Yggdrasil: Der Sonntag steht für mich ganz klar im Zeichen der Neoklassik und des Schauspielhauses. Diese Location hat das für mich beste Programm zusammen mit der Kuppelhalle Volkspalast. Nach kurzen Vorbereitungen fahre ich Richtung Innenstadt, um noch einmal ein Bad in der Menge zu nehmen. Zum Zeitpunkt des WGTs findet auch das Gründungsfest der Stadt Leipzig statt, und so ist das Publikum sehr gemischt, was mir sehr gut gefällt. Das Wetter bessert sich allmählich, sodass man schön durch die Innenstadt laufen kann. Ich statte dem EMP-Laden einen Besuch ab und bin recht enttäuscht, dass sie so wenig CDs im Sortiment haben. Durch den Magnetismus der Moritzbastei zieht es mich auf ein kühles Kirschbier dorthin. Wie immer herrscht reges Treiben, und die Musik ist einfach stimmungsvoll.
Hexperos 1Danach mache mache ich mich auf den Weg ins Schauspielhaus, wo kurz nach 17 Uhr Hexperos aus Italien auftreten, eine Formation, die dem Stil der Neoklassik, Romantic Heavenly Voices zugeordnet werden kann. Sie spielen ein buntes Potpourri aus ihren drei bisher veröffentlichten Alben, ich schmelze förmlich dahin. Unbemerkt vor mir sitzt die 15-köpfige Gruppe, die aus Rom zum WGT angereist ist. Wir begrüßen uns und fachsimpeln etwas. Die Sängerin von Hexperos, Alessandra Santovito, kenne ich bereits über Facebook, und so freut mich ihr Auftritt besonders. Im Anschluss an das Konzert gehen sie ins Foyer, wo ihr Merchandise-Stand aufgebaut ist. Umringt von Fans verkaufen sie ihre CDs, auch ich komme nicht umhin, mir ihre Alben zu kaufen. Nach der Begrüßung durch Alessandra sage ich ihr, dass das Konzert mit zum Besten gehört, das ich gesehen habe.
Im Anschluss treffe ich mich mit meiner besseren Hälfte auf ein Kirschbier in der Moritzbastei. Während wir uns unterhalten, kommt der Satz „Peter Heppner im Kohlrabizirkus“, ca. zehn bis fünfzehn Minuten später sind wir auch schon unterwegs zum Kohlrabizirkus. Die Schlange ist recht imposant, sodass ich zweifle, ob wir überhaupt hineinkommen. Es läuft aber alles flotter, als erwartet, und zum Song „Once in a Lifetime“ sind wir drin. Das Zirkuszelt ist voll, und Fanclubs schmettern seine Hits. Eine Wahnsinns Best-of-Show mit einer Energie und Inbrunst vorgetragen, dass es eine wahre Freude ist. Die Menge will ihn nicht von der Bühne lassen, und so gibt es vier Zugaben. Eine superschöne spontane Idee hat sich ausgezahlt!

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torshammare: Aufgrund des parallel stattfindenden Stadtfestes in der gesamten Innenstadt fällt das sonst wichtige Flanieren und Rumhocken an den üblichen Plätzen dieses Jahr aus, es geht daher wieder zur agra: shoppen, Bekannte treffen und das ungewöhnlichste Gespräch des an Gesprächen wirklich nicht armen WGTs führen – nämlich mit zwei Missionaren, er aus Texas, sie aus Deutschland. Wir können zwar nicht ganz herausfinden, warum sie Gott ausgerechnet auf das ja nicht billige WGT bringen wollen (wir reden wohlgemerkt im agra-Café, nicht vor dem Gelände!), aber die beiden sind grundsätzlich sehr entspannt und nett, und wenn man die Exkurse Richtung „Wie ich zu Jesus fand“ freundlich abbiegt, ist es ein wirklich netter und definitiv ungewöhnlicher Austausch über die jeweilige Definition von Familien- und Zugehörigkeitsgefühl.
Mlada FrontaDanach heißt es aber rasch wieder „back to business“, im Täubchenthal wartet a) eine Freundin und b) die nächste Attacke auf die Tanzfläche. Der Franzose Mlada Fronta lässt diese mit mal sehr spacigen, mal sehr harten Soundspielereien erbeben. Seit 1992 existiert das Projekt bereits, und die Routine merkt man auch. Besonders nett sind neben den exzellenten Videoanimationen auch die LED-Lichter, die am Synthie-Ständer entlangflitzen.
IszoloscopeDass da aber noch Luft nach oben ist, merkt man überdeutlich im Vergleich zum nachfolgenden Act, Iszoloscope aka Yann Faussurier, der mich auf der Tour mit Covenant schon schwer begeistert hat. Hier fährt er das ganz große Programm auf und zieht alle Register. Ich habe schon viele Powernoise- und ähnliche Acts live gesehen, aber das hier ist noch mal eine Liga für sich. Ungeheuer vielschichtig, genau richtig brachial, tanzbar, geradezu bewusstseinserweiternd, wenn man sich darauf einlassen kann, voller Soundexplosionen und untermalt von hervorragend passenden Videoeinspielungen. Hier eröffnen sich einem elektronische Welten.
Danach bin ich übervoll mit Geräuschen und Eindrücken und setze mich in den herrlich lauschigen Innenhof des Täubchenthals. Ah Cama-Sotz wummert eh laut genug durch die offenen Fenster, sodass man sich das sehr dynamische – ich hatte mich außerdem eher auf die Dark-Ambient-Sachen des Belgiers eingestellt – Set gepflegt mit einem Getränk in der Hand und bei frischer Luft anhören kann. Außerdem darf bei dem ganzen Konzertmarathon das Herumhängen, Quatschen und Leute Anschauen nicht zu kurz kommen, und dafür eignet sich das Täubchenthal hervorragend. Meine Begleitung möchte dann eigentlich gern Noisuf-X anschauen, doch angesichts der Massen, die plötzlich Arcturusin den Hof strömen, planen wir rasch um und fahren in den Felsenkeller zu Arcturus. Genau die richtige Entscheidung, denn im Felsenkeller ist fast nichts los, die Luft ist super (!) und vor allem ist der Sound bei den norwegischen Avantgarde-(Black-)Metallern nahezu perfekt (!!). Die wenigen Anwesenden feiern ICS Vortex am Mikro und seine vier Mitstreiter entweder gebührend ab oder sind zumindest sehr wohlwollend interessiert, sodass die magere Menschenkulisse überhaupt nicht stört. ICS Vortex scheint zwar in guter „Skandinavier im Ausland mit billigem Bier“-Manier schon einen in der Krone zu haben, singt aber wie ein junger Gott, und die komplexen Stücke der Norweger kommen wirklich gut rüber. Ich habe die Band seit vielen, vielen Jahren auf dem Schirm, aber noch nie live gesehen, und freue mich daher wirklich, dass das jetzt auf dem WGT – noch dazu in so entspannter Atmosphäre – geklappt hat.
Danach sind wir allerdings maximal unentschlossen, ob wir uns zu Skinny Puppy auf die agra quälen sollen, machen erst mal Station an der Moritzbastei, treffen Leute, versumpfen und fahren schließlich gemütlich nach Hause.

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littlenightbird: Super sind an diesem Tag Mlada Fronta und Iszoloscope, das ist für mich Tanzmusik pur, und ich wusste vorher nicht, was mich erwarten würde.
Das Täubchenthal bekommt einen Pluspunkt, weil es einfach eine super Location ist, in der man sich wohlfühlen kann. Essen, Getränke, Toiletten, Sitzgelegenheiten, nicht zu voll, Empore, Garten und Umgebung sind sehr nett. Die Pfandmarken mit dem Täubchen drauf sind endssüß (ich hab einen Plastikbecher mehr, weil ich die Marke behalten wollte). Auch die Anbindung ist akzeptabel. O-Ton meiner Freundin: „Kann man diese Location nicht einfach einpacken und mitnehmen und einen zweiten Pulverturm draus machen?“
She Past Away wollte ich mir auch ansehen, die hab ich allerdings glatt verschlafen, also so wirklich vergessen und erst in München gemerkt, dass die auch in der agra gewesen wären. Andererseits war ich da wohl im Täubchenthal, und wie man an meinem Bericht sieht, war das ziemlich gut so.

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Tius: Bleib Modern aus Frankreich sind ein guter Einstieg in den heutigen Konzerttag.
Whispering Sons aus Belgien sind die Senkrechtstarter in der Postpunkszene. Ihr einzigartiger Sound ist dem von The Chameleons nicht unähnlich, aber viel waviger und mit Melancholie durchtränkt. Die Clubhits „Performance“ und „Wall“ dürfen nicht fehlen, und es gibt zahlreiche neue, unveröffentliche Songs, die nicht nur Appetit, sondern Heißhunger auf ein neues Album machen. Etwas vermisst habe ich „Time“, das wird leider nicht live gespielt, dafür tauchte es zu meiner Freude auf der Playlist der dunkelromantischen Tanznacht auf. Ich stehe in der ersten Reihe, da war der Sound sehr gut, andere meinten, dass der Sound weiter hinten weitaus schlechter war.

Ritual Howls aus Amiland präsentieren eine Mischung aus Shoegaze und Postpunk. Zum Abschluss gibt‘s „Final service“.
Bei Myrkur ist mir unklar, was mich im Schauspielhaus erwartet … Kreissägengitarren, Hasengeklopfe und Geräusche, die ein 90-Jähriger auf dem Sterbebett von sich gibt? Also sprich Black Metal? Gothseidank nicht, Frau Myrkur ist heute komplett akustisch unterwegs und gibt skandinavische Volksweisen zum Besten. Die stärksten Momente sind für mich, als sie am Flügel sitzt und von ihren beiden mitgebrachten Sängerinnen mehrstimmig begleitet wird. Das ist ein schöner optischer Kontrast, die beiden Sängerinnen im kleinen Schwarzen, Frau Myrkur im weißen Kleid. Obwohl ich einigermaßen mit skandinavischen Liedgut vertraut bin, erkenne ich nur „Två konungabarn“ und „I riden så“. Ein sehr gelungener Auftritt, leider ist dieser um eine halbe Stunde kürzer als geplant, somit wird die Wartezeit auf Moon far away verlängert.
Moon far away sind bekannt dafür, in Maskierung Konzerte zu geben, noch lange bevor Ghost, Daft Punk und andere auf die Idee gekommen sind. Der Mythos des Unnahbaren geht aber verloren, wenn der Soundcheck ohne Maskierung vollzogen wird … (ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen). Schade, dass das Schauspielhaus nur schwach besucht ist, Neofolk in komplett russischer Sprache ist nicht gerade schwer angesagt, die Tonträger sind nur sehr schwer erhältlich, und die etwas bekannteren Songs wie „Olyshka“ und „Zvetiki“ sind auch schon etwas älter.

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Mrs.Hyde: Im Heidnischen Dorf starten wir in den Sonntag und treffen dort Freunde mit ihren Kindern. Leider herrscht hier wegen den gestrigen Regenfällen die reinste Schlammschlacht. Irgendeine Band hat wohl auch gespielt, aber ich bin hochkonzentriert damit ausgelastet, nicht auszurutschen, sodass ich keine Ahnung habe, wer das gewesen sein könnte. Zum Glück wollen die Kleinen dann im Agra-Kindergarten spielen. Die erste Band des Tages sind somit die nicht mehr ganz so Newcomer She Past Away aus der Türkei, die vor voller Halle spielen und mit Sicherheit viele neue Fans dazugewinnen können.
Leider leert sich die Agra anschließend um die Hälfte, dabei hätten Alt-Waver Gene Loves Jezebel gleichermaßen Beachtung verdient gehabt, schließlich existiert die Band quasi seit Anbeginn der schwarzen Szene. Dennoch lassen sich die Band und die anwesenden Fans davon nicht die Laune verderben, und es ist schön, die alten Klassiker mal wieder zu hören, aber es wird auch neues Material vorgestellt.
Mittlerweile haben alle Hunger, und so heißt es Pizza statt 69 Eyes. Anschließend schlendern wir noch einmal durch die Verkaufshalle. Für die Gothic-Rock-Legende The Mission sind wir natürlich wieder dabei, die verdientermaßen vom Publikum bejubelt werden, schließlich haben sie letztes Jahr das dreißigjährige Jubiläum gefeiert. Für eine besondere Stimmung sorgen die englischen Fans, die immer wieder auf Schultern sitzen oder gar stehen und über dem restlichen Publikum den jeweiligen Song performen. The Mission spielen viele Klassiker und auch drei neue Songs. Besonderes Highlight ist die Ballade „Marian“, die zwar auf dem Album First and last and always von The Sisters of Mercy zu finden ist, aber ebenso wie der Großteil des Albums seinerzeit von Wayne Hussey geschrieben worden ist. Daher interpretiere ich die Aktion als gestreckten Mittelfinger Richtung Andrew Eldritch. Die kleine Leni bekommt von englischen Besuchern, die sich über den Nachwuchs freuen, spontan Leuchtringe für die Finger geschenkt und schwenkt diese stolz suf den Schultern ihres Papas. Natürlich kommen The Mission danach nicht um eine Zugabe herum, und so heißt es aus hunderten Kehlen: „Give me, give me, give me deliverance!“
Natürlich wäre auch noch Skinny Puppy toll gewesen, aber Leni muss nun ins Bett, und wir wollen nicht erst morgens um drei auf der Shockwave Party im Rahmen des Gothic Pogo Festival im Werk ll ankommen, weil dort Freunde von uns auflegen, wir dort viele Freunde treffen und die Party wegen der guten Musik und Stimmung seit Jahren schon für uns in Grabstein gemeißelter Bestandteil des WGT ist. Nirgends ist die B(l)ack-to-the-roots Bewegung so stark wie hier. Pikes trägt ohnehin fast jeder, viele außerdem Waver-Pluderhosen und Kleidungsstücke original aus den Achtzigerjahren. Ich bin mit meiner Leidenschaft also nicht allein und glücklich. Auch die Mitglieder der isländischen Band Kælan Mikla tanzen hier ausgelassen. Die Party geht zwar noch bis mittags um elf, aber um fünf müssen wir müdigkeitsbedingt die Segel streichen, denn der Montag steht ja auch noch an.

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Phoebe: Tagsüber hatte ich ein Alternativprogramm, das nicht im Programmheft steht. Danach heißt es anstehen an der Oper für Madame Butterfly (von Giacomo Puccini). Und ich habe eine Karte ergattert! Wer kennt sie nicht, die Geschichte der kleinen japanischen Geisha Cio-Cio-San, die bettelarm ist und einen Ausweg sieht, als der amerikanische Marineleutnant Pinkerton sie zu seiner Gemahlin machen will? Oft ist man geblendet von den schönen Kostümen oder Arien, in dieser Inszenierung an der Oper Leipzig ist von der ersten Minute an klar, dass alles Fake ist. Pinkerton geht mit Cio-Cio-San, der kleinen Madame Butterfly, eine Scheinehe ein, in Wirklichkeit ist das Mädchen aber nur gekauft. Pinkerton will einfach für die Zeit in Japan eine Gespielin an seiner Seite, noch schöner, dass sie blutjung ist. Ihre Zofe rafft das sogar eher als sie. Da sie sich aber einerseits mit Haut und Haaren ihrem Gemahl und seiner Kultur hingibt, andererseits aber immer noch dem strengen Wertesystem Japans treu ist, artet alles in einer Katastrophe aus. Sehr berührend.
Danach war ich oben auf der Moritzbastei verabredet und erst einmal reif für ein kaltes Kirschbier.

Peter Heppner Anstehen

Wir fahren dann zu Peter Heppner in den Kohlrabizirkus, wo wir uns in eine lange Schlange einreihen. Ein Feuerkünstler versüßt uns aber mit seinen Kapriolen und witzigen Sprüchen die Zeit. Das Konzert hat schon angefangen, als wir eintreten. Der erste Eindruck: Gute Stimmung, gemischtes Publikum, die Leute tanzen und sind ganz unaufgeregt trotz der verschiedenen Stilrichtungen nebeneinander gut aufgelegt. Und das für mich erstaunlichste: Gerade die ganz jungen Leute sind sehr textsicher! Heppner spielt sich durch die verschiedenen Jahrzehnte und Gruppierungen, alte und neuere eigene Songs sind im Repertoire, aber auch Stücke von Wolfsheim oder Arbeiten mit Schiller. Ich habe Peter Heppner schon öfters gesehen, und ich bin immer wieder freudig überrascht, dass er am Schluss als Zugabe doch tatsächlich „Die Flut“ – wie auch hier – spielt. Alle freuen sich zutiefst.

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mladafrontaprager.student: Sonntags führt unser Weg ins Täubchenthal zu den Techno-Sets. Mlada Fronta machen sehr tanzbaren weichen, eingängigen Sound mit einem Hauch Tribal/Goa, ohne aber in eine Mainstream/Trance-Schiene zu rutschen. Ganz anders Iszoloscope: Brachiales Hardcore-Geprügel, feinster Rhytm’n’Noise, sehr tanzbar – und anstrengend. Danach ist’s erst mal genug, ich lauschte noch ein paar Takten von Ah Cama-Sotz (nicht mehr so Ambient-mäßig, sondern tanzbarer mit einem Schuss Jungle) und fahre ins Schauspielhaus.
myrkurMyrkur mischen nordische elfenhafte heavenly Voices mit Black Metal, im Schauspielhaus spielen sie aber ein Akustik-Set mit Klavier und Nyckelharpa und lassen den Black Metal weg. Trotzdem (oder deswegen?) ein sehr angenehmes Konzert mit wunderschönen nordischen Volksliedern und sphärischem Gesang anstelle von Gegrowle.
Nach dem Konzert habe ich keine Lust mehr, mich in überfüllte Hallen zu Alcest und Skinny Puppy zu zwängen, wir treffen uns in der angenehm leeren Moritzbastei zum Cocktailtrinken.

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