Gab es den Blutadler wirklich?

Viking Metal – da denkt man an hünenhafte, langhaarige, bärtige Schweden, die etwas wie „GRRRARRR ROARRR URGHHH“ in ihre Mikros schreien. Hört man aber genauer hin (oder liest im Album-Booklet nach), dann stellt man fest, dass die Herren Wikinger doch wirklich Texte zu ihren Songs haben. Darin geht es dann um Schlachten, Walhalla und allgemein ziemlich viel Blut. Was steckt aber dahinter, waren die Wikinger wirklich so krass drauf?

Ein beliebtes Motiv ist der Blutadler. Bei dieser grausamen Hinrichtungsmethode wurden dem armen Opfer, bevorzugt einem christlichen König oder Bischof, die Haut entlang der Wirbelsäule aufgeschnitten, alle Rippen gebrochen und nach außen gebogen, so dass er aussah wie ein Adler, und dann die Lungen herausgerissen. Falls das noch nicht reichte, gabs es Salz in die Wunden. Angebliche Opfer dieser Methode sind die Könige Ælla von Northumbria, Maelgualai von Munster, Bischof Ælfheah von Canterbury und Halfdan, Sohn von Harald Schönhaar. Jahrhundertelang verbreitete der Blutadler besonders in England Angst und Schrecken und galt bis vor wenigen Jahren auch unter Historikern als Beweis für die brutale Grausamkeit der heidnischen Wikinger.

Logisch, dass sich ein gestandener Metaller dieses Motiv nicht entgehen lässt. Da gibt es einerseits die Band Blood Eagle aus Kopenhagen, aber auch diverse Songs und sogar Alben namens Blood Eagle.

So stellen sich die Herrschaften von Blood Eagle den Blutadler also vor.

Was steckt aber nun dahinter? Erst einmal muss ich den gediegenen Leser enttäuschen: Es gibt keinen Beweis, dass der Blutadler jemals wirklich angewendet wurde. Dazu wird er mittlerweile öfter in Songs beschrieben, als er in historischen Chroniken überhaupt erwähnt wird. Es gibt drei Quellen in Sagas, die den Namen Blutadler benutzen: Orkneyinga saga, Knutsdrapa und Norna gests thattr. Darin jedoch findet sich keine exakte Schilderung, eher dubiose Hinweise. Zudem wurden die Sagas erst Jahrhunderte nach der Wikingerzeit niedergeschrieben – von christlichen Mönchen, die doch gerne mal die Wikinger in ein eher schlechtes Licht rückten.

Lange Zeit war die wichtigste Quelle zum Thema Blutadler die angelsächsische Chronik, in der das Prozedere an Ælla von Northumbria recht ausführlich geschildert wird. Auch diese Chronik wurde aber lange nach den Geschehnissen von Mönchen geschrieben – und diese Mönche versuchten eine Heiligsprechung des northumbrischen Königs zu erreichen, indem sie ihn als Märtyrer darstellten, der von furchtbar grausamen Heiden gefoltert und ermordet wurde. Ob das nun wirklich so passiert ist, oder ob er nicht vielleicht doch einfach in der Schlacht gefallen ist, kann man mangels eigener Aufzeichnungen der Wikinger nicht mehr nachvollziehen.

Darüber hinaus waren die Wikinger meistens gar nicht scharf darauf, ihre Feinde in der Schlacht zu töten. Viel lieber wurden einfache Soldaten versklavt und hochrangige Gefangene, wie Adlige oder Bischöfe, als Geiseln genommen und erst gegen horrende Lösegeldsummen wieder freigelassen. Die Herren aus dem hohen Norden waren also durchaus geschäftstüchtig, aber dieses Thema eignet sich bei Weitem nicht so gut für Viking Metal-Songtexte.

Mit dem Blutadler ist es demnach wie mit vielen anderen historischen Mythen – es könnte passiert sein, beweisen oder widerlegen kann man es nicht. Vermutlich wurde auch hier ein historischer Kern über die Jahrhunderte immer mehr ausgeschmückt, weil man damit den Leuten so schön Schauer über den Rücken jagen konnte bzw. kann. Immerhin, die echten Opfer des Blutadlers hätten wohl kaum die komplette Bandbreite der Grausamkeiten erdulden müssen – spätestens durch das Aufreißen des Brustkorbs wird Atmen unmöglich, und das Opfer erstickt. Aber auch das ergibt wohl eher keinen guten Song.

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