Alles sein und doch nichts bedeuten

Liesl Karlstadt

2006 hat das Valentin-Karlstadt-Musäum in München einen wahren Schatz erhalten: Sehr persönliche Briefe von Liesl Karlstadt wurden von der Tochter einer guten Freundin persönlich übermittelt. Historiker- sowie Archivarherzen schlugen eine Oktave höher! Diese 139 Briefe und Postkarten aus den Jahren 1935 bis 1953 klärten vieles, schlossen viele historische Lücken und deckten manches auf. Leider auch, dass es um die Beziehung Liesls zu Karl Valentin nicht immer rosig stand. Die beiden waren auf der Bühne und privat ein Paar, doch allmählich rutschte Liesl Karlstadt in eine tiefe Lebenskrise.

Die Jahre 1935 bis 1945 waren ihre schlimmsten, schwersten Jahre. Dabei entwickelte sich anfänglich alles so gut! Liesl Karlstadt ist 1892 als Elisabeth Wellano in ärmlichste Verhältnisse hineingeboren. Sie hatte etliche Geschwister, von denen einige starben, für ihre kleine Schwester war sie praktisch die Mutter. Sie wäre gerne Lehrerin geworden, aber für sie gab es nur eins, eine Lehre zu machen. Danach fing sie in einem Kaufhaus, dem späteren Karstadt am Hauptbahnhof, als Textilverkäuferin an. Durch Zufall kam sie ans Theater. Sie bekam eine Einladung in ein Gasthaus, in dem es eine Aufführung gab. Sie war sichtlich begeistert, sodass man sie fragte, ob sie als Anfängerin mitmachen wollte. Sie wollte! Und bald lernte sie auch Karl Valentin kennen, der damals schon sehr bekannt war. Zusammen waren sie ein super Team, er der lange, unverwechselbare Lulatsch, sie die kleine wandelbare zehn Jahre jüngere Frau. Ihre Arbeit sah immer flockig und lustig aus. Doch die Zusammenarbeit war nicht immer harmonisch. Valentin war von Neurosen geplagt, hatte Ängste, sei es um sich und sein Leben, sei es vor fremden Städten, und Karlstadt musste alles abpuffern. Immer mehr litt sie darunter und hat im Laufe der Zeit schwere Depressionen entwickelt, 1935 beging sie sogar einen Selbstmordversuch. Es war ja nicht nur so, dass er manchmal beleidigend war (und dabei konnte er auch ausgesprochen charmant sein), es war einfach irgendwann alles zu viel für Liesl. Sie hatte Karl Valentin nämlich nicht für sich alleine. Valentin war verheiratet, hatte Kinder, und sie war nur seine Geliebte. Auch beruflich lief gegen Ende der 1920er Jahre nicht mehr alles so rund, das Volkssängerbühnensterben begann und setzte den beiden zu. Valentin hatte neben Liesl noch eine Geliebte, und sie, die unter Versagensängsten und Depressionen litt, geriet immer tiefer hinein in ein schwarzes Loch. Nach dem verunglückten Selbstmordversuch 1935 kam sie in die Psychiatrie. Und hier beginnen die Briefe mit Norma Lorenzer, einer langjährigen guten Freundin. Ihr schüttet sie ihr Herz aus, hier beschreibt sie, wieviel Kraft und Disziplin sie immerzu aufwenden muss. Das hat man der nach außen hin professionell auftretenden Künstlerin nicht angemerkt. Aber sie konnte Karl Valentin oft nicht mehr ertragen, aber aufgeben konnte sie ihn auch nicht gleich. Erst nach und nach, vor allem nach einem erneuten Zusammenbruch 1939 begann sie, sich von ihm zu lösen. 1941 und 1943 erholte sie sich im Gebirge. Die Berge waren ihr Kraftfeld, hier war sie viel und hier konnte sie sich erholen. In die Ehrwalder Alm hat sie sich verliebt und in die Tiere und Menschen, die dort lebten oder hinkamen. Sie freundete sich mit Soldaten auf der Ehrwalder Alm an und war der einzige weibliche „Mulitreiber“ in Uniform. Hier erholte sie sich von den Strapazen. Gegen Kriegsende war sie dann wieder in München.

Das waren zehn lange und teils bittere Jahre für Liesl Karlstadt. Ich kenne viele Arbeiten von Valentin und Karlstadt, aber ich wusste nicht, dass die Beziehung von so viel Düsternis durchzogen war. Ich habe große Achtung vor Liesl Karlstadt, dass sie Valentin, diesen gnadenvollen Schauspieler, aber neurotischen Partner so gestützt hat. Er hat sich Freiheiten genommen, die sie sich nicht rausnehmen durfte, er hat sie viel Kraft gekostet. Das alles kommt in diesen bisher unveröffentlichten Briefen aus dieser Zeit klar hervor. Ergänzt wird dieses Zeitdokument durch viele Bilder und Dokumente. Es ist ein schönes Stück Zeitgeschichte, die man im Valentin-Karlstadt-Musäum mit der aktuellen Sonderausstellung (Klick) über diese zehn schweren Jahre noch vertiefen kann.

Sabine Rinberger, Andreas Koll (Hg.): Liesl Karlstadt – Schwere Jahre: 1935-1945
Verlag Antje Kunstmann, Vö. 25. September 2019
Gebundenes Buch, 150 Seiten
20 Euro

 

(1973)