Alles, nur kein Pop

Vlimmer_MenschenleereVlimmer ist das musikalische Projekt von Alexander Leonard Donat, der darüber hinaus in Berlin auch das DIY-Label Blackjack Illuminist Records betreibt. Trotz einer beeindruckenden Serie von achtzehn thematisch zusammenhängenden EPs und dem Debütalbum Nebenkörper ist Vlimmer Neuland für mich, das ich nun mit Menschenleere entdecken möchte. Mittlerweile ist zwar längst auch das dritte Album Zerschöpfung erschienen, aber das muss nun erst noch einmal warten.

Menschenleere startet mit „Erdgeruch“, was für ein Titel, und auch der Song hat es in sich. Ein cooler Beat und ausgefeilte Elektro-Sounds begleiten den deutschsprachigen Gesang. Ein bisschen Post Punk, ein bisschen Noise, eine Stimmung irgendwie zwischen Goethes Erben und Einstürzende Neubauten. Fast unmerklich ist der Übergang zu „Mathematik“, das aber in Folge insgesamt etwas mehr Energie entwickelt. Im Anschluss wirkt „Zwiezweifel“ etwas fröhlicher und zugänglicher und trotzdem dem Wahnsinn nah. Mit „Noposition“ wird es wieder deutlich elektronischer, irgendwo zwischen Cold-Wave-Atmosphäre und tanzbarem Synthie-Pop. Dabei läuft Vlimmer aber nicht Gefahr zu poppig oder gar gefällig zu wirken, denn die grundeigene Sperrigkeit wird stets beibehalten. So auch bei „Schädelhitze“, ein irgendwie treibender Track, der aber gleichzeitig düster und melancholisch ist.
Im Anschluss schwelgt der „Kronzeuge“ regelrecht in den fast schon orchestralen Synthie-Spuren. Das folgende „Schwimmhand“ wirkt ähnlich verträumt, obwohl der Rhythmus hier deutlich flotter ausfällt. Das ruhige „Stimmriss“ hingegen besitzt eine beunruhigende, fast geisterhafte Atmosphäre. Ich habe langsam das Gefühl, hier läuft irgendwie ein DavidLynch-Film ab, bei dem sich das Grauen nicht recht fassen lässt. In „Fatigo“ gewinnt das Bassspiel dominant die Oberhand, auch wenn der Synthesizer natürlich Unterstützung liefert, die mich zum Teil an Erasure erinnert. „Menschenleere“ hingegen fällt durch das Rhythmus-Gerüst auf, wohingegen der Gesang seltsam emotionslos wirkt, trotz der Dramatik, die sich aufbaut. Diese Grundkälte zieht sich durch das ganze Album hinweg. Der Schlusstrack „Raynaud“ ist dafür ein wenig versöhnlicher ausgefallen, was konventionelle Hörgewohnheiten angeht und ist somit ideal platziert, um nicht völlig den trüben Gedanken nachzuhängen.

Fazit: Das ist ein sehr interessantes Album, das Vlimmer mit Menschenleere vorgelegt hat, dunkel und atmosphärisch, mit einer ganzen Bandbreite an Stilrichtungen von Post Punk über Dark Wave bis hin zu Synthie-Pop sowie Noise und Industrial. Mit Songlängen zwischen vier und fünf Minuten lässt sich Donat Zeit, seine musikalischen Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Dabei setzt er bewusst auf Ecken und Kanten und bleibt stets ein bisschen sperrig, was seine Musik aber so interessant macht. Vlimmer will offensichtlich keine Pop-Band sein, dennoch fehlt vielleicht ein Track, der sofort richtig hängenbleibt, und so ist Menschenleere für meinen Geschmack trotz aller Coolness am Ende ein, zwei Songs zu lang geraten.

Anspieltipps: Erdgeruch, Fatigo

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch2:

Vlimmer: Menschenleere
Blackjack Illuminist Records, Vö. 04.11.2022
MP3 7,00 €, Tape 7,50 €, CD 10,00 € erhältlich über Bandcamp
Homepage: https://www.facebook.com/VlimmerMusic/
https://blackjackilluministrecords.bandcamp.com/
https://www.instagram.com/blackjackilluminist/

Tracklist:
01 Erdgeruch
02 Mathematik
03 Zwiezweifel
04 Noposition
05 Schädelhitze
06 Kronzeuge
07 Schwimmhand
08 Stimmriss
09 Fatigo
10 Menschenleere
11 Raynaud

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