Vom morbiden Charme des Todes

Casper

Letzten Sommer habe ich euch einen Lieblingssong von mir vorgestellt: „Lang lebe der Tod „. Ein mir bis dahin völlig unbekannter deutscher Rapper namens Casper hat mich mit nur einem Lied verzaubert. Wer ist dieser Casper? „Casper, geboren am 25. Septemer 1982 in Lemgo ist ein deutsch-amerikanischer Rapper und Rap-Rock-Künstler“ (Wikipedia). Aha!
„Lang lebe der Tod“ war eine Vorab-Auskoppelung aus seinem neuen Album, das im September erscheinen sollte. Nun ist es also September geworden, wenn auch ein ganzes Jahr später. Er war noch nicht zufrieden mit seinen Songs, und so verschob Casper den anvisierten Veröffentlichungstermin auf ein Jahr später, was in der Musikszene sehr mutig ist. Am 1. September erschienen ist das Album eine Woche später in den Albumcharts sofort auf Platz eins hochgeschossen. Ich war neugierig und habe (auch für euch) hineingehört.

Lang lebe der Tod beginnt auch gleich mit dem Hit vom letzten Jahr: bedrückend, mitreißend, blutrünstig, ein Massaker. Eingespielt mit Musikern wie dem Sänger Dagobert, der Indieband Sizarr und der Avantgarde-Legende Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten. Große Namen, prägnante Stimmen, vor allem Blixa Bargeld, dennoch ist es ein vollkommener Casper-Song. Dieses erste Lied ist ein kleines Motto für das Album. Es wird persönlich werden, es handelt vom Scheitern an der Wirklichkeit, vom sich nicht mehr identifizieren können mit den sogenannten Fans, die drangsalieren, randalieren und auflauern, vom Hadern mit der Umwelt und der Politik. In „Alles ist erleuchtet“, einer Art Abrechnung mit dem Unfug, der in den sozialen Medien teilweise betrieben wird, und in dem Song danach, „Keine Angst“, einem Duett mit dem Goth-Pop-Sänger Drangsal, geht es ähnlich weiter. Der Titel, ein Aufruf keine Angst sondern Mut zu haben, klingt ja ganz positiv, ist es aber nicht. Die Songs sind tanzbar, kann man ohne groß auf den Text zu achten gut hören. Sie steigern sich aber von Lied zu Lied in eine Art Melancholie hinein, die ich von einem deutschen Rapper nicht erwartet hätte. „Wo die wilden Maden graben“ und „Deborah“: Depressiver geht’s kaum.

Der Sound dieses Albums ist meines Erachtens weniger Rap denn Wave, Hardcore, Industrial. Man hört Anleihen von Joy Division und von Punkbands wie The Clash. Casper singt mehr als er rappt. Ab und an klingt er sogar wie damals Marius Müller Westernhagen in „Sexy“! Casper selbst spricht ganz hell, hat aber eine raue Rapstimme. Angeblich weil er früher bei Punkbands als Sänger ohne Übung screamte und damit seine Stimmbänder schädigte.
Meine Kenntnisse über Rap gehen kaum über Eminem hinaus. In Deutschland sind das jetzt Bushido, Sido, Cro und Prinz Pi. Ich kenne kein Lied von ihnen. Max Herre, Moses Pelham und Sabrina Setlur: das ja. Aber nun gut, Casper gehört jetzt dazu, und nicht nur das, er ist ganz vorn dran. Er hebt sich ab von den deutschen Betroffenheitslyrik-Tränendrüsendrückern-Mia-san-mia-zur-Fußball-WM-Sängern, er grenzt sich ab von skurrilen politischen Ansichten oder auch Homophobie.

Also zusammengefasst: Diesen Casper kann man hören, muss man aber nicht. Es entgeht einem aber etwas, wenn man vor lauter Vorurteilen nicht hinhört. Ich denke, dass „Lang lebe der Tod“ in mir lange nachhallen wird. Und dann schmunzle ich im Auto als ich merke, dass ich bei „Alles ist erleuchtet“ laut mitsinge.

 

 

Casper: Lang lebe der Tod
Columbia/Sony Music, 1. September 2017
CD 13,99 €, MP3 9,29 €, Vinyl 21,99 €
z.B. bei Saturn ( saturn.de/de/product/_casper-l…ck-hiphop-cd-2151296.html )

Tracklist:
01 Lang lebe der Tod
02 Alles ist erleuchtet
03 Keine Angst (feat. Drangsal)
04 Sirenen (Prolog)
05 Sirenen
06 Lass sie gehen (feat. Ahzumjot & Portugal. The Man)
07 Morgellon
08 Wo die wilden Maden graben
09 Deborah
10 Meine Kündigung
11 Flackern, flimmern

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