Die Welt gehört nicht deinem Schwanz
Die Bandgründung des Wiener Duos Laut Fragen geht auf ein Filmprojekt über Obdachlosigkeit zurück, bei dem sich Maren Rahmann und Didi Disko 2016 getroffen hatten. Multiinstrumentalist Didi spielt auch bei Collapsing New People, und Maren hat sich als Chanson-Sängerin auch mit Textvertonungen beschäftigt. Dabei gehen sie experimentell vor und erweitern so ihr musikalisches Spektrum, das sich grob zwischen New Wave und Post Punk bewegt. Nach zwei Alben und zwei EPs (Link und Link) ist mit Age of Angst auf Numavi Records das erste Album erschienen, das ausschließlich auf eigenen Texten beruht. Umso mehr ein Grund genau hinzuhören.
Schon 1980 haben S.Y.P.H. „Zurück zum Beton“ gefordert, und Laut fragen widmen „Beton“ ein neues Liebeslied, doch die Beziehung zerbricht. Post-Punk-Bass trifft hier auf kühle Elektronik. Die wird in „Alle auf der Jagd“ noch um Rockelemente erweitert. Das Stück mutet fast nach NDW an, klingt aber deutlich moderner, allein schon wegen dem sozialkritischen Text. Die elektronische Grundkomponente in „A Be Bu“ erinnert an die jungen Depeche Mode, aber mit dem Gesang wird natürlich ein ganz eigenes Ding draus, und das Stück entwickelt sich sehr experimentell. Das kann ich auch für das instrumentale „Sorry kaputt“ im Anschluss unterschreiben. „Toter Winkel“ hingegen weckt bei mir Erinnerungen an Fehlfarben. Die Gesellschaft hinterfragend, rockig und tanzbar, aber nicht zu gefällig, stets ein wenig aneckend. Wie eine thematische Fortsetzung wirkt nun „Goldene Inseln“, das ruhig beginnt und wo zunächst nur gesprochen wird. Doch die Ruhe wirkt beunruhigend, der Text sowieso. Und so besingt der schöne Refrain den Untergang.
Alle haben Angst vor etwas, insbesondere in der heutigen Zeit. Der Titeltrack „Age of Angst“ ist der Soundtrack dazu, treibend und irgendwie hypnotisch. Und ist dabei ähnlich unbestimmt, wie dieses allgemeine Gefühl der Angst. „Supermenschensonderangebot“ behandelt die falsche Realität und das Sich-selbst-anpreisen in den sozialen Medien. Mittels zuckersüßem blubbernden Synthesizer wird diese künstliche Blase ideal dargestellt. Nun wird übergriffiges Machoverhalten in „Arsch“ mehr als deutlich angeprangert, indem ein Gespräch zweier Frauen elektronisch unterlegt wird. Das erinnert mich ein Stück weit an Peaches, und die Schlussaussage (siehe Titelzeile) spricht deutlich für sich. „Grau“ ist eine Art Reprise von „Beton“, nimmt das Thema noch einmal auf, wird musikalisch allerdings ganz anders umgesetzt, ein wenig Chanson-mäßig. Wobei mich der leicht kaputt klingende Chor an eine Kommune in den 70ern denken lässt, aber auch die Anfänge von Einstürzende Neubauten spielen hier sicherlich mit rein. Experimentelle Sounds umspielen „Zeit“, dessen Text ruhig rezitiert wird, sodass insgesamt zum Nachdenken angeregt wird. Die Synthies zu Beginn von „Ausgang“ klingen nach Erasure, doch mit dem einsetzenden Klavier wechselt die Stimmung nun mehrmals zwischen ruhig und dramatisch. Die Kombination der Orgel zu den Lyrics in der zweiten Hälfte des Songs hätte so auch von Isolation Berlin stammen können, was als Kompliment zu verstehen ist.
Fazit: Seit je her sind die Texte von Laut Fragen besonders wichtig, und das ist auch auf Age of Angst nicht anders. Gesellschaftskritisch werden Fragen aufgeworfen, die zum Nachdenken anregen, Zustände kritisiert oder gar offen angeprangert. Laut Fragen verstehen es einfach, den Finger in die Wunde zu legen, ohne aber auf platte Phrasen zurückgreifen zu müssen. Und auch, wenn ich verschiedene Bands zum Vergleich herangezogen habe: Laut Fragen haben eine eigene Nische besetzt, unkonventionell und mit hohem Wiedererkennungswert.
Anspieltipps: Beton, Toter Winkel
Laut Fragen: Age of Angst
Numavi Records, Vö. 13.10.2023
MP3 8,00 € erhältlich über Bandcamp
CD 10,00 €, LP 20,00 € erhältlich über Numavi Records
Homepage: https://www.facebook.com/lautfragen
https://www.instagram.com/lautfragen/
https://lautfragen.blackblogs.org/
https://www.facebook.com/people/Numavi-Records/100047579691165/
https://www.instagram.com/numavi_records/
Tracklist:
01 Beton
02 Alle auf der Jagd
03 A Be Bu
04 Sorry kaputt
05 Toter Winkel
06 Goldene Inseln
07 Age of Angst
08 Supermenschensonderangebot
09 Arsch
10 Grau
11 Zeit
12 Ausgang
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