„Ich mag das Gefühl der Einheit, die sich ergibt, wenn akustische und visuelle Elemente zusammenkommen.“

Nach unserer Interview-Serie zum Sound der letzten Dekade richten wir dieses Jahr den Fokus auf den visuellen Aspekt von Musik. Der Auftakt der Serie ist unser Interview mit Morphosita – ein spannendes 1-Frau-DIY-Projekt aus München.

IMG_20210312_152951Die Künstlerin zeigt in ihren Fotos eine faszinierende, oft von Dunkelheit geprägte Bildsprache und lässt sich dabei von Stimmungen und Texturen in der Natur inspirieren. Aber nicht nur … Morphositas Bildsprache ist vor allem auch sehr vielfältig. Im Kontrast zu den Naturfotos, die den Blick nach außen richten, werden in den konzeptuellen Portrait-Serien oft ganz andere Facetten sichtbar und zeigen nicht selten die Auseinandersetzung mit Brüchen.

Neben der Fotografie arbeitet Morphosita auch mit bewegten Bildern und kreiert Musikvideos für zum Beispiel Caput Medusae, Adam Usi und DIAF.

In unserem Interview spricht die Künstlerin über ihr aktuelles Video „Farce“ von Adam Usi, über Musik, Fotografie, künstlerische Ästhetik und die Bedeutung von Natur für das künstlerische Schaffen.

Wie kamst du zum Fotografieren? Gab es einen besonderen Schlüsselmoment?
Nein, einen Schlüsselmoment gab es nicht. Ich glaube, irgendwann kam einfach der Punkt, an dem mir der reine „Konsum“ nicht mehr gereicht hat – ich wollte auch kreieren. Und habe dann gemerkt, wie viel mir das gibt und wie sehr es mich erfüllt

Wie wichtig ist dir Natur? Welche Rolle spielt Natur in deinem Leben und in deiner Kunst?
Ich bin auf dem Land aufgewachsen – Wälder, Berge und Seen waren da immer präsent und haben mir ein Gefühl von Freiheit und Frieden verschafft. Und egal, wo ich bisher gewohnt habe, sobald ich draußen in der Natur bin, kann ich durchatmen, zur Ruhe kommen. Und das Schöne daran ist ja, dass man, obwohl man so mit sich selbst allein ist, der Blick dennoch nicht nach innen, sondern nach außen gerichtet ist, was sich auch wieder in Fotos niederschlägt.

Viele deiner Fotos sind durch deine Nähe zur Natur geprägt. Wie findest du deine Motive / wie finden deine Motive dich?
Naja, es ist ja alles da – man muss nur mit offenen Augen durch die Welt gehen. Oft sind es eher Stimmungen oder Formationen, die mich ansprechen. Oder, wenn es um Makro-Fotografie geht, unterschiedliche Oberflächen und Texturen oder kleine Tierchen. Da bekommt auf einmal all das, was man sonst übersieht, eine ganz neue Bedeutung und Bühne.

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Mit deinen Bildern fängst du oft die Dunkelheit (der Natur) ein. Was fasziniert dich daran?
Ich denke, das hat einfach mit meinem Ästhetikempfinden zu tun. Und vielleicht, dass ich mich auch schon sehr lange der Gothic-Szene nahe fühle, da wird dieses Empfinden ja auch eher in die „dunkle“ Richtung gerückt. Also ich könnte schon auch sagen, dass ich nun zum Beispiel eine verwelkte Blume viel spannender als eine frisch blühende finde und die ganze Thematik, wie gering die Akzeptanz der Gesellschaft für zum Beispiel Themen wie Tod ist – aber darum geht es mir nicht. Ich mag einfach das Dunkle.

Wenn du die Ästhetik deiner Arbeit definieren würdest – wie würdest du sagen, dass sich deine Inspirationen in deiner Kunst wiederspiegeln?
Meines Erachtens macht sich das am ehesten dadurch bemerkbar, dass ich – wie ich finde – keinen stringenten, einheitlichen Stil habe. Ja, es ist vielleicht alles etwas düster und entsättigt, aber es gibt weder den einen Look, noch das eine Motiv, das sich bei mir durchzieht. Ich mag es nicht, mich zu limitieren. Weder in dem, was ich selbst erschaffe, noch in dem, was ich konsumiere – da ist daher fast alles dabei, von romantischer Marine-Malerei, Fotografien von Francesca Woodman oder Kati Horna bis hin zu Illustrationen von Alfred Kubin, Kay Nielsen oder Stella Langdale.

Hast du ein Lieblingsbild (oder mehrere) und kannst uns sagen, was dir daran besonders gefällt?
Ich mag die Fotos von Samantha Muljat sehr gerne, die macht sehr stimmungsvolle und dichte Natur-Aufnahmen, die für mich ganz viele Gegensätze verbinden: sehr roh und ursprünglich, aber gleichzeitig träumerisch.
Rubens Höllensturz, weil es so überwältigend und fast schon immersiv ist.
Und ein Gemälde von Beksiński spricht mich sehr an, ohne dass ich erklären könnte warum – es zeigt ein Skelettpferd mit Reiterin, die ein Kind (oder eine Puppe) hält.

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Was fasziniert dich am bewegten Bild? Welche Vorteile bietet dir dieses Format gegenüber einer einfachen fotografischen Aufnahme?
Ich glaube, der Hauptunterschied ist der, dass man seine Zuschauer viel mehr steuern kann. Denn auch Bewegtbild kann ja wie eine Fotografie lange stillstehen, ehe Bewegung reinkommt. Und man kann das Ganze auf der akustischen Ebene unterstützen und hat somit noch ein Medium, um Aussagen oder Gefühle zu vermitteln.

Woher kommt dein Faible für Musikvideos?
Ich fand es schon immer sehr spannend, verschiedene Sinneseindrücke miteinander zu kombinieren und nicht nur in einem Medium zu bleiben, weil sich mir dann neue Welten erschlossen haben. Als Jugendliche habe ich Texte zu Fotografien geschrieben. In meiner Facharbeit in der Schule habe ich zwei Gedichte verfilmt. Ich mag das Gefühl der Einheit, die sich ergibt, wenn akustische und visuelle Elemente zusammenkommen.

Was sind deine ersten musikalischen Erinnerungen?
Vermutlich die klassische Musik, die meine Eltern gehört haben. Oder die Schlaflieder, die mir meine Mutter vorgesungen hat. Je nachdem, wie früh du zurückgehen möchtest.

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Welche Musik hörst du gerne?
Ich mag verschiedene Künstler und Bands aus unterschiedlichen Genres (Neofolk, Post Metal, Atmospheric/Post Black Metal, Post Punk, Dark Techno, Klassik, etc.), z.B. Darkher, Forndom, Leonard Cohen, Swallow the Sun, Ellende, Konstantin Unwohl, Schluss Licht, God is an Astronaut, Anna von Hausswolff, The Ocean, Trees of Eternity, Arvo Pärt, Edvard Grieg, Codex Empire, Kontravoid, lokale Bands wie Rue Oberkampf oder DIAF usw.

Mit welchen Bands hast du bisher zusammengearbeitet, und wie entstehen diese Projekte?
Also angefangen hat das eigentlich alles damit, dass mich Micha und Dani vom Young & Cold Label aus Augsburg gefragt hat, ob ich nicht Lust habe für das Ambient Projekt Möbius Mondstaub ein Video zu machen, live in einer Kirche. Das Video zu „Unter Wasser“ von Adam Usi entstand eher initiativ – ich hatte das Material vorab gedreht und wir fanden, dass es gut zum Track passte. Die übrigen Videos für Adam, DIAF und auch Caput Medusae kamen dann auf Anfragen der Künstler*innen zustande. Wobei ich zu allen auch vorher schon Kontakt hatte. Ich mache das ja auch nur privat und hobbymäßig.

Mit welcher Technik arbeitest du?
Mit fast gar keiner. Ich fotografiere und filme mit einer Sony Alpha 6000, für Makro nutze ich einen Meike Adapter, oder manchmal auch nur mit dem Handy. Ich nutze fast nur natürliches Licht. Für den Schnitt arbeite ich mit Avid und Adobe Premiere Pro. Mein Ansatz war eigentlich immer, dass das beste Equipment nichts bringt, wenn man kein Gefühl für zum Beispiel Bildkomposition hat. Effekte mache ich fast nur in camera – für das Caput Medusae Video habe ich beispielsweise während dem Filmen das Objektiv abgemacht, so entstand der helle pinke Lichteinfall.

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Dein neustes Musik-Video „Farce“ ist deine dritte Zusammenarbeit mit Adam Usi. Was verbindet euch?
Um ehrlich zu sein, hat sich das immer einfach so ergeben. Beim ersten Video gab es den Song ja schon länger, bei den anderen hatte Adam mich gefragt und dann einfach machen lassen. Soviel Freiheit und Vertrauen zu bekommen war ganz wundervoll.

Wie entstanden die Idee und das Konzept zum Video?
Der Song ist ja sehr persönlich und ich dachte, dass es ganz gut passt, wenn ich Adam auch genauso zeige. Also in einem eher dokumentarischen Stil und schwarz-weiß. Letzteres habe ich von Anfang an in der Kamera eingestellt, um nicht nachher doch noch in Verlegenheit zu kommen und auf Farbe zu wechseln – da sind Limitierungen manchmal ganz gut. Der Rest entstand im Schnitt, dort habe ich die Clips in umgekehrter Reihenfolge aufeinander gelegt, um dem Ganzen das Gefühl von Wiederholung und Ausweglosigkeit zu geben.

Deine letzten Videos sind unter Corona-Bedingungen entstanden. Was waren die besonderen Herausforderungen?
Glücklicherweise hat mich das kaum eingeschränkt. Ich mache das ja eher so DIY mit kleinem Set-up. Für das Video zu Adam’s „Malaise“ war es sogar förderlich, da es das Konzept vorgegeben hat – ich tanze allein in meinem Zimmer mit einer Schneiderpuppe.

Gibt es schon Ideen für ein nächstes kreatives Projekt? Was sind deine Pläne, Hoffnungen und Wünsche?
Ich bin natürlich immer neugierig auf neue Video-Projekte. Davon abgesehen möchte ich schon lange auch musikalisch aktiv werden. Es gibt da so viele Fragmente und Song-Schnipsel, die bisher nur in meinem Kopf und auf Papier umherschwirren. Und das dann zu kombinieren mit Visuellem – das wäre mein großes Ziel.

Alle Fotos ©Morphosita.

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