Gegen das Vergessen

Spaziert man heute durch die Innenstadt von Dresden, werden nur wenige Menschen von der Schönheit und dem Flair dieser Stadt unberührt sein. Vom heimeligen Weihnachtsmarkt auf dem Altmarkt, wo Handwerkskunst aus dem Erzgebirge angeboten wird, bis zum lauen Sommerabend auf dem Neumarkt im Schatten der Frauenkirche mit ihrer imposanten Kuppel – überall sieht man sich von Kunst und Kultur umgeben. Doch man muss nicht einmal genau hinsehen, um die schwarz verkohlten Steine im hellen Sandstein der Fassade der Frauenkirche zu bemerken, die Zeugen der düstersten Nacht sind, die sich je über Dresden hinabsenkte. Nichts hier ist so alt, wie es scheint, denn nach dieser einen Nacht war von Dresdens Innenstadt nichts mehr übrig.

Die Nacht, als das Feuer kam gibt einen straffen Überblick über Dresdens Geschichte als Augapfel der Kurfürsten und „Schmuckkästchen“ Sachsens. Er führt den Leser in eine Stadt, die seit Jahrhunderten ein kulturelles Zentrum war und sich vom ländlichen Sachsen deutlich abhob. Dichter, Musiker und Künstler aller Art liebten ihr Dresden, und niemand konnte sich vorstellen, dass sich dieses kleine Paradies je wandeln würde. Selbst als die Nazis die Macht ergriffen und systematisch Künstler und Wissenschaftler von jüdischer Herkunft (oder schlicht anderen politischen Auffassungen) denunzierten und schließlich deportierten, war Dresden noch immer ein kleiner Hafen für die Kunst. Niemand – nicht einmal die britischen und amerikanischen Bomberpiloten – hätten sich vorstellen können, dass ausgerechnet diese Stadt als Ziel für einen der verheerendsten Angriffe des zweiten Weltkrieges ausgewählt werden könnte.

Der britische Journalist Sinclair McKay hat in detailreicher Recherche Quellen zusammengetragen und persönliche Schicksale rekonstruiert, um den Horror des 13. Februar 1945 zu beschreiben. Er berichtet von den Einwohnern Dresdens ebenso wie von den Bomberpiloten, von Gauleitern wie dem britischen und amerikanischen Oberkommando, und skizziert so ein facettenreiches Bild, ohne zu richten oder die Schuldfrage zu stellen. Er zeigt lediglich verschiedene Motivationen und Hintergründe auf. Obwohl sachlich, sind seine Schilderungen durchdrungen von einem packenden und emotionalen Erzählstil, der den Leser das Grauen erahnen lässt, das alle Beteiligten damals gefühlt haben müssen. McKay macht keinerlei Versuch zu beschönigen, was vorgefallen ist, und mehrfach musste ich das Buch beiseitelegen und mich ablenken, um das Gelesene zu verarbeiten.

Die Nacht, als das Feuer kam, ist kein „gutes“ Buch. Es hinterlässt ein hohles, schreckliches Gefühl beim Leser, und die Frage, ob wir als Menschheit wieder so weit in den moralischen Abhang rutschen können. Gerade deswegen ist es ein Buch gegen das Vergessen, das man lesen sollte, auch wenn man kein spezielles Interesse an der Thematik hat.

Mein einziger Kritikpunkt ist, dass zumindest die ePub Ausgabe unangenehm viele stilistische Schnitzer und ungeschickte Übersetzungen aufweist, was den Lesefluss zum Teil stört.

Sinclair McKay: Die Nacht, als das Feuer kam. Dresden 1945
Goldmann Verlag, 13. Januar 2020
Hardcover mit Schutzumschlag, 560 Seiten
€ 22,00 (ePub € 19,99)

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