Russland der Zukunft?

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Die Opritschnina ist eine Elitegarde im Russland des Jahres 2027, das von einem absoluten Herrscher, dem Gossudar, regiert wird. Mithilfe seiner Elitetruppe, die besondere Befugnisse hat und in offiziellem Auftrag so gewalttätig wie möglich gegen Regimekritiker vorgehen soll, hält er sich an der Macht, hat Russland allerdings auch vom restlichen Europa isoliert. Nur China steht Russland zur Seite, die Bevölkerungen beider Länder haben sich bereits zum Teil vermischt, doch herrscht auch große Rivalität zwischen den beiden Reichen. Geschildert wird ein Tag im Leben eines der Mitglieder der Opritschnina, Andrej Danilowitsch Komjaga, der eine hohe Stellung genießt. Die Gesellschaft, in der er lebt, ist eine seltsame Mischung aus einem zaristischen Russland (erkennbar an Sprache und Kleidung der Leute sowie an geradezu übertrieben anmutender Gottes- und Heiligenverehrung) und Science-Fiction-artigen Elementen wie Sprech-Bild-Blasen, in denen Leute zu einem Gespräch geschaltet werden können, ohne physisch anwesend zu sein.
Der Leser folgt Komjaga durch einen ganzen Tag mit seinen vielfältigen Aufgaben: Das Haus eines Regimegegners wird niedergebrannt, seine Frau dutzendfach vergewaltigt; geplante Opern- und Musikaufführungen werden kontrolliert, ob sie auch dem russischen Geist entsprechen; zwischendurch wird kurz mal ans andere Ende des Reiches geflogen, um die Chinesen über den Tisch zu ziehen und Gewinn für die Opritschnina-Kasse zu machen; und noch viele weitere Einsätze, die die Herrschaft des Gossudaren festigen und für Zucht und Ordnung im Land sorgen sollen. Gleichzeitig wird aber auch die dekadente Seite des Lebens der Opritschniks, der Herrscherelite, geschildert, Drogentrips, Koks, Alkohol und Massenkopulationen.

Das Buch hat keinen großen Umfang und ist flott geschrieben, so dass es sich recht schnell lesen lässt. Doch man sollte sich durchaus Zeit dafür nehmen, um sich die von Sorokin so drastisch skizzierte Zukunftsvision besser vergegenwärtigen zu können, die dann bei näherer Betrachtung gar nicht mehr so zukünftig wirkt. Er zeichnet ein Russland unter einem absoluten Herrscher, der sich mit einer Leibgarde umgibt, die alle Regimekritiker unerbittlich verfolgt – kommt einem jetzt nicht so unbekannt vor, wenn man an das moderne Russland denkt. Viele Anspielungen werden dem nicht-russischen Leser sicher leider entgehen, doch das Gesamtbild ist sehr deutlich unter der Überzeichnung in Personal und Handlung.
Die Sprache ist eine oft verstörende Mischung aus sehr altmodischen Sätzen und brutalster Umgangssprache, die sicher nicht leicht ins Deutsche zu übertragen war und teilweise auch nicht ganz treffend ist, was allerdings durch die wirklich exzellente Übersetzung einiger sehr langer Gedichte und Lieder im Buch wieder wettgemacht wird.
Personenzeichnung und Charaktere spielen in dieser Art Buch keine Rolle, hier wird Wert auf die Botschaft und die parodistische Überzeichnung gelegt, auch der Plot ist vernachlässigbar, da es ja um die Darstellung eines Tages aus dem Leben eines Vertreters einer bestimmten Gruppe Menschen geht. Nahe kommt einem Andrej Danilowitsch nicht, aber das soll auch gar nicht sein.
Erwähnen sollte man allerdings die sehr expliziten und vollkommen gefühlskalt geschilderten Gewaltszenen, die in ihrer Direktheit und Übertreibung zum Gesamtkonzept passen, doch sicher nicht jedermanns Sache sind, ebenso wie die äußerst rüde Sprache an vielen Stellen.

Keine leichte Kost, meiner Meinung nach auch nicht Sorokins bestes Buch, ganz sicher keines, das man um des Lesegenusses willen konsumiert, aber in seiner Gesamtheit und offenen Regimekritik ein doch wichtiges Buch.

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Vladimir Sorokin, Jahrgang 1955, ist ein russischer Schriftsteller und Dramatiker, der mit seinen Werken und Äußerungen schon seit der Sowjetzeit immer wieder ins Fadenkreuz der russischen Regierung gerät. In Deutschland bekannt geworden ist er vor allem durch die sogenannte „Eis-Trilogie“, bestehend aus den Büchern Ljod, Bro und 23.000, die lesenswerte Beispiele für seinen ganz speziellen Schreibstil und seine gekonnte Vermischung verschiedenster Erzähltechniken darstellen.
Mehr zu Sorokin und seinen Büchern: Perlentaucher.de

Verlag: Heyne Hardcore
Übersetzer: Andreas Tretner
Ausgabe: TB, 221 Seiten
Preis: € 8,95

Verlag – Vorsicht, hier ist noch der alte Preis angegeben.
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„Einen Hexer oder eine Hexe
sollst du nicht leben lassen…“

Der junge Novize Gair wird der Hexerei beschuldigt und nach langer Folter dem alten Präzeptor Ansel vorgeführt. Der gesamte Rat erwartet die Todesstrafe – doch Ansel entscheidet sich dafür, den Jungen stattdessen zu brandmarken und zu verbannen. In seine Handfläche wird das Zeichen der Hexerei gebrannt und man lässt ihn laufen – allerdings ist er als Vogelfreier nun zum Abschuss freigegeben. Als ein mysteriöser Fremder auftaucht, der Gair seine Hilfe anbietet, hat der Junge kaum eine andere Wahl. Sein geheimnisvoller Begleiter heißt Alderan, und schafft den noch immer verwirrten und verletzten Ex-Novizen außer Landes, natürlich nicht ohne gewisse Schwierigkeiten, denn die Entscheidung des Präzeptors ist unter den fundamentalistischen Mitgliedern der Kirche nicht auf Verständnis gestoßen. So wird ein Hexenjäger auf ihn angesetzt, der Gair und Alderan auf ihrer mühsamen Reise das Leben schwer macht. Endlich außer Landes kehrt ein wenig Ruhe ein und Alderan eröffnet Gair, dass auch er die „Lieder der Erde“ hören kann, der „Sang“, die Grundenergie des Universums, die alles durchfließt, und die wenigen, die diese Lieder hören können, werden zur Magie befähigt. Außerdem bietet er ihm an, ihn mit auf die Westinseln zu nehmen, wo es eine Schule gibt, in der man ihn lehren kann, seine Fähigkeiten einzusetzen, denn bisher war Gair eher intuitiv und zufällig auf den Sang in ihm gestoßen. Da der ehemalige Novize weder Freunde noch Familie hat, entschließt er sich, mit Alderan zu kommen, und trotz weiterer Fallen des Hexenjägers und eines komischen Vogels namens Savin gelangen sie schließlich zu den Inseln.
Hier erhält Gair seine Ausbildung, obwohl sich schon beim Einstufungstest am ersten Tag herausstellt, dass er weit überdurchschnittlich begabt ist. Als sich zeigt, dass er offenbar neben Meisterin Aysha der einzige weit und breit ist, der seine Gestalt wandeln kann, wird diese auf ihn aufmerksam…
Die Zeit könnte schön und ruhig sein, wären da nicht die schrecklichen Nachrichten des Wächters Masen, der berichtet, dass der Schleier zwischen den Welten zerbricht. Als Gair auf einem Ausflug unerwartet angegriffen und lebensgefährlich verletzt wird, wird langsam klar, dass die Kirche, die Jagd auf Hexen macht, eigentlich das geringere Problem ist, und plötzlich scheint ein Kampf unvermeidbar…

„Die Lieder der Erde“ basiert auf einer wunderbaren Idee, die versucht, zwischen realer historischer Inquisition und High-Fantasy zu balancieren. Es wird eine sehr große und komplexe Welt skizziert, doch leider spürt man, je weiter man voran kommt, dass eigentlich außer der Grundidee nicht viel Neues dabei ist. Spätestens ab der Ankunft von Gair und Alderan in der Schule hat man mehr und mehr den Eindruck, dass eine Idee, die für etwa 100 Seiten gereicht hätte, auf 557 gestreckt wurde, und dass für viele Details, die eine Welt lebendig machen, die Ideen fehlten – daher findet man durch das ganze Buch verstreut Szenen, Beschreibungen und Rassen, die verdächtig an „Herr der Ringe“, Terry Pratchett, „Harry Potter“ und sicher noch ein halbes Duzend weiterer Fantasy Romane erinnern. So zum Beispiel die astolanische Prinzessin Tanith, Heilerin, die eine Art Elbin ist, deren Rasse zwischen den Welten lebt und sich aus den Angelegenheiten der Menschen heraushalten möchte, besonders ihr Vater drängt sie dazu, doch sie ist verliebt in den jungen Gair – klingt verdächtig nach Arwen und Elrond. Ebenso Gair und Savin, beide von Geburt an bemerkenswert begabt, doch Savin sein Leben lang böse – ein bisschen Harry und Voldemort?
Auch stilistisch fallen auf den zweiten Blick zum Teil Mängel auf. Cooper versucht, sehr ausdrucksstarke und malerische Vergleiche zu ziehen, meist gelingt das auch gut, aber manchmal passieren dabei einfach grobe Schnitzer. In etwa muss Masen sich beeilen, um vor der Dunkelheit durch eine Schlucht zu reiten, es ist fast Winter und die Sonne geht sehr schnell unter, die ganze Szene vermittelt Hektik und Panik. Der Vergleich, dass das Licht dabei so schnell schwindet, wie die Hitze aus einer abkühlenden Schmiede, ist ziemlich danebengegangen – soll das heißen, es ist nach drei Tagen immer noch hell? Auch kleinere Logiklücken finden sich, so ist zum Beispiel Gair mittags im Bad, und hängt dort ganz allein seinen Gedanken nach (mit der Betonung, er ist ganz allein weil es schon MITTEN am Tag ist!), dann kommt er nach draußen und plötzlich liegt ein Balkon noch im Schatten der Morgensonne.
Oft wird einem einzelnen Handlungsstrang so viel Aufmerksamkeit geschenkt, dass man die anderen vollkommen vergisst und sich dann wundert, wo eigentlich bestimmte Personen hin sind, und man sich dann erst mal wieder erinnern oder gar zurückblättern muss, wer da eigentlich gerade wieder aufgetaucht ist. Generell haben wenige Personen wirklich Tiefe bekommen, die meisten scheinen eher „Füllmaterial“ zu sein.
Gair, der Alleskönner, wirkt etwas zu heroisch. Gerade nach Folter aus der Institution geworfen, die jahrelang sein Zuhause darstellte, von Rittern und Hexenjägern durchs halbe Land gehetzt, kommt er in Hogwa… pardon, im Kapitelhaus an und kann im Grunde so gut wie alles, obwohl er vorher nie geübt hat und seine Fähigkeiten vor der Kirche verstecken musste.
Die Übersetzung ist ebenfalls nur teilweise gelungen, ich kann zwar keine direkten Beispiele anführen, da ich nur die deutsche Version gelesen habe, aber an vielen Stellen klingen Formulierungen holprig, nicht organisch, als hätte man nicht die richtigen Worte gefunden. Auch die Erwähnung eines „Dicken Kusses“ scheint in einem Roman, der versucht, auf einer hohen sprachlichen Ebene zu bleiben (wie es sich für High Fantasy gehört) etwas fehl am Platze, doch derartige Stilbrüche sind nicht selten. Einerseits drückt man sich sehr gewählt und höflich aus, andererseits gleiten dann beinahe flapsige, modern-umgangssprachliche Bemerkungen hinein. Auch einige grammatikalische Fehlerchen haben sich eingeschlichen.
All dies wäre einzeln genommen nicht weiter tragisch, aber wenn man einmal darauf aufmerksam wird, ist es schwer, das Buch weiterzulesen ohne immer mehr zu bemerken, was den Lesespaß zumindest für mich doch gemindert hat.
Zusammenfassend ist „Die Lieder der Erde“ ein durchschnittlicher moderner Fantasy Roman mit einigen wirklich schönen, neuen Grundideen, der dann mittelmäßig ausgebaut wurde. Die Kombination aus alttestamentarischen Elementen des katholischen Glaubens mit einer Tolkien-Welt ist ein sehr interessanter Ansatz, wirkt jedoch nicht organisch umgesetzt. Mich hat es kaum gefesselt, ich konnte das Buch problemlos mehrere Tage zur Seite legen, ohne dieses nagende Gefühl, unbedingt weiterlesen zu wollen.
Natürlich muss man sagen, dass es heutzutage sehr schwer ist, eine wirklich neue Fantasy Geschichte zu schreiben, weil so vieles schon da war. Doch hier sind die Ähnlichkeiten zu gleich mehreren anderen Werken nur mit viel gutem Willen zu übersehen.
Offenbar werden noch 2 Teile folgen, es sind auch einige lose Enden an den Handlungssträngen übrig. Vielleicht wird es ja mit der Übung etwas besser, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Millionen von Menschen sich den nächsten Band um Mitternacht am Erscheinungstag mit Sonderboten von der Post liefern lassen. Der erste Roman von Elspeth Cooper ist okay, kann für mich jedoch höchstens ein erster Versuch sein, und ich hoffe, dass die nächsten Bände in sich stimmiger sein werden.

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Elspeth Cooper – Die Lieder der Erde
Heyne, Paperback, 2011
558 Seiten
14,99 €
Ebook: 11,99€

Die Lieder der Erde bei Heyne

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Der Charles Manson von Sparta, New Jersey

New Jersey, Juni 1964. Ray ist mit zwei Freunden unterwegs und trifft auf ein – wie er annimmt – junges Lesbenpärchen im Wald. Aus einer Laune heraus schleicht er sich nachts an deren Lager und will sie erschießen. Eine junge Frau ist sofort tot, die andere liegt vier Jahre im Koma, bis sie endlich stirbt. Doch dem Schützen ist nichts nachzuweisen.
August 1969. Mittlerweile ist Ray beliebt bei den Frauen im beschaulichen Sparta und nimmt, was er kriegen kann. Er dealt mit Haschisch, kokst und ist auch sonst kein angenehmer Zeitgenosse. Vor seinen Wutausbrüchen haben vor allem die langjährigen Freunde Tim und Jennifer Angst. Als zwei Frauen ihn abblitzen lassen und Jennifer auch nicht mehr mit Ray ins Bett gehen will, rastet er aus. Sein Amoklauf durch Sparta beginnt und fordert viele Opfer…

„The Lost“ beruht auf einer wahren Begebenheit. Nur eine Woche nach den Charles-Manson-Morden läuft Ray Pye Amok und tötet sieben Menschen auf grausame Weise. Das Buch beginnt allerdings mit den ersten Morden an den zwei scheinbaren Lesben. Ray hat einfach mal Lust drauf, einen Menschen zu töten, weil er die Macht spüren will. Ein Mädchen kann fliehen und liegt vier Jahre lang im Koma. Ist nicht so gut gelaufen, denkt er. Nicht, weil die junge Frau vielleicht leidet, sondern weil sie vom Tatort flüchten und ihn womöglich als Täter identifizieren könnte – wozu es jedoch nie kam.
In einem langen Teil erzählt Jack Ketchum die Woche vor dem Amoklauf. Pye, seine Freunde und die Frauen Sally und Katherine, die er neu kennenlernt und unbedingt flachlegen will, werden beschrieben. Es gelingt, ein perfektes Bild des Seelenlebens der Hauptakteure darzustellen und ihre Perspektivlosigkeit zu beschreiben. Jennifer hat keinen Abschluss und braucht den spendablen Ray, der Haschisch verkauft, das Tim von einem Postfach abholt. Sally sucht einen Job für den Sommer und schmeißt zweimal hin, zusätzlich hat sie eine Affäre mit einem erheblich älteren Expolizisten. Und Katherine? Ihre Mutter ist schizophren und in einer Klinik, ihr Vater ist wohlhabend und sie scheint sehr genau zu wissen, was sie will. Als ihre Mutter jedoch stirbt und Katherine für Ray nicht verfügbar ist, wird er sauer und ihm fehlt das Verständnis dafür.
Ketchums Erzählung wird immer durchbrochen von kurzen Berichten über Gimp, einer heimatlosen Katze. Das lockert ein bisschen auf. Denn obwohl über zweihundert Seiten nicht wirklich viel passiert, bauen sich Spannung und Unbehagen auf. Man spürt, dass Ray irgendwann ausrasten muss. Er ist latent aggressiv und der Autor kann dies sehr gut vermitteln. Zwischendurch geschehen die Manson-Morde, ein kleine Zwischenspiel scheinbar, doch was alle in Entsetzen stürzt, fasziniert Pye – und als er später ausrastet, scheint er eben genau diese Morde nachstellen zu wollen. Vor nichts und niemandem weicht er zurück, als er die Waffen nimmt, ins Auto springt und seine drei Frauen entführt – eine Blutspur hinter sich herziehend.
Das Buch hat mich gefesselt und berührt. Die Brutalität und die Kälte, die Ray umgeben werden derart drastisch dargestellt, dass man glaubt, man kenne ihn. Ein faszinierendes Werk, für das Ketchum allem Anschein nach viel recherchiert hat, um so weit wie möglich am wahren Geschehen zu bleiben. Im Gegensatz zu „Evil“ ist sein neuester Roman nicht durchgehend grausam, sondern hat zu Beginn und zum Ende hin seine blutigen Momente. Dazwischen gelingt mit viel sprachlichem Feingefühl ein Seelenstriptease der verlorenen Protagonisten.

„Wir sollten sie abknallen. Du warst nie jagen, Jen, deshalb kannst du das nicht verstehen. […]Man sieht es in ihren Augen. In einem Moment ist alles okay […]. Und im nächsten Moment sind sie in der Karnickelhölle.“ (The Lost, S. 13)

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Jack Ketchum – The Lost
Heyne-Hardcore, 2011.
432 Seiten
19,99 €, Gebundene Ausgabe.
Heyne
Ketchum
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Die „Pussy Wetting Goth Rock“-Band „Lord of the Lost“ aus Hamburg hat sich personell verändert. Drummerin Any Wayst und Gitarrist Sebsta Lindström mussten aus Zeitgründen die Band verlassen. Während Sebstas Platz leer bleibt, nimmt ein anderer die Drumsticks in die Hand: Christian „Disco“ Schellhorn, manchen bekannt durch die Glamrockband „The Pleasures“. Er hat sich die Zeit genommen für ein kurzes Interview.


Christian „Disco“ Schellhorn

Kyra Cade: Neues Jahr, neue Band. Freust Du Dich, bei „Lord of the Lost“ zu sein?
Disco: Was soll ich dazu sagen? Natürlich! Dass ich jetzt fest bei „LOTL“ bin, erfüllt für mich viele Träume auf einen Schlag!

K. C.: Du bist einige Male für Any eingesprungen, war es da die logische Konsequenz, dass Du ihren Platz einnimmst?
Disco: Für mich schon, da die Shows extrem viel Spaß gemacht haben und ich es liebe, mit den Jungs unterwegs zu sein. Da hätte ich schon große Augen gemacht, wenn da auf einmal jemand gekommen wäre, der noch besser zur Band passt. Und trotzdem dachte ich mir immer, dass es besser wäre, nicht zu sehr darauf zu hoffen, dass ich der neue Drummer von „LOTL“ werde. Das ist so ein Aberglaube von mir. Wenn man sich etwas zu stark wünscht, dann verscheucht man es.

K. C.: Sind Männer die besseren Schlagzeuger?
Disco: Pauschal: Nein. Aber es gibt einfach im professionellen Bereich zu 98% männliche Schlagzeuger! Nach meiner Erfahrung ist es so, dass die Mädels einfach irgendwann aufhören, wenn ein gewisser Punkt erreicht ist. Keine Ahnung, warum genau. Und es gibt so viel Konkurrenz, so viele unglaublich gute Schlagzeuger! Das ist vielleicht auch manchmal einschüchternd, wenn man das Gefühl hat, man muss als Frau mit den ganzen Männern konkurrieren. Aber ich ermuntere hiermit alle Mädels der Welt, einfach ihr Ding zu machen! Denn es sollte meiner Meinung nach mehr Bands mit Frauen am Schlagzeug geben! Oder am Bass…egal, Hauptsache: ran an die Instrumente! Wenn ihr am Instrument selbstbewusst und cool ausseht, dann werden die Typen schon verstehen, dass ihr besser zur Band passt! Denn es geht weiß Gott nicht nur darum, wie man spielt. Genauso wichtig ist es, wie man performt!

Hamburger Energiebündel

K. C.: Bisher hast Du bei „The Pleasures“ gespielt. Wirst du weiterhin mit den Glamrockern auftreten oder ist diese Zeit vorbei?
Disco: Ich spiele auch weiterhin bei den „Pleasures“! Wir arbeiten weiter an unserer Performance und neuen Songs, da wird noch einiges passieren, hoffe ich!

K. C.: Wer ist denn Disco? Stell Dich bitte kurz vor.
Disco: Ich bin in Hamburg geboren und spiele Schlagzeug seit ich acht oder neun Jahre alt bin. Das war meine erste Liebe! Auf vielen Umwegen und nach einigen Bands bin ich dann 2008 bei „The Pleasures“ gelandet, bei denen Chris ja auch als Gitarrist und Sänger aktiv war! Da habe ich endlich mal wieder Musik machen können, die ich richtig geil fand! Wir haben uns auch ziemlich vermisst, seit Chris nicht mehr bei „The Pleasures“ war und von daher freut es mich besonders, jetzt wieder mit ihm in einer Band zu sein. Die Energie auf der Bühne und die Energie von den Fans ist für mich umwerfend, diese Band gibt mir alles, was ich brauche und ich werde hoffentlich lange dabei sein!

Die großen Bühnen erobern

K. C.: Wie bist Du zu dem Namen „Disco“ gekommen?
Disco: Er kommt nicht daher, dass ich so oft in die Disco gehen würde! Der Name kommt durch die bereits erwähnte Glamrockband „The Pleasures“ bei denen ich seit über 3 Jahren dabei bin. Eigentlich war das ein Spruch auf einem T-Shirt, als wir zusammen Bühnenklamotten gesucht haben. „Here Comes Disco Beat“ stand da drauf. „Disco“ ist für einen Drummer ein ziemlich passender Name, fanden wir alle!

K. C.: Deine Wünsche und Pläne für die Zukunft?
Disco: Ich wünsche mir, viele Shows zu spielen und davon leben zu können. Es wäre schon toll, wenn sich die ganze Arbeit irgendwann auch mal finanziell so richtig auszahlt. Aber auch so werde ich weitermachen, weil ich gar nicht anders kann! Ich liebe es, Schlagzeug zu spielen und ich liebe es, professionell zu arbeiten. Beides kriege ich bei „LOTL“. Da in der Band jeder so eine leidenschaftliche Einstellung hat, bin ich mit fast sicher, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Band ihren Teil vom großen Kuchen abbekommen wird!
Die Pläne für die Zukunft sind somit auch klar: Weitermachen, bis wir die ganz großen Bühnen erobert haben, kurz die Aussicht genießen und dann sofort wieder weitermachen!

K. C.: Ein paar Worte zum Schluss?
Disco: Wir sehen uns bei der nächsten Show!

K. C.: Vielen Dank für das Interview!

Rache – Der stärkste Grund zu leben

Detective Robert Hunter wird zu einem Tatort gerufen, der grausiger kaum sein kann. Ein Priester wurde enthauptet und auf dem Rumpf steckt ein Hundekopf. Was zunächst nach einer Einzeltat aussieht, entpuppt sich bald als Werk eines Serienmörders, der seine Opfer auf bestialische Weise tötet und dabei immer deren größte Angst real werden lässt. Nach langer Suche werden Hunter und sein Partner Garcia fündig: Die Morde geschehen aus Rache, doch fehlt vom Täter weiterhin jede Spur. Schließlich treffen sie die siebzehnjährige Mollie, die hellsichtig ist und kurze Momente der Verbrechen miterlebt. Zeitgleich treibt der „Slasher“ in L.A. sein Unwesen und tötet junge Frauen. Werden Hunter und Garcia die nächsten Morde verhindern können?

Das Buch beginnt mit einer Folterszene, bei der ich die Zähne zusammenbeißen musste. Drei Schüsse mit der Nagelpistole ins Knie – da brauch ich nicht mehr den Hinweis des Autors, dass das Opfer schreit. Nicht minder brutal geht es weiter: Immer ekliger und grausamer werden die Morde. Beim zweiten beschriebenen Tötungsdelikt wird nicht nur Detective Garcia übel. Die Beschreibung der verkohlten Leiche und des geschmolzenen Gesichts ist hinreichend ausführlich.
Mit vielen Details beschreibt Chris Carter, was der Täter seinen Mitmenschen antut und wie brutal und rücksichtslos er dabei vorgeht. Aber auch das Seelenleben wird beschrieben. Dabei schöpft der Bestsellerautor wohl aus seinen eigenen Erfahrungen als forensischer Psychologe in L.A.
Ein bisschen seltsam erscheint die Figur Mollie. Passt eine Hellsichtige wirklich in einen Thriller dieser Art? Ja, tut sie. Wenngleich nicht immer ganz logisch in den Verlauf der Handlung eingebunden, ist ihre Rolle für diese Geschichte wichtig. Dafür ist der Protagonist Hunter umso typischer für einen amerikanischen Polizisten. Natürlich erzählt er seinem neuen Captain Barbara Blake nicht alles, setzt sich über deren Anweisungen hinweg, ist gutaussehend und bekommt jede Frau ins Bett – lässt aber die aufdringliche Reporterin abblitzen. Die stirbt übrigens auch, leider bleibt das Motiv auf der Strecke. Außerdem bricht der Polizist mal eben in das Haus eines möglichen Verdächtigen ein, ist eher ein Einzelkämpfer und beschützt die verstörte Mollie. Die Figur des Robert Hunter ist etwas zu trivial, zu sehr wie so viele andere Detectives, sei es Linley aus den Elisabeth George Krimis, Jenner aus Jonathan Hayes‘ Thrillern oder Dr. Hunter aus der Beckett-Reihe.
Dennoch bleibt das Buch von der ersten bis zur letzten Seite spannend und macht es dem Leser sehr schwer, es wegzulegen. Der Magen sollte allerdings leer sein.
„Der Vollstrecker“ ist das zweite Werk des Brasilianers Chris Carter, der mit „Der Kruzifixkiller“ auf Anhieb einen Verkaufshit landete. Man muss das Erstlingswerk nicht gelesen haben, um alle Zusammenhänge zu verstehen, aber schaden kann es nie.

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Chris Carter – Der Vollstrecker
Ullstein-Taschenbuch, 2011
488 Seiten
9,99 Euro

Ullstein
Chris Carter
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„Der LADEN kommt“ –
Ein Einkaufsparadies wird zum Albtraum

verderben

Juniper ist eine kleine Stadt in Arizona. Umgeben von unberührter Natur und mit begrenzten Einkaufsmöglichkeiten fühlen sich die Bürger hier wohl. Als der LADEN eine Filiale ankündigt, ist man zunächst begeistert, denn endlich muss man nicht mehr in angrenzende Städte fahren, um das einzukaufen, was in Juniper nicht angeboten wird. Wortwörtlich über Nacht wird eine Wiese planiert und der LADEN errichtet. Er wird zum größten und bald auch einzigen Arbeitgeber in der Stadt, denn alle privaten Geschäfte müssen schließen. Bill Davis ist gegen die neue Einkaufsmöglichkeit, die anscheinend den Stadtrat besticht, der immer seltsamere Gesetze verabschiedet und schließlich geschlossen Suizid begeht – oder war es doch Mord? Dann sind da noch Bills Töchter, die im LADEN jobben und sich immer eigenartiger verhalten. Und wer sind die schwarzen Nacht-Manager, die nach Sonnenuntergang durch das Geschäft und die Stadt schleichen und Bewohner verschwinden lassen? Der LADEN ist omnipräsent und hat bald schon alles unter seine Kontrolle gebracht, einschließlich der Medien und sogar der Polizei. Als Bill zumindest seine jüngste Tochter aus den Fängen des Unternehmens befreien möchte, ist eine Kündigung unmöglich: „Sie ist Teil des LADENS!“
Plötzlich bekommt er einen Termin beim Gründer der Kette, Newman King, und muss erkennen, wer oder was hinter allem steckt. King macht Bill ein Angebot, das er scheinbar nicht abschlagen kann…

Bentley Little hat es einmal mehr geschafft, mich zu fesseln. Er schreibt flüssig und spannend, mit ein bisschen Phantasie kann man sehr gut nachempfinden, was die Hauptakteure zu fühlen scheinen: Angst, Beklemmung und Hilflosigkeit.
Wie bereits bei „Böse“ oder „Fieber“ hat sich der amerikanische Autor eine Situation aus dem täglichen Leben herausgegriffen, die er zum Albtraum werden lässt. Auch in seinem neuen Buch „Verderben“ beschreibt er, wie die Akteure immer mehr an Individualität und Entscheidungsfreiheit verlieren und verstärkt zu Marionetten werden, die einem Etwas folgen. Dass es sich dabei nur beim ersten Blick um einen Menschen handelt, wird bald deutlich. Was ist es, das alles befiehlt und scheinbar übernatürliche Kräfte besitzt? Little beantwortet diese Frage nie komplett. Der Leser kann sich aussuchen, ob es ein Dämon ist oder der Leibhaftige persönlich.
Im Vergleich zu anderen Romanen des Amerikaners hat „Verderben“ einen moralischen Aspekt. Unser Konsumverhalten wird beleuchtet und wir kriegen einen Schlag auf die Finger. Wo kaufen wir denn ein? Beim Tante-Emma-Laden, der seit über 20 Jahren existiert, der aber auch ein paar Cent teurer ist? Oder doch lieber beim Discounter, ein riesiges, günstiges Einkaufsparadies, das alle anderen Einkaufsmöglichkeiten verdrängt? Vielleicht ist dies unbewusst, aber der Leser wird zum Nachdenken aufgefordert und analysiert sein eigenes Kaufverhalten.
Die Einschränkungen der Bewohner Junipers sind zwar deutlich, aber nur unterschwellig drastisch. Obwohl mir die Geschichte sehr gefallen hat, bin ich enttäuscht, dass manche Aspekte in zwei Sätzen angesprochen werden, aber nicht weiter ausgeführt. Auch der Klappentext verspricht etwas Anderes, eine deutlichere Darstellung der negativen Auswirkungen auf den einzelnen Mitarbeiter des LADENS, eine genauere Beschreibung der Nacht-Manager und ähnliches. Aber diese existieren nur, werden hier und da kurz beschrieben, mehr nicht.
Littles Romane ähneln sich. „Verderben“ ist das dritte Buch von ihm, das ich gelesen habe und mir war von Beginn an klar, wie die Geschichte verlaufen wird. Es scheint, als habe der Autor sich ein Schema überlegt und nach diesem schreibt er alles. Dabei wird nur der Ort umbenannt, die Protagonisten bekommen andere Namen und es geht um ein anderes Übel. Ob es nun eine Versicherung ist, die restlos alles versichern kann und will; eine Wohnsiedlung, die alles kontrolliert durch hirnrissige Regeln oder eben ein Discounter, der seine Kunden und Angestellten zu willenlosen Geschöpfen macht. Dennoch werden – und das muss man Little hoch anrechnen – die Bücher nicht langweilig, sondern bleiben konstant ansprechend und spannungsgeladen. Was passiert denn noch, wie weit geht der Autor und hat der Protagonist eine Chance gegen das Böse? Gewinnt er den Endkampf oder gibt er sich der Macht hin? Denn:
„Jede Seele ist käuflich. Was ist dein Preis?“

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Bentley Little – Verderben
Bastei Lübbe Taschenbuch, 2011.
541 Seiten.
8,99 Euro

Bastei Lübbe
Bentley Little
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Die Könige der Spielleute zu Gast in Franken

Noch werden die letzten Handgriffe auf der Bühne gemacht und das Publikum wartet immer ungeduldiger. Teilweise zumindest. Manche stört es auch gar nicht, dass Corvus Corax nicht um Punkt 20 Uhr beginnen. Sie reden, lachen, knipsen Erinnerungsfotos oder sitzen auf dem Boden und lesen.
Doch dann wird es dunkel, Jubel bricht los und Castus Rabensang betritt alleine die Bühne. Mit gewohnt dunkler Stimme begrüßt er das Publikum und erzählt von der langen Reise in den Norden. Tatsächlich haben die Spielmänner mehrere Länder bereist, um sich Inspiration für ihr aktuelles Album „Sverker“ zu holen. Dieser Abend steht nun ganz im Zeichen des dänischen Königs und der nordischen Mythologie.
Mit Umhängen und Masken bekleidet betreten nach und nach alle sieben Musiker die Bühne. Vier von ihnen haben Hörner dabei, in die kräftig geblasen wird, unterstützt vom Getrommel der Kollegen.
Es macht großen Spaß, der Band zuzuhören, die einen tollen Auftakt gibt. Nach dem ersten Lied werden fix Masken und Mäntel abgelegt, die Instrumente gewechselt und weiter geht’s.
Dies ist überhaupt ein sehr auffälliger Punkt: Eben noch ein Horn in der Hand, im nächsten Moment einen Dudelsack und dann wird das Organistrum (die größte Drehleier der Welt) in den Vordergrund geschoben. Das Team hinter und neben der Bühne ist flink und fleißig, weiß genau, wann Sackpfeife, Schalmei, Trumscheit oder die Cister angereicht werden müssen. Der Ablauf ist reibungslos – zumindest erscheint es so.

Corvus Corax bieten eine Vielzahl an Instrumenten und es ist stets faszinierend, welche Apparaturen beherrscht werden. Sie machen viel Show, drehen sich mit ihren Dudelsäcken um die eigene Achse, schwingen die Hüften, springen in die Luft. Castus spricht immer wieder das Publikum an. Wim, Vit und PanPeter fordern zum Klatschen, „Hey“-Rufen oder Tanzen auf.
Anfangs ist letzteres noch ein Problem und scheinbar niemand bewegt sich zur Musik. Doch nach etwa zwanzig Minuten hält kaum einer mehr die Füße still, sondern lässt sich von den schnellen Rhythmen mitziehen.
Nicht nur die Stücke der „Sverker“-CD werden geboten, auch die schönen alten Lieder, wie „Venus Vina Musica“ oder später „In Taverna“ werden gespielt. Die Zuschauer sind bei diesen Songs sehr textsicher. Schwierig wird es erst, als Castus den Refrain von „Havfru“ vorsagt und wir ihn nachsingen sollen. Es bedarf erheblich mehr Training unsererseits.
„Trinkt vom Met, vom Bier und vom Wein“ lässt man sich nicht zweimal sagen. Wer ein Bier in der Hand hat, prostet den Spielleuten zu – und die erste Reihe wird mit Met aus einem Schlauch verköstigt. Nur wer will, natürlich, und anfangs ist man sehr zurückhaltend.
Die Band scheint bester Laune zu sein und ist auch zu kleinen Späßen aufgelegt, kündigt Castus doch an, dass als nächstes die „Großmaultrommel“ dargeboten wird. Als wir schließlich die Hände erheben sollen und der Band im Takt zuwinken, fehlt selbiger erst mal– aber wen stört das? Wir winken trotzdem, wenngleich auch ziemlich taktlos.
Mittlerweile ist die Stimmung großartig und der Jubel vor, während und nach den Liedern wird immer lauter. Es ist gigantisch, was uns geboten wird. Hatz, Norri und Steve trommeln, was die Arme hergeben: schnell, langsam, noch schneller. Was Corvus Corax auf der Bühne präsentieren, ist nicht nur eine perfekte Show, die nie langweilig wird, sondern auch körperliche Anstrengung, vor der ich großen Respekt habe.
Schließlich wird es ernst. „Die Welt geht unter! Nächstes Jahr“, sagt Castus und lächelt. „Aber wie Martin Luther schon sagte: Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch eine Weinrebe pflanzen!“ Wie der Musiker feststellt, wollte der Reformator zwar ein Apfelbäumchen in die Erde setzen, aber Weinreben sind doch passender. Es folgt ein schnelles Stück mit viel Rhythmus und Percussion, das wie das Grande Finale des Abends klingt. Doch was könnte das Konzert besser abschließen, als „Ragnarök“, der Weltuntergang in der nordischen Mythologie?
„Die Welt geht unter, lasst uns feiern“, so die Aufforderung und der kommen wir sehr gerne nach. Live klingt dieser Song wesentlich besser. Das Licht ist in dunklem Grün und einem Lilaton gehalten, Busine und Trommeln gehen durch Mark und Bein und der Gesang ist viel ehrfurchtsgebietender. Unbeschreiblich beeindruckend!
Dann verlassen Corvus Corax die Bühne unter lautem Applaus, der gar nicht enden will. Wir zeigen Durchhaltevermögen und die Band erscheint noch einmal und spielt die erste Zugabe – 25 Minuten lang! Die Stimmung ist auf dem absoluten Höhepunkt und der Jubel derart stark, dass man meinen könnte, der Hirsch sei ausverkauft.

Es gibt noch einmal Met für diejenigen aus der ersten Reihe, die möchten. Dieses Mal traut sich sogar eine Dame, die den „Schluck!“-Rufen nachkommt und „etwas von ihrem Handwerk versteht“, wie Castus zwinkernd mitteilt. Ein scheinbar letztes Lied, frenetischer Applaus und Corvus Corax verschwinden hinter der Bühne. Nach einer solchen Zugabe wagen viele gar nicht, um eine weitere zu bitten und einige wenden sich bereits dem Ausgang zu.
Ein fleißiger Helfer der Band schleicht nach vorne, nimmt zwei Dudelsäcke und geht wieder. Da muss doch noch etwas kommen, denkt man sich und applaudiert und jubelt einfach weiter.
Wir werden nicht enttäuscht. Gemächlichen Schrittes und die Dudelsäcke spielend, kommen die sieben Musiker erneut auf die Bühne. Mit zwei Liedern, die noch einmal alles von ihnen abverlangen, verabschiedet sich die Band endgültig. Zuvor wird noch mit den kleinen Becken gespielt. Castus zumindest lässt das Kind im Manne raus, winkt mit den roten Puscheln, die daran befestigt sind und missbraucht das Instrument als Hütchen.
Dann ist es aber wirklich vorbei. Die Musiker verbeugen sich artig und unter großem Applaus.
Sogar nach dem Konzert nehmen sich Corvus Corax noch viel Zeit für ihre Fans. Sie signieren geduldig CDs, Plakate und nackte Haut; lächeln in unzählige Kameras und sind zu einem Plausch bei Bier oder Met bereit.
Es war ein grandioser Abend! Die Könige der Spielleute haben zwei Stunden eine tolle Show geliefert und das Publikum sehr gut unterhalten. Die Freude an der Musik wurde auf die Zuschauer übertragen und Nürnberg freut sich auf ein (hoffentlich baldiges) Wiedersehen.

Der Weg zum größten Indoor-Metal-Festival Deutschlands ist nicht ausgeschildert. Aber außer einem Autohof ist auch nichts da und Verfahren somit unmöglich. Der Parkplatz ist groß, für manche Autofahrer fehlen weiße Linien, die ihnen genau vorgeben, wo sie parken können. Wie es zur Eventhalle geht, ist auch nicht ausgeschildert, außer man steht direkt davor – nach dem Stopp beim Burger King und dem Stolperer über eine unmotivierte Schwelle. Wer erwartet auch ein großes Kreuz über einer Halle, die an diesem Wochenende eine große Zahl Metaler erwartet?
Wenn man endlich angekommen ist, freut man sich auf das kleine Einlasszelt mit den Heizpilzen, um die sich Männer (!) drängeln. Wir Frauen halten dann doch mehr aus, denke ich zumindest, bis ich zwanzig Minuten später auch darunter stehe. Viele Neuankömmlinge haben vorgeglüht, riechen deutlich nach Alkohol und begrüßen jubelnd Securities und wartende Presseleute. Aus der Halle kommt nur ein dumpfes Dröhnen, sie ist recht gut isoliert. Das müssen „Suidakra“ sein, die ich eigentlich auch hatte sehen und hören wollen.
Weitere zwanzig Minuten später kommt endlich derjenige, der für die Akkreditierungen zuständig ist. „Der war jetzt fast eine Stunde auf dem Klo. Also wenn ich da so lange bin…“, raunt der Journalist neben mir in mein Ohr und zwinkert mir verschwörerisch zu. Danke, so viel wollte ich dann gar nicht wissen.
Sicherheit wird klein geschrieben in Geiselwind. Keine Taschen und keine Personen werden kontrolliert, dabei hat mehr als die Hälfte ein Deo und ein Feuerzeug dabei und in der Halle stelle ich sehr schnell fest, dass das eine oder andere Messer auch seinen Weg hierher gefunden hat. Nicht, um damit wirklich tätlich zu werden, aber man präsentiert stolz: „Ey, das haben die gar nicht gecheckt!“
Bei so manchem Gast frage ich mich, ob es einfach nur die Flucht vor einem langweiligen Wochenende werden soll. Wie Metalhörende wirken sie nicht. Als eine Gruppe an mir vorbei die Treppe nach oben stolpert und fragt: „Grave Digger? Wer ist das denn? Die gibt’s noch nicht so lang, oder?“, möchte ich nur zu gerne Aufklärungsarbeit leisten. Später sehe ich die Gruppe noch mal, da spielen gerade „Iced Earth“ und die Jungen stehen gelangweilt mit einem Bier in der Hand herum. „Das ist schon ein bisschen harte Musik.“ Sie denken, ich brülle wegen der Band und singe mit.

Van Canto
Aber zurück zum Beginn. Endlich stehe ich also in der Eventhalle und „Van Canto“ betreten die Bühne. Ich bin gespannt, denn live habe ich die Band noch nie gesehen. Die Menge vor der Bühne geht gar nicht mit, obwohl die „Van Canto“ wirklich alles gebn und eine tolle Show abliefern. Ganz kurz gehen in den ersten vier Reihen mal die Hände nach oben – aber auch schnell wieder runter, zu anstrengend. Die hinteren zwei Drittel des Publikums tut exakt gar nichts! Man steht rum und starrt nach vorne – oder sonst wohin. Immerhin ist der Jubel ganz annehmbar, der dann doch nach jedem Lied zu hören ist. Da die a capella Band einige Trinkpausen einlegen muss, in denen der Drummer den Takt vorgibt, wird das Publikum zu „unfassbar viel Krach“ aufgerufen. Sicherlich wäre mehr möglich gewesen. Dafür wird aber das Grave Digger Cover „Rebellion“ lautstark begrüßt und manche singen sogar mit. Gnadenlos gebangt wird dann beim Sabaton Cover „Primo Victoria“. Hier ist endlich mal ein bisschen Stimmung in der Eventhalle – und „Van Cantos“ Auftritt auch schon fast vorbei. Die sechs Musiker haben alles gegeben und ein tolles Konzert geboten.

Powerwolf
Die Umbaupausen sind recht lang. Die meisten strömen nach draußen, in den Vorraum, um der Nikotinsucht zu frönen. Wieso jetzt in geschlossenen Räumen geraucht werden darf, verstehe ich nicht ganz. Wir sind doch in Bayern! Als nächstes sind die Powerwölfe dran, und wie schon auf der Power of Metal Tour im Herbst, dauert es etwas länger, bis alles aufgebaut ist.
Dann wird es dunkel und Attila Dorn betritt langsamen Schrittes die Bühne. Als er zu singen beginnt, schießen Feuersäulen in die Höhe. Sofort fällt auf, dass Gitarrist Matthew Greywolf fehlt – was Dorn gegen Ende des Konzertes auch kommentiert mit den Worten: „Matthew liegt in Couch – autsch!“. Aber „Powerwolf“ haben einen würdigen Ersatz gefunden, der wirklich alles gibt, ebenso Grimassen schneidet und bei „Saturday Satan“ ein hörenswertes Gitarrensolo hinlegt. Falk Maria Schlegel macht immer wieder Stimmung und fordert das Publikum zu Jubelrufen auf. Nur zu gerne kommt man dem nach. Die Interaktion zwischen Band und Zuschauern ist großartig und die Wölfe spielen alte und neue Songs, die meist mitgesungen werden. Dabei lässt es sich Sänger Dorn nicht nehmen, witzige Ansagen zu machen oder nach „Dead boys don’t cry“ zu fluchen: „Fällt mir Mikro aus, Mann, so ein Scheißdreck!“. Positiv überrascht ist er von der steigenden Zahl weiblicher Fans, die doch bitte einmal brüllen sollen. Nun ja, die Männer sind dann doch wieder lauter. Die Halle hat sich gefüllt, was sicherlich auch der Uhrzeit geschuldet ist und die Powerwölfe heizen richtig gut ein. Schließlich widmen sie „Catholic in the morning, Satanist at night“ noch einem besonderen Herrn: „Für unseren Papst! Die Pfeife!“ Dann ist leider der grandiose Auftritt schon wieder vorbei und Dorn bedankt sich wie immer mit einem herzlichen „Vielen Dankeschön!“.
„Powerwolf“ haben sich gelohnt. Die Show war großartig!

Grave Digger
Wenn Axel Ritt die Bühne betritt, ist es egal, wer da noch rumsteht. Alle Augen sind auf den Mann mit der schwarz-weiß-gestreiften Gitarre gerichtet, der sofort richtig mit der Show loslegt, bevor Chris Boltendahl auf die Bühne rennt und gleich mal ordentlich ins Mikro brüllt. 30 Jahre Bühnenerfahrung lassen sich eben nicht wegwischen. Der Sänger ist gut drauf, macht Späßchen, singt mit viel Freude und hat sichtlich Spaß daran, hier zu sein. Die Menge ist mittlerweile angewachsen, guter Laune und tut das, was man eben so macht auf einem Metalkonzert: Eifrig die Köpfe schütteln, Pommesgabeln in die Luft stechen und lautstark „Grave Digger“ bejubeln. Mit üblicher Schreistimme kündigt der Bandleader die Songs an und dann verschlägt es sogar ihm die Sprache. Kaum hat er „Van Canto“ gesagt, singt die Halle „Rebellion“. Ein emotionaler Moment mit Gänsehautgarantie. Boltendahl steht auf der Bühne, lächelt und schweigt erst einmal, bis er sich bedankt und den Song selbst anstimmt. Den Abschluss bildet wie immer „Heavy Metal Breakdown“. Man will die Band zwar nicht gehen lassen, aber Zugaben sind zeitlich nicht drin.
„Grave Digger“ waren wie immer toll, jedoch war der Sound zum Teil ein einziges Bündel Lärm und keine gute Musik.

Iced Earth
Auf die nächste Band habe ich mich insofern gefreut, als dass ich sie noch nie gehört und auch das neue Album „Dystopia“ gekonnt ignoriert habe. Gespannt warte ich, finde das Bühnenbild ziemlich cool und bin geflasht, als Jon Schaffer auftritt. Er rockt die Halle, ist omnipräsent auf der Bühne, bis Sänger Stu Block nach vorne rennt und ins Mikro grölt. Es macht sehr viel Spaß, der Band zuzusehen. Ihre Freude an der Musik ist deutlich spürbar und „Iced Earth“ übertragen sie auch auf das Publikum. Dieses ist begeistert, brüllt sich die Seele aus den Leibern, schüttelt die Köpfe, dass es wehtut und genießt anderthalb Stunden lang die Show. Anfangs wird viel mit den Zuschauern interagiert, viel geredet, doch bald konzentriert man sich nur noch auf die Musik. „Iced motherfucking Earth“ spielen alte und neue Songs, die durchgehend positiv aufgenommen und mit viel Jubel kommentiert werden. Die Veranstalter des Festivals haben sich auch nicht lumpen lassen und damit wirklich jeder einen Blick auf die Bühne werfen kann, wird das Konzert auf einer Leinwand übertragen, die man auch etwas abseits des Gedränges gut einsehen kann. Ein sehr gelungener Auftritt, der zumindest mich davon überzeugt hat, „Iced Earth“ unbedingt noch einmal live sehen zu wollen. Schließlich gesteht die Band den Fans „We fucking love you!“, bevor sie verschwindet.

Blind Guardian
Die Eventhalle leert sich. Wer jetzt nach draußen strömt, will nach Hause, nicht rauchen, dabei steht noch eine Band auf dem Programm. „Blind Guardian“. Keine Unbekannten, aber schon fast ein Kontrastprogramm zum vorherigen Act. Als die ersten Klänge ertönen, bricht Jubel los. Mit Sprechchören werden die Musiker empfangen und Sänger Hansi Kürsch hat ein Lächeln auf dem Gesicht, das während des gesamten Auftritts nicht verschwindet. Ich finde das bewundernswert. Während EMP eingepackte Fahnen ins Publikum wirft, singen die Fans eifrig mit und freuen sich ebenfalls, dass „Blind Guardian“ hier sind. Auch dieser Auftritt wird auf Leinwand übertragen. Als ich mich jedoch aus der Menge nach hinten bewege, wo es deutlich leerer ist, wird der Sound auch hörbar schlechter. Ein Security ertappt mich dabei, dass ich zu einem Song schunkle. Das passt nicht auf diese Art Festival, aber zu dem, was musikalisch gerade aus den Boxen kommt – es wird den Metalern definitiv nicht gerecht. Nicht nur ein Fan verlässt etwas enttäuscht vorzeitig das Konzert. „Auf CD klingen sie besser, zumindest besser als heute Abend!“ Traurig, aber leider wahr. Dennoch hat es sich rentiert, nach Geiselwind zu fahren an diesem Tag.
Zahlreiche Fotos und viele Videos auf youTube lassen jeden teilhaben, der nicht dabei sein kann.
Am Samstag geht es weiter. Mit tollen Bands wie Equilibrium, Marduk, Caliban oder Arch Enemy. Leider ohne mich. Das Wetter macht nicht nur mir einen Strich durch die Rechnung.

Gesamt betrachtet hat sich das Christmas Metal Festival gelohnt. Man muss eben flexibel sein, die Running Order oder auch die Preise ändern sich spontan. Dafür gab es in diesem Jahr ein faires Abendkassensystem, so dass man wirklich nur die Hauptacts bezahlen musste. Vier Tage Festival an zwei verschiedenen Wochenenden und Orten sind leider sehr unpraktisch, was die Veranstalter auch zu spüren bekamen. Da musste man sich entscheiden, welche Tage man auswählt. Aber das Line-Up konnte sich definitiv sehen lassen. Ob und in welcher Form es das Christmas Metal Festival im nächsten Jahr geben wird, ist derzeit leider noch unklar, aber wenn es wieder stattfindet: Es wird sich lohnen!