Ground control to Milan Tom

Das bereits 1980 gegründete Künstlerkollektiv Laibach muss ich wohl nicht wirklich vorstellen, daher nur kurz: Sie sind ein Teil der Bewegung Neue Slowenische Kunst (NSK), die 1984 ins Leben gerufen worden ist. Ein immer wiederkehrendes Motiv in ihrem langen Schaffen ist die Ästhetik und Symbolik, Sprachgebrauch und die Musik totalitärer Systeme. Laibach sind ein ewiges Mahnmal daran, dass faschistische Elemente noch immer in der Gesellschaft vorhanden sind und leider wieder überall auf der Welt aufleben.
2019 haben sie die Musik für die finnische Nazi-Persiflage Iron Sky: The coming race beigesteuert. Das Stück „Love is Still Alive“ haben sie auf einer EP gleich achtmal bearbeitet, die nun live präsentiert wird.

Pünktlich um halb acht öffnet die Muffathalle, und da beginnt auch gleich das Intro, das eine Stunde bis zum Beginn der eigentlichen Show laufen wird. Es ist eine einzige lange Klangcollage, die aus Fragmenten von Neoklassik, Filmmusik und Noise besteht. Ein auf- und abschwellendes Crescendo, bei dem man sich bei den lauten Passagen kaum noch unterhalten kann. Dafür wird aber eine gewisse angespannte Erwartungshaltung erzeugt.
DSC_8416Ebenso pünktlich startet schließlich um 20:30 Uhr die „Postapocalypse“, wie es ein Panel in alter Stummfilmmanier auf der großen, die ganze Bühne umfassenden Leinwand anzeigt wird. Marina Mårtensson betritt zunächst allein langsam die Bühne, und es ist nur das Klappern ihrer Absätze zu hören, denn in der Muffathalle ist es jetzt mucksmäuschenstill. Allein mit ihrer Akustikgitarre wird sie vom Scheinwerferlicht getragen. Der erste Song „Love is Still Alive I (Moon, Euphoria)“ klingt sehr nach Johnny Cash, vielleicht auch eine Spur nach dem Dark Country von King Dude. Passend dazu trägt Marina weiße Cowboystiefel und ein schwarzes Westernkleid mit langen Fransen. Etwas verzögert nehmen nun auch die weiteren Bandmitglieder ihre Plätze ein. Luka Jamnik übernimmt die Synthesizer links außen und Rok Lopatič den Gegenpart auf der rechten Seite. Gitarrist Vitja Balžalorsky steht halblinks hinten, und Bojan Krhlanko hat sein Schlagzeug hinten halbrechts aufgebaut.
DSC_8434Milan Fras
gesellt sich als Letztes dazu und trägt einen auffälligen weißen Cowboyhut über seiner üblichen Partisanenhaube. Zusammen mit seinem silbernen Lederjackett sieht er so wahrlich wie ein Space Cowboy aus, vielleicht eine Hommage an Sigue Sigue Sputnik, wenn man deren Textzeile bedenkt: „I’m a space cowboy. I’m a 21st century whoopee boy.“ Auch der Song „Love Missile F1-11“ würde ins Programm passen. Aber dann schießt mir „Ground control to Milan Tom“ unwillkürlich in den Kopf. Und tatsächlich, im Hintergrund tanzt im Stil von C64-Computerspiel-Pixeln David Bowie, aber u. a. auch Darth Vader, Mr. Spock, das C-Virus und Kraftwerk. Diese waren sicherlich eine Inspiration für „Love is Still Alive II (Venus, Libidine)“, bei dem Marina zum Tamburin greift. Milan hat derweil die Bühne wieder verlassen, denn den Gesang übernimmt nun Luka. Allerdings verfremdet er seine Stimme mittels Stimmverzerrer, sodass er wie ein Roboter klingt.
DSC_8537Nun verlässt auch Marina die Bühne, und mit „Love is Still Alive III (Mercury, Dopamine)“ wird der Sound immer elektronischer. Kraftwerk bestimmen jetzt die Route. Hypnotische Farbbilder zieren den Hintergrund, sogar Spermien fliegen durchs All, und der Beat wummert dazu. Alle Stücke gehen nahtlos ineinander über, und so verschmelzen auch die folgenden zu einer einzigen langen Reise. „Love is Still Alive IV (Neptune, Oxytocin)“ gerät zu einem wilden psychedelischen Trip mit 60er Jahre Garage Rock. 3D-Gitter drehen sich auf der Leinwand, und mir wird tatsächlich etwas schwindelig. Eine Erfahrung für alle Sinne, von der das ruhigere „Love is Still Alive V (Uranus, Prolactin)“ etwas Erholung bietet. Der Synth Wave entwickelt sich bei „Love is Still Alive VI (Saturn, Insomnia)“ zu einem pulsierenden Gefrickel. Gewissermaßen die Landung bereitet „Love is Still Alive VII (Jupiter, Tristitia)“ vor, während mit „Love is Still Alive VIII (Mars, Dysphoria)“ der rote Planet schließlich erreicht wird.
DSC_8534Marina kehrt als Erstes auf die Bühne zurück, und ein Asteroid kündigt quasi Milan an. 1000 Sterne funkeln über die Bühne, während der die Lyrics rezitiert: „We lost the earth forever, but our love is still alive.“ Das erinnert mich irgendwie an die Schluss-Szene der Rocky Horror Picture Show, wo es heißt: „And crawling on the planets face, some insects called the human race, lost in time and lost in space. And meaning.“

Damit endet um 21:10 Uhr das erste Set, und endlich können wir das Kollektiv mit dem längst fälligen Applaus bedenken. Es folgt ein zwanzigminütiger Countdown, der mit „We’ll be back“ übertitelt ist. Dieses Intermezzo trennt beide Sets voneinander, sodass mensch sich nach diesem außergalaktischen Trip erst einmal sammeln kann, währenddessen „Love is Still Alive“ in einer Instrumentalversion vom Band läuft. Plötzlich reitet Winnetou, der Häuptling der Apachen, auf der Leinwand auf dem weißen Berg Mali Alan in Kroatien, was für jede Menge Erheiterung sorgt.

20230206_214048Das zweite Set wird ohne Marina pünktlich mit dem Stummfilm-Panel „War“ eingeläutet, und die Lichtanlage unterstreicht das eindringlich, indem sie erbarmungslos ins geblendete Publikum hämmert. Sogleich ertönt „Ordnung und Disziplin (Müller versus Brecht)“, das mich stark an frühere Einstürzende Neubauten erinnert. Und Milan zeigt einmal mehr, warum er gesanglich eine Inspirationsquelle für Till Lindemann gewesen ist. Er trägt jetzt übrigens einen schwarzen Designer-Anzug und seine charakteristische Partisanenhaube. „Ich bin der Engel der Verzweiflung“ wird im Hintergrund durch „deutsch“ wirkende heroische Statuen untermalt, doch trauernde Friedhofsengel erinnern daran, wohin dieses Heldentum am Ende führt. Die ersten zwei Stücke stammen aus Wir sind das Volk – ein deutsches Musical, bei dem Laibach letztes Jahr Texte von Heiner Müller vertont haben. Nun wenden sie sich mit den nächsten beiden Stücken Friedrich Nietzsche zu, denn sie stammen von Also sprach Zarathustra von 2017. Dabei geht ein großer Vollmond für „Das Nachtlied I“ auf. Vitja bespielt seine Gitarre dabei mit einem Geigenbogen, und Rok fegt wie ein Derwisch über die Tasten von seinem Keyboard-Klavier. Der Gesamtsound lässt die Muffathalle regelrecht vibrieren, und Milan beugt sich am Bühnenrand vor und starrt mit stechendem Blick in die Gesichter in der ersten Reihe. Zu „Als Geist“ ergießen sich Wasserfontänen.
20230206_215227Gekreuzte Hämmer kündigen den Industrial von „Glück Auf!“ an, die im Wechsel mit röntgenähnlichen Aufnahmen von Industriestandorten über die Leinwand flimmern. Milan lächelt sogar über die zuckenden Leiber im Publikum. Auch „Lepo – Krasno“ stammt von dem brandneuen Sketches of the red district, und der Wechsel in der Sprache lässt die Leute jubeln. Für die letzten drei Songs machen wir eine Reise in die Achtziger zu den Anfangsjahren von Laibach. In „Smrt za smrt“ dominiert Klaviermusik wie aus einem Horrorfilm, und passend dazu schreit immer wieder die ehemalige Sängerin Mina Špiler auf der Leinwand. Zum Abschluss gibt es ein heftiges Blitzlichtgewitter, das mir selbst bei geschlossenen Augen noch auf der Netzhaut brennt. Trotzdem gibt es reichlich Applaus. „Krvava gruda – plodna zemlja“ beginnt mit einem Sprachintro. Bojan trommelt einen Marschrhythmus, während Flugabwehrgeschwader ihre Bahnen ziehen und sich Kornähren im Wind wiegen. Die ganze Inszenierung ist höchst dramatisch und steigert sich für „Ti, ki izzivaš“ noch einmal. Schwarz-weiße Holzschnitte zeigen Gräueltaten aus dem zweiten Weltkrieg, und Mina Špiler brüllt den Titel mit einem Megaphon von der Leinwand. Mit der Hand zur Jesus-Pose erhoben, verabschiedet sich Milan vom Publikum, aber nicht ohne vorher noch auf die Bandmitglieder zu deuten, die sich auf ihren Plätzen erhoben haben.

20230206_222405Im Hintergrund erscheint nun zunächst der Schriftzug „Maybe we’ll be back…“, bevor ein jubelnder Winnetou die ohnehin lärmende Menge weiter anstachelt. Schließlich werden wir erhört, und zum Stummfilm-Panel „Repent“ kehrt die gesamte Band zurück, um mit „The future“ ihre Hommage an Leonard Cohen vorzustellen. Im Hintergrund läuft das dazu produzierte Video, das u. a. allerlei politische und religiöse Führer und verschiedene Kriegsfotografien zeigt. Es folgt „Sympathy for the devil“ von The Rolling Stones, in dem vor allem die in der Kirche tanzenden Mitglieder von Pussy Riot auffallen. Außerdem kann mensch sich denken, warum immer wieder Putin auftaucht. „The coming race“ ist das Titelstück aus Iron Sky: The coming race, und natürlich dürfen da ein paar Filmszenen nicht fehlen.
20230206_223848Marina tritt dabei in einem tollen schwarzen Hosenanzug vorn ins Rampenlicht, der Song gehört ganz ihr. Milan ist verschwunden und kehrt erst zum Ende während des Jubels wieder mit dem Cowboyhut auf. Erneut in Jesus-Pose gebietet er um Ruhe und raunt verschwörerisch: „Let’s make earth great again.“ Damit verschwindet das Kollektiv, und auf der Leinwand heißt es: „Maybe yes – Maybe not“. Das sorgt zunächst für Gelächter, aber ist das vielleicht doppeldeutig zu verstehen? Winnetou springt im Sattel rauf und runter, und tatsächlich kommen Laibach für eine letzte Zugabe zurück.
„The engine of survival“ kündigt als Stummfilm-Panel eine weitere Bearbeitung von Leonhard Cohen an, indem sie die Zeile „But love‘s the only engine of survival“ aus „The future“ herausgreifen. Zum donnernden Applaus stehen alle ernst und verlassen schließlich die Bühne, ohne eine Miene zu verziehen. „We won’t be back“ ist ein letzter Gruß, dann läuft als Outro noch einmal „The future“ als stampfender Techno-Pop im The Blast from the Past Remix vom Band, und es bildet sich die obligatorische Menschentraube am Merchandise-Stand. Hier gibt es noch einiges zu entdecken, denn Laibach haben neben T-Shirts und Hoodie-Jacken auch exklusive Box-Sets, Schals, Socken und diverse Anstecknadeln dabei.

Fazit: Beeindruckend. Laibach untermauern ihre Ausnahmestellung in der Musiklandschaft. Die Musik, das Visuelle und ihre Kunst verschmelzen zu einer Einheit, der mensch sich nicht entziehen kann. Beide Sets sind derart aufeinander abgestimmt, dass sich die Zuschauer beinahe wie auf einem Trip wähnen. Set 1 zeigt, dass Laibach vor keinem Genre zurückschrecken, und Set 2 verbindet mühelos die frühesten und die neusten Songs. Laibach sind vielleicht relevanter denn je, auch wenn das die breite Masse wohl nie erreichen wird.
Let’s make earth great again. Der Zusatz „maybe – maybe not“ stimmt zwar nachdenklich. Aber „Love is still alive“, und das lässt hoffen.
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Set 1:
Love is Still Alive I (Moon, Euphoria)
Love is Still Alive II (Venus, Libidine)
Love is Still Alive III (Mercury, Dopamine)
Love is Still Alive IV (Neptune, Oxytocin)
Love is Still Alive V (Uranus, Prolactin)
Love is Still Alive VI (Saturn, Insomnia)
Love is Still Alive VII (Jupiter, Tristitia)
Love is Still Alive VIII (Mars, Dysphoria)

Intermezzo 20min
Von Band: Love is Still Alive (Instrumental)

Set 2:
Ordnung und Disziplin (Müller versus Brecht)
Ich bin der Engel der Verzweiflung
Das Nachtlied I
Als Geist
Glück Auf!
Lepo – Krasno
Smrt za smrt
Krvava gruda – plodna zemlja
Ti, ki izzivaš

The future (Leonard Cohen cover)
Sympathy for the devil (The Rolling Stones cover)
The coming race

Engine of survival

Von Band: The Future (Leonard Cohen song) (with Donna Marina Mårtensson) (The Blast from the Past Remix)

Bilder: torshammare

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