Das grüne, karierte Heft, angefüllt mit Einsamkeit

Ani_der namenlose tag

Der Münchner Kriminalhauptkommissar Jakob Franck ist seit kurzem in Rente. Dennoch lassen ihn die Toten seiner ehemaligen Fälle nicht los. Sie sitzen abends an seinem Esstisch und lassen sich von ihm mit Keksen bewirten. Oder es sucht ihn jemand auf, um Licht in eine vor langem geschehene Tat zu bringen: Ludwig Winther, der Vater eines siebzehnjährigen Mädchens, das vor 20 Jahren Selbstmord begangen haben soll, glaubt nicht an Suizid, Franck soll aufklären. Dieser erinnert sich an den Fall. Er selbst war der Überbringer der Todesnachricht. Doris Winther, die Mutter des Mädchens, hielt er sieben Stunden lang danach ohne ein Wort zu sprechen in den Armen.

Dies hatte er nie jemandem gesagt. Dennoch hat sich herumgesprochen, dass er eine außerordentliche Empathie besitzt. In den meisten Fällen war er es, der solche Nachrichten überbringen musste. Bei Ludwig Winther, dem das Leben übel mitspielte, ist er ebenfalls sehr empathisch. Er lässt ihn erzählen von seiner Tochter und von seiner Frau, die sich ein Jahr danach das Leben nahm, und von seinem einsamen Weg danach. So macht er sich also daran, diesen lange schon abgeschlossenen Fall neu aufzurollen, nach seiner ihm eigenen Methode der „Gedankenfühligkeit“. Er befragt Schulfreunde des Mädchens, Bekannte und Verwandte, und aufgezeigt werden dabei Menschen, die sich etwas vormachen, die etwas vertuschen, die sich mühsam von einem Tag zum anderen hinüberretten, in Obergiesing, Ramersdorf oder Aubing, Orte, an denen eine dunkle Kneipe mit zwei Stammgästen schon Heimat und Anker sein kann. Tieftraurig und düster werden die Personen von Ani hier geschildert. Doch alle haben ihre Methode, mit dem Leben zurechtzukommen, und sei es, sich selbst in der Spiegelung der Fensterscheibe zu grüßen. Auch der Ex-Kommissar selbst hat sich sein Leben so eingerichtet, dass er mit dem Alleinsein und Älterwerden zurecht kommt. Denn all seine Empathie anderen gegenüber hat ihn nicht vor dem Scheitern der eigenen Ehe bewahrt.

Akribisch vorgehend und sich Zeit lassend kommt Franck dem Geheimnis des Todes von Esther Winther auf die Spur. Und wieder einmal stellt sich heraus: Kommunikation, Empathie, Liebe ist alles. Zum letzten Stichwort hoffe ich auf eine Weiterentwicklung der Geschichte mit Francks Exfrau.

Friedrich Ani hat nach seinen Krimireihen um den Vermisstenfahnder Tabor Süden, den ehemaligen Mönch Polonius Fischer und den blinden Seher Jonas Vogel mit dieser Geschichte um Jakob Franck, den empathischen Kriminaler in Rente, eine neue, vielversprechende Serie gestartet.

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Am 20.1. wurde der Deutsche Krimi Preis 2016 verliehen. Mit diesem Preis werden seit 1985 alljährlich Autorinnen und Autoren gewürdigt, die literarisch gekonnt und inhaltlich originell dem Genre neue Impulse geben. Der 1. Platz ging im Bereich „National“ an Friedrich Ani mit diesem Buch.

Friedrich Ani, Der namenlose Tag
Suhrkamp Verlag(8. August 2015)
301 Seiten
Gebundene Ausgabe 19,95 Euro
eBook 16,99 Euro
Amazon

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