Als bekannt wurde, dass Nocte Obducta dieses Jahr auf dem SummerBreeze Open Air zu Dinkelsbühl spielen würden, war für mich eins klar: Da muss ich hin! Seit ich im Jahr 2000 über den zweiten Silberling der Band, Taverne – Im Schatten schäbiger Spelunken gestolpert war (ja, im wahrsten Sinne des Wortes „gestolpert“: „In Erinnerung an Herbststürme“ war auf irgendeinem Sampler irgendeines Magazins, das es vermutlich heute schon gar nicht mehr gibt), hatte ich zwar über die Jahre hinweg alles angehäuft, was diese einzigartige Band so produzierte, aber ich hatte es in den 13 folgenden Jahren nicht geschafft, sie auch nur ein einziges Mal live zu sehen – entweder war’s zu weit weg, oder ich war im Ausland, oder die Band gab’s nicht mehr, oder ich lag mit irgendwelchen fiesen Krankheiten im Bett, oder, oder, oder – der langen Rede kurzer Sinn: Das sollte sich endlich ändern!

Mit Mutti und Schwester im Gepäck ging‘s daher ganz gepflegt mittags los zum Festival, zwei Stunden Fahrt sind ja ein Klacks. Dank Tommyknocker, der zu einer vermutlich vollkommen unmöglichen Uhrzeit bereits auf den Beinen war und uns die Tages-Bändchen in schickem Pink organisiert hatte, war alles bis hierhin sehr stressfrei. Knocker treffen, Bändchen um, fertig!
Dann ging‘s erst mal über den Campground auf direkt zum metal.de-Stand, man macht das ja schließlich alles nicht zum Spaß, sondern hat ja Termine, nich‘? Dabei bekamen wir gerade noch so die letzten Takte von Agnostic Front mit, die scheinbar exakt dasselbe Set wie 2010 spielten, ein Eindruck, der mir wenig später von einem Freund bestätigt wurde. Nach der Pflicht folgte jedoch die Kür: Was tun von 17 Uhr bis 2 Uhr nachts, wenn Nocte endlich auftreten würden? Ganz klarer Fall, nicht zuletzt bei den Temperaturen: Ab ins Party-Stage-Zelt, Eiskaffee holen (kühlt und hält wach!) und mal sehen, was sich so sehen lässt.

Keine Onkelz-Coverband

Für das infernalische Weiber-Trio ging‘s also los mit Der Weg einer Freiheit, einer Band, deren Namen ich zwar schon mal irgendwo gelesen hatte, aufgrund des komischen Namens jedoch in die Schublade „Onkelz Coverband“ gesteckt hatte. Mitnichten ist dem so, und ich erzähle euch allen sicherlich nichts Neues, wenn ich sage, dass die 2009 gegründete Band astreinen Black Metal produziert und definitiv im Auge behalten werden sollte! Ich jedenfalls war positiv überrascht von dem ziemlich druckvollen Sound, der einem hier an einem sonnigen Freitagnachmittag um die Ohren geblasen wurde. Hut ab, die Herren! Nachdem Der Weg einer Freiheit erst kürzlich in München war, scheint es sie nicht so bald wieder in den Süden zu verschlagen, verrät zumindest die Homepage. Allerdings werden sie mich beim nächsten Konzert in München ganz sicher zu den Besuchern zählen dürfen.

Sex and the Summerbreeze oder: Shopping!

Mit Firewind wurde es uns dann zu powermetallisch, aber immerhin war es uns wieder möglich, uns zu bewegen, ohne gleich schweißgebadet zu sein, denn inzwischen versank die Sonne langsam, aber sicher hinter den Bühnen – perfektes Klima für eine Shopping-Tour! Ich gehöre ja zu den Menschen, die permanent irgendwelche Patches irgendwohin nähen und grundsätzlich eine erlesene Garderobe textiler Fandevotionalien pflegen, und bei beidem wurde ich, wie sollte es auch anders sein, fündig. Weniger gab dieses Jahr die CD-Suche her, aber gut, da hat man ja seine Quellen im Underground.
Shoppen, Essen (kosteten die Cheeseburger schon immer fünf Euro?), Kaffeetrinken, Whitechapel gucken, diesmal auf dem Boden vor dem Zelt, vor der großen Leinwand. Das Sextett aus Knoxville, Tennessee beglückt den Zuschauer mit einer extrem basslastigen Death-Grind-Metal-Core-Mischung, die mir zumindest sofort in den Nacken ging. Ich kann mit den wenigsten Dingen, die auf –core enden, wirklich was anfangen, aber Whitechapel lohnen auch für mich einen zweiten Blick respektive mal näheres Reinhören. Eingängig, hardcore und mit jeder Menge Leidenschaft gespielt war’s allemal. Details fallen auch hier vollkommen aus, ich war mit Essen, Kaffee und der Famiglia beschäftigt.

New York Hardcore: Madball

Und wo wir da schonmal saßen, blieben wir auch einfach, denn ich hatte alles andere als das Bedürfnis, mich in die Hölle eines Madball-Konzerts zu stürzen. Die New York Hardcore-Legenden brauche ich nicht näher vorzustellen, schätze ich, für mich war’s allerdings das erste Mal, glaube ich jedenfalls. Für Mutti auch, ihr trockener Kommentar zu Hoya Roc: „Ui, der is aber aa guad über’n Winter kemma!“ brachte mich noch Stunden später zum Kichern – danke, Mama! So oder so, Madball war vor allem eins: Wirklich beeindruckend! Nicht nur, wie’s auf einmal da drin abging in dem Zelt, ich hatte den Eindruck, die Jungs werden nach auf der Bühne zurückgelegten Kilometern bezahlt. Wirklich sehenswert, auch wenn mir der Platz vor der Leinwand voll und ganz reichte!

Eher lahme Finnen

Auf zur nächsten Band, diesmal zog’s uns vor die Pain Stage, denn hier spielten sieben Finnen auf, die ich erstmals 2001 auf dem W:O:A sah, damals, als das Ticket noch 99 Mark kostete: Finntroll. Jaktens Tid hieß damals das aktuelle Album, mit dem die Mannen den Durchbruch schafften, und damals spielten sie irgendwann am Nachmittag, als eine der ersten Bands, und ich ließ mir glücklich im Pit die Fresse polieren. Heutzutage, man wird ja nicht jünger, stellt man sich ganz bequem FOH hin, trifft zufällig Bekannte aus München, hängt also auch in Dinkelsbühl mit denselben Nasen rum wie sonst immer und versucht, die Band nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Ich muss ja gestehen, dass Finntroll zu den Kapellen gehören, die mir auf einmal tierisch auf die Nerven gingen. „Trollhammaren“ war ja noch irgendwie lustig, aber damit hörte mein Interesse an dieser Formation auch wieder auf. Und im Vergleich zu dem, was ich 2001 und 2005 auf Wacken mit Finntroll erleben durfte, war’s irgendwie … fad. Wir sind jedenfalls nach ner guten dreiviertel Stunde wieder abgezogen, um einigermaßen unbeschadet zu Marduk zu gelangen – immerhin die letzte Band, die noch zwischen mir und Nocte Obducta stand!

Panzerdivision Marduk

Die Schweden haben dann auch ganz solide ihr Programm durch- und vor allem überzogen. Trotz intensiven Bemühens der Muse fällt mir, ehrlich gesagt, zum Marduk-Konzert nicht das Geringste ein. Es war einfach wie immer. Riffs böse, Blastbeat böse, Mortuus böse (ja, ich vermisse Legion sehr!), alles böse. Vielleicht hatte ich mich da allerdings schon massiv in die Vorfreude auf Nocte hineingesteigert, wer kann das schon sagen im Nachhinein?
Jedenfalls erwartete die wenigen, die sich zu dieser späten Stunde noch auf den Beinen halten konnten, Black Metal einer ganz, ganz anderen Art – ohne jetzt hier die Debatte darüber aufrollen zu wollen, ob das, was Nocte Obducta machen, denn überhaupt als Black Metal bezeichnet werden kann …

Glückliche Kinder

Endlich, endlich, endlich war es soweit: Schon beim Soundcheck war ich ungemein entzückt! Wie sollte das erst werden, wenn die spielen? Ehrlich gesagt, es fällt mir schwer, hier überhaupt einen Anfang zu finden. Vielleicht vorneweg das Negative: Scheinbar kam die Technik mit der Tatsache, dass da mehr als einer singt, nicht ganz klar, jedenfalls hörte man außer Torsten nicht viel Gesang, und wenn doch, dann immer mit einiger Verzögerung (gut, Flange hat teilweise so laut gebrüllt, das kam auch ohne Mikro an) – schade. Aber davon wollte ich mir ganz sicher nicht „mein“ Konzert vermiesen lassen, und zur Abwechslung klappte das auch mal mit der eisernen Entschlossenheit. Bleibt immer noch das Problem, das, was nach dem Soundcheck kam, so in Worte zu fassen, dass ich mich nicht anhöre wie ein überdrehter Teenager … Nun gut, hier der stümperhafte Versuch einer halbwegs objektiven Review auf eine der besten Stunden meines Lebens:
Los ging’s mit „Leere“, einem der unendlich getragenen, langsamen, melancholischen Stücke vom neuesten Album Umbriel – Das Schweigen zwischen den Sternen. Perfektes Lied zur Einstimmung auf die unglaublich komplexe Mischung aus allem, was das Genre im weitesten Sinne umfasst, hergibt. Darauf folgte dann ansatzlos „Der Durst in meinen Augen“, ein Stück vom 2002er Album Galgendämmerung und in deutlich härterer Gangart. Allein die Tatsache, dass viele der Songs an die zehn Minuten lang sind und eben durch diese einzigartige Komplexität eine ebenso einzigartige Stimmung erzeugen, macht demjenigen, der gewillt ist, sich voll und ganz auf die Musik einzulassen, deutlich, wie intensiv man dieses Konzert erleben konnte – mich jedenfalls hat es spätestens hier endgültig entrückt; meine Welt schmolz zusammen auf diese sechs Herren vor mir auf der Bühne. „Niemals gelebt“ war dann, neben dem etwas später dargebotenen Misfits-Cover „Braineaters“ (ja, sie haben es geschafft, ich fand sie NOCH toller!), sozusagen der „Gassenhauer“ zum Mitsingen, was auch durchaus getan wurde. Gut, es ist definitiv nicht mein Lieblingsstück von der Verderbnis, ich hätte mir tatsächlich „Schweißnebel“ gewünscht, aber … ach, was soll ich sagen, meinetwegen hätten die da oben auch die Kastelruther Spatzen covern können, ich hätt’s geil gefunden.
Der nächste Song kam mit Marcels Ansage, dass es das Stück (endlich) auf’s nächste Nocte-Album schaffen würde. Acht Jahre vorher hätten sie es bereits auf dem Breeze gespielt, doch es habe es leider nie auf eine CD geschafft. Ich war zwar beim letzten Mal nicht dabei, wohl aber einige andere aus dem Publikum, die sofort wussten, wovon die Rede war: „Glückliche Kinder“, einem Song, der scheinbar nie so recht in eines der vielen Projekte Marcels passen wollte und nun doch wieder bei Nocte Obducta gelandet ist. Ich jedenfalls freu mich aufs kommende Album! Wieder etwas ruhiger wurde es dann mit „Anis (Deshîras Tagebuch, Kapitel I)“ vom 2005er Album Nektar Teil 2: Seen, Flüsse, Tagebücher; hier war es für mich live noch deutlicher zu sehen, wie stark das gesamte Liedgut Nocte Obductas miteinander verwoben, verflochten ist und teilweise verschmilzt zu einem Klangamalgam, das einen ungeheuren Sog entfaltet. „Anis“ scheint direkt mit Umbriel verwandt, man merkt, dass die Band immer wieder alte Konzepte nutzt, verändert, zu etwas völlig Neuem zusammensetzt, auch Neues hinzufügt; eine Verwandtschaft, die sich durch das gesamte Schaffen hindurchzieht und sie für mich nur umso interessanter macht.

Brains for dinner, Brains for lunch, Brains for breakfast, Brains for brunch

Nach dem neuen Stück „Am Waldrand“ folgte das bereits erwähnte Misfits-Cover „Braineaters“, bevor das Konzert mit „November“ und „Und Pan spielt die Flöte“, beides zusammengefasst in einen großen Song, seinen Höhepunkt und auch sein jähes Ende fand. Insbesondere „November“ freute mich sehr, das war eines der ersten Nocte-Lieder (natürlich auf der Taverne), die sich erbarmungslos durch meinen Gehörgang in mein Hirn gefräst haben. Melodien und Lyrics, die bis zum heutigen Tag hin und wieder, wenn ich es nicht erwarte, einfach so in meinem Kopf auftauchen, wie ein Mantra (das „Ohrwurm“ zu nennen wäre eine gnadenlose Untertreibung!) und sich dann einige Tage nicht mehr verscheuchen lassen (mal ehrlich: „Jüngst entbund’ne Totgeburten, kalt, doch froh, als man sie fand / Pfiffen in der Eltern Träume greulich diese süße Weise“ – wie großartig kann ein Lied eigentlich sein?). „Und Pan spielt die Flöte“ brauchte etwas länger, bis es mich erreichte, zugegeben, erschien es doch zu einem Zeitpunkt, als ich mit mir und meinem Leben nicht ganz im Reinen war – aber das sit eine andere Geschichte. Kurzzeitig herrschte etwas Verwirrung, als es erst hieß, es gäbe noch eine Zugabe, dann doch nicht – obwohl ich, mittlerweile war es gut und gerne viertel nach drei Uhr morgens, mehr tot als lebendig war, hätte es nach meinem Dafürhalten noch eine Stunde weitergehen können. So wanderten wir zurück zum Auto, ich in einer überaus eigenartigen Stimmung irgendwo zwischen Erschöpfung, Euphorie und absolutem Glück.

Mir ist bewusst, dass diese riesige Menge Text im Grunde genommen nichts weiter als stümperhaftes Gebrabbel ist angesichts dessen, was ich bei meinem ersten, aber hoffentlich nicht letztem Konzert von Nocte Obducta empfand. Ernsthaft, ich müsste Dichter sein, um das auch nur im Ansatz mit so einem banalen Medium wie dem Wort zu vermitteln (und das lasst euch von jemandem gesagt sein, für den Sprache normalerweise die einzige scharfe Waffe im Arsenal ist!). Für mich persönlich war das eines der geilsten Konzerterlebnisse meines Lebens – Danke!

:mosch: :mosch: :mosch: :mosch: :mosch:

Setlist Nocte Obducta:
Leere
Der Durst in meinen Augen
Niemals gelebt
Glückliche Kinder
Anis (Desîhras Tagebuch, Kapitel I)
Am Waldrand
Braineaters (Misfits-Cover)
November / Und Pan spielt die Flöte (Desîhras Tagebuch, Kapitel II)

(5669)