Tanz den Widerstand

Kein Projekt wie viele andere. Maren Rahmann, Schauspielerin, Performerin und Musikerin, vertonte historische Arbeiterlieder und Widerstandstexte mit dem Akkordeon, Didi Disko machte derweil mit Collapsing New People Electropop, New Wave, Postpunk. 2016 fanden sie sich zu Laut Fragen zusammen. Zusammen spielen sie Electro-Postpunk, aber nicht nur; man hört auch Anleihen ans 20er-Jahre-Cabaret, (Noise-)Pop, viele (großartige) Wave-Fragmente und immer wieder Noise-Einsprengsel, Geräuscheffekte, akustische Illustrationen. Songs mit Hörspielementen, Hörspiele in Songform, Popsongs mit Irritationen und Brüchen oder musikalische Bruchstücke, die sich zu einem Song-Ganzen fügen; ein bisschen klingt es, wie wenn Ton Steine Scherben Brecht’sches Theater spielen würden. Schon musikalisch ist das Album also eine Ausnahmeerscheinung. Die ungewöhnliche Form ist aber kein Selbstzweck und der Titel kein loses Etikett. Arbeiteten Laut Fragen auf ihrem ersten Album Utopie + Untergang (2017) noch mit eigenen Texten, kamen sie mit Facetten des Widerstandes zur Gründungsidee zurück: Sie vertonen Texte aus dem antifaschistischen Widerstand in Österreich und Zeitberichte von Widerstandskämpfer*innen gegen das NS-Regime. Wie sie im Making-of-Video erklären, war die Frage bei der musikalischen Umsetzung für sie immer: Wie kann, wie sollte genau dieser Text musikalisch umgesetzt werden? Keine leichte Frage: Was ist eine angemessene Form von Musik für Texte, die im Exil, auf der Flucht, in Haft, im KZ entstanden oder vom dort Erlebten erzählen?

Hören wir rein, und lesen wir mit; es gibt nämlich auch ein Blog zum Projekt, auf dem Laut Fragen mehr über Herkunft und Hintergründe der vertonten Texte, die Geschichte(n) der Autor*innen und die musikalische Umsetzung erzählen (die LP bringt die entsprechende Broschüre physisch mit). Das Album funktioniert auch alleine, aber meine Empfehlung lautet unbedingt: auch lesen! Man bekommt einen anderen Zugang zur Musik und einen kleinen Crashkurs in der vielfältigen Geschichte des (österreichischen) Widerstands – auch wenn man meint, schon einiges zu wissen, wird man hier noch Beeindruckendes erfahren.

Der erste Track „Nie wieder!“ beginnt ruhig, mit singenden Gläsern und verhaltenem Beat, um dann laut und kompromisslos die Absage an das Vergessen und Wieder-Möglichmachen von Faschismus und Verfolgung in die Welt zu rufen. Der Text von Irma Trksak, im Widerstand aktiv und Überlebende der KZ, ist eher als Sound- und Stimm-Performance denn als Song vertont, mit Ecken und Kanten. Dann: Schnitt – Pop! Denn auch bei „Rebellen des Morgen“ gibt es hörspielartige Elemente und Soundmalerei, aber im Grunde ist es ein waviger Popsong mit NDW-Anleihen, der ein bisschen an Fehlfarben erinnert. Wie geht das zusammen mit einer Collage von Texten, die von Roman Karl Scholz in mehrjähriger Haft geschrieben wurden, an deren Ende nicht die Befreiung, sondern seine Hinrichtung stand? Ich musste tatsächlich erst mal nachdenken, wie ich das finde, und kam zu dem Ergebnis: Gerade diese musikalische Fassung macht die ungebrochene, nicht mehr persönliche, aber politische Zuversicht dieser Texte, ihr ungeheures Trotz-Allem hörbar. Hier wie bei den nächsten drei Songs möchte ich gleich noch einmal auf den jeweils zugehörigen Blogeintrag verweisen: Man versteht einfach besser, was im Song passiert, wenn man die Geschichte dahinter kennt.
Beim Intro von „Die Toten vom Februar“ klingt die Melodie von „Die Arbeiter von Wien“ an – sagte jedenfalls die informierte Mithörerschaft. Gibt Sinn, denn die Texte beider Lieder stammen von Fritz Brügel, der am hier besungenen Februaraufstand 1934 gegen die stärker werdenden faschistischen Kräfte selber beteiligt war. Nach dem musikalischen Zitat zum Einstieg geht es musikalisch Richtung Western-Soundtrack, Hammondorgel und Postpunk-Bass fügen sich bestens dazu, und besonders hier darf der Vergleich mit Ton Steine Scherben gleich noch einmal stehen.

„Schlurf“ ist einer meiner Lieblingssongs auf dieser Platte, nicht nur, weil ich hier zum ersten Mal von dieser Jugend(sub)kultur der beginnenden 40er gehört habe, die Swing hörte, sich extravagant kleidete, die Haare lang trug und für Arbeitsethos grad so viel übrig hatte wie für Ordnung, Konformismus und Disziplin. Aus dieser Lebenshaltung heraus geriet man in offenen Konflikt mit der HJ und ins Visier von Gestapo und SS. Musikalisch sind wir hier konsequent beim Punk, zwischen The Clash und Mitgröhl-Hymne, dazu kommt das Saxophon von Jakob Gnigler, das jazzt und swingt wie Sau – ich dachte ja, ich kann Saxophon nicht leiden, falsch gedacht. Großartig und der schlimmste Ohrwurm, den ich seit langem gehört habe! Den Schlurf gabs übrigens auch nach dem Krieg noch, da bewahrheitete sich der Text der Hymne – und man war danach grad so gut angesehen wie davor, galt als arbeitsscheu und asozial. Weder der handfeste Beitrag zum Widerstand noch die Verfolgung der vermeintlich nur hedonistischen Nicht-Organisation, die in kein politisches Schema passen wollte, fanden so richtig Beachtung. Umso besser, dass sie hier so hervorragend vertreten sind.
Mit „Combat“, das musikalisch am ehesten an die Einstürzenden Neubauten erinnert, kommt gleich darauf das vielleicht beeindruckendste Stück des Albums. Der Zeitzeuge Herbert Traube erzählt von Widerstandsaktionen, Haft und Flucht, Laut Fragen fassen seinen Bericht musikalisch ein, als Hörspiel mit Songstruktur, bei dem der Beat mal die innere Verfassung spiegelt, mal fast im Alleingang die Kulisse oder Umgebung malt. Man kann da nur am Lautsprecher kleben.

„Staub von Städten“ erzählt vom Exil, auch hier ist wieder das Sax zu hören und 20er-Jahre-Anleihen. Poppig, traurig und trotz allem irgendwie schön. Der Text zu „Was man Leben nannte“ ist ein Gedicht von Antonia Bruha, geschrieben im KZ Ravensbrück, wo sie am lagerinternen Widerstand und an Rettungsaktionen für Mithäftlinge beteiligt war. Die Musik dazu ist energisch, die Gitarre ist jetzt mal so richtig The Clash, die Stimme setzt sich durch und klingt alles andere als tragisch oder gebrochen, nur der elektronische Break ist düster und schräg. Und ich glaube, genau das ist eine passende musikalische Annäherung an den Lebenswillen und den Mut der selbst im KZ noch Widerständischen. Vom KZ-internen Widerstand habe ich damals in der Schule übrigens genau nichts gehört und kam hier einmal mehr ins Grübeln, welche Geschichten wie (oder nicht) erzählt werden, werden können, werden sollten und müssen.
Daran konnte ich bei „6434″ gleich weiter herumdenken: Der Song ist musikalisch ganz klar Postpunk/Wave bis Punk; dazu ein paar kratzige Geräuschelemente, der Synth schreit kurz und laut. Der Text von Hans Schlesinger, ebenfalls im KZ geschrieben, bringt die Brutalität auf den Punkt. Und vielleicht noch mal kurz zusammengezuckt über die unverfroren (wenn auch nicht ungebrochen) poppige Umsetzung, weil man es so übelst gewohnt ist, jede Erzählung der NS-Zeit mit möglichst schwerer, trauriger Musik unterlegt zu bekommen, die meistens so was von tragischer Schicksalhaftigkeit an sich hat: Ja, schlimm war das, konnte, kann und muss man nichts machen. Wenn man dagegen das hier hört und die dazugehörende Geschichte(n) der lagerinternen Widerstandsaktionen liest, denke ich, dass eine respektvolle Vertonung fast nur so gehen kann wie hier – graderaus! Kein bequem zu bedauerndes Schicksal!
Schnell vorgegriffen: Das vorletzte Lied der Sammlung, „Dennoch will ich …“ ist da auf eine Art programmatisch. „Dennoch will ich Lieder singen“, und zwar laut! Genau um dieses „dennoch“ geht es hier.

Auch musikalisch traurig wird es eh noch: „Junge Partisanin“ ist mit gesprochenem Text und Geräuschkulisse eher ein Hörspiel, aber die gesummte Melodie und die von Sarah Pölzl gespielte singende Säge sind so herzzerreißend wie die Geschichte dahinter. Und am traurigsten ist das allerletzte Lied. Ein bisschen wavig, sehr minimal, sehr zurückhaltende Percussion, dazu etwas, was ich zuerst für ein Theremin hielt, was aber noch einmal die singende Säge ist, das wunderbare Cello von Friedegund Rainer (vorher schon bei „Schlurf“ und „Was man Leben nannte“ zu hören) und ein paar wenige Soundeffekte machen sehr deutlich, was, wie es im Text heißt, das Schrecklichste von allem ist: „Vergessen“, Dreinfinden, nur noch müde sein. Folgerichtiger kann man diese Sammlung gar nicht abschließen, oder? Doch: Indem man ganz am Ende, im Outro, mit den singenden Gläsern das Intro des Albums wieder aufnimmt und damit dem Vergessen noch einmal das entschiedene „Nie wieder!“ entgegensetzt.

Bei der Auswahl der Texte, erzählen die beiden von Laut Fragen im Making-of-Video, sei es ihnen darum gegangen, dass neben allem Niederschmetternden immer auch ein utopisches Element aufscheinen sollte, etwas – so hab ich es verstanden –, was den Mut, die Lebendigkeit und die Hoffnung spürbar macht, die das Einstehen für die Menschlichkeit selbst unter den schlimmsten Umständen nicht nur erfordert, sondern auch mit sich bringen kann. Das ist absolut gelungen. Die historischen Texte werden genau hier, genau jetzt hörbar, zugänglich, manche sogar tanzbar gemacht, statt in Sprachlosigkeit angesichts des vermeintlich Unsagbaren zu erstarren – ganz anders als das beruhigende sepiabraune Weitweg, in das die Beschäftigung mit dem Faschismus im deutschsprachigen Raum gerne gefasst wird. Denn es gibt genau jetzt mehr als genug zu tun, und natürlich ist das Album auch eine Reaktion auf den internationalen Rechtsruck und die menschenverachtenden Tendenzen, die sich immer wieder und immer noch zeigen.

Ein paar Adjektive, die mir in den Reaktionen auf das Album immer wieder begegneten: wichtig, erschütternd, befreiend. Stimmt! Und auch nach der Lektüre sämtlicher Song- und Blogtexte und vielen Hördurchgängen hat sich das alles für mich noch lange nicht erschöpft oder endgültig sortiert. Unbedingte Empfehlung! Nach etwas Vergleichbarem wird man lange suchen.

Anspieltipp: Schlurf, Combat, 6434, Vergessen

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Laut Fragen: Facetten des Widerstandes
Numavi Records 19.06.2020
LP & Broschüre 20,-, CD ab 10,- bei Numavi
Download bei Bandcamp

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Tracklist:
01 Nie wieder!
02 Rebellen des Morgen
03 Die Toten vom Februar
04 Schlurf
05 Combat
06 Staub von Städten
07 Was man Leben nannte
08 6434
09 Junge Partisanin
10 Dennoch will ich
11 Vergessen

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