Das etwas andere Oktoberfest
Man kann über die New Yorker Hanzel & Gretyl durchaus und vollkommen zu recht geteilter Meinung sein, die Band polarisiert, und das nicht zu knapp. Sei es durch ihre manchmal doch etwas grenzwertig satirische Verwendung bzw. Verballhornung von deutschen Geschichtssymbolen, der deutschen Sprache und überhaupt allem Deutschen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, sei es durch die musikalische Stiländerung hin zum lärmigen Industrial Metal oder die feucht-fröhliche Bühnenshow. An diesem Abend – dem dritten Oktoberfesttag – bietet sich natürlich der Welt größtes Besäufnis als Rahmenhandlung an. Doch ich greife vorweg.
Zuerst betreten mit einiger Verspätung (um acht wäre der Backstage Club auch noch jämmerlich leer gewesen, später wird es dann besser) die Norddeutschen under[base] die Bühne und legen gleich mal amtlich los. Die 2009 gegründete Band hat sich ganz den Neunzigerjahren und dem Alternative Metal verschrieben, klingt aber taufrisch und in keinster Weise angestaubt. Die Songs (vom ersten Album A Lifetime for one Moment aus dem Jahr 2011) gehen gut ins Ohr und in die Halswirbel, und es ist schade, dass sich bis auf drei Partykönige vor der Bühne der Rest der Anwesenden in höflicher Zurückhaltung übt. Immerhin wippen ein paar Köpfe, je länger uns äußerst solides Alternative-Metal-Handwerk à la „Machine Animals“, „Tell me“, „Duster“, „H20“ oder das abschließende „Lost Boys“ um die Ohren geblasen werden. Die Band überzeugt mit Leidenschaft, agilem Stageacting (vor allem Sänger Dominic Valecillo) und guter Bassarbeit. Jungs, ihr dürft gern wieder in den tiefen Süden der Republik kommen!
So langsam füllt sich der Club dann auch endlich, das Publikum, das auf Hanzel & Gretyl giert und sich schon ungeduldig vor der Bühne postiert, ist diesmal ziemlich metallastig und in bester Feierlaune. Ausrutscher an den eher rechten Rand wie bei meinem letzten Hanzel & Gretyl-Konzert vor einigen Jahren sehe ich heute nicht, und das ist auch gut so.
Zu einem deutschen Intro, das die Geschichte von Hänsel und Gretel erzählt, kommen Vas Kallas und Kaizer von Loopy auf die Bühne, Nebel steigt auf, alles ist in dunkelrotes Licht getaucht (was sich mal wieder während des ganzen Konzertes nicht ändern sollte, sehr schade), und los geht das Industrial-Metal-Inferno. Inklusive amtlichem Moshpit vor der Bühne, der das ganze Konzert über kaum Ermüdungserscheinungen zeigen wird. Die Fans sind fast vollständig in aktuelles Merchandise der Band gewandet und geben wirklich alles. Hanzel & Gretyl freuen sich sichtlich und lassen sich auf der Bühne nicht lumpen. Hits aus der aktuellen Platte Born to be heiled sowie älteres Material werden mit teilweise deutschsprachigen Samples untermalt, und Vas Kallas zeigt bei den Ansagen immer wieder ihre Deutschkenntnisse. Besonders erheiternd fand ich das spontane Ringelreihentänzchen der beiden auf der Bühne, das Publikum freute sich über regelmäßige Bierspenden von Kaizer von Loopy.
Überhaupt – das Bier. Ohne den Gerstensaft könnte es wohl kein Hanzel & Gretyl-Konzert geben, und genau deswegen ist sicher auch ein Großteil des Publikums da. Das gemeinsame Feiern und Trinken findet seinen – für Außenstehende hochgradig unappetitlichen – Höhepunkt in dem Ritual zum Song „Das Boot“: Einige ausgewählte Fans dürfen auf die Bühne kommen und aus einem ihrer Schuhe von Kaizer von Loopy korrekt bis zum Eichstrich eingeschenktes Bier trinken. Dieser folgt dem Beispiel natürlich auch ohne mit der Wimper zu zucken, und alle sind danach sehr glücklich. Für mich wär’s nix, aber zum Zuschauen ist es doch höchst amüsant.
Die Musik kommt bei aller Fröhlichkeit aber natürlich nicht zu kurz, die beiden sind absolute Profis (wenn auch mit einem Hang zum Chaos) und feuern Gassenhauer wie „Ich bin uber alles“, „SS Death Star supergalactic“, „Disko Fire Scheiss Messiah“ oder „Fukken uber Death Party“ mit links ins Publikum. Erfreuerlicherweise ist der Sound echt okay, vor einigen Jahren war es nur ein einziger Matsch und kein Lied vom anderen zu unterscheiden. Das ist heute nicht so, alles grölt die Refrains mit, und als sich Kaizer von Loopy am Konzertende traditionell durchs Publikum tragen lässt, sieht man überall glückliche Gesichter.
Sicher nicht jedermanns Sache, auch den Humor muss man mögen, aber ich habe mich mal wieder großartig amüsiert. Im April 2014 werden Hanzel & Gretyl auf dem Dark Munich Festival spielen und sicher auch da beste Partystimmung verbreiten. Ich bin dabei!
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