbei, doch dann kommt Jackson ins Krankenlager und ein anderer der Band stürzt schwer. Jody sieht ihre Chance und entführt den Sänger. Und jetzt?

Der Roman beginnt rasant und verliert dann ein wenig an Fahrt, ohne wirklich langweilig zu werden. Skuse beschreibt ausführlich, was Fans auf sich nehmen, um in die erste Reihe zu kommen und die Aufmerksamkeit des Stars auf sich zu ziehen. Auch wie viel Geld ausgegeben wird für Shirts, Special Editions usw. thematisiert die Autorin. Dass Jody total besessen ist und Jackson unbedingt kennenlernen muss, weil sie die Richtige für ihn ist, ist derart aus dem Fanleben gegriffen, dass man einige Fanatiker vielleicht besser verstehen kann, sich aber auf jeden Fall sehr gut in die Protagonistin hineinversetzen kann, die an nichts anderes mehr zu denken scheint – und dabei gerne auch anderen vor den Kopf stößt und gar nicht merkt, dass ein viel erreichbarer Mensch sie über alles liebt.
Nach der Entführung des Rockstars muss dieser erst mal auf kalten Entzug in der Garage verweilen und Jody lernt eine ganz andere Seite des Mannes kennen, den sie so sehr zu lieben glaubte. Ohne Kameras und zurechtgelogenem Charakter wirkt Jackson wie ein normaler Mensch, ohne Glanz, Glamour und Seelenverwandtschaft. Ein bisschen sehr hart landet Jody auf dem Boden der Tatsachen und verliert beinahe auch noch ihren letzten Halt, Mac, der ihr immer den Rücken stärkte.
Die Geschichte ist einfühlsam und größtenteils lebensnah. Sie zeigt auf, dass Schwärmereien zwar okay sind und dazu gehören, dass aber in Wirklichkeit nichts so ist, wie die Medien es darstellen. Skuse gibt einen Einblick in das Seelenleben eines Teenagers, der langsam erwachsen wird und merkt, dass die Welt nicht aus Tagträumen besteht, sondern aus der Realität, mit der man klarkommen muss. Die Protagonistin lernt in zwei Wochen sehr viel über sich selbst und eine mediale Scheinwelt, und macht wichtige Erfahrungen. Vor allem aber bemerkt sie endlich, wer wirklich zu ihr steht und wichtig in ihrem Leben ist.

Eine spannende Geschichte, die sich sehr schnell liest und ein tolles Jugendbuch ist. Aber auch Erwachsene werden ihr Lesevergnügen haben und sich vielleicht in der einen oder anderen Szene wiederentdecken können.

C.J. Skuse, Jahrgang 1980, lebt in England und liebt Sitcoms der 80er Jahre. Sie schreibt gerne über Jugendliche auf der Suche nach sich selbst, die alles sind, nur nicht einfach. Rockoholic ist ihr zweiter Roman.

:lesen::lesen::lesen::lesen::lesen:


C.J. Skuse – Rockoholic
Carlsen Verlag, 2013
448 Seiten, Hardcover
€ 16,95 (€ 11,99 eBook)
Carlsen
Amazon

Die Gezeiten einer Band

img_4390Aus Hamburg kommt eine Gothic-Doom-Metal-Band, die seit 15 Jahren Musik macht. Das Trio hat bereits mehrere CDs produziert und gibt auch auf der Bühne richtig Gas. My Tide sind vielseitig und erfinden sich selbst immer wieder neu, so kommt keine Langeweile auf. Stefan Frost, Sänger der Band, hat sich zu einem Interview bereit erklärt und bringt uns My Tide ein bisschen näher.
Kyra Cade: Stellt Euch bitte kurz vor.
Stefan: Die Band My Tide besteht derzeit wieder aus drei Musikern und das wird wohl auch so bleiben. Tobias Norff macht bei uns den Bass, die Vocals und Keyboards, Jörn Dackow spielt die Drums und ich (Stefan Frost) bin für die Gitarre und ebenfalls für die Vocals und Keyboards zuständig. Tobias und ich teilen uns die Stimmen, um so mehr gesangliche Bandbreite zu erlangen. Er growlt und ich singe klar bis halb klar mit angerauter Stimme. Seit dem Jahr 1997 sind wir jetzt mit My Tide unterwegs, Jörn stieß 2007 dazu, nachdem unser vorheriger Drummer ausgestiegen war. Angefangen haben wir mit weiblichen Vocals und Drum-Computer, im Laufe der Zeit entschieden wir uns aber für einen Drummer aus Fleisch und Blut, außerdem passen männliche Vocals besser zu unserem Stil. Seitdem haben wir mehrere Demos und Alben produziert, waren auf Samplern zu hören und haben natürlich einige Live-Konzerte gegeben.

K.C.: My Tide ist ein Bandname, den man nicht sofort verstehen und einordnen kann. Könnt ihr erklären, wie es zu dem Namen kam?
S.: Tobias und ich kamen auf den Namen 1997. Wir hatten damals noch nichts Passendes gefunden, also verabredeten wir uns zum Essen, um zu überlegen, was am besten zu uns und unserer Musik passen würde. Da wir eine sehr enge Bindung zum Wasser und dem Meer haben, wir sind ja Nordlichter, wollten wir einen Namen haben, der das auch wiedergibt. Übersetzt heißt der Name My Tide „Meine Gezeiten“. Tide kommt von Tidenhub, also dem Scheitelpegel einer Flut und dem untersten Pegelstand einer Ebbe. Da unsere Texte hauptsächlich die Gedanken unseres realen Lebens wiederspiegeln und das Leben auch Höhen und Tiefen für uns bereit hält, entschieden wir uns letztendlich für den Namen My Tide, also „Meine Gezeiten“.

K.C.: Welches Genre bedient ihr?
S.: Unsere heutige Musikrichtung würden wir wohl am ehesten als eine Mischung aus Gothic, Metal und Doom beschreiben. Allerdings sind wir sehr offen für andere Einflüsse, so waren auf unserer letzten CD beispielsweise auch Blackmetal-Einflüsse zu vernehmen. Ich kann gar nicht genau sagen, ob wir nur ein spezielles Genre abdecken. Unsere produzierten CDs waren dafür sicherlich zu unterschiedlich. Wenn wir zum Beispiel das 2007 produzierte Album Love, lies, anguish nehmen, das wirklich sehr melodische und poppige Songstrukturen innehat und es der letzten CD This cold age gegenüberstellen, mit weitaus mehr Doom- und Blackmetal-Einflüssen, dann müsste ich sagen, wir decken das Gothic-Genre genauso ab, wie zum Beispiel die Fraktion der Hörer, die auf eher härtere Klänge stehen. Es ist eben ein Prozess; auf der bald erscheinenden CD wird es beispielsweise eine gekonnte Mischung aus den beiden vorherigen genannten CDs geben. Wir machen keine Musik um ein Genre zu bedienen oder einer Strategie zu folgen. Wir sind eben Musiker und machen Musik, die uns gefällt.

K.C.: Euch gibt es bereits seit 1997. Mit welchen Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen habt ihr My Tide aus der Taufe gehoben?
S.: Ich denke, wir unterschieden uns mit unseren Erwartungen nicht von anderen Musikern. Wenn man anfängt selbst Musik zu machen, hat man beispielsweise den Traum auf einer Bühne seine Musik anderen Menschen zu präsentieren, die im Idealfall die Musik dann auch gut finden. Da spielt sicherlich auch immer eine Portion Narzissmus eine Rolle. Natürlich hat man mit Anfang 20 den

Traum, einen guten Label-Vertrag zu bekommen und von seiner Musik leben zu können. Das relativiert sich mit den Jahren. Ich habe mit der Zeit so viele Musiker kennengelernt, die wirklich nichts anderes machen als Musik und wirklich nicht gut davon leben können. Unterhält man sich oberflächlich mit diesen Menschen, dann klingt das Profi-Musikerdasein immer sehr blumig, fragt man näher nach, dann erkennt man schnell, dass diese Musiker sich häufig am Existenzminimum bewegen. Nur die wenigsten können sehr gut davon leben, daher sind wir alle drei froh, uns in anderen Bereichen hauptberuflich etabliert zu haben.img_4417

K.C.: Hat sich alles erfüllt?
S.: Teilweise schon, immerhin haben wir insgesamt fast sechs CDs produziert und durften unsere Musik häufig anderen Menschen präsentieren, ob nun live, im Internet oder auf Sampler-Beiträgen. Das mit dem Label hat bis heute leider nicht funktioniert. Allerdings hatten wir 2002 einen Vertriebs-Deal mit Twilight Distribution, unser Album Impressions from a dying world war damals beispielsweise bei Mediamarkt und Saturn erhältlich. Mein größter Wunsch hat sich allerdings erfüllt, nämlich dass ich nach 22 Jahren des GitarreSpielens immer noch nicht müde bin, weiterhin Musik mit Leidenschaft zu produzieren und diese dann anderen Menschen zu präsentieren.

K.C.: Was war bisher das absolute Highlight? 
S.: Als Highlights würde ich unsere Club-Konzerte zwischen 2002 und 2005 bezeichnen. Bei diesen Konzerten haben wir viele musikbegeisterte Menschen kennengelernt, mit denen wir einen guten Austausch hatten.

K.C.: Ihr sagt selbst, ihr erfindet euch immer wieder neu. Heißt das im Umkehrschluss, ihr habt euch noch nicht gefunden?
S.: Um auf jeder CD immer wieder dasselbe zu machen, sind wir uns zu schade. Ich würde sagen, wir ergänzen den Stil der vorhergegangenen CD mit wieder neuen Einflüssen. Das „immer wieder selbst erfinden“ ist tatsächlich eine Tatsache, zu der wir uns selbst verpflichtet haben. Wenn ich mir heute Bands anhöre, die ich bereits vor 10 Jahren gehört habe und sie klingen heute immer noch genauso, dann kann es meiner Meinung nach nur an zwei Dingen liegen.
Erstens: Die Band hat keine Ideen.
Zweitens: Sie müssen die Fans mit immer demselben Stil bedienen, wie bereits vor zehn Jahren, um diese nicht zu verlieren.
Die Angst etwas Neues auszuprobieren haben wir nicht. Natürlich spielen beim Songwriting-Prozess auch äußere Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel die Stimmung der Musiker. Ich denke, wir erfinden uns immer wieder neu, ohne den roten Faden zu verlieren.

K.C.: Bisher sind fünf Alben von euch erschienen, die auch richtig reinhauen. Gibt es eins, das ihr besonders empfehlen würdet?
S.: Mein persönlicher Favorit ist das Love, lies, anguish-Album. Wir hatten 2007 ganze zwei Jahre für das Songwriting und die Produktion aufgewendet, weil die äußeren Umstände dies zuließen. Ich denke, das hört man der CD an. Tobias würde an dieser Stelle sicherlich unser letztes Album This cold age nennen, weil er eher auf einen sehr rohen Sound steht.

img_4489K.C.: Wer schreibt bei euch die Songs?
S.: Das variierte bislang von CD zu CD. Das Songwriting für unsere erste Demo Tired haben Tobias und ich gemeinsam gemacht. Das zweite Demo Sounding Lead habe ich komplett alleine geschrieben und aufgenommen. Zu unserem ersten Album Impressions from a dying world habe ich die Musik geschrieben und Tobias die Texte. Genauso haben wir das bei dem zweiten Album Love, lies, anguish gehandhabt. Für unsere letzte CD This cold age hat Tobias fast (bis auf einen Titel) die komplette Musik und die Texte im Alleingang geschrieben. Ich habe mich quasi nur noch ins Studio begeben, um die Gitarren einzuspielen und meine Gesangsparts beizusteuern. Die bald erscheinende Scheibe ist ein Gemeinschaftsprodukt von allen drei Musikern. Wir verfolgen beim Songwriting-Prozess keine Regeln.

K.C.: Gibt es Themen, die ihr am liebsten besingt?
S.: Wir schreiben über Dinge, die die Menschen beschäftigen (außer Bildzeitungsleser vielleicht). Es geht viel um zwischenmenschliche Beziehungen (nicht nur Frau/Mann-Beziehungen) und den Umgang damit. Dabei schildern wir unsere teilweise sehr skurrilen Gedanken, die sicherlich häufig nicht leicht nachzuvollziehen sind. Im Schwerpunkt geht es in den Texten, zur Musik passend, um die Schattenseiten und Abgründe des menschlichen Daseins.

K.C.: Kann man My Tide auch außerhalb Hamburgs live erleben?
S.: Natürlich, wir sind zu jeder Schandtat bereit und sind auf Hamburg nicht festgelegt.

K.C.: Wo würdet ihr gerne mal auftreten?
S.: Wacken wäre für uns sehr attraktiv, dann müssten wir nicht mal besonders weit fahren.

K.C.: Wer inspiriert euch?
S.: Musikalisch haben uns häufig skandinavische Bands inspiriert. Die alten Sachen von Sentenced finden wir sehr gut. Intelligente Musik in Verbindung mit ausdrucksstarken Texten, die über das 08/15 Larifari hinausgehen. Als einzelnen Musiker muss ich hier auch noch mal Taneli Jarva nennen. Er war früher Sänger bei Sentenced und ist mittlerweile Kopf der Band The Black League. Seine Stimme, seine Texte und sein Songwriting sind außergewöhnlich. Wir mögen generell Bands, die einzigartig sind. Wer braucht schon den 100. Klon von Band x oder y.

img_4498
K.C.: Welche Pläne habt ihr für die nahe Zukunft?
S.: Wir wollen jetzt erst mal unsere aktuelle CD fertigstellen und danach so oft live spielen wie möglich.

K.C.: Ein paar Worte zum Abschluss?
S.: Wir möchten uns bei Dir für das Interview bedanken und STAY METAL!

K.C.: Vielen Dank für das Interview!

Mehr über die Band erfahrt ihr im Bandblog, dort gibt es auch die CDs zu bestellen.

Fotos by My Tide.

New Wave Look in der Garage

Visage? Ja, der Name kommt mir doch bekannt vor. Hatte diese Band nicht den Hit „Fade to Grey“?
Richtig! Und die kommen nach all den Jahren nach München in die Garage? Das konnte ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen. So dachte anscheinend nicht nur ich, denn an dem kalten Samstagabend hatte sich vor dem Einlass eine recht ordentliche Schlange gebildet. Bibbernd standen die aufgestylten Fans in der Kälte und sehnten sich in den warmen Club.
Und dieser füllte sich rasend schnell. Zur Einstimmung in den Abend legten DJ Bat und DJ Siggi Sputnik ein paar Scheiben auf. Ein paar tanzten, die anderen holten sich Getränke und verloren sich in Gespräche mit Freunden.

Eigentlich sollte Hubert Kah als Support fungieren, doch aufgrund gesundheitlicher Probleme musste er das Konzert absagen. Als Ersatz sprang die Nürnberger Electroclash Gruppe Die Perlen ein.
Seit über 10 Jahren machen Ferdinand Ess und Katja Hah Musik und dazu brauchen sie nicht viel. Für andere Musiker ist die Bühne in der Garage eigentlich immer fast zu klein, doch für Die Perlen reichte der Platz, um bequem darauf zu performen. Pünktlich starteten sie gleich mit einem neuen Titel ihres aktuellen Albums: Zurück
Der Klang, sowie Texte waren etwas ungewöhnlich, aber nachhaltig. Das Publikum war zunächst etwas zurückhaltend, gewöhnte sich aber schnell an die Musik und applaudierte brav nach jedem Song. Man merkte deutlich, dass sie das Ganze noch nicht so wirklich in eine Richtung zuordnen konnten. Katja und Ferdinand hatten sehr viel Spaß auf der Bühne, sie lachten viel, alberten mit dem Publikum und versuchten es immer wieder zu animieren, was leider nur teilweise gelang. Die ersten Reihen standen eher wie Zinnsoldaten im Setzkasten an der Bühne, ohne Regung in Mimik und Körper. Doch davon ließ sich die Band nicht beirren und sie spielten ihr Liedgut aus neuen und alten Werken ordentlich ab. Von Deutsch und Englisch bis hin zum Französischen war alles dabei, sie boten eine große Vielfalt und Abwechslung. Für mich mal etwas ganz anderes. Ein sehr schöner Auftritt, den die beiden sicherlich sehr genossen haben. Ein paar Fans werden sie auch dazugewonnen haben.

Bis zum Auftritt von Visage schien eine Ewigkeit zu vergehen. Die Djs spielten immer wieder eine neue Platte an und so langsam wurde das Publikum ein wenig ungeduldig. Auf der Bühne hatte sich während der Umbauphase nicht viel getan. Zwei Mikrophone standen einsam herum und warteten auf Einsatz. Dann endlich kam das Zeichen für die Djs und die Musik verstummte. Steve Strange betrat als erster die Bühne gefolgt von einer blonden, sehr hübschen Sängerin. Steve kam elegant in Anzug mit Hut, die letzten Jahre sind sichtlich nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, auch wenn ein paar Fältchen durch Botox verschwunden sind. Dank des tollen Make ups fielen die restlichen nicht ganz so stark auf. Aber er strahlte und startete auch mit vollem Elan in sein Programm. Am Anfang dachte ich, er wäre ein wenig nervös, weil er recht offensichtlich stark zitterte, doch im Laufe des Auftrittes bekam man immer mehr das Gefühl, dass Herr Strange nicht ganz nüchtern auf der Bühne stand. Er hatte sich, bis auf kleine Stolperer, soweit ganz gut unter Kontrolle. Vor der Veröffentlichung dieses Artikels wollte ich aber sicher gehen und kontaktierte den Veranstalter. Dieser dementierte das Gerücht um den vermutlichen Alkoholkonsum, Steve kam wohl erst recht spät in der Garage an, hatte Grippe mit Fieber und war wirklich sehr aufgeregt. Der Gesang kam wohl deshalb leider hauptsächlich vom Band, hin und wieder hörte man seine eigenen Töne, die auch auf Anhieb saßen und klar rüberkamen. Die Blicke der Anwesenden sprachen dennoch Bände, doch sie jubelten und applaudierten dem Künstler zu, feierten den einstigen Star, der auf der Bühne sein Bestes gab und sichtlich viel Spaß hatte. Er genoss den Auftritt nach so langer Abstinenz. Er schüttelte immer wieder Hände im Publikum, tanzte wild mit dem Mikrofonständer über die Bühne und freute sich über das zahlreiche Erscheinen. Seine Ausdrucksstärke hatte er in den ganzen letzten Jahren nicht verlernt. Selbst eine kaputte Hose am Ende brachte ihn nicht in Verlegenheit.

Seine Begleitung ging ein wenig unter, trotz des aufwändigen Stylings kam ihre Stimme leider nur teilweise hervor. Sie stand immer ziemlich abseits, wirkte schüchtern und sang stets in die Richtung von Steve Strange. Als hätte sie ständig ein wachsames Auge auf den Sänger gelegt. Der Auftritt war zu schnell vorbei, ein paar alte bekannte Songs wie „Night Train“ waren dabei. Doch der grosse Hit fehlte noch. Vor der Zugabe zog sich Steve Strange kurz in den Backstage Bereich zurück, lange ließ er sich nicht zurück bitten und zum Abschluss gab es dann natürlich das berühmte „Fade to Grey“, welches er mit voller Inbrust und Leidenschaft performte.
Ich fand es schade, dass dieses Konzert schon zu Ende war, man war gerade warm geworden und hatte Fahrt aufgenommen. Bin gespannt, wann wir Visage mal wieder in Deutschland sehen dürfen, es war ein Genuss, eine Erinnerung an alte Zeiten und schon das Auftreten des Künstlers war der Besuch wert. Ein wunderbarer Abend.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Weitere Bilder von Steffi Schaaf: FanniPics

Verdammt viele Fragen

Seit der Kindheit gehen Alan, Rick, Donald und Bernhard durch dick und dünn. Doch dann begeht Bernhard Selbstmord, wählt den Freitod in einer einsamen Kellerwohnung. Geschockt begeben sich die drei verbliebenen Freunde in die Wohnung des Toten, um in den Habseligkeiten nach Erinnerungsstücken zu suchen. Sie denken, dass er sich aus Schwermut das Leben genommen hat, doch dann erhalten sie Post von dem toten Bernhard, eine bespielte Kassette. Diese führt sie zu einem dunklen Geheimnis und in ein „blutiges Frühjahr“.

Nachdem ich bereits einige Bücher anderer Festa-Autoren gelesen hatte, fehlte mir jetzt noch einer: Greg F. Gifune
So schnappte ich mir eines der angebotenen Werke und machte es mir voller Erwartung auf der Couch bequem.
Im Gegensatz zu vielen anderen Rezensenten, die gleich von der ersten Seite an begeistert und gefesselt waren, hat es bei mir ziemlich lang gedauert, ehe ich mich in die Geschichte eingelesen habe. Zu Beginn werden die Charaktere vorgestellt. Drei Männer, die sich seit der Kindheit nie getrennt haben, jetzt so langsam auf die 40 zugehen und mit alltäglichen Problemen zu kämpfen haben. Ohne Besonderheiten, es könnte auch der Nachbar von nebenan sein.
Die besprochene Kassette bringt dann endlich Leben in das Buch. Alan kämpft die ganze Zeit schon mit Visionen und Albträumen, die schwer an seiner Psyche kratzen und auch an seinem Leben und seiner Beziehung. Doch er steigert sich immer weiter rein, er möchte einfach die Wahrheit erfahren. Ab da hat mich das Buch dann nicht mehr losgelassen, natürlich will der Leser selber herausfinden, was Bernhard so getrieben hat. Ich fühlte mich zeitweise selbst wie Alan. Die drei Freunde dringen immer weiter in die Vergangenheit ein und kommen bald hinter das Geheimnis von Bernhard, der anscheinend, ohne ihr Wissen, völlig besessen und wahnsinnig war.

Der Schreibstil ist klasse, Greg F. Gifune beschreibt wichtige Details sehr genau, und unwichtige Sachen werden kurz und schmerzlos in zwei Sätzen zusammengefasst. Er konzentriert sich auf das Wesentliche. Viel Blut darf man nicht erwarten, der Autor arbeitet mit der Psyche des Lesers und versteckt das Grauen hinter ausführlichen Sätzen. Das Bild im Kopf baut sich auf. Und auch wenn man es regelrecht wegschütteln möchte, man kann es nicht, denn es kommen immer wieder neue hinzu, die einen regelrechten Film abspielen. Er hebt sich mit seinem Schreibstil etwas von den anderen Horrorautoren ab und gibt der Geschichte eine ganz besondere Note.

Dieses Buch ist nervenaufreibend und dramatisch, spannend bis zum Schluss, ein reines Lesevergnügen mit abenteuerlichen und grauenhaften Elementen. Ein Autor, der sein Talent sehr gut ein- und umsetzen kann. Nach anfänglichen Schwierigkeiten konnte das Buch sämtliche Erwartungen erfüllen und bekommt von mir eine absolute Leseempfehlung.

Zum Autor:
Greg F. Gifune wurde am 12. November 1963 in Framingham, Massachusetts geboren. Er gilt als einer der besten Thrillerautoren seiner Generation. Er hat bereits zahlreiche Romane veröffentlicht. Ihr dunkel-melancholischer Ton hat ihm unter Kritikern und Lesern fanatische Fans gesichert. Er lebt mit seiner Frau Carol und einer ganzen Schar Katzen in Marion, Massachusetts.

:lesen: :lesen: :lesen: :lesen: :lesen:

Greg F. Gifune
Verlag: Festa Verlag (20.03.2011)
416 Seiten
Originaltitel: The Bleeding Session
€ 13,95
Amazon

 Gogol im Fritsch-Panoptikum

Nikolai Gogol: Der Revisor

Residenztheater München

Wie schön haben sie es sich doch eingerichtet in ihrem Dorf irgendwo in der russischen Provinz: Vor allem die Stadtoberen – der Bürgermeister, der Richter, der Leiter des Krankenhauses, der Polizeichef und andere Honoratioren – pflegen eine Mischung aus vollkommener Pflichtvernachlässigung und „Leben und leben lassen“-Toleranz. Das einzige, was die Gemeinschaft noch am laufen hält, ist das von jedem jederzeit gern angenommene Schmiermittel Geld.

In diese korrupte Beschaulichkeit platzt auf einmal die Ankündigung, ein Revisor aus der Hauptstadt werde den Ort und seine Bewohner auf Herz und Nieren prüfen. Und es herrscht Einigkeit: Wer anders soll das sein als der vornehme Herr, der schon seit zwei Wochen mit seinem Diener im Gasthof wohnt, freilich ohne bisher auch nur eine Kopeke bezahlt zu haben? Dass der aber nur ein kleiner, mittelloser Beamter auf der Durchreise ist, der den Irrtum jedoch rasch erkennt und finanziell wie amourös weidlich ausnutzt, wird allen erst nach seiner Abfahrt klar.

Soweit das Grundgerüst von Nikolai Gogols 1835 entstandener Komödie. Daraus könnte man einen schön bebilderten, ebenso feinsinnigen wie harmlos netten Abend machen, doch wer die letzten Arbeiten von Regisseur Herbert Fritsch verfolgt hat, vor allem seine Oberhausener Nora aus dem Jahr 2010 und die zum Berliner Theatertreffen 2012 eingeladene(S)panische Fliege, der weiß, dass dies nicht seinem Stil entspricht.

Fritsch versucht nicht zu psychologisieren, er steht vielmehr für ein extrem körperliches, die Charaktere überzeichnendes Theater, bei dem alles erlaubt ist außer Langeweile. Und dementsprechend ist auch sein Revisor ein slapstickhafter Parforceritt in Hochgeschwindigkeit.

Das Bühnenbild, für das ebenfalls Herbert Fritsch verantwortlich ist, zeigt kein russisches Dorfidyll, sondern ein rundes Dutzend hintereinander gehängter durchsichtiger Plastikplanen in Hausform, die herauf- und hinuntergefahren werden können. Diese auf das Symbolische reduzierte Kulisse bevölkert ein bleich geschminktes Panoptikum fast schon zombiehafter Gestalten: die Männer verwahrlost anmutend mit strähnigen, gelblichen Haaren, gekleidet in schmutziges beige-grau, die Frauen schrille Püppchen mit monströsen Frisuren (Kostüme: Victoria Behr).

Die Nachricht von der Ankunft des Revisors löst Panik in dieser seltsamen Gesellschaft aus und macht aus ihr einen aufgescheuchten, hysterisch überdrehten Hühnerhaufen. Sebastian Blomberg als dieser (vermeintliche) Revisor Chlestakow ist ein tuntig wirkender Schönling im engen rosa Anzug, der seinem Diener Ossip (Stefan Konarske, der die vom Rezensenten besuchte Vorstellung bewundernswerterweise mit Bänderriss auf Krücken spielte) gerne mal den Hintern tätschelt, dennoch aber auch erfolgreich der lokalen Damenwelt nachsteigt (Barbara Melzl als lüsterne Gattin des Bürgermeisters, Britta Hammelstein als dessen piepsig-mädchenhafte Tochter).

Vor ihm buckeln und kriechen alle, und das im wörtlichen Sinne. Die Furcht vor der Enttarnung ihres korrupten Gemeinwesens macht aus den Obrigkeiten armselige Speichellecker, deren Angst sich in verzerrter Mimik und grotesk verdrehten und verrenkten, nahezu nie stillstehenden Körpern ausdrückt. Chlestakow nutzt jeden einzelnen gnadenlos aus und erleichtert ihn um sein Geld. Die Szenen mit ihm und seinen jeweiligen Opfern sind teils herrlich absurde Kabinettstückchen mit pantomimisch geschwungenen Säbeln oder skurrilen Spielchen mit einer von Mund zu Mund weitergegebenen Zigarre.

Das ist schräg, schrill und hemmungslos albern, und vor allem in der ersten Hälfte der Aufführung wird der Klamauk bis an die humoristische Schmerzgrenze (und mitunter auch darüber hinaus) getrieben. Dazu trägt auch die sehr freie, mit mal mehr, mal weniger originellen Wortspielen nicht geizende Textfassung von Sabrina Zwach bei.

Doch zwischendurch stoppt plötzlich das sich rasant drehende Komödienkarussell abrupt, und Fritsch schafft eines der eindrucksvollsten Bilder, wenn er im Bühnenhintergrund das gesamte Personal mit Chlestakow in der Mitte aufreiht und dort eine gute Minute lang stumm und bewegungslos stehen lässt, bevor es im Gleichschritt aufs Publikum zumarschiert. Da schleicht sich etwas unterschwellig Bedrohliches in die bisherige Komik.

Deren Doppelbödigkeit äußert sich auch, wenn schließlich Geld in Massen vom Bühnenhimmel regnet und von einer Schar maskierter Statisten, die das Geschehen bis dahin immer wieder stumm beobachtet hatten, gierig eingesammelt, aber auch von Chlestakow und Ossip ins Publikum geworfen wird – sind nicht auch wir ein Teil einer sich um des lieben Geldes willen selbst belügenden Gesellschaft?

Dieser Revisor ist sicher kein Abend für Freunde fein ziselierter Seelenanalysen, doch durchaus ein Vergnügen, wenn man sich auf den präzise choreografierten und vom famos aufgelegten Ensemble lustvoll gespielten, grellen Irrwitz einlässt. Über die eine oder andere Peinlichkeit oder Platitüde kann und muss man dann schmunzelnd hinwegsehen.

Residenztheater München

Flammenwut der Antichristen

black-mandel

Max Mandel und Sigi Singer sind ehemalige Musikjournalisten und Privatdetektive. Um auf ein Konzert von Dark Reich zu kommen, nehmen sie eine lange Reise mit dem Auto nach Norwegen auf sich. Dort angekommen lernen sie Vilde kennen, die Schwester des Sängers. Das Konzert besuchen sie zwar doch nicht, stattdessen wacht Singer am nächsten Morgen wild geschminkt in einem Regal auf – und Baalberith, Sänger von Dark Reich ist spurlos verschwunden. Dafür taucht ein Foto von ihm auf, auf dem er blutend und irgendwie tot wirkend zu sehen ist.

Berni Mayer hat einen spannenden Thriller geschrieben. Neben der Geschichte an sich lernt man einiges über die vor allem norwegische Metal-Szene, über bekannte Bands, die man selbst einmal gehört, vielleicht sogar auf der Bühne gesehen hat. Sigi Singer erzählt die Geschehnisse und wirkt dabei wie Raoul Duke, Hauptfigur aus Hunter S. Thompsons Kultroman Fear and Loathing in Las Vegas. Obwohl der Start sehr langatmig ist, wenngleich mit dem ein oder anderen guten Satz, nimmt der Roman Fahrt auf und ehe man sich versieht, ist man mitten drin in Kirchenbränden, Kreuzigungen, blutigen Konzerten und einer sehr düsteren Okkultistenwelt, von der der norwegische Metal zu leben scheint.
Mandel hingegen wirkt wie ein wandelndes Lexikon, das restlos alles über die Bands weiß und sich nicht scheut, jeder Gefahr ins Auge zu sehen – und kopflos in sie hineinzurennen.

Was ein netter Roadmovie zu sein scheint, entpuppt sich als atemloser Krimi, der mitten in der Szene stattfindet und nebenbei einen kleinen, aber sehr feinen Bildungsauftrag erfüllt. So macht das Lesen Spaß und man möchte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis … Das muss jeder selbst entdecken.
Mayer zeichnet seine Charaktere mit groben Strichen, verpasst ihnen Eigenschaften, die man erwartet: ob es nun ein kettenrauchender Klugscheißer ist; ein müder Privatdetektiv, der eigentlich seine Pflicht erfüllen will, aber immer unter dem Pantoffel des Kollegen steht; oder aber die Schwester des Sängers, die einen Hang zu SM hat und sich auf jeden schmierigen Typen einlässt, der sie schlecht behandelt. Die Figuren sind fleischgewordene Klischees – und dadurch so herrlich sympathisch.
Drummer Bela B. von Die Ärzte hat über das Buch gesagt, er hoffe, dass es verfilmt würde. Das hoffe ich allerdings auch, denn ein guter Regisseur würde daraus im Handumdrehen einen kultigen Blockbuster machen.

Ein Buch, auf das die Welt und vor allem die Schwarze Szene gewartet haben, voller Spannung, Kult und Heavy Metal.

Berni Mayer ist 1974 in Niederbayern geboren und hat unter anderem als Chefredakteur bei MTV und VIVA gearbeitet. Black Mandel ist sein zweiter Kriminalroman, der an das Debüt Mandels Büro anknüpft. Einen Vorgeschmack bekommt man hier: Trailer

 :buch: :buch: :buch: :buch: :buch:

Berni Mayer – Black Mandel
Heyne Hardcore, 2012
384 Seiten, broschiert
8,99 €
Amazon