Auf der Brücke der lebensmüden Hunde

In seinem dunkelsten Moment steht Isaac auf der Brücke über der Brüstung und will springen. Er schreit. Etwas schreit zurück. Das hält Isaac vorerst vom Springen ab. Vorerst, sagt er zu sich. Denn er hat allen Grund, sich das Leben zu nehmen. Seine Frau ist tot, und er sieht nicht mehr ein noch aus. Er kann nicht mehr essen, nicht mehr arbeiten, sich nicht mehr pflegen, er ignoriert Familie und Freunde, auch wenn sie es gut mit ihm meinen. Alles ist ihm zu viel, und so kann es nicht mehr weitergehen. Doch dieses Geräusch – es ist kein menschlicher Schrei – macht ihn neugierig.

Er schaut um sich und entdeckt zwischen den Bäumen etwas Weißes. Als er sich nähert, sieht er, es ist ein Ei. Ein riesiges schimmerndes schneeweißes Ei, mindestens einen halben Meter hoch. Er nimmt das feuchte Ei mit nach Hause. Dort macht es eine Transformation durch. Es trocknet und hat dann eine flauschige Oberfläche. Es bekommt im Warmen ein Fell, überlange Arme und ein Gesicht. Isaac muss sich mit diesem Wesen auseinandersetzen, und das Wesen tut es andererseits auch mit Isaac. Sie speisen zusammen – wobei man hier kaum von einer „Speise“ sprechen kann –, sie reden miteinander, sie kümmern sich umeinander. Isaacs Teilnahmslosigkeit allem gegenüber und auch die Wutausbrüche über die Ungerechtigkeit über den Tod seiner Frau nehmen ab. Die Psychotherapeutin und auch seine Schwester würden auch allmählich nicht mehr akzeptieren, wie er so lebt. Das Ei, „Ei“, wie es nun heißt, hilft. Die beiden sprechen miteinander, und somit können die Leser*innen erfahren, wie Isaac mit seiner Frau zusammengekommen ist, wie er gelebt und geliebt hat, wie es zu ihrem Tod kam, und wie es ihm seitdem ergangen ist. Ei ist hochintelligent und lernt die Menschensprache, drückt sich aber sehr eiisch aus, nur Isaac kann ihn verstehen. Und Ei wiederum versteht Isaac. Nur einige Fragen hat er: Wohin geht Isaac, wenn er manchmal für längere Zeit verschwindet, und was ist in dem abgeschlossenen Zimmer im obersten Stock?

Isaac und das Ei ist eine entzückend und berührend geschriebene Fabel, in der es auch lustige Momente gibt. Ich wusste lange nicht, in welche Richtung die Geschichte geht. Ist es Fantasy, mit diesen Anleihen an E.T., und weil Ei auch nach Hause will? Es löst sich ganz spielerisch und glaubwürdig auf.

Bobby Palmer hat hier ein hübsches Erstlingswerk hingelegt. Er ist freiberuflicher Journalist und schreibt für „GQ“, „Men’s Health“, „Time Out“ und „Cosmopolitan“. Er lebt in einem verschlafenen Dorf in Sussex mit einem unbezähmbaren Hund und seiner Frau Nina. Über sie hat er in seiner Danksagung am Ende des Buches solche zauberhaften Zeilen verfasst, dass ich ihn schon alleine deswegen wieder lesen werde.

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Bobby Palmer: Isaac und das Ei
Übersetzung: Felix Mayer
Heyne Verlag, Vö. 14. Juni 2023
320 Seiten
Gebundenes Buch 22 Euro / eBook: 14,99 Euro

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