„Ich wünschte, Jimmie Rodgers wäre tot, weil er jedem kleinen Jungen im Land das Jodeln beigebracht hat“

Wagner_JodelmaniaA bisserl komisch is scho: Neo Folk, Folk Punk, Folk Metal, Tribal, Metal mit Panflöte und Tulnic (dem Alphorn durchaus ähnlich), mit Pferdekopfgeige und Ober- und Untertongesang – geht alles. Andererseits: Wenn Bayern bis in seine hintersten Winkel, und gerade dort, irgendeine subkulturelle Musikrichtung wirklich kann, dann ist das Metal. Aber gibt es eigentlich eine Metalband, überhaupt irgendeine „dunkle“ Band, die mehr oder minder „hiesige“ musikalische Traditionen ernsthaft integriert? Die Betonung liegt auf ernsthaft (und irgendwelcher reaktionärer Stadionrockstadl zählt selbstredend ganz gewiss nicht). Schon mal einen Blackmetaller jodeln gehört? Nein? Alberne Vorstellung?

Warum genau? Wie kam’s, dass, während andere Folk-Elemente überall gang und gäbe und gern gehört sind, gerade die hiesige Variante eines uralten Signalgesangs – zumindest abseits der Herkunftsregionen – ins Heimattümelnde und Nicht-Ernstzunehmende abgedrängt wurde? Wer hat andererseits schon davon gehört, dass das Jodeln einst bis nach Amerika und Hawaii wanderte und dort neue Wurzeln schlug? Dass es zeitweise im Country, Blues, Hillbilly und Bluegrass zum guten Ton gehörte und zahlreiche amerikanische Varianten des Gesangsstils existieren? Wie kommt’s, dass sich hierzulande, nach der langen Vereinnahmung durch die „volkstümliche Musik“ (die mit Volksmusik bekanntlich herzlich wenig zu tun hat), in jüngerer Zeit jazz- und punkverwurzelte Künstler der traditionellen Musik des Alpenraums und (seltener) auch des Jodelns annehmen? Und geht da am Ende doch noch was, auch jenseits der oft eher stiltreuen Neuen Volksmusik und einigen einfallsreichen Indie-Kapellen, die freilich massiv zur Ehrenrettung beitrugen?

Stichwort Ehrenrettung und Dokumentation der lokalen musikalischen Traditionen: Darum hat sich wohl kein anderes Label so verdient gemacht wie der Münchner Trikont-Verlag mit seinem klischeefreien Katalog an Altem und Neuem aus aller Länder Untergründe (zu dessen eigener Geschichte hier entlang). Kein Wunder also, dass Trikont auch mit dem Buch zu tun hat, das die oben gestellten Fragen – und überhaupt jede Frage zum Jodeln, die zu stellen euch nie in den Sinn gekommen wäre – zu beantworten vermag. Christoph Wagner, den man sonst vielleicht eher für seine Bücher zum Musikuntergrund der 1960er und -70er Jahre kennt, stieß bei der Recherche für die Compilation Black & White Hillbilly Music im Katalog eines Sammlers auf merkwürdige Songtitel: „Yodel“ hier, „yodel“ da, jede Menge Jodel in Amerika. Es folgten: die Compilation American Yodeling, zwei LAUTyodeln-Sampler zum gleichnamigen Münchner Festival und mit Jodelmania schließlich die Geschichte zur Musik.

Und wie kam das Jodeln nun nach Amerika? Ohne zu viel erzählen zu wollen, denn das geschieht im Buch viel besser: Es begann Ende des 18. Jahrhunderts mit den ersten reisenden Alpensängergruppen und endete in den 1940er Jahren mit niemand Geringerem als Hank Williams. (Na ja, es endete auch da nicht wirklich.) Mit den Rainer-Geschwistern, den ersten Stars der Szene, reiste das Jodeln nach England und erfreute die Ohren gekrönter Häupter, es breitete sich auf einer ersten Modewelle bis nach Skandinavien, Russland und Nordafrika aus und schaffte schon in den 1820er Jahren den Sprung über den Atlantik. Es war das „edle Wilde“ der romantischen Hochkultur, die derbe Gaudi in zweifelhaften Bierkellern und vielleicht die erste internationale Popmusik Europas und Amerikas. Seine Geschichte hat gleichermaßen mit Opernsängern und Volkssängern zu tun, mit Bauerntheater und Vaudeville-Shows, mit Napoleon und Andreas Hofer, mit dem Heimweh deutscher Auswanderer in den USA, der Sehnsucht nach dem Unschuldig-Natürlichen und dem Dünkel der Städter gegenüber zurückgebliebenen Landeiern.
Derweil in der Szene selbst, von Anfang an: immer wieder Schübe der Professionalisierung, Anpassungen an einen Massengeschmack, gleichzeitig Beschwerden über den Verlust des „Authentischen“, Spott über Volkstümelei und den „echten“ Alpengesang von Leuten, die die Alpen teils nie gesehen hatten (auch Karl Valentin hatte dazu etwas zu sagen). Sell-outs, Poser, trve und false, alles so alt wie der Populärmusikbetrieb selber. Genauso wie der Überdruss an zu Tode gedudeltem Mainstream, der einem schon aus den Ohren quillt: Während einer massiven Yodeling-Welle im Country der späten 1920er Jahre warb ein amerikanisches Label mit garantiert jodelfreier Musik …
Schwer zu sagen, was an dem Buch am spannendsten ist: Der sorgfältig geschilderte Wandel eines Musikstils vor dem jeweiligen historischen, sozialen und politischen Hintergrund? Die Entstehung und Entwicklung des Musik- und Tourneegeschäfts von Wildwest-Methoden hin zu Strukturen, wie sie heute noch ganz ähnlich existieren? Oder die spektakulären Sprünge und Kapriolen, die ein lokaler alpiner Gesangsstil über Länder-, Genre- und Milieugrenzen, selbst über so verminte Gräben wie den zwischen Schwarz und Weiß im Amerika des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hinweg machte, um schließlich mit beiden Füßen in „typisch amerikanischer“ Popmusik zu landen?
Man muss jedenfalls kein ausgesprochener Freund der Volksmusik sein oder das mögen, was man gemeinhin so als „Jodeln“ serviert bekommt, um das alles mit Freude zu lesen. (Es jodelt auch nicht zwischen den Seiten hervor, ob nun leider oder zum Glück: ein garantiert jodelfreies Jodelbuch!) Jodelmania ist vor allem ein spannendes Stück (Pop-)Kulturgeschichte, manchmal lustig, manchmal tragisch, sehr oft wirklich überraschend und, wenn man sich ansatzweise für Geschichte allgemein und Musikgeschichte im Speziellen, für die Verbindung von Musik mit politischen und sozialen Strömungen, auch für Themen wie Exotismus, Identitätskonstrukte oder die Rolle von Frauen im frühen Musikgeschäft interessiert, eine absolute Empfehlung. Geradezu irrwitzig gründlich recherchiert und sehr kurzweilig geschrieben ist es eh. Bleiben noch die vielen historischen Abbildungen zu erwähnen, die dem Ganzen nochmal einen eigenen Dreh geben. Wer noch mehr sehen oder mal reinhören möchte, dem sei aktuell die gleichnamige Ausstellung zum Buch im Valentin-Karlstadt-Musäum ans Herz gelegt.

Beim diesjährigen LAUTyodeln-Festival, in dessen Rahmen Jodelmania seine Buchtaufe hatte, gab es übrigens auch ein Abschlusskonzert. Headliner waren die avantgardistische Vokalkünstlerin Erika Stucky und FM Einheit, den man hier ja nicht erst vorstellen muss. Ob da noch was geht, blöde Frage. Kemma ofanga?

:buch: :buch: :buch: :buch: :buch:

Christoph Wagner: Jodelmania. Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus
Kunstmann Verlag, Mai 2019
320 Seiten
22 € (auch als E-Book erhältlich)

Ausstellung Jodelmania im Valentin-Karlstadt-Musäum
18. Juli 2019 – 15. Oktober 2019
Montag, Dienstag und Donnerstag 11:01–17:29 Uhr
Freitag und Samstag 11:01–17:59 Uhr
Sonntag 10:01–17:59 Uhr
Mittwochs geschlossen.
Besichtigung, auch bei Regenschein, Tag und Nacht, nur von außen und zwar kostenlos.
https://www.valentin-musaeum.de/de/musaeum/sonderausstellung.php?oid=334

(2690)