Ich singe, was ich am besten singe
Bereits zum zweiten Mal kollaborieren Einstürzende-Neubauten-Ikone und Sprachakrobat Blixa Bargeld und der italienische Komponist und Musiker Teho Teardo und schaffen mit Nerissimo einen würdigen Nachfolger zum gefeierten Album Still Smiling aus dem Jahr 2013. Zu Blixa muss man nichts mehr sagen, Teho Teardo dürfte allerdings weniger bekannt sein. Seine musikalischen Wurzeln liegen im Metal, auf Tour gegangen ist er schon mit Placebo, für diverse Filme hat er Soundtracks geschrieben – definitiv ein ebenbürtiger Kreativitätspartner. Begeben wir uns also auf eine Reise der ganz besonderen Art.
„Nerissimo“ eröffnet – wie schon „Mi scusi“ auf Still Smiling – das Album auf sehr persönliche Weise, Blixa singt „what I sing best […] black, the blackest“, zu dezenten Streicherklängen baut sich der Song langsam und hypnotisch auf. „DHX 2“ wechselt nicht das Tempo, auch hier dominiert leise Eindringlichkeit, auf den Streicherakzenten tanzt Blixas Stimme abwechselnd auf Deutsch und Englisch und schließt mit dem melancholischen „Hope should be a controlled Substance“. „Ich bin dabei“ nimmt wie der besungene November sogar noch mehr das Tempo heraus, wird leise und gedrückt, „so kalt“ und „kein Licht“, doch dann ergreift Blixa die Initiative, „ich bin dabei […] setz dich wieder ein, in deine alten Rechte, als Königin, als König, als beides“, und alles wird heller, lichter, positiver. „The empty Boat“ erzählt von einem leeren Boot, einem leeren Kopf und einem falschen Traum. Von der Intensität und dem Text her erinnert es mich ein wenig an Nick Cave, auch wenn Instrumentierung und Gesang natürlich vollkommen anders sind. „The Beast is in my Throat“, zu leisem, sich stetig steigerndem Geigenzupfen trägt Blixa im Halbgesang den Text vor.
„Animelle“ wartet mit ein wenig schrägerer instrumenteller Begleitung auf, (flüsternder) Sprechgesang fesselt den Zuhörer vom ersten Ton an, vor allem die eingestreuten italienischen Textpassagen. „Ulgae“ ist eine Königin in einer Petrischale, erklärt Blixa mit Märchenonkelstimme gleich zu Beginn des Songs, die unglücklich ist, aber nicht weiß, dass einer ihrer Edelleute sie heimlich liebt. Vor einem klangkünstlerischen Hörspielhintergrund wird die Geschichte von Ulgae weitererzählt … wie sie ausgeht, müsst ihr aber schon selbst hören. „Nirgendheim“ knüpft soundtechnisch wieder an die ersten Tracks an, Streicher im Hintergrund, deutsch-italienischer Text, alles langsam und eindringlich. Bei „Give me“ wechselt Blixa wieder ins Englische, leider sticht es sonst kaum aus den übrigen Songs heraus.
„Nerissimo“ in der italienischen Fassung beschließt das gleichnamige Album auf klangvolle Weise.
Fazit: Nerissimo ist im Vergleich zu Still Smiling ein sehr ruhiges, aufs erste Hören gleichförmiges Album geworden, das sich sehr an dem Titeltrack des Debüts orientiert, nahezu alles auf Streicherakzenten aufbaut und sich voll und ganz auf Blixas Stimme und Texte konzentriert. Ich vermisse hier die Klangexperimente vom Debüt, vielleicht bin ich auch zu sehr von jahrzehntelangem Hören der Neubauten beeinflusst – einfach nur still und schön ist mir etwas zu wenig, zumal ein Großteil der Songs musikalisch sehr ähnlich ist und sich allein durch den Text unterscheidet. Hier liegt allerdings natürlich auch eine absolute Stärke in der deutsch-italienischen Kollaboration, man hört aufmerksam zu wie bei wenig anderen Künstlern. Man muss das Album definitiv auch mehrere Male hören, um die Feinheiten wahrzunehmen und Favoriten bestimmen zu können. Belohnt wird man mit gewohnter Qualität, die für meine Begriffe ruhig noch ein wenig schräger hätte ausfallen können. Ein besonderer Blickfang ist das Cover, das vom Gemälde „Die Gesandten“ von Hans Holbein dem Jüngeren inspiriert wurde.
Am 15.6.16 spielen Blixa Bargeld und Teho Teardo in der Münchner Muffathalle!
Anspieltipp: Animelle, Ulgae
Teho Teardo + Blixa Bargeld – Nerissimo
Specula, 22.04.16
Spielzeit: 47 Minuten
Kaufen: 16,99 € bei Amazon, 8,99 € mp3-Version
Tracklist:
1. Nerissimo (English)
2. DHX2
3. Ich bin dabei
4. The empty Boat
5. The Beast
6. Animelle
7. Ulgae
8. Nirgendheim
9. Give me
10. Nerissimo (Italian)
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