Mit dem Rolli durch den Schlamm

SchandmaulWacken 2018: Eine schwarzgekleidete Frau steht wild gestikulierend auf der Bühne und 100.000 Menschen gehen dazu ab. Ein Bild, das wir seit 30 Jahren von diesem Festival kennen und das an sich nicht besonders erwähnenswert wäre. Doch diese Frau ist keine Musikerin. Laura M. Schwengber ist Gebärdensprachdolmetscherin. Ihre Passion ist es, Musik für Gehörlose sichtbar zu machen. 2018 war sie zum ersten Mal in Wacken, um mit Bands wie Schandmaul auf der Bühne zu stehen.

Dies ist aber nur eine der vielen Aktionen, die das WOA für Menschen mit Handicap zugänglicher machen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die „Wheel of Steel Area“, wie der spezielle Campground für Metalheads mit Behinderung genannt wird. Der Campground ist mit einer vermehrten Anzahl von behindertengerechten Sanitärcontainern sowie behindertengerechten Mobiltoiletten ausgestattet. Auch ein Sanitätshaus ist direkt vor Ort. Wir haben mit Frank Leschik und Mona Reimer vom „Thies Medi Center“ sowie Helge Pillekamp von „Sunrise Medical“ über ihre Arbeit auf dem WOA gesprochen.

Wie lange macht ihr das schon?

Frank Leschik:
Wir machen das schon zum siebten Mal nahtlos hintereinander. Das erste Mal war 2011.

Wie kamt ihr dazu, diesen Service anzubieten?

Frank Leschik:
Es entstand durch eine Schnapsidee von mir. Ich betreue einen Rollstuhlsportverein, der durch die Wacken Foundation gesponsert wird. Und ich habe einfach mal nach Freikarten gefragt. Die ich nicht bekommen habe. Doch ich wollte trotzdem hin und hatte dann die Idee, so einen Service für Menschen mit Handicap anzubieten. Das fanden alle Beteiligten gut. Seitdem entwickelt es sich immer weiter, ob Konzept oder Service. Deswegen haben wir zusammen mit ICS (den Veranstaltern des Wacken Open Air) auch einen Vorsprung gegenüber anderen Festivals. Weil es so in der Form nirgendwo sonst angeboten wird – was uns auch von den Besuchern immer wieder bestätigt wird. Es ist wohl auch einer der Gründe, warum immer mehr Menschen mit Handicap Wacken besuchen. Weil sie wissen, dass man ihnen im Notfall helfen kann und sie nicht wegen irgendwelchen Nichtigkeiten das Festival verlassen müssen.

Mona Reimer:
Hier herrscht auch ein ganz enger Austausch. Täglich kommt jemand von ICS vorbei, um sich zu erkundigen, ob es Probleme gibt und ob wir Hilfe brauchen. So wurde z.B. organisiert, dass vor unserem Service-Zelt Platten verlegt werden, damit es für die Rollstuhlfahrer einfacher ist, durch den Matsch zu kommen.

Was bietet ihr genau für einen Service an?

Frank Leschik:
Bei uns können die Leute ihren Rolli reparieren lassen. Dabei reden wir vom einfachen Rolli bis hin zu komplexen Elektro-Rollstühlen. Man kann Rollstühle, Rollatoren und Unterarmgehstützen leihen. Man kann seine Medikamente kühl lagern. Man kann seine Elektrogeräte über Nacht laden und bekommt sie am nächsten Tag wieder. Wir bieten Physiotherapie für alle an. Wir bieten einen orthopädischen Service an, also für Leute mit Prothesen oder Orthesen, die Probleme damit haben, was bei solchen Witterungsbedingungen nicht selten vorkommt. Wir bieten auch noch einen Begleitservice an, das heißt, wenn hier jemand ohne Begleitung mit Handicap herkommt und sich nicht auskennt, kann er uns anrufen und wir holen ihn ab, bringen ihn zur Bändchenausgabe und geben ihm eine Einweisung, wie er sich am geschicktesten auf dem Gelände bewegt und wo er einen Platz findet, an dem er gut aufgehoben ist.

Seit diesem Jahr bieten wir auch einen Sicherheitsservice an. Das heißt, Besucher, die Hilfsmittel oder anderes Equipment mit aufs Infield nehmen müssen, können vorab bei uns vorbeikommen und wir kontrollieren sie. Dann bestätigen wir in Form eines Prüfsiegels, dass von den Geräten keine Gefahr ausgeht.

Mona Reimer:
Wir bieten auch andere besondere Services an – da wäre es aber schön, wenn man uns das vorher mitteilen könnte, damit wir uns vorbereiten können. Wundversorgungen, Sauerstoffversorgung oder Ernährungspatienten. Es ist alles hier.

Helge Pillekamp:
Man kann bei uns auch seinen Rollstuhl grob reinigen lassen, um ihn wieder gangbar zu machen. Besonders nach starkem Regen, wie wir ihn immer wieder haben. Außerdem sind die Elektro-Rollstühle, die wir hier verleihen, besonders geländegängig. Natürlich gibt es da auch eine Limitierung – wenn der Matsch zu stark ist, stoßen sie trotzdem mal an ihre Grenzen. Dadurch, dass wir dieses Jahr die Rollstühle und Hilfsmittel mit einem Prüfsiegel versehen, können wir auch genauer angeben, wie viele Menschen mit Handicap sich auf dem WOA aufhalten. Bei Rollstuhlfahrern sind es so ca. zwischen 200 und 250, die sich hier aufhalten. Dazu kommen noch Besucher mit Handicap, die aus anderen Gründen zu uns kommen.

Frank Leschik:
Weiterhin sind wir auch sehr eng mit dem DRK verzahnt, die sich diametral am anderen Ende des Geländes befinden. Darum ist es gut, dass wir im regen Austausch sind. Gerade ist ein gutes Beispiel für diese Zusammenarbeit, was mehrmals täglich vorkommt. [Er deutet auf eine Frau, die am Ende des Zeltes bei Kollegen von Frank Leschik steht.] Hier ist jemand mit einem größeren Unwohlsein. Wir können sie hier nach unseren Möglichkeiten versorgen, bis die Kollegen vom Roten Kreuz sie abholen.

Was sind die häufigsten Probleme, mit denen ihr konfrontiert werdet?

Frank Leschik:
Das ist schwer zu sagen, da es von den äußeren Bedingungen abhängt. Doch würde ich sagen, dass die meisten Probleme, die wir beheben, kleine technische Probleme mit E-Rollis sind, und wir haben oft Besucher, die sich Basisinformationen abholen, wie man sich mit unterschiedlichen Handicaps auf dem Gelände bewegen kann.

Welche Tipps könnt ihr Menschen mit Handicap geben, um sich auf dem Festival-Gelände zu bewegen?

Frank Leschik:
Es fängt damit an, dass wir ihnen zeigen, wo sich barrierefreie Toiletten befinden und welche Wege hier für Rollstuhlfahrer genehmigt sind. Denn es gibt hier einige Wege, die Rollstuhlfahrer benutzen dürfen und Fußgänger nicht. Dann auch noch, wo sich die Rollstuhl-Tribünen vor den Hautbühnen befinden, und wo das DRK ist für Notfälle.
Die Rollstuhl-Tribünen befinden sich vor den drei großen Hauptbühnen und dürfen ausschließlich von Rollstuhlfahrern benutzt werden. Sie sind leicht erhöht und bieten eine gute Sicht auf die Bühnen, so dass die Rollstuhlfahrer nicht wie sonst auf Hintern starren müssen. Diese Tribünen gab es schon vor unserem Engagement, da war ICS schon immer vorbildlich.

Was kann man insgesamt noch verbessern?

Frank Leschik:
Es gibt immer Kleinigkeiten, die man verbessern kann. Es wird aber auch von Jahr zu Jahr besser und barrierefreier.

Helge Pillekamp:
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir uns auf einem Acker befinden und dass diesen komplett barrierefrei zu gestalten nicht möglich sein wird. Aber die Zusammenarbeit mit ICS ist sehr gut. Wenn wir Rückmeldung geben, werden unsere Anregungen zwar nicht immer sofort, aber wenn möglich im nächsten Jahr berücksichtigt, und so entwickelt sich das Festival immer weiter. Ein gutes Beispiel sind die Platten, die ICS nach dem starken Regen vor unserem Zelt verlegen hat lassen.

Wie schaut es mit Camping aus? Gibt es hier einen eigenen Platz?

Frank Leschik:
Wir befinden uns hier ziemlich zentral in der Nähe des Infields. Dieses Jahr haben wir diesen Campground ausschließlich für Menschen mit Handicap und Begleitung reserviert, so dass sie die Möglichkeit haben, relativ dicht am Ausgang und bei den sanitären Einrichtungen zu sein. Dafür hat auch jeder Verständnis und es läuft auch sehr gut. Was man auch noch erwähnen muss ist, dass das gesamte Publikum gut drauf und hilfsbereit ist. Dass hier jeder, der in Not gerät oder Probleme hat, spontan Hilfe bekommt. Das ist der Allgemeinstimmung geschuldet, was sicher nicht auf jedem Festival so ist.

Gibt es ähnlichen Service auf anderen Festivals?

Frank Leschik:
Es ist mir nicht bekannt, dass es sowas Ähnliches auf anderen Festivals gibt. Dies bestätigen auch Besucher, die bei uns vorbeischauen.

Helge Pillekamp:
Der Wunsch nach so einem Service auf anderen Festivals wird von verschiedenen Seiten, sei es auf Social Media oder von Besuchern vor Ort, geäußert. Wir bekamen allerdings keine Anfragen, und so wird es bis auf Weiteres so einen Service auf anderen Festivals nicht geben. Wacken ist da auch in der Hinsicht einzigartig und führend unterwegs.

Muss man sich vorher anmelden, wenn man mit einem Handicap auf Wacken fahren möchte?

Frank Leschik:
Es ist seit 2017 etwas anders als die Jahre zuvor. Wegen dem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis gibt es die Bitte, sich vorher anzumelden, ohne dass es verpflichtend ist. Es sollte barrierefrei sein. Jeder mit Handicap wird behandelt wie jeder andere auch. Wir hatten anfangs die Befürchtung, dass sich die einen oder anderen durch diese Aufforderung diskriminiert fühlen könnten. Doch es kam eine genau entgegengesetzte Reaktion, dass viele Leute froh und dankbar waren, da uns viele noch nicht kannten, trotz der Tatsache, dass wir hier schon viele Jahre vor Ort sind. Der allgemeine Tenor war, dass die Leute es gut fanden, vorher mit uns in Kontakt treten zu können, um uns kennenzulernen, um so auch Sicherheit zu kriegen.

Muss man vorher auf dem Campground reservieren?

Frank Leschik:
Das läuft so wie bei allen anderen Besuchern: Man muss rechtzeitig kommen, um sich einen guten Platz zu sichern. Es gibt keine Reservierungen oder Ähnliches. Für besondere Ausnahmen, also zum Beispiel Schwerstbetroffene, die darauf angewiesen sind, Strom zu haben oder über Nacht beatmet werden müssen, für die können wir was freihalten, wenn sie früh genug anreisen. Aber generell werden sie nicht anders behandelt als alle anderen Besucher.

Weitere Informationen für Wacken-Freunde mit Handicap findet man auf diesen Seiten:

https://www.wacken.com/de/alle-infos/woa-mit-handicap/

https://www.lauramschwengber.de

Interview und Fotos: Andreas „Elwood“ Brauner

(4518)