Authentisch und selbst gemacht

Letzte Woche habe ich mit Steampunk I versucht einen groben Überblick über ein unheimlich faszinierendes, multimediales Genre zu geben. Vor allem in Deutschland noch ganz jung, in seinen Wurzeln aber über 100 Jahre alt, hält Steampunk noch viel zum Entdecken bereit. Deswegen kommt jetzt ein wahrer Meister des Genres zu Wort: Steampunker Alex, der bereits seit vier Jahren seine eigene, dampfbetriebene Welt baut.

Enchi: Wie bist du zum Steampunk gekommen? Was hat dich inspiriert, dieses Genre näher kennenzulernen und als Hobby aufzunehmen?

Steampunker: Naja, letztendlich kam ich über die Festivals auf das Thema. Ich bin seit ca. 25 Jahren in der Gothic-, Metal- und Mittelalterszene unterwegs und besuche jedes Jahr zahlreiche Konzerte und Festivals. Als auf diesen (besonders dem WGT) vor einigen Jahren die ersten Leute auftauchten, die kleine mechanische Accessoires an ihrer Kleidung trugen, begann ich mich dafür zu interessieren. Ich recherchierte im Netz, las Bücher und suchte nach Bildern. Ich war recht schnell fasziniert von der Ästhetik einiger Arbeiten und beschloss, mir für das nächste Festival ein Outfit zu bauen. So bastelte ich dann einen Rückenträger, Schuhe, etc. Nicht zuletzt beflügelt durch die Resonanz auf das Geschaffene, baute ich danach weiter. Es folgten eine Lampe, eine Wanduhr und andere Dinge. Na und irgendwie ist das ganze dann etwas ausgeufert… (lacht)

Enchi: Was ist für dich das Besondere am Steampunk?

Steampunker: Es ist für mich eine einzigartige Möglichkeit meine Phantasie auszuleben und meine Kreativität zu materialisieren. Es geht dabei ums Schaffen, ums „Spinnen“, ums Tüfteln, Überlegen und das Lösen von Problemen. Bauen hat für mich etwas Meditatives. Und da dies keinem primären kommerziellen Interesse unterliegt, bin ich auch völlig frei in dem, was ich tue. Nicht zuletzt ist es auch eine Art Kritik an Dingen, die mich sonst im Alltag umgeben.

Wir leben in einer Wegwerf- und Konsumgesellschaft. Es geht ums Kaufen, dabei möglichst viel, möglichst billig und überall. Alles ist austauschbar, nichts hat mehr einen individuellen Charakter oder gar einen eigenen Wert. Ist meine Tastatur kaputt, werfe ich sie weg und kaufe mir für 15 Euro neuen Plastik-Schrott. Wir denken nicht darüber nach, der Werteverfall (nicht nur der materielle) ist für uns selbstverständlich. Wir denken nicht mehr ans Reparieren, und unsere Wertvorstellungen in Bezug auf Qualität und Handwerkskunst gehen verloren. Wir sind nicht mehr bereit für Handwerk Geld auszugeben. Wer kauft bei einem Töpfer auf einem Markt eine Schale für 20 Euro, wenn man doch im Supermarkt eine für 2 Euro bekommen kann? Dass in der Töpferware aber Handwerkskunst steckt, Ideen, Kreativität und Arbeit, dass jedes Stück ein Unikat ist, ist uns dabei scheinbar egal. Hauptsache billig. Das Handwerk verschwindet langsam, da keiner mehr davon leben kann, dafür werden wir überschwemmt mit Billigprodukten aus Asien oder Pakistan.

Es ist immer einfacher und bequemer, Dinge hinzunehmen und leidend zu tolerieren, als selbst aktiv zu werden und etwas dagegen zu tun. Das fängt schon bei der Wahl der Einkaufstüte für den Supermarkteinkauf an.

Ich möchte das nicht und versuche mich möglichst mit Dingen zu umgeben, die eine Seele haben, die handgefertigt wurden, in denen Liebe und authentische Materialien stecken. Dabei geht es nicht um Sachen, die ich selbst baue, sondern ich habe ein Faible für alle alten Sachen, antikes Mobiliar, alte Fahrzeuge, handgefertigte Dinge.

Ich liebe den Geruch von altem Holz, Leder, Metall und mag es, wenn Dinge Gebrauchsspuren haben, man ihnen ihr langes Leben ansieht, wenn Gegenstände eine Geschichte erzählen.

Auch werden Sachen wiederverwendet. Ich gebe alten, ausgedienten Dingen eine neue Funktion. Viele der verwendeten Materialien stammen vom Schrott.

Ein weiterer Aspekt ist der Ausgleich zu meinem Job. Dort sitze ich den ganzen Tag am Rechner, konstruiere, entwerfe, funktioniere und mache, was andere von mir wollen. Steampunk ist für mich der Ausgleich hierzu, ein Kontrastprogramm in jeder Hinsicht, ein Ventil, um einfach mal „Dampf abzulassen“. (Wie passend)

Enchi: Wer sich deine Webseite ansieht, wird schnell merken, wie unheimlich aufwändig dieses Hobby sein muss. Seit wann machst du das, und – ganz banal – wie viel Zeit geht für diese Leidenschaft drauf? Das Recherchieren und die Suche nach Materialien, das Konzipieren eines neuen Stücks, die Anfertigung, Fotoshootings – wie bringst du das alles unter? Bleibt da noch Zeit für andere Interessen?

Steampunker: Was die Steampunk-Sache betrifft, seit ca. 4 Jahren. Es geht sehr viel Zeit drauf. Besonders, da es letztendlich ja nur ein Hobby ist, welches ich in meiner Freizeit neben meinem Fulltime-Job für die Automobilindustrie betreibe. Ich stöbere jede Woche auf Flohmärkten, recherchiere im Netz nach alten Dingen und habe auch sonst im Alltag ein Auge für Dinge, die sich für meine Zwecke eignen könnten.

Aber das ist ja nur ein Teil. Ich habe eine 100 Quadratmeter große Werkstatt gemietet, in der ich meine Sachen baue und meine Fundstücke bzw. mein Material lagere. Bis unter die Decke stapeln sich dort alte Dinge, Nähmaschinen, Leuchter, Schreibmaschinen, antike Gerätschaften und Kleinteile.

Neben der Materialbeschaffung und dem Werkeln selbst beschäftige ich mich ja auch noch mit anderen Sachen. Ich arrangiere Szenen, fotografiere die Objekte, bearbeite die Bilder, erstelle Fotobücher, pflege meine Website, die Facebook-Page, betreibe Akquise und Öffentlichkeitsarbeit, beantworte Mails, suche im Netz und stelle Anfragen. Dann stehen zunehmend immer mehr Events an, Leute wollen etwas, es gibt einzelne Aufträge, Ausstellungen oder Messen, die vorbereitet werden wollen. Ich fahre viel umher, beschaffe Dinge und organisiere. Die Logistik ist mindestens genauso zeitaufwändig wie das Bauen selbst. Mein Fuhrpark benötigt zudem auch noch etwas Aufmerksamkeit.

Sonderlich viel Zeit für andere Dinge bleibt da ehrlich gesagt nicht. Allerdings versuche ich dennoch, ein möglichst erfülltes soziales Leben zu haben. Ich bin viel auf Konzerten und Festivals unterwegs, allerdings weniger in Clubs und Kneipen, nutze freie Zeitfenster für Ausflüge, spiele Volleyball oder hänge auch mal am See rum. Aber primär „lebe ich Steampunk(ig)“. (Foto: Jonathan Dilas)

Enchi: Woher stammen die ganzen handwerklichen Fähigkeiten für deine Arbeiten – elektrische Kenntnisse, das Aufbereiten von Möbeln, Materialkunde usw.?

Steampunker: “ Learning by Doing “ würde ich es mal nennen. Ich bin ein Kind des Ostens und habe mir bereits in jungen Jahren meine Spielsachen selbst gebastelt, war viel draußen und auf Schrottplätzen unterwegs, saß nie vorm Fernseher. Eine gesunde Neugier gegenüber allem tat ihr übriges. Ich nahm immer Dinge auseinander, um zu sehen, was drin ist und wie sie funktionieren. Zugegeben, nicht immer zur Freude meiner Mitmenschen. Als ich den Fernseher meiner Eltern zerlegte, hatte der Spaß schnell ein Loch … (zumindest bei meinen Eltern).

Zugegeben, manches war rückblickend schon etwas abenteuerlich, besonders die elektrischen Versuche.

Meinen Zivildienst habe ich als Hausmeister in einem Johanniter-Kindergarten absolviert. Bereits dort habe ich teils recht schräge Spielsachen inklusive einem Klettergerüst gebastelt.

Ich war nach dem Abi ein Jahr in Norwegen, habe da auf einer kleinen Farm auf einer Insel Ferienwohnungen ausgebaut, Boote gebaut, mich um Touris und Tiere gekümmert. Dann habe ich erst eine Ausbildung als Werbetechniker gemacht und anschließend Industrie- und Produktdesign in Halle studiert. Also auch die Berufswahl geht in die kreative Richtung.

Enchi: Was war dein allererstes Steampunk-Stück, das du angefertigt hast – und würdest du es heute genauso machen?

Steampunker: Das erste waren Stiefel für ein Outfit, gefolgt von einer Armschiene und einem Rückenträger.

Natürlich würde ich es heute komplett anders machen. Wär ja auch komisch, wenn diesbezüglich keine Entwicklung stattfände. Im Übrigen kann ich generell ein Teil zweimal bauen, und jedes Mal sieht es komplett anders aus. Das ist ja das Schöne daran. (lächelt)

Enchi: Wo hast du deine Kreativität ausgelebt, bevor Steampunk in dein Leben trat?

Steampunker: Wie gesagt, habe ich schon immer irgendwas gebaut. Vor der Steampunk-Geschichte baute ich einen alten Feuerwehr-LKW zum Wohnmobil aus und danach das Haus meiner Ex-Freundin. Allerdings beschränkt sich Kreativität nicht auf eine Tätigkeit, sondern es zieht sich durch alle Lebensbereiche. Ich habe auch schon Gedichte geschrieben, ich koche gern (experimentiere dabei natürlich), etc…

Enchi: Was hast du aktuell an Projekten am Start? Gibt es ein großes „Wunschprojekt“, das du gern eines Tages in Angriff nehmen würdest?

Steampunker: Ich habe immer unzählige Baustellen gleichzeitig. Auch in meiner Werkstatt liegen meist 20-30 angefangene Objekte rum. Oft werden Ideen in 2-3 Arbeitsschritten erstmal festgehalten, und dann irgendwann wird weiter daran gearbeitet.

In meinem Kopf sind auch unzählige weitere Ideen, und täglich kommen wieder neue dazu.

Natürlich wären größere Projekte sehr reizvoll, über dampfbetriebene Objekte, ein Motorrad bis hin zu einem ganzen Fahrzeug. Nur fehlen mir hierfür in erster Linie Zeit, Platz und Geld.

Wunsch für die Zukunft wäre ein Großprojekt, indem ich alle meine Dinge unter einen Hut bringen kann. Eine alte Fabrikhalle in einer kulturell aufgeschlossenen Stadt, in welcher ich eine ständig wachsende Dauerausstellung inszenieren kann, bezogen auf unsere Industriekultur, mit etwas Steampunk, schrägen und skurrilen Dingen, kompletten arrangierten Szenen (auch vermietbar als Shooting-Location oder für Filmaufnahmen), einem Café und einer Manufaktur, mit Auftragsarbeiten, Workshops, Events, etc…

Ich möchte eine Phantasiewelt für Besucher erlebbar machen. So als ginge man durch eine Tür und steht plötzlich in Harry Potters Winkelgasse.

Allerdings fehlen mir da noch ein paar Sponsoren bzw. Investoren. Aktuell stehe ich in Verhandlungen mit dem Amt für Wirtschaftsförderung in Leipzig und einigen anderen Institutionen.

Enchi: Ein interessierter Neueinsteiger fragt dich, was er unbedingt lesen/anhören/ansehen/tun sollte, um einen guten Einblick in den Steampunk zu bekommen. Was empfiehlst du ihm?

Steampunker: Nun ja, einen guten Bezug zum Thema findet man natürlich in den Romanen von Jules Verne (Reise zum Mittelpunkt der Erde, In 80 Tagen um die Welt, 20.000 Meilen unter dem Meer,…) oder auch Die Differenzmaschine (Gibson/Sterling), zahlreiche Comics (Das Schmetterlingsnetzwerk, Girl Genius, Puppet Makers…)

Auch moderne Filme greifen das Thema auf (Wild, Wild West, Mad Max, …) oder Computerspiele wie Dishonored, Bioshock

Steampunk Musik: Abney Park, Coppelius, Doctor Steel, Clockwork Quartett, Vernian Process, Jordan Reyne

Enchi: „Echt Steampunk“, das ist …?

Steampunker: …in jedem Falle selbst gebaut und aus authentischen Materialien bestehend (Holz, Leder, Kupfer, Messing, Glas, Papier, Stoff). Im Idealfall ist es funktionell, kreativ und individuell. Es sollte die Phantasie des Betrachters anregen und ihn in eine andere Welt entführen. (lächelt)

Arbeiten von Steampunker Alex kann man online betrachten und sogar erwerben, und vielleicht klappt’s ja irgendwann mit der Dauerausstellung – Unterstützung jeglicher Art ist natürlich herzlich willkommen.

Mehr zum Thema Steampunk gibt es in unserer nächsten Ausgabe zu lesen, in der ich euch meine ganz persönlichen multimedialen  Steampunk-Highlights vorstellen möchte.

Mehr vom Steampunker selbst gibts auch auf Facebook.

Und wer die Einführung letzte Woche verpasst hat – kein Problem: Dampfgetriebene Abenteuer

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