Selbstjustiz als einziger Weg zur Gerechtigkeit?

Fünf Männer werden erhängt und verstümmelt in einer Turnhalle gefunden. Ein Motiv scheint zu fehlen, bis eMails auftauchen, die das Vergehen der Täter anprangern. Während in Dänemark eine unvergleichbare Hetzjagd beginnt und das Volk zur Selbstjustiz greift, steht das Ermittlerteam vor einem Rätsel. Wer ist der Mörder und warum hat er ausgerechnet diese Männer ausgesucht?

„Schweinehunde“ ist eines der Bücher, die vielversprechend beginnen und dann zur Lesequal mutieren. Obwohl Gesichter und Geschlechtsteile verstümmelt sind und die Hände abgetrennt wurden, kommt das angeblich beste Ermittlerteam Dänemarks nicht auf den Gedanken, dass es eine sexuelle Komponente geben könnte. Während Leser, Medien und das gemeine Volk schnell vermuten, dass die Opfer wohl eher Täter waren, tappen Simonsen, die Comtesse und recht unbedarfte Polizisten im Dunkeln. Sogar als merkwürdige eMails verschickt werden, die klar sagen, dass es sich bei den Leichen um Pädophile handelt, dauert es unendlich lange, bis der Kommissar dann doch mal davon ausgeht, dass Vergewaltiger aufgeknüpft wurden.
Unbegründet bekommt Simonsen freie Hand und unerschöpfliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um den Fall aufzuklären. Dabei fragt sich jeder vernünftig denkende Mensch: Was macht der Mann da? Sinnlos schickt er die Polizisten durch das ganze Land, damit sie dort Informationen einholen, die erheblich schneller und kostensparender per Mail oder Telefon weitergegeben werden könnten – und das geschieht auch. Während Pauline oder wahlweise auch Arne also durch das Land reisen, trudeln im Hauptquartier die angeforderten Infos ein und helfen doch nicht weiter. Immer wieder gibt es Szenenwechsel, die das Agieren der vermeintlichen Täter beschreiben und Dänemark stellt sich gegen die Polizei und schlachtet die nun öffentlich bekannten Pädophilen regelrecht ab.
Aus den USA ist bekannt, dass gegen aus der Haft entlassene Vergewaltiger ähnlich vorgegangen wird, so fremd erscheint einem die Beschreibung also nicht. Und natürlich steht man nicht auf der Seite der Täter – aber man hat doch ein gewisses Maß an Rechtsempfinden.
Das Buch wirkt unzusammenhängend und lieblos. Plötzlich duzen sich zwei Personen, die sich ein paar Sätze weiter im gleichen Gespräch doch wieder siezen. Das Ermittlerteam arbeitet weder zusammen noch effizient, jeder macht, was er will und irgendwie wird der Fall schon gelöst werden. Unvermittelt ist jemand tot und das bereits seit zwei Tagen, konnte aber eben noch aktiv werden. Es ist nicht seltsam, dass Briefe von Verstorbenen versandt werden – das kann durch Dritte geschehen, natürlich, aber der Kommissar wundert sich nicht einmal, versucht nicht, Spuren zu entdecken oder Hinweise auf den Absender. Als schließlich das ganze Land weiß, dass es an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit ein großes Interview mit einer involvierten Person geben soll, wissen die Ermittler angeblich immer noch nichts davon, verfolgen keine Mitteilungen auf einschlägigen Homepages und sind überrascht, als am nächsten Tag die Proteste beginnen, zu denen aufgefordert wurde. Ach ja, und Gesetze lassen sich inklusive Gesetzentwurf, Sitzung, Abstimmung etc. binnen weniger als 24 Stunden ändern.
Gefährlich sind zwei Dinge an diesem Roman: Erstens wird zur Selbstjustiz aufgerufen und die Welt strikt in Schwarz und Weiß geteilt. Keine Grautöne, keine Abweichungen. Zweitens, und das finde ich persönlich geradezu dramatisch, werden die Opfer der sexuellen Übergriffe alle gestellt. Zwar gibt es laut Roman eine ungeheuer große Zahl an missbrauchten Kindern, die auch bereit sind, über die Übergriffe zu sprechen. Aber anstatt sie auftreten zu lassen, werden Schauspieler eingesetzt und schließlich kommt raus, vieles ist unwahr. Es wird das Bild einer großen Lüge gezeichnet: Pädophilie existiert kaum, meist sind die Fälle nur ein Produkt reger Fantasie, also ist das alles nicht so schlimm. Das kann absolut nicht Tenor eines Romans sein, der allem Anschein nach auf dieses brisante Thema hinweisen und zumindest fiktiv ein wenig Gerechtigkeit einfordern will.
Die beiden Autoren scheinen leider vollkommen am eigentlichen Ziel vorbeigeschrieben zu haben und gestalteten ein langweiliges Werk, das nur so trieft vor Logikfehlern. Fast erscheint es, als hatten Lotte und Sören Hammer eine Idee und haben ohne Feinabstimmung abwechselnd die Kapitel oder bestimmte Erzählstränge verfasst, die dann einfach aneinandergereiht wurden. Sehr schade, denn die Idee ist gut, die Ausführung jedoch eine glatte Sechs.

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„Es ist nicht genug Platz zum Spielen“, rief er ihr aus der Halle zu.
„Warum nicht?“
„Weil da Männer hängen.“
„Dann spiel um sie herum.“

(Schweinehunde, S. 11)


Lotte und Sören Hammer – Schweinehunde
Übersetzung aus dem Dänischen: Günther Frauenlob
Droemer Verlag, 2011
550 Seiten
16,99 Euro (Hardcover)
Amazon.de
Verlagsgruppe Droemer-Knaur

„Marianne, bitte, Sie sind eine Dame.“ – „Ich bin keine Dame.“

urlacher

„Putzi hatte beschlossen, mich zu mögen. Uneingeschränkt. Bedingungslos. Mit Wucht. So wurde die Putzfrau Marianne Schneider – mit ihren dicken Armen für die Arbeit und ihrem prallen Herzen fürs Übrige – Teil meines Lebens.“

Max Urlacher ist Schauspieler, Single, Mann und von daher schon mal wenig prädestiniert für die makellose Erledigung des Haushaltes, weshalb er sich nach einer Putzfrau umsieht. Empfohlen wird ihm Marianne Schneider. Doch wenn er gedacht hat, ihm müsse die Frau gefallen, die in seiner Wohnung die Herrschaft übernehmen wird, hat er sich getäuscht. Marianne hat Ansprüche und putzt nicht bei jedem, so dass sich Max schwuppdiwupp bei ihr in der Küche zum Antrittsbesuch und zur genauen Überprüfung seiner Persönlichkeit wiederfindet. Zwar redet Marianne die meiste Zeit über sich selbst – und sie hat viel zu erzählen! –, aber irgendwie besteht der eingeschüchterte Max den Test und wird ihr neuer Kunde. Ehe er sichs versieht ist Putzi, wie er sie schon bald liebevoll nennt, Ratgeberin in allen Lebenslagen, Köchin meistens schmackhafter Eigenkreationen und Karriereberaterin, zieht ihn hinein in ihr turbulentes Leben und ihre immer frei Schnauze geäußerten Ansichten, Gefühle und Gedankengänge. Doch so resolut Putzi auf der einen Seite ist, so empfindsam und verletzlich ist sie auf der anderen: Eines Tages bittet sie Max, sie als moralische Unterstützung auf ihr 40jähriges Klassentreffen am Bodensee zu begleiten, weil sie dort ihre verflossene Liebe von damals, Gerhard, wiedertreffen wird, den sie nie vergessen konnte und mit dem sie so gern einen Neuanfang wagen würde. Max kann diese Reise von Berlin an den Bodensee mit einem Reportageauftrag über die Romantische Straße verbinden, und schon geht es los: Das Putzi-Mobil (Max’ Auto) wird bis unters Dach mit lebensnotwendigen Dingen vollgeladen, Putzi quetscht ihre quadratische Figur hinters Lenkrad – Max fährt zu langsam –, und eine turbulente Reise quer durch Deutschland kann beginnen, bei der die beiden zu echten Freunden werden, Haschzigaretten mit einem fast italienischen Eisverkäufer rauchen, zwischendurch einen Freund von Max als Reisebegleitung haben, der gern als Inge-Meysel-Imitator auftritt, in einem Hotel auf eine echte Berühmtheit treffen und schließlich tatsächlich auf dem gefürchteten Klassentreffen landen. Ob Putzi Gerhard wiedertrifft und was aus den beiden wird, soll dann jeder selbst nachlesen, das große Finale sei hier nicht verraten.

Zuerst einmal: Putzi gibt es wirklich! Sie heißt tatsächlich Marianne, allerdings nicht Schneider, putzt bei Max Urlacher, der Theater- und Filmschauspieler ist, und die beiden haben all das, wovon in diesem Buch erzählt wird, erlebt. Vielleicht nicht immer ganz exakt so wie beschrieben, schließlich ist Max auch Schriftsteller, manchmal sollten auch Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben, und manchmal musste Max beim Schreiben die Wahrheit noch entschärfen, weil die Leser ihm sonst gar nichts mehr geglaubt hätten. Was nun letztendlich Tatsache und was schriftstellerische Freiheit ist, bleibt der eigenen Interpretation überlassen, aber das Wichtigste ist sowieso der Mensch Marianne, und der ist eine Wucht. Klein, Anfang sechzig, so breit wie hoch, mit einem (fast) unerschütterlichen Selbstbewusstsein, viel Lebensweisheit, viel Humor, einem durchaus vorhandenen Liebesleben (was für Max immer viel zu viel Information ist) und herrlichen Schrullen.
Max Urlacher schreibt liebevoll und voller Respekt über seine Putzi, sehr selbstironisch über sich selbst und höchst anschaulich über ihre gemeinsame Reise die Romantische Straße entlang. Lesen und sich über den grandiosen Fototeil in der Buchmitte amüsieren!

Zum Weiterlesen gibt es den Putzi-Blog: http://maxurlacher.com/putzi-blog/

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Max Urlacher ist Jahrgang 1971, aus Berlin, hat in München die Otto-Falckenberg-Schule besucht und arbeitet als Schauspieler für Theater und Fernsehen. Er hat bereits zwei Bücher veröffentlicht, 2005 Los Angeles-Berlin, ein Jahr, ein Briefwechsel zwischen ihm und seiner guten Freundin Franka Potente, sowie 2010 Rückenwind, sein erster Roman.

Verlag: Droemer
Ausgabe: Paperback (Klappenbroschur), 207 Seiten mit Fototeil
Preis: € 14,99 (eBook: € 12,99)

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Verlag

Wenn Nikolaus mit seinem Cello die Bühne betritt, wird es still. Das Publikum fragt sich, was es zu erwarten hat und wer dieser unauffällige junge Mann ist, der auf einem Stuhl Platz nimmt. Doch bereits die ersten Klänge, die der Künstler seinem Instrument entlockt, begeistern. Die Musik ist anders. Mal ernst und getragen, mal fröhlich und leicht werden meist ohne Gesang, nur durch das Cello Umbra Geschichten erzählt. Nun haben sich Cellolitisdie Zeit für ein Interview genommen. 


Nikolaus und Umbra in Aktion.
Foto: Thomas Graul

Kyra Cade: Cellolitis sind…?
Cellolitis: Nikolaus und Umbra, mein Cello.

K. C.: Dein Cello hört auf den schönen Namen Umbra. Warum wurde es so getauft?
Cellolitis: So hieß eine Farbe in meinem Tuschkasten aus der Schule. Ich liebte den Klang – die Musik – des Wortes. Umbra heißt auch „der Schatten“. Ein Schatten, den die Seele wirft.

K. C.: Seit wann spielst Du schon Cello und welche Instrumente beherrschst Du noch?
Cellolitis: Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr das Cello. Ich singe. Ein paar Basics kann ich auf der Gitarre, dem Bass, Geige, Bratsche. Auf dem Klavier, Blasinstrumenten und diversen Orgeln spiel ich gern gerumpelte Schiefklänge. Ich probier überhaupt jedes Instrument gern aus; schau, wie es tickt. Wie Spielzeug.

Neues Album noch in diesem Jahr

K. C.: Mit Deiner Musik erzählst Du fröhliche Geschichten, schneidest aber auch ernste und traurige Themen an. Was macht Dir persönlich mehr Spaß?
Cellolitis: Beides! Ich freue mich enorm, wenn Leute bei meiner Show lachen. Auf youTube gibt es ein Video, wo ich den „Psychedelic Waltz“ in einer kanadischen Comedy-Show spiele. Das macht mir Spaß. Albern sein. Spielen, lachen, Grimassen ziehen; alles vergessen; mich gehenlassen. Aber ich bekomme manchmal auch sehr bewegte und persönliche Geschichten nach Konzerten erzählt. Fremde Menschen teilen sich mit. Sie haben etwas in der Musik gefühlt, was ihrem Lebensthema grad entspricht. Das Danke von einem solch „intensiven Zuschauer“ ist mir wichtig. Es gibt dem ganzen Musikmachen einen wunderschönen Sinn.

K. C.: Gibt es Vorbilder aus dem klassischen Bereich?
Cellolitis: Ganz, ganz viele. Mir fällt die Auswahl schwer. Komponistenidole sind Beethoven, Prokofjew, Satie; an Bach gibt es lebenslänglich Schönes zu entdecken! Brahms hat zwei herrliche Sonaten für Klavier und Cello geschrieben. Richard Strauß‘ „Salome“ ist meine Lieblingsoper, obwohl Strauß bekennender Nazi war. Das ist ein riesiger Konflikt für mich. Trotzdem liebe ich diese Musik (live!). Ja, und Richard Wagner, der Pink Floyd des 19. Jahrhunderts. Ingo Metzmacher ist ein großartiger Dirigent. Von ihm gibt es ein Buch „Keine Angst vor neuen Tönen“. Da umschreibt er kurz einige beeindruckende Komponisten. Ich kann es jedem, der Musik liebt, damit „arbeitet“ und sich dezent für die Klassik interessiert sehr empfehlen. Meine frühere Cellolehrerin Claudia Schwarze beeindruckt mich bis heute in ihrer Art, so viele junge Menschen zu motivieren und auszubilden.

K. C.: Du hast bereits zwei CDs aufgenommen, arbeitest Du an einem neuen Album?
Cellolitis: Ja, es wird Ende November in Berlin released. Ich arbeite dafür zum ersten Mal mit Band.

K. C.: Welche Musik hörst Du am liebsten?
Cellolitis: Schwierig. Das fließt so phasen- und spartenweise durch mich durch. Da bleiben Bands aus vielen Musikrichtungen. Auch je nach meiner Tätigkeit beim Musikhören. Meine erste Band war Queen, die ich vergöttere. Ich liebe die Beatles, Leonard Cohen, Bob Dylan, Woody Guthrie, Bob Marley, Tom Waits, Pink Floyd, die Stimme von Otis Redding. Ich mag Can, Ton Steine Scherben, Hans Söllner, Jan di Leo, Quinto Rigo, Nigel Kennedy, Mojo Juju, John Lennon, Goodspeed You!Black Emperor, Björk, Nick Cave, Einstürzende Neubauten, Arvo Pärth, Wenzel. Nine Inch Nails, The Doors, Motorhead oder Rage against the Machine. Aus Berlin höre ich gern „Mutter“! Deutsche authentische Punk-Rock-Balladen. Johanna Zeul finde ich grad sehr spannend; mit eigener Art und voller Energie.

Ein Auftritt mit Björk im Opernhaus

K. C.: Im Januar warst Du mit Coppelius unterwegs. Wie war’s?
Cellolitis: Cool! Ein Abenteuer! Zum ersten Mal in einem richtigem Tourbus mit einem coolem Fahrer!

K. C.: Was ist in besonders positiver Erinnerung geblieben?
Cellolitis: Einschlagend für mich war der Auftritt im Kammgarn Kaiserslautern. Die Leute, die Stimmung, der Laden, der Sound, das Licht. Da hat alles gepasst. Einer DIESER Momente im Leben.

K. C.: Wo oder mit wem würdest du gerne mal auftreten?
Cellolitis: Definitiv mit meiner Band auf viel mehr Festivals in ganz Europa! Italien, Spanien, Russland, Serbien, Kroatien, Griechenland, Norwegen, England, Türkei, Frankreich. Das wäre ein Traum. Ok, es ist seit längerem mein Traum, mit Björk in einem Opernhaus aufzutreten. Mit Orchester, Band, Ballett und Chor!

K. C.: Wünsche und Ziele für die Zukunft?
Cellolitis: Liebe, Gesundheit und Zeit! Ein eigenes Studio, ein eigenes Label; spannende Begegnungen und Erfahrungen in der Musik leben. Ich will Liebe leben und so ziemlich jede Scheißangst abbauen. Ich würd mir ein besseres Miteinander der Menschen untereinander wünschen. Da muss in den nächsten Jahren ein solidarischer Ruck durch Deutschland gehen. Der Staat wird hier mehr und mehr zur Enttäuschung und Bedrohung der Demokratie. Ich wünsche mir daher, dass die Piraten auf- und mitmischen in naher Zukunft und den Bürgern ehrliche Politik geben.

K. C.: Ein paar Worte zum Schluss?
Cellolitis: Vielen Dank Kyra Cade und vielen Dank SchwarzesBayern.

K. C.: Vielen Dank für das Interview! 

Die Glam-Goth-Rocker aus St. Pauli, Lord of the Lost, hatten einen guten Start ins Jahr. Nachdem Gitarrist Sebsta Lindström und Drummerin Any Wayst die Band zum Ende 2011 verließen, nahm Christian „Disco“ Schellhorn den Platz am Schlagzeug ein und erwies sich als würdiger Ersatz. Die EP „Beside & Beyond“, die am 17.02. in die Läden kam und ursprünglich auf 1000 Exemplare limitiert war, wartete mit einem fulminanten Vorverkauf auf, so dass die Auflagenzahl erhöht wurde. Gleichzeitig waren die fünf Hamburger mit Eisbrecher auf Tour und rockten Deutschland, Österreich (nun, so der Plan, das Konzert musste leider abgesagt werden wegen des Austritts von Ammoniak) und die Schweiz. Bassist Class Grenayde nahm sich nun die Zeit für ein Interview.

Kyra Cade: Ihr seid gerade zurück von der Tour mit Eisbrecher. Wie war’s? 
Class Grenayde: Es war super. All unsere Erwartungen wurden erfüllt und nicht selten sogar noch übertroffen. Wir sind sehr glücklich, dabei gewesen zu sein.

K. C.: Was ist besonders in Erinnerung geblieben? Schönes oder Unschönes?
C. G.: Wir haben neue Freunde gefunden. Es gibt wohl vergleichsweise nichts, was das noch toppen könnte. Viele kleine Anekdoten. Alles zusammen bildet ein großes Erlebnis. Wir haben sehr viel gelacht und haben wenig geschlafen. Die Resultate könnt ihr dann bei TV of the Lost verfolgen. Ich könnte es auch nicht besser in Worte fassen. Schaut es euch einfach an. Unschönes gibt es absolut nicht zu berichten, außer dem Ammoniak-Alarm in Wien, der den Ausfall des Konzertes zur Folge hatte.

K. C.: Die Nordlichter trafen auf Münchner. Gab es da Schwierigkeiten am Anfang? 
C. G.: Nennen wir es Nährboden für ein angenehmes Arbeitsklima. Beide Bands verstehen Spaß und fordern ebensolchen ein. Es gibt also genug Potential, wenn Nord und Süd aufeinandertreffen. Es wurde viel miteinander gelacht.

K. C.: Freut ihr euch jetzt auf ein bisschen Ruhe und mal wieder zu Hause zu sein?
C. G.: Klar. Es ist nunmal auch ein großes Stück Arbeit. Man legt lange Strecken zurück, muss immer gut organisiert und diszipliniert sein. Wir haben alle sehr wenig geschlafen. Alles zusammen waren wir schon ein wenig ausgelaugt. Das fällt einem dann aber erst zu Hause auf. Dann schafft man es kaum noch von der Couch in die Küche. Es nützt aber alles nichts. Das dritte Album steht in den Startlöchern und drumherum bleibt die Zeit auch nicht stehen. Aber es tat schon gut, einmal wieder zu Hause zu sein und durchzuatmen. Nichtsdestotrotz vermisst man die schöne Zeit auf Tour.

K. C.: Das letzte Lied auf der Tour war „Eure Siege“, das in Zusammenarbeit mit Alexx Wesselsky entstanden ist. Gibt es noch mehr gemeinsame Songs und wenn ja, wo wird man sie hören können?
C. G.: Nichts Genaues weiß man nicht. Aufgrund der beiderseitigen Sympathien ist nichts ausgeschlossen. Jedoch ist bis auf “Eure Siege” nichts weiter offiziell.

K. C.: In letzter Zeit konnte man öfter von Remixes lesen, die Lord of the Lost gemacht haben. Beispielsweise für Staubkind oder FragileChild. Sind noch mehr geplant? 
C. G.: Auf jeden Fall, wir haben eine Menge Anfragen und werden die, die uns zusagen sehr gern bearbeiten. Da wird noch einiges kommen, dieses Jahr… Das letzte, was wir gemacht haben, war ein Remix für Unzucht, für die Chris ja auch gerade eine EP und ein Album produziert.

K. C.: Machen Remixes mehr Spaß als komplett eigene Songs, oder sind das besondere Herausforderungen oder eher Zeitvertreib? 
C. G.: Weder noch, das ist etwas komplett anderes, nicht zu vergleichen. Zeitvertreib ist es nicht, das ist eher ein Job, denn wir haben keine Zeit übrig, um sie einfach nur so zu vertreiben.

Unromantischer Sex in der Kälte vor der Kamera

K. C.: Eure aktuelle EP „Beside & Beyond“ hat eingeschlagen. Bereits der erste Vorverkaufstag war ein voller Erfolg und die Fans haben minütlich bei amazon.de auf die Verkaufscharts geschaut. Habt ihr so etwas erwartet? 
C. G.: Nein. Deshalb haben wir erst einmal eine limitierte Auflage pressen lassen. Wir mussten allerdings nachlegen, damit auch die Fans auf der Tour mit Eisbrecher die Gelegenheit hatten, die EP zu kaufen. Es ist immer wieder etwas ungewiss, wie stark eine Platte wirklich einschlägt. Man kann quasi an den aktuellen Plattenverkäufen erkennen, wie viele Fans wir dann doch mit den letzten Touren u.a. mit Mono Inc. dazugewonnen haben. Es ist uns eine Freude, so viele Menschen bei Lord of the Lost begrüßen zu dürfen!

K. C.: Ist dadurch der Erfolgsdruck gestiegen? 
C. G.: Ja und nein. In erster Linie versuchen wir uns selbst gerecht zu werden. Das war bisher immer ein guter Weg. Allerdings steigt bei wachsender Popularität auch parallel der Druck an. Das ist aber auch ganz normal. Je höher man kommt desto dünner wird die Luft und der Druck steigt! Wir gehen aber mal davon aus, dass wir für die Reise das richtige Team und Gerät dabei haben!

K. C.: Das Video zu „Beyond beautiful“ ist unterschiedlich aufgenommen worden. Manche fanden es großartig, anderen war es zu sexuell und zu gewalttätig. Wie kamt ihr auf die Idee für dieses Script? 
C. G.: Wenn man sich den Text durchliest ist die Handlung gar nicht mal so weit hergeholt. Und in der Kunst ist Interpretationsspielraum ein gebräuchliches Instrument, um etwas noch interressanter zu gestalten. Wenn Kunst zu leicht zu verdauen ist und keine Fragen offen bleiben, sinkt automatisch deren Halbwertzeit. Wir sind ein Risiko eingegangen und wussten von vornherein, dass es für Kontroversen sorgen würde.

K. C.: „Very private“ kommentierte ein Fan. Der Clip ist in der Tat sehr intim geworden. War es schwierig, sich so vor der Kamera zu präsentieren oder denkt man in diesem Moment nur: Wir sind Profis, das ist ein Dreh, jetzt muss ich dieses machen, jetzt jenes? 
C. G.: Es ist weitaus unromantischer als man denkt, wenn man zehn Stunden in der Kälte nackt am Set verbringen muss. Umringt von einem Team, was einen unweigerlich stundenlang anschaut. Wenn man es dann noch schafft, authentische Gefühle zu erzeugen, und man bedenkt, dass der Sex vor der Kamera größtenteils echt war, dann ist das schon bemerkenswert. Ich denke, wir haben das ganz gut eingefangen.

Früher oder später suchen Lord of the Lost alle heim!

K. C.: Seit der Gründung von Lord of the Lost hat es ein paar Wechsel in der Besetzung gegeben. Zuletzt verließen Any und Sebsta die Band und Disco kam dazu. Ist die Band jetzt komplett? 
C. G.: Die Band war immer schon komplett. Ich kann aber sagen, dass sie aktuell wohl am besten funktioniert. Alle Beteiligten haben ein und das selbe Ziel, und das heißt: Lord of the Lost nach vorne zu bringen. Es wird immer mal wieder gewisse Veränderungen geben, ob groß oder klein. Ich denke, jeder hat immer mal wieder eine Veränderung in seinem Leben feststellen dürfen. Ohne wäre ein Leben nicht wirklich lebenswert. Es gibt aber keinerlei Zeichen, die darauf deuten lassen, dass ein weiterer Besetzungswechsel ansteht. Weder in naher noch in ferner Zukunft.

K. C.: Im September kommt euer neues Album raus. Was erwartet uns? Gibt es Unterschiede gegenüber „Fears“ und „Antagony“? 
C. G.: Wir haben uns definitiv weiterentwickelt. Ich denke, dass wir die Extreme noch weiter ausgelotet haben. Mehr Party, aber auch noch mehr Tiefgang. Man wird aber immer wieder Lord of the Lost wiedererkennen. Da muss man sich keinerlei Sorgen machen.

K. C.: Direkt danach geht es mit der Letzten Instanz auf Tour. Erwartungen? 
C. G.: Wir stapeln immer etwas tief! Das macht es umso einfacher für uns! Es wird auf jeden Fall ein schönes Wiedersehen mit unseren Freunden der Instanz und den Fans. Wir werden das Kind schon schaukeln!!

K. C.: Wird man euch – vielleicht schon 2013 – mal wieder auf einer Headlinertour feiern können? 
C. G.: Ja!

K. C.: Ein paar Worte zum Abschluss? 
C. G.: Vielen Dank an die Leser. Wir werden uns bald wiedersehen. Lord of the Lost schlafen nicht und suchen euch früher oder später alle heim!

K. C.: Vielen Dank für das Interview! 
C. G.: Sehr gerne!

Gut gegen Böse

Flüsternde SeelenMeridian ist eine sechzehnjährige Fenestra, die sich auf der Suche nach einem gleichgearteten Mädchen befindet. Fenestrae sind eine Mischung aus Mensch und Engel, die dem Tode Geweihten helfen, mittels eines Fensters in die Ewigkeit überzugehen. Begleitet wird Meridian von Tens, der ihr Leibwächter ist. In Juliett, die als Heimkind in einem Altersheim lebt, unter Misshandlungen zu leiden hat und als unbezahlte Pflegerin arbeitet, finden sie die Gesuchte. Allerdings ist es nicht einfach mit ihr in Kontakt zu treten, da diese anfangs alle Bemühungen abwehrt. Sie finden aber auch Verbündete in Rumy, dem Glaskünstler, und Anthony, einem ehemaligen Priester und Freund von Tens Großvater, die ihnen auch weiteres zu ihren Lebensgeschichten erzählen können. Die ganze Handlung wird noch gewürzt durch die ersten erotischen Erfahrungen zwischen Meridian und Tens.

Die fünfzehnjährige Juliett erzählt aus ihrer Sicht ihr Leben im Heim und ihre Sehnsüchte bezüglich ihrer eigenen Vita. Sie wird in ihrem kärglichen Leben als Altenpflegerin und Versorgerin von zwei kleineren Kindern unterstützt von Nicole, die ihr immer wieder hilfreich zur Seite steht. Die täglichen Arbeitsbelastungen und Erniedrigungen durch die Heimleiterin zeigen Erschöpfungszustände bei dem Mädchen. Hinzu kommt der Druck der Erfahrung aus Vorjahren, dass alle Kinder mit 16 Jahren das Heim verlassen müssen und von Ms. Asura, der Jugendamtsmitarbeiterin, abgeholt werden.
Diese zwei Geschichten verbinden sich, als die beiden Mädchen und ihre Freunde gegen ihre Widersacher, die Aternocti, antreten müssen, um Juliett und auch die restlichen Heimkinder aus ihrer misslichen Situation befreien zu können.

Dieses Buch ist die Fortsetzung von Meridian – Dunkle Umarmung. Der Autorin gelingt es aber sehr gut den nötigen Rückblick, der für das Lesen dieses Buches nötig ist, zwischen den Kapiteln zu erzählen.
Ein Großteil der Geschichte handelt von der Findung der Hauptdarstellerin als auf sich gestellte Fenestra und das Entwickeln ihrer erotischen Annäherung zu ihrem Wächter. Tens erfährt sich auch neu in seiner Rolle als Beschützer von Meridian. Selbst zum Schluss haben sie sicherlich noch nicht alles Wissenswerte über ihre Rollen erfahren. Die Erzählung um Juliett ist sehr gut aufgebaut. Selbst ältere Leser können sich leicht in die Lage des armen, geschundenen Mädchens einfühlen, vor allem auch mit dem Wissen um ihre Bestimmung. Überraschend treten dann immer wieder neue Personen in die Geschichte ein, die aber zugleich sehr gut hineinpassen.
Ich kann mir vorstellen, dass die Gegenspieler von Meridian und Juliett im vorangegangenen Buch eine größere Rolle gespielt haben. Die Aternocti werden erst im letzten Drittel der 426 Seiten als wirklich große Bedrohung herausgearbeitet. Der Nervenkitzel wird aber immer wieder durch die bösartige Heimleiterin, die eigenartige Jugendamtsmitarbeiterin und weitere Vorkommnisse erzeugt, so dass der Geschichte die Spannung nicht abhanden kommt.
Ich konnte dieses Buch beizeiten nicht aus der Hand legen und kann es den jugendlichen wie auch den erwachsenen Lesern empfehlen – sofern man sich der Geschichte, in der es auch um Tod und Sterben geht, stellen möchte.

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Amber Kizer: Meridian – Flüsternde Seelen
ursprünglich PAN Verlag / Droemer Knaur Verl., 2011
ISBN 978-3-426-28365-3
€ 14,99
Amazon
Homepage von Amber Kizer

Eine Geschichte aus zwei Städten

Zwei Jahre sind vergangen in London, seit sich die Welt von Emily und ihrer Freundin Aurora vollkommen verändert hat. Mittlerweile sind sie in einem Leben angekommen, das sie zögerlich als „Zuhause“ empfinden können – Emily wird von Master Wittgenstein väterlich (zumindest auf seine eigene, spezielle Art) aufgenommen und bildet ihre Fähigkeiten als Trickster weiter aus, und Aurora vergräbt sich in Recherchearbeit mit ihrem Mentor Micklewhite. Alles könnte verhältnismäßig normal sein, wäre da nicht die Uralte Metropole, in der sich mal wieder Unheil ankündigt. Menschen verschwinden spurlos, Wiedergänger bevölkern die alten Gänge und als auf einer Reise nach Konstantinopel auch noch Aurora und Micklewhite verschwinden, gerät für Emily vollends die Welt aus den Fugen. So begibt sie sich mit Wittgenstein auf eine Reise in die Stadt der Liebe, wo sie nicht nur selbige, sondern auch Aurora wiederfindet – allerdings nicht in der Verfassung, in der sie gehofft hatte…

Man schlägt „Lilith“ auf und fühlt sich sofort wieder wie zuhause in Marzis London. Orte, Begebenheiten und sein „marzialischer“ Stil voller Vorgriffe und Rückblenden sind schon so vertraut, dass der Leser augenblicklich in die Welt der Uralten Metropole zurückfindet, und sich von ihrem gruseligen Charme einfangen lässt.
Dieses Mal rückt Marzi die biblischen Geschichten ein wenig in den Hintergrund und nimmt sich einer der wohl faszinierendsten Mythen der Welt an – des Vampirs. Geschickt verknüpft er die Legenden von gleich mehreren Kulturkreisen, denn der Vampir ist mitnichten eine mitteleuropäische Schreckgestalt. Ähnliche Wesen findet man bis in die Antike, in den Legenden aus dem Nahen Osten, Ägypten und Mesopotamien (um nur einige Beispiele zu nennen). Seit den Anfängen des Judentums taucht allerdings immer wieder eine Interpretation auf: Die Mutter der Vampire soll keine andere sein als Lilith selbst, die erste Frau Adams, die mit Dämonen eine unheilige Brut in die Welt setzte. So schlägt Marzi gekonnt Haken durch Geschichte und Mythologie, von Ägypten nach Rumänien, vom Roten Meer ins London der Neuzeit und von Fakt zu Fantasie.
Er spielt auf faszinierende Art und Weise mit klassischen Grusel-Szenarien wie dem Irrenhaus, in dem die Patienten mit Drogen und Strom behandelt werden. Ein sehr schrulliger Psychiater kämpft darum, sie zu ihrer richtigen Persönlichkeit zurückzuführen – oder etwa nicht? Man beginnt, sich verloren zu fühlen, denn nie ist genau klar, wer eigentlich welches Spiel spielt und wer auf wessen Seite steht. Micklewhite und Wittgenstein halten sich den Mädchen gegenüber bedeckt wie immer, sodass man mit Emily und Aurora mitfühlt und nie genau weiß, wie viel Information man eigentlich gerade bekommt und was man damit anfangen soll. Alles in Allem hat man durch die Tragweite der Ereignisse fast den Eindruck, dass „Lilith“ trotz der ihm eigenen komplexen Geschichte dazu dient, auf ein noch größeres, bombastisches Finale in „Lumen“ (erscheint am 12. März 2012) hinzuführen.

Natürlich dürfen, wenn Marzi ein Buch über Vampire schreibt, Anspielungen auf Vampirgeschichten nicht fehlen – ergiebig genug ist die Thematik schließlich. So finden wir natürlich den Godfather of Vampirgeschichten: Dracula, nicht nur im tagebuchartigen Schreibstil während der Aufzeichnungen von Eliza Holland, sondern auch in Elementen der Geschichte, Zitaten und sogar den Namen einiger Charaktere. Noch faszinierender sind die kleinen Anspielungen auf den zu Unrecht wenig bekannten Joseph LeFanu, der mit „Carmilla“ die erste richtige Geschichte zum Thema verfasste.

Von den Vampirmythen abgesehen, herrscht ein weiteres Bild in „Lilith“ vor: Die „Schwesternstädte“ London und Paris, die sich so ähnlich und doch so unterschiedlich sind, wofür einerseits vermutlich die Realität verantwortlich sein mag, andererseits sicherlich auch Charles Dickens‘ „Eine Geschichte aus zwei Städten“.
Allgemein ist „Lilith“ erwachsener als sein Vorgänger „Lycidas“, allerdings ohne dabei den Marzi-typischen Charme eines modernen Märchens zu verlieren. Man spürt die zwei Jahre deutlich, die Emily und Aurora von verschüchterten Waisenmädchen in selbstbewusste Teenager verwandelt haben. Die Handlungsstränge sind komplexer miteinander verwoben und bilden viele unvorhersehbare Wendungen, sodass der Leser lange nicht weiß, wie eigentlich alles zusammenpassen soll – bis Meister Marzi sein weißes Karnickel aus dem Hut zaubert und plötzlich alles Sinn macht. Seine Welt scheint düsterer zu werden, die Uralte Metropole, die ihre Fühler bis in die Tiefen der Hölle ausstreckt, ist gefährlicher und offenbart erst langsam all ihre Geheimnisse. Wo „Lycidas“ den Leser zufrieden ließ und zurück in die Friede-Freude-Eierkuchen Welt schickte – das Böse vernichtet, wenn auch mit bitterem Beigeschmack – hat man nach „Lilith“ das nagende Gefühl, dass es eigentlich erst richtig losgeht, und dass die Fantasie von Christoph Marzi wohl noch einige Überraschungen und Abenteuer bereithält.

Eine komplexe Führung durch die Weltgeschichte des Mythos Vampir, die den Leser zunehmend unsicher über Gut und Böse macht und definitiv den Appetit auf mehr Marzi anregt. Ein Augenschmaus, nicht nur für Vampirfans!

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Christoph Marzi – Lilith
Heyne, Taschenbuch, 2012
688 Seiten
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Christoph Marzi

Die Logik, das Leben und die Liebe

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Cass Seltzer ist Anfang/Mitte vierzig, Professor für Psychologie – genauer: Religionspsychologie – an der Frankfurter University an der Ostküste der USA. Sein bis dato beschauliches, vom lebenslangen Studieren bzw. Lehren an der Universität geprägtes Leben erfährt einen radikalen Umschwung, als er mit der Veröffentlichung seines Buches [i]Die Vielfalt religiöser Illusion[/i] schlagartig berühmt wird. Der introvertierte Mann weiß gar nicht, wie ihm geschieht, als sein Buch plötzlich in Dutzende Sprachen übersetzt und er im ganzen Land als „Atheist mit Seele“, der sich in das Denken Gläubiger hineinversetzen könne, gefeiert wird, Harvard will ihn abwerben, man lädt ihn zu philosophischen Podiumsdiskussionen mit Nobelpreisträgern ein und und und. Dabei will er doch eigentlich nur in Ruhe seine Studien betreiben, sich über die Welt wundern und mit seiner aktuellen Freundin, der hinreißend schönen und gefährlich intelligenten Lucinda Mandelbaum – ebenfalls Professorin an der Frankfurter University -, das Leben verbringen. Als Lucinda sich dann eine Woche auf einer Tagung in San Francisco befindet, geraten einige Dinge für Cass ins Rollen.

Diese eine Woche bildet den Rahmen für Die seltsame Logik der Liebe, von dem aus Cass’ Vergangenheit als Doktorand bei dem so charismatischen wie unausstehlichen Professor für Glauben, Literatur und Werte Jonas Elijah Klapper und seine früheren Beziehungen zu der ungebärdigen Anthropologin Roz Margolis – die in dieser speziellen Woche nach Jahren wie ein Wirbelwind wieder in sein Leben tritt – sowie der egozentrischen französischen Lyrikerin Pascale erzählt werden. Außerdem taucht der Leser in Cass’ jüdische Herkunft ein, seine Mutter stammt aus einer Valdener Gemeinde – streng orthodoxe Juden –, von der sie sich schon vor Jahren losgesagt hat, zu der Cass über Umwege aber als Erwachsener wieder Kontakt bekommt.

Vorab: Dieses Buch ist ein Phänomen. Auf über 500 Seiten wird der Leser mit einer alles andere als stringent erzählten, ja, eigentlich kaum vorhandenen Handlung konfrontiert, mit seitenlangen philosophischen Exkursen zu den verschiedensten Themen, mit Einführungen in die Kabbalistik und das orthodoxe Judentum (eine ordentliche Portion Jiddisch lernt man auch gleich dazu), mathematischen Höhenflügen und ausufernden Diskussionen, ob sich die Existenz Gottes beweisen lässt oder nicht. Dazwischen lernt der Leser die Hauptfigur Cass und seine Beziehungen zu seiner Umwelt kennen, viel mehr eigentlich aber den unausstehlichen Professor Klapper, aus dessen Fängen sich kaum ein Doktorand je befreien kann, der aber von seinen Studenten geradezu messianisch verehrt wird.
Eigentlich fehlt diesem Buch also alles, was einen süffig und unterhaltend zu lesenden Roman gemeinhin ausmacht – eine bzw. mehrere Hauptfiguren, in deren Leben man eintauchen kann, eine nachvollziehbare und gut aufgebaute Handlung, tatsächliche Ereignisse im Leben der Menschen und und und. Dennoch habe ich mich schon nach wenigen Seiten in dieses Buch verliebt und es begeistert gelesen, habe mich von Cass’ Erinnerungen mitreißen lassen, bin aufmerksam (wenn auch nicht immer erfolgreich) den philosophischen, mathematischen und religiösen Exkursen gefolgt und habe dabei überhaupt nicht gemerkt, wie die Seiten verflogen sind. Rebecca Goldstein kann aber nicht nur über Philosophie schreiben, sie hat auch ein Händchen für punktgenaue Dialoge, Situationskomik und gute Figuren. Diese Seite fällt allerdings zugegeben etwas hinter der „Kopfseite“ des Buches zurück, was es sicher für viele Leser noch schwerer zugänglich macht.

Man könnte darüber hinaus noch diverse weitere Kritikpunkte anführen – die Autorin schreibt nur über das, was sie kennt (sie ist selbst jüdischer Herkunft, „Atheistin mit Seele“ und Philosophie- sowie Psychologieprofessorin) und verliert sich dabei in ihrem Fachgebiet; selbst mit der Rahmenhandlung dieser einen Woche in Cass’ Leben in der Gegenwart ist es nicht immer leicht, den Zeitsprüngen zu folgen und den gerade erzählten Abschnitt aus Cass’ Vergangenheit richtig einzuordnen; die Handlungsstränge um Cass, Roz und Lucinda – vor allem aber um Azarya, einen hochbegabten Jungen aus der Valdener Gemeinde – hätten noch besser ausgebaut werden können; was will das Buch eigentlich vermitteln, worauf will es hinaus?
Doch man kann sich auch einfach darauf einlassen, das Kritteln mal beiseiteschieben und sich daran erfreuen, beim Lesen auch denken zu dürfen. Einige (Grund-)Kenntnisse über Philosophie und das Judentum helfen allerdings, ganz ohne Vorkenntnisse, zum Beispiel diverser jiddischer Ausdrücke, könnte die Lektüre etwas mühsam, wenn nicht gar langweilig werden.
Wer richtig tief einsteigen möchte, der kann sich in die im Anhang ausführlich dargelegten „36 Argumente für die Existenz Gottes“ vergraben.

Ein großes Lob auch an den Übersetzer Friedrich Mader und die nicht genannte Redaktion – das Buch liest sich hervorragend, die sprachliche Virtuosität und Komplexität des Originals ist ausgezeichnet übertragen worden. Chapeau!

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Rebecca Goldstein (geb. 1950) hat in Princeton Philosophie studiert und den Doktorgrad erworben, hat am Barnard College und in Harvard Philosophie und Psychologie gelehrt, ist Autorin diverser philosophischer Abhandlungen und Romane und vielfach ausgezeichnet für ihr Werk. Sie stammt aus einer jüdisch-orthodoxen Familie, ihr älterer Bruder ist Rabbi.
Auf Deutsch liegen noch einige ältere Werke von ihr vor, zum Beispiel Die Liebe im logischen Raum oder Die Eigenschaften des Lichts. Ein Roman um Liebe, Verrat und Quantenphysik.
Die seltsame Logik der Liebe ist bereits als Hardcover im Blessing Verlag unter dem Titel 36 Argumente für die Existenz Gottes erschienen.

Verlag: Heyne
Übersetzer: Friedrich Mader
Ausgabe: Taschenbuch, 559 Seiten
Preis: € 9,99

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Stimmengewalt aus St. Pauli trifft Münchener Härte


Chris „The Lord“ Harms in seinem Element
Der Löwensaal ist gut gefüllt mit Eisbrecher-Fans und wir warten sehnsüchtig darauf, dass es losgeht. Um 20 Uhr kommt dann auch schon ein gut gelaunter Alexx auf die Bühne und begrüßt uns mit einem Lächeln. Im Zoo war er gewesen, er hat den Eisbären – Flocke, wie wir dann herausfinden – besuchen wollen. Nur ist Flocke in der „für Eisbären typischen Umgebung“, nämlich in Frankreich. Dafür waren die Geschwister da und der Papa, der etwas seltsam im Kreis lief. Kleine Anekdoten aus dem Hause Wesselsky und wir haben Spaß dran.
Doch dann wird es ernst, denn Alexx kündigt endlich seine guten Freunde aus St. Pauli, Hamburg an: Lord of the Lost. Die kommen nach und nach auf die Bühne, die von blauem Licht erhellt wird. Ganz zum Schluss läuft Chris Harms ans Mikro und es geht los. Die Band gibt von Beginn an alles, lässt gleich einen Song hören, der auf das neue Album kommen soll, das aber erst im September erscheinen wird. Die Menge geht mit. Nürnberg scheint die Hamburger zu lieben, die eine tolle Show abliefern. Nicht nur der neue Drummer Disco, der zum ersten Mal in der Frankenmetropole spielt, gibt Vollgas und bewährt sich bei dieser Show. Gared Dirge ist an der Gitarre zu sehen und gibt ein wirklich gutes Bild ab, wenngleich für einige etwas ungewohnt. Bo Six spielt wie immer mit viel Leidenschaft auf seiner Cyan, „Musik ist meine Religion“, gibt er selbst an, was bereits nach den ersten Akkorden überdeutlich ist. Class Grenayde bedient seinen Bass, während er ordentlich headbangt und leider sehr schlecht beleuchtet wird. Lord of the Lost spielen ein Gemisch aus alten und neuen Songs und heizen damit ordentlich ein. Die Temperatur im Löwensaal steigt und das Publikum steht nicht mehr still. Es wird geschrien, geklatscht, mitgesungen – und da ist es egal, ob das Lied noch gar nicht auf Platte ist, die Refrains sind eingängig genug. Sänger Harms mit seiner unverkennbar tiefen Stimme beweist einmal mehr, was er kann. Ob es sanfte Klänge sind oder die Schreie ins Mikro, die zeigen, wie er lebt, was er singt: Es gelingt und begeistert bis in die letzten Reihen.
Selbst auf der Empore, wo der Sound nicht ganz klar ankommt, findet man die teilweise komplett unbekannten Hamburger spitze und möchte mehr, mehr, mehr!


Hochkonzentriert an der Gitarre: Bo Six

Für eine Supportband selten, darf die Truppe fast 50 Minuten auf der Bühne stehen und nutzt das auch voll aus. Mit dabei das Lady Gaga Cover „Bad Romance“, das wohl nur ein Chris Harms derart überzeugend adaptieren kann, das wundervolle „Dry The Rain“, dessen Refrain kurzerhand das Publikum singen darf und zum Schluss ein Schmankerl, „Eure Siege“. Denn Alexx und Chris waren nicht faul und haben sich zusammengesetzt und ein paar Lieder geschrieben. „Eure Siege“ klingt so sehr nach dem Eisbrecher-Sänger, dass Chris diese Info gar nicht weiterleiten bräuchte. Vollkommen untypisch ist das Stück auch noch auf Deutsch. Er passt nicht in das Lord of the Lost-Konzept, das sich dem Englischen verhaftet sieht. Daher sind die eingefleischten Fans der Band auch skeptisch. Und doch: Der Lord wäre nicht der Lord, wenn er nicht auch diese vermeintliche Hürde meistern würde und zwischenzeitlich fragt mich wirklich jemand – der keine Sicht auf die Bühne hat: „Wer singt denn da? Steht Alexx schon da vorne?“ Nein, tut er nicht. Deutsche Songs – gerne mehr, aber unter anderem Namen.
Unter großen Jubel verlassen sie die Bühne und haben in Nürnberg mit Sicherheit viele neue Fans dazugewonnen. Chris Harms verabschiedet sich und stellt gleichzeitig „meine besten Freunde, meine Familie“ vor; schöne Worte, die zeigen, wie sehr die „LotLs“ zusammengehören.
Die Hamburger sind eine Band zum Anfassen, nehmen sich danach viel Zeit für jeden Fan und jeden Fotowunsch und können sich selbst kaum losreißen, als die Halle bereits geräumt wird.


Alexx Wesselsky heizte die Stimmung an

Die Umbaupause ist vor allem dadurch gefüllt, dass die Security verzweifelt, weil der Support einen Teil des Equipments durch das Publikum tragen muss und natürlich niemand zur Seite gehen will. Jeder drängt nach vorne, auch wenn dort nicht einmal mehr für die sprichwörtliche Maus Platz ist. Das Konzert ist ausverkauft, manch einer kommt auch erst zum Hauptact in den Löwensaal, der kocht. Es ist derart heiß, dass die Frauen tiefe Einblicke gewähren und die Herren, sofern sie denn im Anzug gekommen sind, ihre Krawatten lockern. Auf der Empore sind die Türen zu den kleinen Balkonen geöffnet worden, um dort frische Luft zu schnappen – doch es dringt derartig viel heiße Luft nach draußen, dass man von der Kühle überhaupt nichts abbekommt.
Endlich wird es dunkel, endlich beginnt das Intro und endlich kommen die Eisbrecher auf die Bühne und rocken den Saal. Textsicher wird mitgegrölt, Alexx lautstark empfangen, der sogleich den ersten Song ins Publikum drischt. Der Sänger ist bester Laune und überträgt diese auf jeden Anwesenden. Immer wieder spricht er uns an, freut sich, dass so viele da sind, dass die Tour und das aktuelle Album „Die Hölle muss warten“ derart erfolgreich sind. Er bedankt sich bei den Fans, „weil man das ja auch mal sagen muss“, dabei haben wir zu danken für einen solch grandiosen Auftritt.
Wo es nur geht wird getanzt, die Arme sind oben, der Takt wird mitgeklatscht. Nicht nur das neue Album kommt zur Sprache, auch alte Songs werden dargeboten und gerne einmal mehr live erlebt.
Die herumgereichte Flasche findet nicht den Weg zurück zu Alexx – das sei in München auch schon so gewesen, aber so seien die Bayern halt. Immerhin ist er sich bewusst, dass Franken doch etwas ganz anderes ist und nur auf dem Papier zum Freistaat gehört. Dafür brillieren wir aber damit, dass wir das erste Publikum sind, das den Takt richtig mitklatscht. Verwunderte Blicke, denn bei „Vergissmeinnicht“ sollte diese Aufgabe eigentlich leicht zu bewerkstelligen sein.
Aber Alexx kommt dann doch noch zu seinem Wodka und der Sprechchor „Trink, trink, trink“ beginnt. Natürlich kommt der Sänger dieser Aufforderung nach, setzt dann aber doch die Flasche ab und meint schmunzelnd: „Die restlichen Lieder müsst ihr singen!“ Damit haben wir kein Problem, nur hätte Wesselsky seine Setlist nicht verunstaltet, wüssten sowohl er als auch wir, welches überhaupt das nächste Stück sein wird.
Aber zum Glück sind wir ja alle verrückt – das beweist auch unsere Anwesenheit in dem viel zu engen, viel zu stickigen Löwensaal. Da wundert es auch nicht, wenn sich jemand nicht mehr auf den Beinen halten kann.


„Zum Glück bin ich verrückt“ – Noel Pix tobte über die Bühne

Vor zwei Wochen entbrannte – angestoßen von Lord of the Lost Fans – eine Diskussion über die Kommerzialisierung deutscher Bands. In diesem Rahmen wagte es auch eine Person, Eisbrecher als „Schlager“ abzustempeln, eine etwas unglückliche Formulierung, die eine heiße Debatte nach sich zog, an der sich auch Alexx beteiligte. Ob er sich deshalb den Scherz erlaubt und tatsächlich Schlager anstimmt? Nun, das weiß keiner so genau. Zuerst gibt es vereinzelt Buhrufe, was aber Eisbrecher nicht von ihrem Vorhaben, „Tränen lügen nicht“ zu performen, abbringt. Viel irritierender ist die Textsicherheit der Anwesenden, die kurzerhand den Gesang übernehmen, Feuerzeuge oder sogar Wunderkerzen auspacken und das Schunkeln anfangen. Vielleicht waren wir alle einmal jung und dumm und wir können das als Jugendsünde abtun. Und „Mir san a bairische Band“ ist ja nun auch korrekt und auch wenn die Franken mit dem Dialekt so ihre Probleme haben, sie singen trotzdem mit – und können auch hier jede einzelne Zeile. Wie seltsam das Eisbrecher-Völkchen doch manchmal ist.
Der Spaßfaktor ist allerdings nicht zu unterschätzen und die Band tut uns dann auch den Gefallen und haut den nächsten Kulthit raus.
Über eine Stunde stehen sie auf der Bühne und geben alles. Ich frage mich ernsthaft, wie man das bei der Hitze, die durch das Scheinwerferlicht und die körperliche Betätigung noch verstärkt wird, aushalten kann – zumal sich Eisbrecher im Vergleich zu den St. Pauli Jungs nicht ihrer Oberbekleidung entledigen. Großen Respekt dafür!
Ja, wir bekommen eine Zugabe und ja, man kann eine Bombenstimmung toppen, auch wenn ich das nicht für möglich gehalten hätte. Alexx hat vor Jahren für seine ehemalige Band Megaherz einen Song geschrieben, der Männern und auch so mancher Frau aus der Seele spricht: „Miststück“. Wir singen, brüllen, die Wut kommt raus, die Köpfe werden geschüttelt, die Arme fliegen in die Luft. Ein bisschen wird noch geübt, damit das Publikum dann auch seinen Einsatz nicht verpasst, noch einmal der Refrain, und noch einmal und noch einmal. Keiner scheint genug bekommen zu können und Eisbrecher unterlegen das Ganze zusätzlich mit viel Drums und schließlich mit noch mehr Bass. Der Song scheint endlos weiterzugehen und als es dann doch vorbei ist, besteht der ganze Löwensaal nur aus Jubel und „Eisbrecher“-Rufen.
Es war ein derart gelungener Auftritt, dass man kaum nach Hause gehen möchte und vor allem einen Wunsch hat: Kommt bitte ganz schnell wieder nach Franken – „Die Hölle muss warten“, aber wir bitte nicht zu lange!


Für Alexx ist es noch lange nicht Zeit zu gehen


Setliste Lord of the Lost
Intro 2012
Live Today / Black Lolita
Sex On Legs
Die Without A Scar
Heart For Sale
Bad Romance
Prison Piano
Prison
Epiphany
Break Your Heart / Prologue
Dry The Rain
Verabschiedung 
Eure Siege

Setliste Eisbrecher

Exzess Express
Willkommen Im Nichts
Angst
Abgrund
Verrückt
Antikörper
Leider
Herz aus Eis
Amok
Tränen Lügen Nicht / Mir San A Bairische Band
Die Engel
Prototyp
Vergissmeinnicht
Schwarze Witwe
Heilig
This is Deutsch
Zugabe I
Kann Denn Liebe Sünde Sein
Ohne Dich
Miststück
Zugabe II
Die Hölle Muss Warten