Glockenklarer Gesang einer
verspielten nordischen Elfe

Agnes Obel

Agnes Obels drittes Album ist dieser Tage erschienen. Sie schaut nicht mehr so streng vom Cover herunter wie auf Philharmonics (2010) und Aventine (2013), es ist jetzt eine verspieltere, mehrfach duplizierte, transparente, fast gläserne Agnes, passend zum Titel.

„Stretch your Eyes“ beginnt wie Ballettmusik. Ich sehe eine filigrane Ballerina über die Bühne schweben, bevor Agnes‘ elfengleicher Gesang einsetzt. Seufzende Geigen dominieren diesen Song, Filmmusik wie für Gloomy Sunday. „Familiar“ – And our love is a ghost that the others can’t see, it’s a danger – hier wird mit der Stimme gespielt, hoch und runter, gegurrt, das Klavier getupft, der Bass gezupft. Wunderschön die geisterhaft plötzlich erscheinende Männerstimme im Wechsel mit ihrer.

„Red virgin Soul“ ist ein Instrumental, beginnt wieder mit klassischer Violine und hat eine schöne ruhige Melodie, die Spannung aufbaut. „It’s happening again“, Klaviergeklimper, Agnes‘ Stimme, die schmachtet und streichelt, diesen Song kann ich mir in einer Bar vorstellen, man sitzt sich in bequemen Sesseln gegenüber und sinniert über die Welt. „Stone“, „Trojan Horses“ und „Citizen of Glass“ sind ebenso ruhige Lieder mit sparsamer Instrumentierung, getragen von der zarten aber doch kräftigen, glasklaren Stimme. Bei „Golden Green“ setzt sofort eine experimentierfreudige Variante der Stimme von Agnes ein. Hier dominiert eindeutig der Gesang. „Grasshopper“ könnte die Fortsetzung des Karnevals der Tiere von Camille Saint-Saëns sein. Man hört einen mächtig überfressenen und schwerfälligen Grashüpfer nicht heranhüpfen, sondern -traben, bevor andere Musikinstrumente ihn etwas aus dem Vordergrund drängen. Auch dieses Stück ist rein instrumental. „Mary“ mit Agnes‘ Stimme ist noch einmal ein klassisches leichtes Lied, mit dem sich der Kreis schließt. Das letzte Stück wurde gesungen.

Sollte ich diese Stimme und die Stimmung, die Agnes Obel damit auslöst, mit jemandem vergleichen müssen, wären meine Namen eindeutig nordischer Natur wie Karin Dreijer, der supportenden Sängerin bei Röyksopps „What else is there“, Anna Ternheim, Anna von Hauswolff, Lykke Li und Björk natürlich. Die musikalischen Kompositionen und stimmlichen Interpretationen dieser Nord-Ladys sind einfach einfallsreicher, ausgefallener, zarter und doch kräftiger, verspielter und mutiger als die der Kolleginnen des Mainstream.

Die dänische Singer/Songwriterin und Pianistin Agnes Obel begann schon mit sechs Jahren Klavier zu spielen. Sie stammt aus einem sehr musikalischen Elternhaus und hat verschiedenste Musik und Einflüsse aufgesogen. Diese Kinderstube mit Klassikern wie Claude Debussy und Eric Satie hört man ihr Gott sei Dank immer noch an. Agnes Obel ist 36 und lebt seit 2006 in Berlin.

Wer sie live sehen will, hat am 15.11.2016 in München in der Theaterfabrik dazu die Gelegenheit.
Live ist sie auch eine Wucht.

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Agnes Obel: Citizen of Glass
Label: Play it again Sam (Rough Trade), VÖ: 21. Oktober 2016
CD 16,99 €, Vinyl 18,99 €
Amazon

Tracklist:
1. Stretch your Eyes
2. Familiar
3. Red virgin Soul
4. It’s happening again
5. Stone
6. Trojan Horses
7. Citizen of Glass
8. Golden Green
9. Grasshopper
10. Mary

(1816)