Ein Blick hinter das Absperrband

Cover Wilfling VerderbenVor zweieinhalb Jahren habe ich euch bereits die ersten zwei Bücher von Josef Wilfling, dem ehemaligen Münchener Mordermittler, vorgestellt. Im Oktober 2015 erschien Verderben – Die Macht der Mörder, der vermutlich letzte Teil innerhalb dieser Reihe.

Nicht nur die Getöteten sind die Leidtragenden sondern auch die Angehörigen auf Seiten der Opfer und Täter. Dies und viel mehr vermittelt Josef Wilfing dem Leser in diesem Buch.
Ebenso geht er auf die unterschiedlichen Täterprofile ein: Unter anderem sind „Der Sadist“ und „Der Widerling“ verabscheuungswürdige Beispiele. Der Autor versteht bei der Beschreibung den Abstand zu wahren, wie ich es dem Leser auch nur empfehlen kann. Dann sind da noch „Die Ehrenwerten“. Dieses Kapitel handelt von Menschen mit einer eigenen Kultur und Sichtweise. In den persönlichen Geschichten der Beteiligten mussten die Ermittler tief graben, bevor sie zur Lösung des Rätsels vordringen konnten – verstehenwerde ich die grausame Behandlung des Opfers durch die Familie nie. Es gibt außerdem solche und solche Erziehungsberechtigten: „Die Mutter“ ist ein sehr egoistisches und ignorantes Wesen und bringt dadurch das Unglück über die eigene Tochter. Letztendlich kommt noch „Der Biedermann“ vor. Unter anderem anhand von Buchauszügen des Serienmörders Horst David zeigt Wilfling hier auf, wie die Sichtweise des Täters und die der Verhörenden war – es bestand ein wahrlich großer Unterschied.
Zwischen den Kapiteln geht Josef Wilfling auch näher auf „Opfer“ und „Lügen“ ein, und sogar den Sedlmayr-Mord bringt er zur Sprache.

Man schaut mit Verderben – Die Macht der Mörder dem ehemaligen Polizisten und Mordermittler wieder über die Schulter. Mit seiner analytischen Erzählweise lässt er den Leser zwar nah an die Opfer heran (mit abgeschnittenen Brustwarzen und entsetzlich zugerichteten Leichen ist zu rechnen), aber ich fand es nie abstoßend. Das Durchleuchten und Ermitteln im Bereich der Verdächtigen ist interessant beschrieben. Josef Wilfling hält den Lesern bzw. der Gesellschaft aber auch ein wenig den Spiegel vor: Wie schnell schlägt das Mitgefühl für ein Opfer in Verachtung um, wenn es um gewisse sexuelle Praktiken geht. Die Tötung bzw. Vergewaltigung von Kindern wird genauso thematisiert, und auch hier kann man durch die Informationen des Autors etwas hinter das polizeiliche Absperrband schauen.

Zur Sprache kommt aber auch der Spielraum der Gesetzgebung, der so manchem Zeitungsleser nicht bekannt sein dürfte. Die Rechtsmedizin ist ein gewichtiger Bestandteil innerhalb der Untersuchungen von Mordfällen, und deren Bedeutung wird genauso beschrieben. Und dann gibt es noch so einige Zeugen, die besser nie gehört worden wären, so manche Befragungssituationen und vieles mehr.

Die hier zu lesenden Berichte finden sich nicht in den Krimis und Thrillern, die meistens der Fantasie von Schriftstellern entsprungen sind. Josef Wilfling greift auf die Realität zurück und schildert seine Vorgehensweise in einer Art persönlichen Dokumentation. Aber irgendwie fehlt mir der besondere Schwung aus den ersten zwei Teilen, der mich beim Lesen fesselte. Allein die Buchauszüge des Serienmörders ziehen sich manchmal sehr lange hin. Trotzdem ist Verderben eine informative und zugleich schauerliche Berichterstattung. Ich habe wieder eine neue Erkenntnis: Der Mensch ist ein vielschichtiges und eigenartiges Wesen!

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Josef Wilfling: Verderben – Die Macht der Mörder
Heyne Verlag, 26.10.2015
320 Seiten
19,99 €
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