Bin ich langsamer geworden, oder ist jetzt alles schneller?

 

Die etwa sechzigjährige Anne soll aus der Wohnung ihrer Schwester ausziehen, weil deren Tochter in München studieren will und natürlich eine Unterkunft braucht.
Schon die ersten Sätze des Films sind witzig und bringen mich zum Schmunzeln:
„Ja, kannst denn du nicht in Berlin studieren? Berlin ist die Hauptstadt! Jeder will nach Berlin!“

Aber nein, die Nichte will nach München, und Anne muss wohl oder übel ausziehen. Während ihres Berufslebens war sie Biologin und hat sich für Schleiereulen und dergleichen eingesetzt, was nicht gerade profitabel war, denn nun kann sie sich keine annähernd adäquate Wohnung in München mehr leisten. Und aufs Land? Kommt gar nicht in Frage. Sie hat immer schon in der Stadt gewohnt, und sie bleibt auch hier.

Was tun?

Witzigerweise etwas, was ich mir auch manchmal schon überlegt habe. Back to the roots. Als Studentin in einer WG, warum im Alter nicht wieder?

Sie sucht ein paar ehemalige Freunde auf und bleibt bei zweien hängen. Zusammen mit Johannes – ehemals Jurist, hat viel für die Umwelt und die Armen getan, für Ruhm und Ehr, aber wenig Verdienst – und Eddi, familiär gescheitert, verlassen von Frau und Kindern, zieht Anne in eine Dreizimmerwohnung.

Es wird geratscht, gelacht, Musik gehört, Rotwein getrunken. Umgehend stellen sie sich auch bei den Mietern über ihnen vor, drei Studenten, die ebenso in einer WG leben wie sie: Katharina, Barbara und deren Freund Thorsten. Doch die jungen Leute machen ihnen sehr schnell klar, dass sie, die Alten, in der Wohnung unter ihnen, nichts zu erwarten haben. Diese stutzen noch etwas und meinen: „Wie? Was erwarten?“ – „Nun, wir sind mitten im Examen, wir müssen viel lernen, wir können euch nicht helfen mit Einkaufen, mal was Schweres tragen, zur Apotheke gehen, euch das Handy-Menü erklären, so Dinge!“

Die „Alten“, die sich eigentlich nur als „die Neuen“ vorstellen wollten, sind perplex. So kommt es mehr und mehr zu Situationen, in denen die neu Eingezogenen sich wundern, wie die Jungen da oben leben. Kein Spaß wie damals, als sie Studenten waren. Nur Lernen und Stille da oben. Und wenn es unten mal lauter wird, dann wird mit dem Besenstil auf den Fußboden geklopft. Die Fronten verhärten sich. Kleine Lappalien werden zu großen Dingen. Dialoge von beiden Seiten, die verletzen, ja, verletzen sollen.
„Na, Freunde des Wählscheibentelefons?“
„Wärt ihr damals ein bisschen flotter gewesen, müssten wir hier nicht über Studiengebühren und Regelstudienzeit diskutieren.“
„Und du weißt also, mit wem du die nächsten dreißig Jahre Sex haben wirst?“ Sagt Eddi zu Katharina, die verlobt ist, was in Eddis Augen unheimlich spießig ist.
„Was mit euch in 30 Jahren ist, da brauch ich ja nicht näher drauf einzugehen, oder?“
Betretenes Schweigen von Seiten der „Oldies“.

Aber es gibt nicht nur Gerangel von Alt zu Jung, von unten nach oben. Auch innerhalb der neu gegründeten WG ist nicht alles Gold, was glänzt. Nach einiger Zeit kommt heraus, dass sich jeder letztendlich etwas anderes vorgestellt hat. Etwas Gemeinsames. Leute einladen. Erlebnisse, Gefühle teilen. So, wie es jetzt ist, ist es einfach ein Aufwärmen der WG-Zeiten von früher, wo dann doch vieles nicht so richtig geklappt hat und nervig war. Anne ist schon so weit, dass sie wieder Wohnungen anschaut.

Doch dann kommt Dynamik in die WGs. Thorsten von oben wird vom Notarzt abgeholt. Als er wieder zurückkommt, kann er sich kaum bewegen. Katharina heult den ganzen Tag aus Liebeskummer. Thorsten ist bewegungsunfähig und krank. Barbara muss lernen, ist genervt und kapiert in dem Tohuwabohu nichts.
Tja. Die Jungen fürchteten, sie müssten den Alten helfen. Jetzt aber läutet Barbara unten an der Tür und fragt, ob die vielleicht mal Einkäufe für sie mitbringen könnten. Und vielleicht auch momentan für sie bezahlen. Das Geld der Eltern ist leider noch nicht da.

So kommt es zögerlich dazu, dass beide Parteien sich vermischen: Anne kauft ein und kocht für oben; Eddi kümmert sich um die liebeskranke Katharina; Johannes lernt mit der völlig frustrierten und vor Prüfungsangst am Nachmittag schon Vin de Pays trinkenden Barbara; Thorsten wird von Anne zuerst physisch, dann psychisch aufgepäppelt.

Es macht total Spaß, den Schauspielern zuzusehen. Außerordentlich gefällt mir Gisela Schneeberger in ihrer Rolle als Anne. Sie passt hier wunderbar. Ihr Styling, ihre Blicke, ihre Gesten, ganz das – ältere – Mädchen. Sie ist nicht madamig, sie ist nicht die ätherische Schöne, sie ist einfach so, wie sie wohl immer war, nur mit ein paar Fältchen mehr.

Wenn ihr in diesen Film geht, bleibt bis zum Abspann sitzen, da kommt noch eine kleine Sequenz, die auch unbedingt gesehen werden will.

Nach dem überaus witzigen Debüt-Film Shoppen (2006) und der darauf folgenden Beziehungskomödie Der letzte schöne Herbsttag (2010) ist das nun der dritte Film von Ralf Westhoff.
Dem Publikum am Sendlinger Tor hat es gefallen. Am Ende wurde geklatscht! Und ich hätte noch ewig weiterschauen können …

:popcorn: :popcorn: :popcorn: :popcorn: :popcorn:

Wir sind die Neuen
D 2014
Regie, Buch: Ralf Westhoff
91 Minuten
Darsteller:
Gisela Schneeberger: Anne
Heiner Lauterbach: Eddi
Michael Wittenborn: Johannes
Claudia Eisinger: Katharina
Karoline Schuch: Barbara
Patrick Güldenberg: Thorsten

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