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Bildquelle: Leipzig.de

prager.student: Der Freitag ist der traditionelle Aufbrezeltag mit dem viktorianischen Picknick.  Dieses Jahr sind wir dort prompt mit Rum, Whisky und Zigarren versumpft. Deswegen verpasse ich auch einige Favoritenbands. Wir kommen gerade zu den letzten Takten von Hørd im Stadtbad an.
Die darauffolgenden Sixth June spielen ganz annehmbaren Synth/Wave Pop, ein nettes Konzert.
Da danach nicht mehr viel geboten ist, machen wir uns allmählich zur agra zum Mitternachtsspecial auf und schauen noch im heidnischen Dorf vorbei. Dort spielt Tanzwut auf, die Walküren walken, die Wikinger grölen, und auch dem sonstigen anwesenden Publikum gefällt es wohl, ich finde sie eher furchtbar. Wir schlendern noch kurz über die Stände, um uns dann in der agra mit dem Rest zu Amanda Palmer und Edward Ka Spel zu treffen. Leider ist das Klavier der Dame kaputt, die Reparaturversuche fruchten nicht, und es geht erst los, als nach einer halben Stunde ein Ersatzklavier gefunden ist.  Das Konzert verläuft weiterhin zäh und eher langweilig, erst gegen Ende wird es besser, als die Musik nach den Legendary Pink Dots klingt.

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Der Blaue Reitertorshammare: Nach einem gemütlichen Tagesanfang und Pizza am Südplatz beginnt das Konzerte-WGT nachmittags traditionell in der wunderschönen Kuppelhalle. Der Blaue Reiter aus Spanien spielen postapokalyptischen Martial Neofolk – also viel Getrommel, akzentuierter männlicher und weiblicher Sprechgesang und eine sehr endzeitliche Atmosphäre. Normalerweise nicht ganz so meine Tasse Tee, aber im Rahmen der Kuppelhalle wie immer bei solchen Acts eine schaurig-schöne Einstimmung auf alles, was da noch kommen möge.
EmpusaeDanach geht’s gleich weiter in die Kantine zu Empusae, den ich vor einigen Jahren schon mal im Werk II sah. Dark Ambient der Extraklasse, anfangs schön akzentuiert durch gelegentlichen Geigeneinsatz, der einen in dunkle, bezaubernde Klangwelten entführt. Augen schließen, träumen, sich zu den fließenden Soundschichten wiegen – toll!
Damit der Tag aber nicht zu ruhig wird, geht’s mit der Tram zum Alten Landratsamt, in dem dieses Jahr der traditionelle Krach-Freitag stattfindet – zum Glück nicht mehr in der räumlich zwar tollen, aber einfach viel zu kleinen Moritzbastei. Im Alten Landratsamt ist zwar die Luft bedeutend schlechter, Blac Koloraber man hat Platz zum Tanzen und sieht sogar noch was. Als ich eintreffe, hat gerade der Leipziger Blac Kolor sein sehr technolastiges, aber trotzdem düsteres Powernoise-Set eröffnet, das sofort in die Füße geht. Alles tanzt, alles jubelt, alles schwitzt und vergisst sämtliche Sorgen – genau deshalb mag ich solche Musik.
RenderedGanz ähnlich, aber sogar noch brachialer und beatlastiger ist der nachfolgende Act Rendered, der mir im Vorfeld nichts sagte, der aber einen alten Bekannten aufzuweisen hat: Daniel Myer! Blutjung ist das Projekt, gerade mal ein paar Wochen am Start, doch die zwei Herren an den Kästchen wissen haargenau, was sie da tun. Die Beats gehen genauso sehr in den Nacken wie in die Füße, und das werde ich morgen schmerzhaft merken – egal! Rendered machen richtig, richtig Spaß, sind aber bei aller Tanzbarkeit immer noch verfrickelt genug, um es sich auch daheim genüsslich anhören zu können. Das gefällt mir von allen Daniel-Myer-Projekten im Moment fast am besten, und ich bin sehr gespannt, was da noch kommt!

Kite13th Monkey und Hypnoskull müssen leider ausfallen, denn im Alten Stadtbad rufen die wunderwunderbaren Kite – die erste Muss-Band des Festivals. Da ich nicht die Einzige bin, für die die Schweden keine Newcomer mehr sind, muss ich mich ein wenig in die erste Reihe vorarbeiten, aber schließlich gelingt es. Außerdem kann man sich an der Absperrung gut festhalten, falls einem mal wieder wegen der Innenraumtemperaturen die Luft wegbleibt … Kite, bestehend aus Nicklas Stenemo und Christian Berg, sind seit vielen Jahren keine Unbekannten in der schwedischen Musikszene, und auch hierzulande erobern sie immer mehr Herzen mit ihrem hochkomplexen, aber trotzdem eingängigen Synth-Pop, der auch von Nicklas‘ ungewöhnlicher und prägnanter Stimme lebt, und den Killermelodien, die einem zuverlässig immer wieder die Freudentränen in die Augen treiben. Untermalt wird das Ganze von ungewöhnlichen Laser- und Videoeinspielungen (man beachte die Katzenfiguren links und rechts auf der Bühne), während Nicklas und Christian zwischen etwa zehn Synths hin- und herflitzen – Schwerstarbeit für den perfekten Sound, der leider zu Beginn des Auftritts noch alles andere als perfekt ist. Das Alte Stadtbad ist berüchtigt für störendes Dröhnen, das auch hier wieder zuschlägt. Auch Nicklas‘ Mikro will nicht so recht, und die beiden Herren sind merklich angespannt. Ab der Hälfte des Sets hat sich aber alles eingegroovt, die Songs entfalten vor dem vollen Stadtbad ihre ganze Größe, und vor allem bei „The rhythm“ wähnt man sich auf einem ganz anderen Stern. Leider gibt es keine Zugabe – in der Zeit, die das enthusiastische Publikum mit Klatschen verbringt, hätte man locker noch was spielen können! Aber es wird schon irgendeinen Grund gehabt haben. Glücklich taumeln alle nach draußen an die frische Luft und lassen den ersten WGT-Abend entweder bei einem Bierchen vor dem Alten Stadtbad, auf einer Party oder gemütlich in der WG-Küche ausklingen.

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Mrs.Hyde: Bei bestem Wetter beginnen wir den Freitag mit dem viktorianischen Picknick im Clara-Zetkin-Park. Anschließend wollen wir zu Aeon Sable in den Felsenkeller. Wegen der zu erwartenden Hitze dort ziehen wir uns allerdings vorher um. Eine weise Entscheidung, denn die Verhältnisse sind abartig. Ich bin wirklich nicht empfindlich, was Hitze und schlechte Luft angeht, aber hier stoße ich an meine Grenzen. Beim Betreten des Felsenkellers laufen wir in eine fast physisch schweißnasse Wand, dementsprechend riecht es auch, Sauerstoff ist Mangelware, und im Tropenhaus ist es kalt dagegen. Die Band kann leider nicht halten, was YouTube versprochen hat, der Sound ist zu undefiniert. Aber vielleicht wird er auch vom Raumklima erstickt. Die folgenden BFG klingen dafür deutlich besser. Trotzdem sind wir froh, nun ins Stadtbad zu Sixth June zu fahren. Dies ist leider randvoll, aber zumindest hinten an der Bar hat man einigermaßen Platz, sieht dafür aber auch kaum etwas. Leider ist der Sound irgendwie dumpf, und die düstere Melancholie kommt nicht so recht zum Tragen.

Quelle: mdr.de

Quelle: mdr.de

Anschließend vertreiben wir uns die Zeit bis Amanda Palmer und Edward Ka-Spel mit Bummeln in der Agra. Amanda Palmer sieht aus, als wäre sie einer Zigarettenwerbung des Jugendstilmalers Alphonse Mucha entsprungen, sensationell schön. Dem kann Edward Ka-Spel optisch nichts entgegensetzen. Unterstützt werden die zwei von einem Geiger. Das Konzert startet mit technischen Schwierigkeiten, Amandas Keyboardklavier fällt aus. Dafür muss erst einmal bei einer anderen Band ein passendes ausgeliehen und verkabelt werden. Der Geiger improvisiert zur Überbrückung und meint schließlich lachend: „Never ever have I played such… shit! … to so many people.“ Das lockert die Stimmung ungemein auf. Das Konzert ist schließlich OK, wäre aber im Schauspielhaus für eingefleischte Fans besser aufgehoben gewesen. Die Bühne ist einfach zu groß für die drei Musiker, und vermutlich war mehr als die Hälfte der Besucher nur da, weil sie ohnehin draußen bei der Agra waren. Die ruhige Musik zu später Stunde macht noch dazu eher müde, sodass wir auf eine Aftershowparty heute verzichten.

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Tius: Der blaue Reiter und Empusae in der Kuppelhalle sind ein schöner Einstieg ins diesjährige Wave.
Okkulter Gothrock Teil 1: Solide Darbietung von Aeon Sable im Felsenkeller, dessen Klima mehr an eine Biosauna erinnert. Bloß nicht unnötig bewegen, jede Bewegung wird mit zusätzlichen Schweißperlen bestraft …
„We´re not the Sisters of Mercy, we are BFG from Manchester!“ Mit dieser Vorstellung versuchten sich BFG wieder in Erinnerung älterer Gothrockhörer zu bringen. Kein Wunder, waren BFG seit 1989 auch nicht mehr auf Tour. Skepsis war deswegen auch bei mir angebracht; wer 2,5 Dekaden weg vom Fenster ist, bei dem weiß man nicht, was einem erwartet. Die beiden Originalmitglieder B.J. Williams (v), der übrigens Ähnlichkeit mit dem Fernsehkoch Christian Rach hat, und Mike Simii (g) haben sich letztes Jahr mit jüngeren Musikern zusammengetan und erste Auftritte absolviert. Ein voller Erfolg, wie ich finde, und für mich die Überraschung des diesjährigen Waves! Die Band spielt tight zusammen, und man merkt ihnen die Spielfreude an. Es wirkt viel authentischer, als wenn Oberschwester Eldritch ein paar Musiker zusammentrommelt und auf Tour geht, weil mal wieder Ebbe auf dem Konto ist … An den schrecklichen Geschehnissen in ihrer Heimatstadt vor ein paar Wochen kommen sie nicht vorbei und widmen dem internationalen Terrorismus „Western sky“. Neben neuen Songs werden natürlich auch die heute noch gespielten Klassiker „Anonymous“ und „Paris“ zum Besten gegeben und mit „Amelia“ ein hochklassiges Konzert beendet.
Okkulter Gothrock Teil 2: Whispers in the Shadow liefern wie gewohnt eine gute Show ab, es gab sogar neue Songs.
Kite im proppenvollen Stadtbad sind wie gewohnt klasse, und die Lasershow kommt in der Location besonders gut zur Geltung. Ich bin erstaunt, wie bekannt Kite bei ihrer WGT-Premiere mittlerweile sind. Was so ein paar Festivalauftritte bewirken können …

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Yggdrasil: Nach einem recht langem Schlaf erwache ich gegen 12 Uhr. In dem Moment begreife ich, dass ich wirklich schon in Leipzig bin. Ich werfe mal eben einen Blick in die App. Es stehen Der Blaue Reiter, Empusae, Ianva und Hautville aus Italien auf dem Spielplan der Kuppelhalle. Für mich heißt das nicht nur, dass ich da hin muss, aber sie sorgen auch dafür, dass ich ein freudiges Gefühl spüre. Martial Industrial Folk und Neofolk vom Feinsten. Eine Trambahnfahrt durch die Stadt später betrete ich die Kuppelhalle, da beginnen Der Blaue Reiter bereits mit ihrem Konzert. Ein bombastisch imposanter Veranstaltungsort mit einer Akustik zum Niederknien. Da passt der Martial Industrial perfekt hin. Der ohnehin schon recht martialische Sound der Band erklingt, und man hat das Gefühl, direkt auf der Bühne zu stehen. Das zahlreiche Publikum jubelt der Band zu, und als dann Hits wie „Eyes of the Lost“ und noch viele mehr gespielt werden, gibt es kaum noch ein Halten. Beeindruckend!
Empusae in der Kantine der Kuppelhalle stehen als Nächstes an. Während der Wartezeit höre ich um mich herum sich italienisch unterhaltende Personen, und so spreche ich einen von ihnen auf Italienisch an. Wie sich herausstellt, waren sie zu fünfzehnt aus Rom angereist, um am WGT teilzunehmen. Wir unterhalten uns ein wenig und fachsimpeln über Neofolk usw. Ich sollte die Gruppe schon bald wieder treffen. Aber Empusae schallen schon aus der Kantine heraus. Der Sound ist als Dark Ambient zu beschreiben. Finster und sehr langsam walzen die Tracks über uns hinweg. Ich muss gestehen, dass mir persönlich die Mönchschöre im Hintergrund fehlen. Auf CD super, live auch!
Nikolas Schreck aus den USA eröffnen ihr Konzert wieder in der Kuppelhalle. Mir persönlich ist die Band völlig unbekannt, und so lausche ich der Musik ganz andächtig. Das ist eine der wenigen Bands, bei denen ich sagen kann, dass mir ihr Sound zu schräg ist und sie mir einfach nicht gefallen will. So verlasse ich die Halle und rauche erstmal eine an der Frischluft. Die Band war fehl am Platz!
Dann kommt mein eigentliches Interesse an diesem Konzertabend: Das Neofolk-Projekt Ianva aus Italien. Ein souverän vorgetragenes musikalisches Meisterwerk. Die Zuschauer gehen gut mit. Ihre Mischung aus Folk und purer Epik in Form von fast schon soundtrackartigen Songs macht sie zu einer Ausnahmeerscheinung in der Neofolk-Szene. Ich genieße es sehr! Danach ist der Abend für mich gelaufen, denn Ordo Rosarius Equilibrio habe ich schon zweimal gesehen. Alles in allem ein super Einstieg in das WGT!

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littlenightbird: Sixth June sehe ich im Stadtbad, ich mag diese Location mit ihren Jugendstil-Elementen sehr, allerdings dämmere ich auch mehr dahin als was vom Konzert mitzubekommen, weil es so heiß ist. Die Selektion hätte ich dort gerne auch gesehen, aber ich bin leider anderweitig verplant.
Tanzwut, die ich aus meiner schwarzen Anfangszeit vor 20 Jahren irgendwie anders in Erinnerung hatte, sehe ich im Heidnischen Dorf. Ich denke bei dieser Band an Mittelalter-Techno und bin dementsprechend enttäuscht, als ein Sauf-Party-Metalgetröte kommt. Zu dem Zeitpunkt ist das Heidnische Dorf voll. Während des Auftritts, mitten im Abfeiern, Tröten und der fröhlich hüpfenden Menge, bekomme ich die SMS einer besorgten Freundin aus Hamburg: Das Rock am Ring wurde wegen Terrorverdacht geräumt, und wie es uns denn am WGT geht? Ob alles okay ist? Ich kann sie beruhigen, aber ich fühle ein riesiges Bedauern für die Rockfans am Ring und eine Megawut auf diese Terroristen. Als ich Tage später beim Leipziger Stadtfest höre, wie Geier Sturzflug vom Band „Eins kann uns keiner“ skandieren, habe ich Solidaritätstränen für die Ring-Rocker und alle fröhlich feiernden Menschen in den Augen, die sich ihr Leben nicht durch die aktuellen Ereignisse kaputtmachen lassen.
Außerdem bekomme ich Amanda Palmers Auftritt mit, wie ich mich beim Sichten der Fotos erinnere. („Wo zum Teufel waren wir in dieser Zusammensetzung, sieht aus wie die agra-Halle … ach ja!“). Aber mir blieb nur die Erinnerung, dass sie zu Beginn das Publikum fragte, ob ein Mitglied einer Band anwesend wäre, das ihr ein Klavier leihen könnte, da das ihre kaputt sei. (Und ich so: „Oh Mist, ausgerechnet jetzt habe ich mein Klavier in der Unterkunft gelassen …“). Angesichts der Uhrzeit und des Klimas hoffte ich, es würde sich keines finden, damit wir gehen könnten. Anscheinend hatte aber doch einer eines dabei, denn es gab tatsächlich ein Konzert, das so an mir vorbeiplätscherte, da ich mich währenddessen mit Freunden unterhielt. Zum Abschluss klatsche ich trotz Desinteresse. Dass das Amanda fucking Dingsda ist, um die es bei uns im Forum auch immer wieder mal geht, und dass das die Frau von Neil Gaiman ist, habe ich erst heute geschnallt … vielleicht hätte ich dann doch mal hingeschaut … Ich mein, ich war ja nur dabei, weil meine Freunde das Mitternachtskonzert sehen wollten.

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Phoebe: Das Wetter ist toll, ich bleibe länger im hauseigenen Garten, danach Kaffeetrinken in der Stadt. Konzerttechnisch klinke ich mich zu Jarboe im Schauspielhaus ein. Ich sag’s mal so: Die Location ist top, und Jarboe sind nicht schlecht. Eine Stimme ist bei der Sängerin definitiv vorhanden, manchmal auch eine Art Sprechgesang à la Anne Clark. Der Gitarrist lässt es so krachen, dass man um die Saiten Angst hat.
Nach einem Abstecher auf den Mittelaltermarkt der Moritzbastei sind wir aufs agra-Gelände wegen Bummelns und Amanda Palmer. Die Dame, habe ich im Nachhinein gehört, hatte definitiv einen schlechten Tag. Sie musste tagsüber wohl wegen irgendetwas ins Krankenhaus, und abends funktioniert das Piano nicht. Nach einiger Zeit wird improvisiert, und irgendwann kann man auch wieder Klavier spielen, mich nimmt die Performance aber leider nicht mit. Gelangweilt sind wir – und nicht nur wir – nach einiger Zeit gegangen.

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